Kapitel 1

Dean ließ sich aufs Bett fallen, die Füße am Boden, und breitete die Arme aus. Ein weiteres, runtergekommenes Motel Zimmer, mit furchtbaren Tapeten und einem leicht muffigen Geruch in einer weiteren, heruntergekommenen Kleinstadt deren Namen er schon wieder vergessen hatte. Sammy hatte von einigen ‚mysteriösen Tierangriffen' im Internet gelesen, und sie wollten sich die Sache mal genauer anschauen. Er tippte auf Werwölfe, es waren meistens Werwölfe, wenn fehlende Herzen im Spiel waren.

Er seufzte und richtete sich auf, das Bett war nicht sonderlich bequem. Sam saß bereits an dem wackligen Tisch, den Laptop offen vor ihm, und machte Notizen. Es regnete, und der Wind war scharf und kalt, aber sein grummelnder Magen überzeugte ihn sich aufzuraffen und zum nächstbesten Diner zu fahren.

„Sammy, ich geh uns was zu essen holen, was magst du? Irgendwelche Sonderwünsche?"

„Ach, ich denke ich nehme einen Caesar Salat, danke"

Sammy immer mit seinem gesunden Essen. Naja, wenn es ihn glücklich macht. Dean zog sich seine Lederjacke über und nahm die Autoschlüssel und war auch schon aus der Tür. Er beeilte sich, zu seinem Baby zu kommen, um nicht vollkommen durchnässt in sein Impala steigen zu müssen und die Sitze zu ruinieren. Kaum saß er im Auto, startete er den Motor und der süße Gesang seines Babys beruhigte in ungemein.

Dean bog beim nächstbesten Diner ein und parkte direkt davor und lief zum Eingang. Der Diner war etwas heruntergekommen aber sauber, er roch nach Frittier Fett und etwas, was ihm ein kleines Lächeln aufs Gesicht zeichnete: Frischer Apfelkuchen. Er ging rüber zur Theke und wartete auf die Bedienung, lehnte sich mit seinen Armen auf die Theke und scannte den Raum mit einem lautlosen Pfeifen. Als er die Bedienung auf sich zukommen sah, hellte sich sein Gesicht auf und er setzte sein charmantestes Lächeln auf und streckte den Rücken durch: war der heutige Tag doch nicht ganz für die Katz, eine hübsche junge Dame kann einem doch eben den Abend versüßen. Die Bedienung war mittelgroß, hatte dunkle, leicht gewellte Haare, einen ordentlichen Vorbau, den die kleine Diner-Uniform mit einem tiefen Ausschnitt schmeichelte, und lange Wimpern, die die dunkle Augen umrahmten. Sie hatte leicht gerötete Wangen vom hin und her eilen und kam mit einem Block und Stift in der Hand auf ihn zu geeilt.

„Hi, was darf's denn für dich sein? Entschuldige bitte fürs warten, ich bin heute alleine hier, und es ist doch mehr los als erwartet…" begrüßte sie Dean etwas außer Atem.

„Kein Problem, auf jemanden wie dich warte ich doch gerne…" Er lächelte sie breit an und ihre Wangen färbten sich einen Ton dunkler rot und sie lächelte geschmeichelt zurück.

„Ähem, ich nehme das DoubleMenu Deluxe und den großen Caesar Salad zum mitnehmen, zwei große Cola und … was habt ihr für Kuchen da?" fragte er mit einem umwerfenden Lächeln das seine weißen Zähne zeigte. Auf seine weißen Zähne war Dean ziemlich stolz, da, auch wenn er nicht sonderlich viel Acht auf sie gab, sie jedoch immer sehr hell und gepflegt aussahen.

„Ähm…" Die Bedienung starrte auf seine Lippen und war deutlich abgelenkt. Nach ein paar Augenblicken, und nachdem sich Dean spielerisch über die Lippen geleckt hatte, räusperte sie sich und blickte auf in seine unglaublich grünen Augen. Ohja, Dean Winchester wusste ganz genau wie er auf Frauen wirkte, und welche kleinen Bewegungen die Damenschaft ganz aus der Fassung brachte.

„Also, der Apfelkuchen ist grade frisch aus dem Ofen und nur zu empfehlen…" sagte sie nachdem sie die Augen schüchtern und ein bisschen verwirrt niedergeschlagen hatte. Offensichtlich war sie durch ihre eigene Schüchternheit aus der Bahn geworfen, denn ihre Stimme knackste ein bisschen zum Ende des Satzes hin.

„Hört sich fantastisch an, dann nehme ich noch ein gutes Stück von dem Apfelkuchen, wenn du ihn mir so warm empfiehlst" erwiderte Dean mit einem Zwinkern und einem unwiderstehlichen Lächeln. Vielleicht konnte er ja ihre Nummer mit ein bisschen mehr Flirten mit auf die Rechnung bekommen.

„Du hast da aber eine schönen Anhänger…" sagte Dean und nickte Richtung Dekolleté des Mädchens. Gut, das war etwas clichéhaft, aber er war heute eben nicht in Topform.

„Colleen, hübscher Name, Colleen" hängte er an und ließ sein Lächeln noch breiter und wärmer werden, was die Bedienung endlich aus ihrer Erstarrung löste.

„Dankeschön, …? Wie war dein Name noch gleich?" fragte sie unschuldig und ein Lächeln umspielte ihre hübschen vollen Lippen.

„Dean. Freut mich, dich kennen lernen zu dürfen, Colleen" sagte Dean, und streckte seine Hand aus, welche Colleen ergriff. Er jedoch führte ihre Hand zu seinem Mund anstatt sie zu schütteln und platzierte einen federleichten Kuss auf ihren Handrücken.

Jetzt lachte Colleen laut und erfreut auf, in ihren Augen das Glitzern von Interesse auf das Dean gewartet hatte.

15 Minuten später und dem Kassenzettel mit Colleens Nummer in ihrer mädchenhaften Handschrift darauf in der Hand, ging Dean fröhlich summend zu seinem Baby zurück, platzierte die braunen Papiertüten auf dem Rücksitz und fuhr zurück Richtung Motel, hielt auf dem Rückweg jedoch noch bei einem Liquorstore und kaufte eine Flasche Whisky, und als der Regen auch langsam weniger wurde, fand Dean den Tag doch nicht so furchtbar wie er begonnen hatte.

Als er im Motel Zimmer ankam, war Sammy immer noch über seinen Laptop gebeugt, jedoch hatte er das Blatt mit seinen Notizen fast komplett zugekritzelt.

„Dinnertime, Sammy!"

Es war schon fast ein Uhr als sie sich endlich in die mehr oder weniger bequemen Betten, mit angenehm vollen Magen und etwas angeschwipst von den paar Gläsern Whisky, fallen ließen, und Sam war in weniger als fünf Minuten eingeschlafen. Dean lag auf dem Rücken, die Decke bis zum Bauch hochgezogen, im Bett, die Arme unter dem Kopf und starrte an die Decke. Er konnte nicht wirklich schlafen, es gingen ihm jetzt, da er Zeit zum Nachdenken hatte, unglaublich viele Gedanken durch den Kopf.

Eigentlich kreisten seine Gedanken hauptsächlich um eines: Cas.

Seit Cas aus dem Fegefeuer zurück war, schien er mehr oder weniger wieder bei Verstand zu sein, auch wenn er niedergeschlagen und ein bisschen kraftlos wirkte, was Dean Sorgen bereitete. Er hatte so hart gekämpft, Cas mit aus dem Fegefeuer zu holen, sie beide zu retten, und Cas hatte es verweigert. Er machte sich Sorgen um seinen Freund, um Cas, um das Wohlbefinden seines besten Freundes. Cas. Der beste Freund den er jemals hatte. Klar, er hatte seine Kanten, er war ein Engel und hatte nicht wirklich das Feingespür im Umgang mit anderen Menschen, hatte auch den ein oder anderen Fehler gemacht, aber das machte ihn Dean nur sympathischer. Außerdem hatte Dean sich an die Unbeholfenheit des Engels gewöhnt und konnte aus einem Schieflegen des Kopfes oder eines Verlagern seines Gewichtes von einem Fuß auf den anderen viel herauslesen, besser als jeder andere. Natürlich hatte er Sammy, seinen kleinen Bruder, den er immer beschützen würde, und hatte Bobby, aber der war auch eher eine Vaterfigur gewesen. Gewesen. Es schien, als würde jeder um ihn herum sterben, jeder, der ihm wichtig war. Cas jedoch hatte es geschafft zurückzukehren, jedes Mal wenn er dachte, er wäre auch gegangen, hätte ihn auch verlassen. Aber er kam zurück, Cas kam zurück, zu ihm. Für ihn. Er dachte an den Moment zurück, als er Castiel das erste Mal gesehen hatte. Der unglaublich beeindruckende Auftritt, Dean musste ein bisschen Lächeln bei dem Gedanken an die Show, die Cas extra für ihn hingelegt hatte, mit den funkensprühenden Glühbirnen, dem Wind, dem Gewitter, dem Scheunentor, aufgebrochen. Aber der erste Gedanke, der Dean in den Sinn kam, als er Cas zum ersten Mal sah, war, dass er unglaublich schön war. Ja, schön. Mit den wildblauen Augen, dem feinen Gesicht, dem dunklen, wirren Haar, dass ihm in die Stirn fiel. Und als er dann seine Flügel ausgebreitet hatte und sie im Blitzlicht ihre weitesten Ausmaße annahmen, hatte Dean regelrecht vergessen wie man atmet. Es war so ein gefährliches, machtvolles, wildes und gleichzeitig wunderschönes Bild gewesen. Und das schönste von allem: seine Augen. Dean konnte jetzt, 4 Jahre später, immer noch nicht fassen, wie blau sie waren. Jedes Mal, wenn Cas ihn anstarrte, und er in seinem Blick gefangen wurde, konnte er nicht anders, als seine blauen Augen zu studieren, in all ihren Einzelheiten, und es schien, als wären sie jedes Mal anders, als würden sie sich verändern, wie der Himmel. Und es faszinierte Dean ungemein, und wenn er sich dann losreißen konnte, war mehr Zeit mit seinem Starren vergangen als er gemerkt hatte.

Cas.

Dean lächelte bei dem Gedanken an Cas, seinem besten Freund, seinem Engel. Seinem Engel… Was? Seit wann war Cas sein Engel? Er war ein Engel. Und ja, klar, er war mit Dean befreundet, und sie teilten eine tiefe Verbindung, aber, what the hell, brain? Sein Engel? Dean langte unbewusst mit seiner Hand an seine Schulter wo der Handabdruck Castiels in seine Schulter gebrannt war, es juckte ein bisschen, aber nicht unangenehm, es war eher wie ein Summen in der Haut, ganz leicht. Aber doch, irgendwie war er sein Engel… Und jeder wusste das. Diese blauen Augen. Sie sahen immer ein bisschen verwirrt in die Welt, und es war immer ein leichtes Staunen in ihnen, als würde er sich jedes Mal wieder über die Menschen wundern, diese wunderbare Schöpfung, und deren Schönheit, und Imperfektion, und dann war da auch dieser Schimmer von vielen, vielen Jahren, die er schon gelebt hatte, Erinnerungen, Wissen… und dann war da noch etwas anderes, was Dean nicht wirklich einordnen konnte… Irgendetwas, dass ihm sehr gefiel, aber er konnte nicht recht den Finger drauf legen… es sah aus wie … wie…

Dean glitt sanft, mit einem Lächeln auf den Lippen, in den Schlaf. Wie lange hatte er nicht mehr für sich selber gelächelt, ein wahres, und ehrliches lächeln? Eine Hand auf der Brust, den Kopf zur Seite gedreht, schlief Dean ein, mit diesem leisen Lächeln.

Mit einem Flügelschlag füllte sich das runtergekommene Motel Zimmer mit einer weiteren Präsenz. Lautlos nahm Castiel die drei Schritte zu Deans Bett, stand dort, und blickte hinab auf Deans Gesicht. Er sah immer so viel friedvoller aus, wenn er schlief. Keine zusammengezogenen Augenbrauen, keine Sorgenfalten um Sam auf der Stirn, und keine angespannten Schultern, gespannten Muskeln, die jederzeit zum Kampf bereit wären.

Doch heute war da noch etwas anderes, bemerkt Castiel. Ein leichtes, schwindendes Lächeln im Gesicht Dean Winchesters. Castiel legte den Kopf etwas schräg, und zog die Brauen etwas zusammen. Es gefiel ihm, dieser Ausdruck, doch wüsste er gern, durch was dieses Lächeln bewirkt wurde. Er seufzte leicht und lautlos, und streckte seine Hand aus, Richtung Deans Wange, und blieb ein paar Zentimeter über ihr Schweben. Er fühlte die Wärme, die Dean ausstrahlte. So ein wunderschöner Mensch, so perfekt für einen Menschen. Nicht nur die unergründlichen, tiefgrünen Augen, die immer die seinen suchten, nicht nur sein gestählter Körper, seine weichen, kurzen Haare, und nicht nur seine rauen Hände, vernarbt, tödliche Waffen, und gleichzeitig fähig, unglaublich liebevoll mit etwas umzugehen, was ihm viel bedeutete, nein, auch seine Seele, sein Wesen. Immer der Drang, Menschen zu retten, das Richtige zu tun, das Gute zu tun, immer versuchen, Sammy zu beschützen, ihn zu retten, sogar Cas, ihn selbst, zu retten. Und so viel Leid. Und trotzdem gab er nicht auf, trotzdem glaubte dieser kleine Mensch so fest daran, dass es Gutes gab, und wenn er selbst es schaffen musste. Dieser kleine Mensch, mit so viel Leid in sich, so viel Schmerz, so viel Verlust, und trotzdem fähig, so viel zu geben, so tief zu lieben, seinen Bruder, seine Familie, seine Freunde. Er konnte nicht anders, als Dean Winchester zu bewundern. Für ihn, Castiel, war er der perfekteste Mensch auf Erden. Und er bereute es keine Sekunde, ihn aus der Hölle befreit zu haben, ihm vertraut zu haben, ihm gefolgt zu sein. Er betrachtete sich selbst als Deans persönlichem Schutzengel, und es gefiel ihm. Er, Castiel, war Dean Winchesters Engel. Er schaute noch einmal herab auf das friedliche Gesicht, auf seine Hand, die auf seiner muskulösen Brust ruhte, direkt über seinem Herzen, und seine Schultern. Deans Ärmel seines T-Shirts war ein wenig hochgerutscht, und Cas konnte den Handabdruck sehen, den er auf Deans Schulter hinterlassen hatte. Er wusste selber nicht, wieso das geschehen war, aber wahrscheinlich passierte so etwas, wenn man eine Seele aus der Hölle befreite. Eine kleine Unregelmäßigkeit seines Herzens, des Herzens seiner Vessel, zog seine Aufmerksamkeit auf sich, und während Cas versuchte, herauszufinden, was das war, schwebte seine Hand nur ein paar Millimeter über Deans Hand auf seiner Brust, und spürte den ruhigen und starken Herzschlag des Jägers und seine Wärme. Als er verstand, dass das Gefühl damit zu tun hatte, dass es ihm gefiel, ein Zeichen auf Dean hinterlassen zu haben, beschloss er, dass er dieses Gefühl mochte. Er schaute ein letztes Mal in Deans Gesicht, beugte sich ein bisschen näher hinab, sog Deans Geruch in seine Nase, ein männlicher Duft: Schweiß, Whisky, ein bisschen Apfelkuchen und noch Deans ganz eigenen Geruch, den Geruch seiner Haut, und ließ seine Hand ganz sanft über Deans Knöchel streifen, bevor er mit einem Flügelschlag wieder verschwand.