*Siebtes und letztes Schuljahr, nach dem Krieg, Hogwarts*
Und die Zeit rannte. Und wie sie rannte.
Ginny Weasley stand auf einer Wendeltreppe in Hogwarts und blickte durch eines der großen Fenster hindurch auf die verschneite Landschaft. Tannen bogen sich unter dem Gewicht des Schnees, gefrorenes Gras versuchte verzweifelt die Schneedecke zu durchstoßen und weit draußen auf den Ländereien stieg Qualm aus Hagrids Hütte auf, der sich in der klirrend kalten Luft zu verlieren schien.
Morgen war Weihnachten.
Diese sich alljährlich wiederholende Phrase hätte etwas Gutes haben können, wäre da nicht die Tatsache, dass es Ginnys erstes Weihnachten in Trauerstimmung sein würde.
Der Krieg war gewonnen, es war alles vorüber.
Ihre Freunde waren wohlauf, Georges nicht mehr vorhandenes Ohr war gut verheilt und nur eine Sache konnte all diese positiven Aspekte übertrumpfen:
Fred war tot und er würde nicht wiederkommen.
So dankbar sie auch war, dass der Rest ihrer Familie den Krieg wenigstens halbwegs unbeschadet überstanden hatte – der Schmerz blieb – und mit ihm das Loch, das Freds Tod in ihrer aller Mitte gerissen hatte.
Die meisten Hogwartsschüler feierten Weihnachten zu Hause, froh nach dem Krieg und allem, was geschehen war, wieder zu Hause sein zu können.
Es war schon immer so gewesen, dass beinahe alle Schüler über die Winterferien nach Hause gefahren waren, doch dieses Jahr schienen es mehr denn je zu sein.
Eben weil sie jetzt nach dem Krieg alle umso dankbarer für ihre Familie zu sein schienen oder auch, weil sie sich gegenseitig unterstützen und über Verluste hinweg helfen wollten.
Ginny wünschte, sie könnte ihre Mutter unterstützen, ihr einen Teil des Schmerzes nehmen und für sie da sein, doch vielleicht war es zu früh; denn sie konnte es nicht.
Zu präsent war die Erinnerung an Fred und an vergangene Weihnachtsfeste mit der ganzen Familie.
Sie wusste, dass es nicht so sein würde wie sonst.
Der Schleier der Trauer würde über die Familie Weasley hereinbrechen und nichts Weihnachtliches würde bleiben, wenn ihre Mutter wieder mit Tränen in den Augen aufspringen und versuchen würde so zu tun, als gäbe es irgendetwas, das die Stimmung heben könnte.
Ginny liebte Weihnachten und sie liebte es auch jetzt noch, aber nach allem, was passiert war, war sie dieses Jahr zu dem Schluss gekommen, dass sie Weihnachten lieber in Hogwarts verbringen wollte. Ihre Mutter hatte ihr per Eule mitgeteilt, dass sie ihre Entscheidung gut verstehen und nachvollziehen könne und Ginny wusste, dass ihre Mutter diese Worte ernst meinte.
Um der Trauer zu entkommen, um Weihnachten noch etwas Positives abgewinnen zu können (denn trauern tat sie schlussendlich sowieso jeden Tag), um für sich zu sein und natürlich nicht zuletzt, weil es ihre letzte Möglichkeit für ein Weihnachtsfest in Hogwarts sein würde.
Und Ginny hatte noch nie Weihnachten in Hogwarts gefeiert.
Leider hatte ihre Entscheidung „für sich zu sein" zur Folge, dass sie tatsächlich ausschließlich für sich war, denn Ron und Harry waren nach dem Krieg nicht nach Hogwarts zurückgekehrt und Hermine, Luna und die anderen Mädchen aus ihrem Jahrgang waren – wie so viele andere auch – über Weihnachten nach Hause gefahren.
Den Umhang zitternd enger um ihren Körper schlingend stand Ginny da und betrachtete den Schnee beim Fallen, während sich Eiskristalle in allen erdenklichen Formen ihren Platz an der Fensterscheibe suchten.
Die Gänge von Hogwarts waren ungewohnt leer und als es Ginny schließlich doch zu kalt wurde, beschloss sie etwas zu tun, das sie sich schon seit Tagen vorgenommen hatte.
Die Luft um sie herum schien einer einzigen Dampfwolke zu gleichen.
Wasserdampf wohin man auch sah umwaberte sie und mit einem wohligen Seufzen betrachtete Ginny das schwimmbadähnliche Becken im Bad der Vertrauensschüler, das sich langsam füllte.
Hermine hatte ihr mit einem strengen Blick und nach einem Vortrag über die Verantwortung darüber, das Passwort zu kennen, mitgeteilt, wo sich das Bad genau befand und ihr das aktuelle Passwort verraten, nachdem sie das Badezimmer gemeinsam „besichtigt" hatten und Hermine Ginny auf alles Mögliche und Unmögliche hingewiesen hatte, bevor sie in die Weihnachtsferien entschwunden war.
Und da zurzeit kein einziger Vertrauensschüler in Hogwarts war, war es nur logisch, dass das Vertrauensschülerbad auch heute leer war.
Es war mittlerweile früher Abend und Ginny – mittlerweile durchgefroren bis auf die Knochen – konnte es gar nicht erwarten endlich in das warme, alles umwogende Nass zu steigen.
Weil sie keinen Bikini gefunden hatte und sowieso der Meinung war, es würde niemand hereinkommen, hatte sie beschlossen, nackt zu baden. Was sollte schon passieren?
Das Wasser stieg und stieg und Seifenschaum türmte sich in allen erdenklichen Farben schimmernd an der ein oder anderen Stelle.
Ginny hatte sich bis auf die Unterwäsche ausgezogen und saß gerade in freudiger Erwartung am Rand des Beckens, die Füße im Wasser hängend und fröhlich mit den Zehen wackelnd, als sie ein Geräusch an der Tür hörte und diese sich öffnete, bevor sie sich auch nur umgedreht hatte.
‚Nein. Nein, nein, nein. Da wollte man einmal seine Ruhe haben und dann …'
Sie machte sich nicht die Mühe sich zu erheben, drehte lediglich den Kopf zur Tür herum, wohl wissend, dass sie im Recht war, wenn sie denjenigen, der sich erdreistete, sie zu stören, gleich wieder aus dem Bad heraus jagen würde.
Noch während ein sich suchend umblickender Blaise Zabini in das Badezimmer gestakst kam, wurde Ginny viel zu spät bewusst, dass sie nur Unterwäsche trug und im Geheimen dankte sie einer höheren Macht dafür, dass sie sich in ihrem Leichtsinn noch nicht ganz entkleidet hatte.
Natürlich, wie hatte sie auch annehmen können, dass Hermine die Einzige gewesen war, die das Passwort weitergegeben hatte.
‚Dumm, dumm, dumm.'
„Weasley", tönte Zabini großspurig und machte ein paar Schritte in ihre Richtung, während Ginny sich bereits ihr Badehandtuch geschnappt hatte, das neben ihr gelegen hatte, und sich darin einwickelte, als wolle sie sich vor einer ganzen Horde Jungs schützen.
„Ich würde hier jetzt gerne baden, wie du siehst"; erwiderte Ginny mit hochgezogenen Augenbrauen und erhob sich nun doch aus ihrer sitzenden Position, um für den Notfall nach ihrem Zauberstab Ausschau zu halten, der irgendwo zwischen ihren Klamotten liegen musste, die im gesamten Raum verstreut waren.
„Nett hier, so schön ordentlich", schnaubte Zabini, der ihrem Blick gefolgt war und seinen Blick kurz darauf auf ihre unförmige Badehandtuchgestalt richtete.
„In meinem Kopf sahst du fast nackt immer heißer aus, Weasley."
Ginny seufzte. „Jaja, schon klar. Du auch Zabini, weil ich nachts nie einschlafe, ohne an dich gedacht zu haben", warf sie ihm sarkastisch entgegen und ruckte mit dem Kopf in Richtung Tür.
„Zeit zu gehen, ich habe mich wirklich aufs Baden gefreut!"
„Wärst du keine dämliche Blutsverräterin, könnten wir hier drin tatsächlich unseren Spaß haben", schwadronierte Zabini weiter und lachte hohl, doch Ginny rollte nur mit den Augen.
„Gut, dass ich das endlich weiß und auch schön, dass du genauso oberflächlich und rassistisch bist, wie ich immer angenommen habe, aber jeeetzt", mit dem Finger deutete sie auf die Tür „ist es Zeit, zu gehen!"
Zabini starrte sie an und schüttelte schließlich den Kopf. „Ich gehe nicht", sagte er.
„Mir ist kalt, ich will baden, und wenn du hier fertig bist, müssen wir alle sicher längst zurück in unseren Schlafsälen sein!"
„Ich war zuerst hier!"; bekräftigte Ginny ihren Standpunkt empört, doch Zabini ignorierte sie und schälte sich bereits aus seinen Klamotten.
„Was tust du da?", fauchte Ginny – jetzt ernsthaft genervt und etwas erschrocken.
„Ich gebe dir die Chance dich entweder zu verziehen oder mit dem bestaussehendsten Typen der Schule gemeinsam zu baden", murrte er und lief – nur in Boxershorts auf das Becken in der Mitte des Raumes zu.
Sie hasste ihn. Wirklich. So ein dreister Idiot!
Ginny war wütend. Da wollte man sich mal einen entspannten Abend machen, wollte seine Ruhe und endlich – endlich! – dieses wunderschöne Badezimmer ausprobieren und dann so was!
Aber sie – Ginny Weasley – aufgewachsen mit sechs Brüdern würde garantiert nicht klein beigeben oder sich so etwas gefallen lassen.
Der Abend war nun eh gelaufen, da ihre Stimmung in Richtung Tiefpunkt ging.
„Du Arschloch!"; schleuderte sie ihm entgegen, bevor sie wütend das Handtuch von sich warf, seinen Blick (den er zu verstecken versuchte) ignorierte und sich schwungvoll und mit einem lauten Platschen ins Wasser begab.
Grazil wie eine Gazelle stapfte sie wild planschend - um ihm demonstrativ zu zeigen, wie egal ihr war, was er über sie dachte, - zum anderen Ende des Beckens und ließ sich dort bemüht lässig nieder.
Sie würde jetzt nicht trotzig wie ein kleines Kind die Arme verschränken, damit er sich in seiner Schadenfreude würde suhlen können.
Nein, ganz bestimmt nicht.
„Warum bist du über Weihnachten in Hogwarts geblieben?"; fragte sie ihn schließlich, als ihr langweilig wurde, und betrachtete möglichst desinteressiert ihre kurzen Fingernägel.
Eine Weile war es still, dann fragte er: „Hast du den Artikel nicht gesehen?"
Ginny tat als würde sie nachdenken (sie las schon lange keine Zeitung mehr, denn all die Nachrichten und Anzeigen über die vielen Toten hoben ihre Laune für gewöhnlich nicht unbedingt) und schüttelte den Kopf.
„Was für einen Artikel?"
„Über meine Mutter", sagte Zabini kühl und sie sah auf und bemerkte, dass er sie ebenfalls nicht ansah.
Stattdessen blickte er auf seine Hände, die er unter der Wasseroberfläche ver- und wieder entknotete.
Über Zabinis Mutter wusste Ginny eigentlich nur, dass sie als extrem hübsche Hexe galt, die mehr als nur einen Ehemann verloren hatte.
Ihr Ruf als Schwarze Witwe eilte ihr weit voraus, doch ansonsten hatte Ginny wenig Ahnung, wovon Zabini sprechen könnte.
„Wieso, hat sie irgendeinen Schönheitswettbewerb oder so gewonnen?", schnaubte Ginny und hatte damit offenbar genau das Falsche gesagt.
„Nein!", fuhr er sie durch den Raum hindurch an und kam durch die Wassermassen auf sie zugewatet – offenbar, damit sie seinen wütenden Blick aus voller Nähe betrachten konnte.
Ginny widerstand dem Drang zurückzuweichen und verfluchte sich dafür, ihren Zauberstab „an Land" gelassen zu haben.
„Meine Mutter ist wegen ihres … Männerverschleißes und derzeit laufenden Ermittlungen in Untersuchungshaft in Askaban."
„Oh", machte Ginny nur und versuchte irgendwie betrübt auszusehen.
„Tja, es konnte ihr endlich nachgewiesen werden, dass sie eine waschechte ‚Schwarze Witwe' ist."
„Hat sie wirklich jemanden umgebracht?", keuchte Ginny, die dieses Gespräch und die Vorstellung, dass die Mutter dieses Jungen andere Menschen ermordete, einfach nur surreal fand.
Blaise Zabini zuckte vermeintlich gleichgültig die Schultern.
„Naja, vier Morde haben sie ihr nachgewiesen, zwei weitere werden noch untersucht", erwiderte er kalt und seine Stimme war so bar jeder Emotion, dass Ginny sich fragte, wie schwer ihn diese ganze Geschichte wirklich traf.
Die Gerüchte waren also wahr. Wow …
„Wie hat sie sie denn umgebracht?"; hakte Ginny, etwas unsensibel, nach und starrte ihn mit halb geöffnetem Mund an.
Doch Zabini warf ihr einen letzten eisigen Blick zu, bevor er sich schweigend an den Beckenrand zu ihrer linken lehnte und damit fortfuhr, seine Hände zu betrachten.
„Okay, also … lebst du jetzt bei deinem Vater?"; versuchte Ginny die unangenehme Stille zu durchbrechen und erntete ein knappes Kopfschütteln.
Zabini sah sie dermaßen kalt an, dass ihr trotz des warmen Wassers um sie herum ein Schauer über den Rücken lief.
„Dein Ernst, Weasley? Was glaubst du wohl, ist mit meinem Vater passiert, hm?", hisste er, und als ihr klar wurde, was er damit meinte, hatte er sich auch schon abgewandt und war mit großen Schritten davon gewatet.
Ginny dagegen hatte gehört, wie seine Stimme am Ende gebrochen war, wie er den Kopf etwas zu schnell von ihr weg gedreht hatte und wohl wissend, dass es kein Zurück geben würde, wenn sie sich hierauf einließ, folgte sie ihm quer durch das Becken und blieb erst stehen, als seine von ihr abgewandte Gestalt Unwohlsein in ihr aufkommen ließ …
Teil 2 folgt ...
Es tut mir leid, dass dieses Kapitel/diese Story bisher noch recht unspektakulär ist. Das wird sich in Teil 2 auf jeden Fall ändern!
