So – Hier kommt sie also – meine zweite Version der Chronik der Rumtreiber. Sie ist eine Mischung aus der alten Geschichte, durchzogen mit jeder Menge neuem Material und auch völlig neuen Handlungsbögen. Eins, was ursprünglich einmal meine Hauptidee war, habe ich herausgeworfen. Nämlich, dass die Geschichten aus der Sicht von Lily erzählt werden. Ich bin mir nicht sicher, aber evtl. wir diese Erzählweise in den späteren Bänden noch wieder reaktiviert. Wer Band 7 von JKR gelesen hat, weiß, dass dies hier eher stören würde. Auch Elemente meiner leider nicht vollendeten Version von HP7 werden hier zum tragen kommen. Man kann also sagen, dass ich hemmungslos bei mir selbst klaue.
Allen, die das neue Buch von JKR noch nicht gelesen haben kann ich sagen, dass es in dieser Geschichte keine Spoiler gegen wird. Allerdings werden Lücken, die JKR in ihrem Buch offen gelassen hat, geschlossen. Dies wird aber den Lesespaß des Originals nicht schmälern. Versprochen: ich verrate nichts! Alle, die es schon gelesen haben, werden Dinge wieder erkennen.
Jetzt noch schnell der Disclaimer und dann wünsche ich viel Spaß mit der Chronik der Rumtreiber!
Disclaimer: Nichts von dieser Geschichte gehört mir, außer einigen unbedeutenden Nebencharakteren. Alle Rechte bei J.K.Rowling.
Die Chronik der Rumtreiber
Band I
Das Schwert Gryffindors
Kapitel 1
Der Brief
„James!"
Wo steckte der Junge nur wieder? Es war bedeutend leichter, auf einen Sack Wichtel aufzupassen. Selbst dann, wenn sie es fertig brachten, aus dem Sack zu entwischen.
„James!"
Die Stimme klang um eine Winzigkeit schärfer. An und für sich klang sie jedoch sehr freundlich und überaus sympathisch dazu, wie sie so durch den großen und wohlgepflegten Garten schallte. Es war früher Vormittag – fast noch am Morgen – und für nordenglische Verhältnisse selbst jetzt, mitten im Sommer, ungewöhnlich warm. Die Frau, die jetzt zum dritten mal den Namen James´ rief, trat aus dem Schatten einer kleinen Baumgruppe, in den hellen Sonnenschein. Es war schwer, ihr Alter zu erraten, doch sie erschien jung – zumindest jung geblieben. Sie hatte dunkelbraunes, langes Haar, das sie lässig nach hinten geworfen hatte und trug ein helles, luftiges Sommerkleid. Eine Spur Ärger mischte sich in ihre attraktiven Gesichtszüge.
„Zum letzten Mal, junger Mann zwing mich nicht, Dinky auf dich zu hetzen."
Das schien so etwas wie eine Drohung zu sein, doch die erwünschte Reaktion blieb gänzlich aus. Die Frau schritt über den rasen auf eine einsam stehende, mächtige Eiche zu. Es war eine jener englischer Eichen, die dafür gesorgt hatten, dass die alten Segelschiffe vor Jahrhunderten, die auf den britischen Inseln gebaut worden waren, zurecht den Ruf genossen hatten, die besten und haltbarsten Schiffe der Welt zu sein. Als die Frau den Baum erreichte, streckte sie die Hand aus und berührte die borkige Rinde des mächtigen Stammes. Er strahlte eine Ruhe aus, die auf alles überging, was auch nur in seine Nähe gelangte. Man hatte das Gefühl, dass sogar die Vögel in seinem Geäst leiser zwitscherten, als an irgendeinem anderen Ort.
Die Frau hätte seufzen mögen, doch diese Blöße wollte sie sich dann doch nicht geben. Der Junge war mit Sicherheit ganz in der Nähe und beobachtete sie auf das Genaueste. Ohne es eigentlich zu wollen, musste sie lächeln. James – ihr Sohn – ihr einziges Kind. Seit gerade mal fünf Wochen, war er elf Jahre alt, und von einer geradezu unbändigen Energie. Elf Jahre – das hieß, dass sie ihn dieses Jahr verlieren würde. Natürlich nicht für immer, aber für den größten Teil des Jahres. Die Kindheit des Jungen würde bald vorbei sein. Und das wusste er – er fieberte dem entgegen. Dem, was heute geschehen war. Doch das wusste er noch nicht. Hätte er gewusst, weshalb seine Mutter hier nach ihm suchte, nichts hätte ihn in seinem Versteck gehalten. So aber hielt er still. So still er konnte, und beobachtete seine Mutter, wie sie dastand – zehn Meter unter ihm. James biss sich fest auf die Zunge, um nicht laut loslachen zu müssen. Doch etwas ganz entscheidendes fehlte ihm noch in seinem jungen Leben. Und das war Erfahrung. Hätte er sie gehabt, hätte sie ihm gesagt, dass man desto mehr man versucht, leise zu sein, es umso schneller passiert, dass man ganz unbewusst Geräusche von sich gibt.
Im Gegensatz zu James, wusste seine Mutter da genau. Und nach dem leisen Rascheln musste sie nicht erst nach oben schauen, um zu wissen, dass ihr Sohn in der großen Eiche saß und auf sie hinuntersah. Wieder lächelte die Frau, und mit einer kleinen, ganz unscheinbaren Bewegung verschwand sie. Sie schien sich einfach in Luft aufzulösen. Nur ein leises Puffen zeugte von dem Geschehen. Im selben Moment erschien sie einige Meter höher, direkt neben ihrem Sohn sitzend auf einem dicken, waagerecht gewachsenen Ast der Eiche.
James´ Augen weiteten sich, doch seine Überraschung hielt nur wenige Augenblicke lang an.
„Ich habe dich gerufen." Sagte die Mutter überflüssigerweise und warf ihrem Sohn einen gespielt ernsten Seitenblick zu.
Der zog die Brauen in die Höhe, und wandte ihr den Kopf zu. „Ach tatsächlich, Mum?"
Seine Mimik war ebenso gespielt, wie die ihre und beide wussten es vom jeweils anderen.
„Du weißt doch, dass du dich nicht lange vor mir verstecken kannst. Fünfzehn Jahre Ehe mit deinem Vater haben mich auf so ziemlich alles vorbereitet." Sie fuhr ihm über den Kopf und verstrubbelte sein Haar. Nicht, dass das nötig gewesen wäre – seine Harre standen grundsätzlich in alle Richtungen und widerstanden jedem Ansturm seitens Kamm und Bürste. Also hatte sie es längst aufgegeben. „Ich habe eine Überraschung für dich."
„Was denn?" Jegliche Gleichgültigkeit war mit einem Schlag von dem Jungen abgefallen. Doch seine Mutter tat geheimnisvoll.
„Ich sagte Überraschung! Wie bist du eigentlich hier heraufgekommen?" Jetzt machte James ein einigermaßen betretendes Gesicht und deutete zur anderen Seite. Dort, wo sich der Ast vom Stamm abgabelte klemmte ein Besen. Die Frau seufzte. „James Potter!" Eine seltsame Mischung aus Strenge uns Resignation erklang in den Worten. „Du weißt doch, dass du das nicht allein tun sollst Und dann auch noch so hoch. Das ist…"
Doch ihr Sohn unterbrach sie. „Mum, so hoch ist es gar nicht. Und ich bin doch kein Baby mehr. Du weißt doch, dass ich nicht falle. Dad sagt das auch."
„Du!" sie drohte ihm mit dem Finger. „Schick mir nicht deinen Vater vor." Das konnte jetzt zu einer Grundsatzdiskussion führen, aber sie winkte ab. „Wir sprechen später noch darüber, mein Lieber. Jetzt erst einmal runter von diesem Baum. Schnapp dir deinen Besen." Doch als er auf den Ast klettern wollte, schüttelte sie energisch den Kopf. „Nichts da, junger Mann. Ich nehme dich mit. Und ich will gar nicht erst irgendwelche Widerworte hören."
James brummelte zwar etwas Unverständliches, wusste aber, dass er in diesem Fall nicht gegen seine Mutter ankommen würde. Also nahm er nur den Besen und drückte ihn fest an sich, als ob er das wertvollste auf der Welt wäre. Mrs Potter konnte gar nicht anders, als erneut zu lächeln. Es war einfach unmöglich, diesem Bengel lange böse zu sein. Sie fasste ihren Sohn am Oberarm und mit dem gleichen puffenden Geräusch wie vor wenigen Minuten, verschwanden sie beide aus der alten Eiche.
Das Pottersche Anwesen war ein ziemlich altes. Und noch älter, als Haus und Grundstück war die Familie Potter selbst. Wer sich die Mühe machte, konnte die Familie durch die Jahrhunderte zurückverfolgen. Aber die Familie war nicht nur alt. Sie war auch etwas Besonderes. Sie war eine Familie von Hexen und Zauberern. Die Potters gehörten zur uralten und tief verwurzelten magischen Gesellschaft, die es schon seit Urzeiten in Großbritannien gab. Das Anwesen lag im Norden, Schottland war nicht weit, aber dennoch war das Klima mild. Es war zu vermuten, dass einer der Potterschen Ahnen, da seine Finger (bzw. seinen Zauberstab) im Spiel gehabt hatte. Das Herrenhaus lag abgelegen inmitten einer parkähnlichen Anlage. Ganz in der Nähe lag der malerische Ort Godrics Hollow. Es war einer von wenigen Orten in Britannien, in dem magische und nichtmagische Familien gemeinsam lebten. Das war über die Jahrhunderte immer gut gegangen, denn um einige Ecken herum waren alle Familien, auch die nichtmagischen, miteinander Verwandt. Wenn einmal Ortsfremde Muggel, also nichtmagische Menschen dem Anwesen der Potters zu nahe kommen sollten, dann würden sie dies gar nicht wahrnehmen. Bisher waren sie noch nie entdeckt worden und wahrscheinlich würde dies auch so bleiben.
Die Familie war nicht groß. Außer Mr und Mrs Potter mit ihrem Sohn James gab es da nur noch den alten Potter, Mr Potters Vater. So alt war der gar nicht. Die Bezeichnung war eher so etwas wie ein Spitzname. Seine Frau war früh bei einem Unfall gestorben. Sie hatte sich beruflich mit der Entwicklung und Erprobung experimentaler Zauber beschäftigt. Bei dieser Tätigkeit konnte es schon mal zu Unfällen kommen. Sie waren selten – aber sie kamen vor. Außer diesen vier Personen, gab es da nur noch Dinky. Dinky war ein Hauself – der einzige Hauself der Potters. Das war für eine so alte und angesehene Familie sehr ungewöhnlich, aber es gab ja auch nur vier Personen zu versorgen. Mit Haus und Park wurde so ein Elf spielend fertig.
Zurzeit wuselte das flinke kleine Wesen, das mit seiner langen spitzen Nase, noch nicht einmal an die Tischkante langte in der Küche des Anwesens herum. Der Frühstücksabwasch war bereits erledigt, und bald würde der Elf mit den Vorbereitungen zum Mittagessen beginnen, als sich die Tür, die von der Küche direkt in den weitläufigen Garten führte, öffnete und Mrs Potter und James hereinkamen. Dinkys Ohrenspitzen bogen sich nach oben und in einem Tempo, das man einem Wesen seiner Größe gar nicht zugetraut hätte, flitzte er um den wuchtigen Küchentisch herum und auf seine Herrin zu.
„Kann Dinky etwas tun, Misses? Oder der junge Herr? Möchte er etwas Kaltes? Es ist schon warm draußen."
Mrs Potter schüttelte lächelnd den Kopf. „Danke Dinky, aber du hast so auch schon genug zu tun. Und wir können uns auch selbst etwas holen."
Dinkys Gesichtsausdruck konnte man nur als beleidigt beschreiben. Und in seiner hohen, piepsigen Stimme klang Entrüstung als er sich zu seiner ganzen, nicht gerade beeindruckenden Größe aufrichtete. „Aber was denkt die Herrin nur von Dinky? Für Dinky ist das keine Mühe. Dinky tut das gern. Möchte der junge Herr einen Kürbissaft? Der junge Herr muss viel trinken – jetzt im Sommer!"
James zwinkerte dem Elf zu und nickte. Er würde ja doch nicht locker lassen, bis er ihm etwas bringen konnte. Und so dauerte es auch nur Augenblicke, bis der Junge ein großes, eisgekühltes Glas Saft in den Händen hielt. Mrs Potter lehnte kategorisch ab. Und schon war Dinky wieder in den Tiefen der Küche verschwunden und klapperte und werkelte mit Feuereifer drauf los. James sah dem kleinen Elf kopfschüttelnd nach. Dinky war schon lange vor seiner Geburt in diesem Haushalt gewesen, James war also an ihn gewöhnt, aber dennoch begriff er nicht so recht, was das Wesen antrieb. Und vor allem, was es so an das Haus band. Aber eigentlich machte er sich auch keine Gedanken darüber. Dinky war nun einmal da. Er war es immer gewesen, und er würde es auch immer sein. Es war normal so.
Zu mehr Gedanken über Hauselfen konnte sich James jedoch nicht hinreißen lassen. Ungeduldig schaute er seine Mutter an. „Was hast du denn nun für eine Überraschung?"
Mrs Potter schüttelte leicht den Kopf. „Kannst du dir das denn wirklich nicht denken, mein Junge?" Sie wollte eine theatralische Pause machen, sagte sich aber selbst, dass so etwas an einen elfjährigen verschwendet wäre. Also fuhr sie fort. „Merkurio ist eben gekommen. Er hatte ihn dabei – deinen Brief."
James, der sich gerade an den Küchentisch gesetzt hatte, sprang mit einem Satz zurück auf die Füße. Der Brief! Wie hatte er den nur vergessen können? Seit Tagen kannte er gar kein anderes Thema mehr und heute, da er tatsächlich gekommen war, stromerte er im Garten herum. Welch eine himmelschreiende Zeitverschwendung. Doch jetzt hielt ihn nichts mehr zurück. Seinen Kürbissaft völlig vergessend, raste er auf seine Mutter zu.
„Wo ist er, Mum? – Kann ich ihn haben? – Bitte!"
Einmal mehr an diesem Morgen konnte sich Mrs Potter ein Lächeln nicht verkneifen. Wenn James diesen Blick aufsetzte, ähnelte er auf eine fast unheimliche Art seinem Vater. Ihm hatte sie auch nie etwas abschlagen können. Seit damals, als sie sich an der Schule kennen gelernt hatten. Der Schule, die jetzt einen Brief an ihren Sohn geschickt hatte. Die Schule, die ihn in diesem Herbst als Schüler aufnehmen würde – Hogwarts. Von einem Regalbrett holte sie einen Briefumschlag aus festem Pergament hervor. Verschlossen war er mit Siegellack, in das ein Wappen (ein verschnörkeltes H) eingeprägt war. Auf der anderen Seite stand in leuchtendgrüner Schrift:
Mr J. Potter, auf dem Potteranwesen, bei Portington, England
Doch James machte sich nicht die Mühe, seine eigene Anschrift zu lesen. Auch das Siegel der Schule hielt ihn nicht lange auf – er erbrach es und öffnete den Umschlag. Er enthielt zwei Blatt Pergament. Auf dem einen schien eine lange Liste zu stehen – James betrachtete es zunächst nicht weiter. Das andere war ein an ihn gerichtetes Schreiben.
Sehr geehrter Mr Potter.
Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können,, dass sie nunmehr an der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei aufgenommen worden sind. Wir erwarten Ihre Anworteule bis zum 31. Juli. Das Schuljahr beginnt am 1. September. Bitte finden Sie sich rechtzeitig in London am Bahnhof Kings Cross ein, von wo aus Sie mit dem Zug zur Schule gebracht werden.
Diesem Schreiben beigefügt, finden Sie eine Liste der Materialien, die Sie bei Schulantritt mitzuführen haben. Wir freuen uns darauf, Sie zu Beginn des Schuljahres auf Schloss Hogwarts begrüßen zu dürfen.
Mit freundlichen Grüßen
Minerva McGonagall – stellvertretende Schulleiterin
Erst jetzt warf James einen Blick auf das andere Pergament. Das war größtenteils alles langweilig, was da aufgeführt war. Schuluniformen, jede Menge Bücher und noch andere Dinge, die man für den Unterricht an der Zaubererschule so brauchte. Doch an einer Stelle stockte James. Der Zauberstab. Er würde endlich seinen eigenen Zauberstab bekommen. Die seiner Eltern durfte er nicht einmal berühren. Und als sie ihn einmal dabei erwischt hatten, wie er heimlich den Zauberstab seines Großvaters stibitzt hatte, war ein ziemliches Donnerwetter über ihn hereingebrochen. Dabei hatte er es nicht einmal geschafft, mit dem Stab auch nur das kleinste Bisschen Magie zu bewirken. Ansonsten steckte eine Menge Magie in ihm. Und mit seinem Besen konnte er umgehen, als ob er seit Jahren nichts anderes getan hätte (was der Wahrheit auch ziemlich nahe kam).
„Wann gehen wir denn einkaufen, Mum?" Mrs Potter hatte das Schreiben an sich genommen, das James auf den Küchentisch gelegt hatte und schaute ein wenig wehmütig darauf. Da hatte Professor McGonagall ja richtig Karriere gemacht. Sie konnte sich daran erinnern, wie sie damals zu ihrer eigenen Schulzeit als ganz junge Lehrerin für Zauberkunst angefangen hatte. Inzwischen, so hatte Mrs Potter zumindest gehört, hatte sie wohl das Fach gewechselt und war nun Lehrerin für Verwandlung. Aber dass sie es bis zur stellvertretenden Schulleiterin gebracht hatte, war ihr neu. Sie war damit Nachfolgerin von Albus Dumbledore, der die Schule jetzt bereits seit acht Jahren leitete. Das wusste die gesamte Zaubererschaft, und eigentlich hätte sie es sich denken können, dass Professor McGonagall nach dem Tod von Professor Dippet ebenfalls aufrücken würde. Ehrgeizig war die Hexe aus Schottland schon damals gewesen, als sie noch bei ihr im Unterricht geschwitzt hatte.
Mrs Potter schaute auf. Sie war so in Gedanken gewesen, dass sie die Frage ihres Sohnes gar nicht gehört hatte.
„Mum?"
Mrs Potter hob die Brauen. „Was, mein Junge?"
„Einkaufen? – Wir? – Wann?" Kam es im Telegrammstil.
„Willst du nicht lieber warten, bis dein Vater wieder da ist?"
James schaute sie an, als ob sie gerade ernsthaft verkündet hätte, zum Mittagessen gäbe es gebratene Doxys. Mr Potter, James Vater, war Auror. Stark vereinfacht hieß das, dass er sein Gold mit dem Aufspüren und Festsetzen von Schwarzmagiern verdiente. Die Auroren waren eine Art Sondereinheit der magischen Strafverfolgung, die wiederum dem Zaubereiministerium unterstand. Der Job war sehr gut bezahlt, hatte aber neben der Gefahr, die er barg, noch einen weiteren Nachteil. Dunkle Magier hielten sich mit ihren Verbrechen dummerweise an keinerlei vom Ministerium erstellte Dienstpläne. Und so war es oft nicht wirklich vorhersehbar, wann ein Auror Dienstschluss hatte.
Dies alles binnen eines Moments erfassend, schüttelte James heftig den Kopf. „Dann ist es sicher schon Abend. Und vielleicht kommt er heute auch gar nicht mehr nach hause. Du kennst das doch." Es war interessant, doch James sagte dies nicht etwa in einem quengelndem Tonfall, wie es für ein Kind seines Alters zu erwarten gewesen wäre. Er schien sich seine Argumente fein säuberlich zurecht gelegt zu haben. Es war eine seiner besonderen Stärken, dass er zwar spontan war, sich aber auch stets Gedanken über die Konsequenzen machte. Eine Fähigkeit, die ihn später noch so manches Mal aus der Patsche holen sollte.
Den Einkauf wollte James auf keinen Fall auf die lange Bank schieben. Er war schon häufiger in Zaubererläden gewesen, und auch London hatte er bereits zusammen mit seinen Eltern besucht, aber dieses Mal würde es etwas anderes sein. Diesmal galt der Einkauf ganz allein ihm. Es waren seine Sachen, die sie besorgen wollten und das konnte natürlich nicht mehr lange warten.
Also schaute er seine Mutter erwartungsvoll mit großen Augen an. „Was hältst du von einem Kompromiss?" James legte den Kopf schief. Wenn er ehrlich war, hielt er gar nichts von Kompromissen. Im Klartext hieß das nämlich grundsätzlich, dass das getan wurde, was die Erwachsenen wollten. Aber man konnte es sich ja zunächst einmal anhören. Das zumindest würde ja noch nichts schaden.
„Und wie sähe der aus?" fragte er scheinbar interessiert.
„Wir gehen heute. Aber erst am Nachmittag. Und wir nehmen deinen Großvater mit. Vielleicht kommt dein Vater ja zum Mittag nach hause und kann sich dann spontan den Nachmittag frei nehmen."
James war überrascht. Dieser Kompromiss war sogar nach seinem Geschmack. Wenn Opa dabei wäre, würde das die Sache nur noch lustiger machen. Und die paar Stunden würde er schon irgendwie überstehen. Wo er doch elf Jahre auf diesen Tag gewartet hatte. Also versuchte er, nicht allzu viel von seiner Begeisterung zu zeigen und nickte nur bedächtig. „Ich glaube, damit wäre ich einverstanden. Aber wir gehen direkt nach dem Essen."
Mrs Potter nickte ergeben. James wirbelte herum, schnappte sich seinen Brief und war wie der Wind aus der Küche verschwunden.
Das Anwesen der Potters war in der Tat alles andere als klein. Im Grundriss glich es einem breiten, gedrungenem H. Im Erdgeschoss wurde der gesamte westliche Flügel vom so genannten großen Salon eingenommen. Die Bezeichnung traf eigentlich nicht ganz zu. Es war vielmehr ein Saal und tatsächlich wurden hier in der Vergangenheit, als die Familie noch groß und weit verbreitet war, rauschende Feste gefeiert. Heute wurde der Saal so gut wie nie benutzt. Im östlichen Flügel waren die große Küche und der kleine Salon untergebracht. Dieser war immer noch mehr als ausreichend groß genug, um Empfänge zu geben und andere Veranstaltungen standesgemäß stattfinden zu lassen. Die beiden Flügel wurden von einem Trakt verbunden, in dem sich die Eingangshalle und ein Verbindungsflur befanden. In diesem Flur befand sich eine Treppe in den ersten Stock, die man benutzen konnte, wenn man nicht den Umweg durch die Eingangshalle nehmen wollte. Dort befand sich auf beiden Seiten eine breite, gewundene Holztreppe, die mit dicken Teppichen belegt waren.
James benutzte die schmale Treppe im Flur, um in das obere Geschoss zu kommen. Diese war aus Stein und machte keine Geräusche. Auch nicht, wenn man nachts heimlich durchs Haus schlich. Schon aus diesem Grund war sie ihm viel sympathischer, als die knarzenden Treppen der Eingangshalle. Oben angelangt, wandte er sich zunächst nach links, um zu seinem Zimmer zu gelangen, änderte dann jedoch seine Meinung und machte wieder kehrt. Er betrat den Ostflügel, der seit dem Tod seiner Großmutter von seinem Großvater allein bewohnt wurde. Linkerhand, dem Garten zugewandt, lag ein kleiner Salon, der aber nicht benutzt wurde. Rechts lag das langgezogene Labor, in dem seine Großmutter experimentiert hatte, wenn sie nicht im Ministerium gewesen war. Der Gang knickte rechts ab und James lief direkt auf die Tür zu, hinter der sich die Gemächer seines Großvaters befanden. Es war der komplette vordere Bereich des Flügels und das symmetrische Gegenstück zu James´ eigenem Zimmer, das an der gleichen Stelle, nur im anderen Flügel lag. Überhaupt waren die beiden Flügel symmetrisch zueinander aufgebaut. James Eltern wohnten dort, wo im Ostflügel der unbenutzte Salon lag. Und die Stelle des Labors nahm im Westflügel die Bibliothek ein. Zwischen Salon und Elternzimmer spannte sich ein großer Balkon, so dass sich die H-Form des Erdgeschosses im ersten Stock nicht fortsetzte.
Zwischen den Flügeln, im vorderen Bereich, direkt über der Eingangshalle, befand sich ein großzügig ausgestatteter Gästetrakt. Die Erbauer des Hauses hatten an alle Eventualitäten gedacht.
James hielt sich nicht lange mit Anklopfen auf. Ungestüm und briefschwenkend stürmte er in das Zimmer seines Großvaters. „Er ist da, Grandpa. Er ist endlich da." Und wie als Erklärung, was denn da endlich angekommen war, hielt er den Brief aus Hogwarts in der ausgestreckten Hand.
George Potter saß hinter seinem wuchtigen Schreibtisch und für einen winzigen Moment, war seine Hand in Richtung seines vor ihm liegenden Zauberstabes gezuckt, als sich die Tür so plötzlich und unerwartet geöffnet hatte. Mit seinen fünfundsechzig Jahren, hatte der alte Potter´ erstaunlich schnelle Reflexe. Auch er war ein Auror gewesen, doch er hatte sich recht früh vom aktiven Dienst zu einem Posten bei der Koordination versetzen lassen. Das war ein Jahr nach seiner Hochzeit mit Tiberia, James Großmutter, gewesen. Sie hatte nie etwas gesagt, hatte sie doch schließlich selbst einen recht gefährlichen Beruf gewählt, doch George hatte die Angst in ihren Augen sehen können. Die Angst davor, dass er eines Tages von einem seiner Einsätze nicht mehr lebend zurückkommen würde. Es war nicht leicht für ihn gewesen, die Jagd einfach so aufzugeben, aber auf der anderen Seite war er auch ziemlich unversehrt und mit allen seinen Körperteilen aus der Sache herausgekommen. Er hatte Freunde und Kollegen, die das nicht von sich behaupten konnten.
George Potter schaute seinen Enkel durch eine randlose Brille mit runden Gläsern hindurch freundlich an. „Hogwarts – nehme ich an?" Seine Stimme klang angenehm und überraschend fest. Keine Spur von Alter schwang darin mit.
„Ja, Grandpa. Mum sagt, dass wir nach dem Essen nach London zum Einkaufen fahren. Und sie sagt, dass wir dich mitnehmen. Kommst du mit? Bitte sag, dass du mitkommst."
Der Familienälteste hob abwehrend die Hände und lächelte. „Nicht soviel auf einmal, mein Junge. Du verhedderst dich ja. Und ich komme gern mit."
James strahlte. „Juhu!" Er tanzte von einem auf das andere Bein, drehte sich um und raste wieder aus dem Zimmer. An der Tür drehte er sich noch einmal um. „Bis gleich, Grandpa." Dann war er weg. George Potter lächelte.
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Hallo Leute. Wie angekündigt beginne ich also von ganz vorne. Der einzige Vorteil ist, dass mir JKR nicht mehr dazwischenfunken kann. Ich hoffe, ich finde einen Funken Gnade bei euch. Über Zuschriften freue mich natürlich genauso wie früher, auch wenn mein Reviewcounter jetzt wieder auf null und nicht mehr bei 348 (vielen Dank an alle!) steht schnief.
Ich verspreche, mich mit den nächsten Kapiteln zu beeilen – euer Federwisch
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