Prolog

In dem von Menschen überfüllten Bahnhof Kings Cross in London, kam sich Francis verloren vor. So viele Menschen auf einem Fleck hatte er noch nie erlebt.

Andauernd wurde er angerempelt. Andauernd entschuldigten sich irgendwelche Muggel für ihre Ungeschicklichkeit. Es war kurz nach zehn Uhr morgens am fünften September. Sein Vater legte ihm seine große Hand auf die Schulter und Francis warf einen skeptischen Blick über diese. Aber sein Vater beachtete ihn nicht.

Sie bahnten sich den Weg durch die Menge. „Dort", meinte er nach einigen Minuten knapp. Francis folgte dem Wink und erkannte durch die Massen das Gleis Nummer 9. Mehr oder minder zielstrebig peilte er es an. Wieder Gedränge. Er schien Ewigkeiten zu brauchen, um es zu erreichen.

Das Gleis war wie jedes andere auch. Vielleicht dreißig Leute tummelten sich auf ihm und lasen Zeitungen, unterhielten sich oder rauchten. Eben ganz normale Dinge. Francis blieb stehen. „Bist du dir sicher", fragte er seinen Vater ungläubig. Dieser nickte kurz und deutete auf einen steineren Bogen der alten Bahnhofskonstruktion. Sein Vater schob ihn zu dieser Wand. Dann schritt er an ihm vorbei, ging auf die Wand zu und verschwand. Francis schaute sich um. Diese Art der Verschleierung war ihm nicht unbekannt. Ihr eigenes Anwesen war so gegen Unwissende und vor allem gegen Muggel geschützt. Francis schaute sich weiter um und ging dann mit seinem Kofferwagen direkt auf die Wand zu. Er schritt durch die Wand und unmittelbar nachdem sein Körper die Mauer berührt hatte, tauchte er auf der anderen Seite wieder auf. Hier bot sich ihm ein ganz anders Bild. Es schien, als sei dieses Gleis in einem Komplex direkt neben dem Bahnhof, oder aber auch ganz wo anders, denn es waren keinerlei andere Züge zu sehen. Außer diesem einen roten Zug. Eine alte Dampflok aus dem 19. Jahrhundert wie es schien, aber in einem erstklassigen Zustand. Weißer Rauch trat aus dem Schornstein und breitete sich überall unter der Decke aus.

Hogwarts-Express stand auf einem reich verzierten, bronzenen Schild an der Außenseite. „Komm!" sagte sein Vater und Francis zuckte kurz. Er war von dem Anblick der Lok so gefesselt gewesen, dass er nicht bemerkt hatte, dass sein Vater neben ihm stand. Francis nickte und folgte ihm. Der Bahnsteig war bis auf zwei Männer mittleren Alters leer. Diese beiden verstauten irgendwelche Kisten in dem letzten Waggon. Wie typische Zauberer sahen sie nicht aus. Und da sie die Kisten nicht schweben ließen, wie es wohl jeder normale Zauberer gemacht hätte, vermutete Francis, dass es sich um Squids handeln müsse. Sein Vater schritt auf den vorletzten Waggon zu und betrat ihn. „Gib mir die Koffer an", sagte sein Vater mit einem leicht befehlenden Ton und streckte Francis die Hand aus. Er befolgte wie geheißen und reichte ihm nacheinander die beiden Koffer an. Es war für ein Jahr gepackt. Für einen Ort an dem er fast niemanden kannte. Nur einen kannte er auf seiner neuen Schule: Harry Potter. Doch auch ihn nur vom Namen. Die lebende Legende. Und auch das verhöhnte Objekt des Tagespropheten. „Sei nicht so betrübt. Es ist das Beste für dich." sagte sein Vater, als er den Blick seines Sohnes bemerkt hatte. Francis nickte, dachte jedoch anders darüber.

Seit sieben Jahren hatte er Privatunterricht bekommen. Sein Lehrer war immerzu streng gewesen, aber auch gerecht. Das Leben war so wie es war, genau das was Francis wollte. Kein Stress, Ruhe, und so wenige Leute um ihn wie es nur irgendwie ging. Tiberius Korthal, sein Lehrer, hatte im Juni gekündigt. Warum er dies getan hatte, weiß Francis nicht.

Seine Eltern konnten keinen Ersatz für ihn finden. Und somit mussten sie dem Druck des Ministeriums nachgeben, die auf ihre Bildungspflicht bestanden. „Hogwarts ist eine wirklich gute Schule. Du erinnerst dich doch sicher noch an Professor McGonagall. Sie ist eine der Lehrerinnen dort. Sie war vor einigen Wochen zum Tee bei uns." Francis erinnerte sich an die alte Dame. Doch wie so oft hatte er sich in sein Zimmer verkrochen und trainiert. Es gefiel ihm nicht sonderlich mit seinen Eltern bei solchen Anlässen am Tisch zu sitzen.

Sein Vater verstaute die beiden Koffer in dem erst besten Abteil und erzählte ihm dabei, nicht zum ersten Mal, unablässig alles was er über Hogwarts zu wissen schien, aber Francis hörte kaum hin. „Du wirst viele gute Freunde finden. Das kann ich dir versprechen." endete er schließlich. „Ich kann aber nicht versprechen, diesen Erwartungen zu entsprechen." gab Francis besonnen zurück. Seine Stimme ist für die eines 15 jährigen schon ziemlich tief. Erneut wand sich sein Vater von ihm ab und gab ein kaum zu vernehmendes Seufzen von sich. „Vertrau mir, mein Sohn." sagte er immer noch abgewandt. „Ich muss nun wieder los. Versprich mir, dass du dich bemühst. Vor allem, sei offen für alles Neue." Und mit einem kurzen Nicken in der Drehung verschwand er aus dem Abteil.

Francis setzte sich auf die roten Sitze, schaute aus dem Fenster und dachte über seine Zukunft in Hogwarts nach. Noch eine knappe Stunde, bis der Zug losfuhr.

Er schloss die Augen, entledigte sich all seiner Gedanken und verfiel in eine tiefe Trance.

1.Kapitel: Treffen eines alten Bekannten

Nach einiger Zeit entglitt Francis seiner Trance. Von außerhalb hörte er gedämpfte Stimmen. Überall im Zug wurden Koffer über den Boden geschliffen und Füße trampelten auf dem alten Holzparkett.

Francis hielt seine Augen geschlossen und horchte weiter. Vereinzelt konnte er Mütter hören, die sich lautstark von ihren kleinen Schützlingen verabschiedeten. Hier und da war auch mal eine letzte Ermahnung zu erhaschen. Ein Hund bellte. Ein Kribbeln stieg in Francis auf. Er konnte sich nicht erklären woher es rührte. Sollte er etwa nervös sein? Innerlich schüttelte Francis den Kopf. Warum sollte er Nerven zeigen? Er war mit Sicherheit ein sehr viel besserer Zauberer als alle anderen in diesem Zug. Schließlich lernte er diese Kunst schon länger als jeder andere Schüler von Hogwarts.

Die Tür zum Abteil wurde aufgeschoben. Francis rührte sich nicht, er wartete. Warum sollte es ihn auch kümmern, wer sich in sein Abteil setzte. Drei Personen, vermutete Francis, betraten das Abteil und verstauten ihre Koffer in den Gepäckablagen. Sie schienen klein zu sein, da sie auf die Sitze klettern mussten, um die gut zwei Meter hohe Ablage zu erreichen. Sie versuchten dabei sehr leise zu sein. Nach schätzungsweise fünfzehn Minuten fuhr der Zug los. Die Stimmen von außerhalb wurden ein letztes mal laut, doch dann hörte man nur noch das monotone Schnauben der Lok und das sich ständig wiederholende rattern der Räder auf den Schienen. Weitere fünf Minuten verstrichen, bis sich eine Person neben ihm rührte. „Woher kommt der wohl? Den hab ich noch nie in Hogwarts gesehen." flüsterte der Junge seinem gegenüber zu. Elf vielleicht zwölf Jahre alt, zumindest von der Stimme her. „Ich auch nicht. Er kommt vielleicht von einer anderen Schule. Vielleicht ist dieses Jahr wieder ein Trimagisches Turnier an unserer Schule." die Stimme des Mädchens, aus der Nähe der Abteiltür, wurde piepsiger, um so mehr sich ihre Worte dem Trimagischen Turnier näherten. Unweigerlich musste Francis grinsen. Das Trimagische Turnier würde wohl vorerst nicht mehr stattfinden. Zu viele Pannen waren bei der Neuauflage im vergangen Jahr geschehen. Nicht nur das Hogwarts zwei Champions aufgestellt hatte, sondern wurde der eine von ihnen, Cedric Diggory, meinte Francis sich zu erinnern, beim absolvieren der letzten Aufgabe sogar getötet. Von wem blieb unklar. Harry Potter behauptete fest, dass Voldemort ihn getötet habe. Aber das Zaubereiministerium hielt an der Unfallversion fest. Francis bezweifelte ernsthaft, dass Voldemort für diese Tat zuständig war, obwohl seine Eltern großes Vertrauen in die Aussage von Potter setzen. Letztendlich war es ihm jedoch egal.

Die drei Mitfahrer in seinem Abteil hatten offenbar weitergeredet, während Francis in seine Gedanken vertieft gewesen war. „Wer wird dieses Jahr wohl der neue Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste sein? Habt ihr da schon was gehört?" fragte der Junge neben Francis. Wie die drei in der kurzen Zeit seiner gedanklichen Abwesenheit einen solchen Themensprung vollführen konnten, war ihm schleierhaft. „Ich hab gehört Professor Snape hat sich schon wieder beworben. Hoffentlich wird er es dieses Jahr. Wäre mir auf jeden Fall lieber als wieder so ein Verrückter, wie Professor Moody," gab der Junge gegenüber von Francis zurück. „Apropos Moody. Habt ihr schon die neuen Schokofroschkarten gesehen? Es gibt fünf neue Zauberer. Moody ist auch einer von ihnen. Wart, ich hol ihn schnell raus", und der Junge neben Francis kramte in seiner Tasche. Als er die Karte schließlich hervorgeholt hatte, brach auf einmal ein Stimmengewirr aus, dass für Francis nicht auszuhalten war. Er richtete sich auf und schaute in die Runde. Die drei verstummten augenblicklich.

Francis ging ohne ein Wort zu verlieren aus dem Abteil. Auf halben Weg hörte er noch eine leise Entschuldigung von dem Mädchen, doch er ignorierte es und schloss die Abteiltür hinter sich. Der Gang war leer. Diese Leere war ein befreiendes Gefühl für ihn. Langsam schritt er den Gang nach rechts entlang.

Im nächsten Waggon sah er vor einem Abteil zwei stämmige Jungen den Gang versperren, die etwa in seinem Alter waren. Da komm ich doch nie vorbei, dachte sich Francis und blieb stehen. Er schaute aus dem Fenster und belauschte das Gespräch. Aus dem offenen Abteil vernahm Francis ein lautes Lachen von mehreren Personen. Nachdem das Lachen verstummt war, sagte ein Junge trotzig: „Sag mal, wie fühlt man sich, wenn man Zweitbester nach Weasley ist, Potter?" Francis wurde hellhörig. Harry Potter saß also in diesem Abteil. „Halt die Klappe, Malfoy!" , zischte eine Mädchenstimme. „Da schein ich ja einen Nerv getroffen zu haben," sagte der Junge von vorhin höhnisch, „Übrigens, sieh dich vor, Potter, weil ich dir auf den Fersen bleibe wie ein Hund, falls du aus der Reihe tanzen solltest." „Raus hier!" rief das Mädchen bestimmend. Francis drehte seinen Kopf leicht nach rechts und beobachtete durch die Spiegelung der Scheibe, wie ein Junge mit blonden, halblangen, penibel gekämmten Haaren die Abteiltür schloss und grinsend in Francis Richtung kam. Die beiden bulligen Jungen gingen hinter ihm her. Sie erinnerten Francis an stupide Hunde, die ihrem Herrchen folgten. Er schaute wieder geradeaus. Als die drei an ihm vorbei wollten, rempelte einer der beiden Brocken ihn so stark an, dass Francis fast mit seinem Gesicht gegen die Scheibe geprallt wäre. Francis atmete tief ein und wandte sich den dreien zu. Diese blieben stehen. Der blonde Junge wurde von den beiden anderen vorbei gelassen und er musterte Francis. Er runzelte kurz die Stirn und drehte sich wieder um. „Crabbe. Goyle. Kommt," befahl er den beiden Großen. Sie schauten erst Francis und dann den Jungen verdutzt an, trotteten dann aber hinter ihrem Herren her.

Francis schaute dem Trio nach bis sie im vorletzten Abteil verschwanden. Er kannte den Jungen. Es war Draco Malfoy.

Die Malfoys waren, wie seine eigene Familie auch, Reinblüter. Doch im Gegensatz zu ihm und seinen Eltern bildeten sich die Malfoys etwas auf dieses zweifelhafte Privileg ein. Vor einigen Jahren war Francis mit seinen Eltern zu einem Abendessen bei den Malfoys geladen gewesen. Er hatte fast den ganzen Abend draußen auf der großen Terrasse des Anwesens verbracht. Doch einen Grossteil des Gespräches, welches von Mr. Malfoy dominiert wurde, hatte er trotz allem zwangsläufig durch die geöffnete Terrassentür mitgehört. Mehrfach hatte Mr. Malfoy die, seiner Ansicht nach, unverantwortliche Haltung des Ministeriums gegenüber muggelstämmigen Zauberern, oder auch Schlammblütern wie er sie bei Zeiten nannte, angeprangert. „Die gehören einfach nicht auf eine altehrwürdige Schule wie Hogwarts", gab er öfters von sich. Francis Eltern hatten fast immer nur etwas zustimmendes gemurmelt. Verstanden hatte er das nicht. Aber es war ihm auch nicht wichtig gewesen was seine Eltern darüber dachten. Nur als Mr. Malfoy zum ersten mal über einen gewissen Dumbledore hergezogen hatte, erwiderte sein Vater etwas. Was er gesagte hatte, bekam Francis nicht mehr mit, weil er sich daraufhin einen stilleren Platz gesucht hatte. Dumbledore blieb Francis von da an ein Begriff im Hinterkopf, doch in seinen Geschichtsbüchern hatte er nie etwas über ihn gelesen und somit hatte er es auch nicht für nötig empfunden, weitere Nachforschungen ihm bezüglich anzustellen.

Francis ging in die entgegengesetzte Richtung weiter. Als er an dem Abteil vorbeikam, vor welchem zuvor Draco mit seinem Gefolge gestanden hatte, warf er einen kurzen Seitenblick hinein. Auf der rechten Seite sah er einen hageren Jungen sitzen. Die gezackte Narbe auf seiner Stirn, stach Francis sofort ins Auge. Das war er also. Der berühmte Harry Potter. Die Leute im Abteil schienen Francis nicht zu bemerken, er war auch nicht sonderlich erpicht darauf etwas an diesem Umstand zu ändern und so ging er weiter ohne seine Schritte zu verlangsamen. Francis wusste nicht recht, was er von Harry Potter halten sollte. Das Bild, dass über ihm kreiert wurde, war widersprüchlich, denn vor nur einem Jahr hatte Francis mehr als nur einmal lobende Worte über ihn gehört. Francis Vater las morgens oftmals aus dem Tagespropheten laut vor, um Francis auf dem laufenden zu halten, wie er immer betonte. Doch er verwarf seine Gedanken, weil etwas anderes seine Aufmerksamkeit erlangte.

Am Ende des darauffolgenden Waggons stand ein kleiner Wagen voller Süßwaren. Eine alte Hexe kam gebückt aus dem letzten Abteil und begann den Wagen vor sich her zu schieben. Francis war eigentlich kein großer Fan von Süßigkeiten, doch nun packte ihn das Verlangen nach etwas Schokolade. Er ging zu ihr hin und blieb vor dem Wagen stehen. „Was möchtest du denn haben, mein Junge", fragte die alte Hexe lächelnd. Francis überhörte das mein Junge und betrachtete den Wagen mit seiner Fülle an Süßwaren. Die meisten Sachen kannte er schon. Aber es war nicht sonderlich viel schokoladiges dabei. Er erinnerte sich an die drei kleinen aus seinem Abteil. „Drei Schokofrösche, bitte", antwortete Francis knapp. Die Hexe öffnete ein Fach an ihrem Wagen, packte drei fünfeckige, grüne Packungen in eine kleine Tüte und reichte sie ihm hin. „3 Knuts macht das bitte." Francis griff in seine rechte Hosentasche und kramte einen Sickel heraus und reichte ihn ihr. „Hast du es nicht kleiner", erkundigte sie sich die Hexe stirnrunzelnd. Er schüttelte leicht den Kopf. Die alte Hexe seufzte kaum merklich, holte ihre Portemonnaie hervor und gab ihm nach einigen Momenten des Abzählens mehrere Knuts zurück. Francis nickte ihr kurz zu, ohne das Geld zu zählen und ließ es in seine Tasche fallen. „Aber pass bitte auf, dass sie dir nicht auf den Sitzen rumspringen. Die Flecken sind unglaublich hartnäckig," gebot sie ihm noch, als er sich schon zum gehen gewandt hatte. Francis nickte nur und ging langsam wieder zurück in den vorherigen Waggon.

Vor dem Abteil in dem Harry Potter saß, standen zwei Hogwarts-Schüler in ihren Schuluniformen die sich leise unterhielten. Francis hatte sie zuvor in diesem Abteil gesehen, als er einen kurzen Blick hineingeworfen hatte. Francis ging langsamer, als ihn das Mädchen, mit ihren buschigen Haaren, bemerkte. Sie flüsterte dem Jungen etwas ins Ohr, drehte sich um und ging den Gang entlang. Der Junge schaute zu Francis herüber, atmete merklich ein und ging auf ihn zu. „Könntest du bitte wieder in dein Abteil gehen. Das laufen auf den Gängen ist nicht erlaubt," brachte er mit einem leichten Stottern hervor. „Ich laufe nicht," gab Francis mit ruhiger Stimme zurück und unweigerlich zuckte sein Mundwinkel. Der Junge war in etwa so groß wie er selbst. Seine Augen wanderten umher und er vermied es, Francis direkt anzusehen. Und sein Gesicht passte sich von Sekunde zu Sekunde mehr seinem feuerroten Haar an. „Würdest du trotzdem bitte wieder in dein Abteil gehen?" Die Stimme des Jungen wurde zunehmend unruhiger und es wirkte, als würde er schrumpfen. „Klar," antwortete Francis und schritt an ihm vorbei und rempelte ihn leicht an, worauf er noch eine kurze Entschuldigung hinzusetzte. Francis war stolz, aber nicht unhöflich.

Er ging weiter. In der letzten Abteiltür stand das Mädchen von vorhin. Sie stockte mitten im Satz, als Francis an ihr vorbei ging. Sie warf ihm einen neugierigen Blick zu und der Ansatz eines Lächelns huschte über ihre Lippen. Francis bemerkte den Blick, ließ sich aber nichts anmerken und ging mit gleichem Tempo weiter zu seinem Abteil.

Francis öffnete die Abteiltür und noch immer saßen die drei dort, begutachteten einen großen Stapel von Schokofroschkarten und unterhielten sich lautstark. Erneut verstummten sie. Er setzte sich wieder an seinen Fensterplatz und stellte seine Tüte mit den Schokofröschen neben sich auf den Sitz. „Macht ruhig weiter," sagte er nachdem er die Blicke der drei bemerkte, die neugierig auf ihm ruhten. Sie schauten einander an und begannen zaghaft, ihr Gespräch wieder aufzunehmen. Francis grinste leicht und packte einen seiner Schokofrösche aus. Nachdem er den Deckel geöffnet hatte sprang der kleine Schokofrosch mit einem schnellen Satz aus der Schachtel. Francis rechter Arm schnellte hervor und mit zwei Fingern fing er den Frosch ein. Dieser zappelte noch ein wenig, aber Francis steckte ihn sich sofort in den Mund. Die drei schauten ihn mit offenen Mündern an. „Bist du, bist du ein Sucher," fragte der Junge neben ihm. Kauend schüttelte Francis den Kopf. Quidditch hatte er noch nie mit anderen zusammen gespielt. Und wenn er mal wieder alleine spielte, übernahm er lieber die Rolle des Jägers. Sein Blick fiel auf die Karte die sich auf dem Boden der Schachtel befand. „Und? Was für einen Zauberer hast du gekriegt?", erkundigte sich der Junge gegenüber von Francis nervös. Francis holte die Karte hervor und las den Text unter dem leeren Bild:

Albus Dumbledore, gegenwärtig Schulleiter von Hogwarts.

Gilt bei vielen als der größte Zauberer der jüngeren Geschichte.

Dumbledores Ruhm beruht vor allem auf seinem Sieg über

den schwarzen Magier Grindelwald im Jahre 1945, auf der

Entdeckung der sechs Anwendungen für Drachenmilch und

auf seinem Werk über Alchemie, verfasst zusammen mit

seinem verstorbenen Partner Nicolas Flamel.

In seiner Freizeit hört Professor Dumbledore

mit Vorliebe Kammermusik und spielt Bowling.

„Och, Dumbledore, den hab ich schon sieben mal," sagte der Junge neben ihm enttäuscht, doch dann wurde seine Stimme auf einen Schlag euphorischer, „Übrigens, ich heiße Matt Corming und das sind Emma Trove und James Whipton." Francis nickte nur, sah aber nicht auf. „ Francis Proctor," gab er desinteressiert zurück.

Dumbledore. So einfach war er also zu finden. Doch warum hatte er nie etwas über ihn gelesen? Wenn er so berühmt war, warum stand er in keinem seiner Geschichtsbücher? Selbst sein Vater hatte ihn nie erwähnt. Stundenlang hatte er von Hogwarts Lehrern erzählt. Doch Dumbledores Name war nie gefallen. „Mach doch noch die anderen beiden auf," bat James während er auf dem Sitz hin und her rutschte. Francis legte die Karte von Dumbledore auf den kleinen Tisch am Fenster und holte eine weitere Packung aus der Tüte. Diesmal öffnete er sie vorsichtiger und der Frosch sprang direkt in seine Hand. Ohne ihn anzuschauen aß er den Frosch und wiederholte den Vorgang. „Wahnsinn," Matt war aufgesprungen und hatte Francis die Packung aus der Hand gerissen, „Du hast Felix Summerbee! Den hab ich noch nicht. Darf ich ihn haben?" Anscheinend war sich Matt nicht im klaren darüber, wie unhöflich seine Handlung gewesen war. Francis schaute erst die Karte an.

Felix Summerbee. (1447-1508) Der Erfinder des Aufmunterungszaubers.

Er schaute Matt an und genoss die Ungewissheit in seinen Augen. „Sicher. Nimm sie nur." Francis Blick fiel auf die dritte Karte die ihn aber auch nicht interessierte. Er reichte sie James und der strahlte Francis an. Kommt anscheinend nicht oft vor, das die was mit älteren zu tun haben, dachte sich Francis.

„Guck mal! Dumbledore ist wieder da." James hatte einen kurzen Blick aus dem Fenster geworfen und eine Bewegung auf der Karte bemerkt. Francis nahm die Karte von dem kleinen Tisch und betrachtete sie. Ein alter Mann tauchte in der Karte auf und schaute dann selbstzufrieden zu Francis hoch. Seine Züge waren weise, was durch den langen fast weißen Bart und die fast ebenso langen grauweißen Haare hervorgehoben wurde. Eine solch Weise Ausstrahlung hatte er zuvor nur bei seinem Großvater gesehen, doch Francis hatte ihn nie persönlich kennen gelernt. Sein Vater hatte Francis nur ein altes Bild von seinem Großvater zeigen können, da dieser in Japan geblieben war und dort vor vielen Jahren friedlich gestorben sei. Doch niemals hatte Francis Vater ein Wort darüber verloren, was sein Großvater getan hatte und wie er gewesen war.

„Ist was?" erkundigte sich Emma vorsichtig. Francis wurde aus seinen Gedanken gerissen. Er muss mehrere Minuten lang auf die Karte gestarrt haben. „Alles in Ordnung," antwortete er während er sich zu einem Lächeln zwang, dann fragte er, „Wie ist Dumbledore?" Die drei schauten Francis an. „Na ja, ich weiß nicht," begann Matt zögernd, „ich sehe ihn eigentlich nur beim Essen, oder wenn etwas passiert ist. So wie letztes Jahr. Aber wir sind auch erst seit letztem Jahr in Hogwarts. Emma und ich sind in Hufflepuff, und James ist in Ravenclaw." Die einzelnen Häuser kannte Francis bereits. Bis heute hatte er sich noch keine Gedanken darüber gemacht, ob er auch in eines dieser Häuser kommen würde und was die Lehrer für seinen Ausnahmefall vorgesehen hatten.

Schwungvoll wurde die Abteiltür aufgerissen und Draco Malfoy blickte die drei Zweitklässler streitlustig an. „Raus mit euch," blaffte er sie an. Ohne ein Wort zu erwidern sprangen alle drei auf und ließen alles liegen und stehen. Sie stürmten aus dem Abteil, wobei einer von Malfoys Gefolge Matt einen kräftigen Stoss verpasste, der ihn mit Sicherheit zu Fall brachte. Draco hob seinen Blick und schaute Francis mit einem schmierigen Lächeln an. „Hallo Proctor," sagte er und setzte Francis gegenüber. Seine beiden Gorillas blieben stehen und verschränkten ihre Arme, wie in einem schlechten Muggel-Film. Francis antwortete nicht und schaute Draco lediglich an. Schon nach einem kurzen Moment konnte Draco dem Blick nicht mehr standhalten und er senkte seinen Kopf. „Sammelst du etwa diesen Kinderkram," fragte er mit einer leichten Abneigung in seiner Stimme und deutete auf die Karte die immer noch in Francis Hand ruhte. Francis schüttelte den Kopf. Und wenn schon. Was hatte es Draco zu interessieren, was er tat.

Draco legte seinen Kopf schief und begutachtete die Karte genauer. Mit einem Mal saß er wieder kerzengerade und riss Francis dabei die Karte aus der Hand. „Was willst du denn mit dem? Dumbledore ist ein armer Irrer. Den kannst du genau so gut wegschmeißen," sagte er mit bebender Stimme und warf die Karte quer durchs Abteil. Höflichkeit schien also nicht am Alter zu liegen, dachte sich Francis und grinste offensichtlich. „Alles klar. Und warum ist er ein armer Irrer?" Francis Stimme war so ruhig wie immer, doch am liebsten hätte er die drei aus dem Abteil geschmissen. Francis besann sich eines besseren und versuchte gefasst zu bleiben. „Das kann ich dir sagen," antwortete Draco, anscheinend erfreut darüber, dass Francis auf sein provokantes Spiel einzusteigen schien, „ Seit Dumbledore in Hogwarts angefangen hat, geht die Schule den Bach runter. Immer mehr Schlammblüter nimmt Hogwarts auf. Nur einer der kleinen von eben war ein Reinblüter, aber aus der beste Familie kommt der trotzdem nicht. Diese ganzen neuen Erlasse für dieses Dreckspack. Pah! Aber das wird sich ändern, Proctor. Das Ministerium greift endlich so durch wie mein Vater es schon seit Jahren will." Er legte eine kurze Pause ein und schlug die Beine übereinander. „Weißt du Proctor. Ich wette mit dir, dass Dumbledore am Ende des Jahres kein Schulleiter mehr sein wird. Dafür wird mein Vater schon sorgen." Ohne eine Reaktion schaute Francis ihn weiter an. Draco war das perfekte Abbild seines arroganten Vaters. „Und was hat dein Vater damit zu tun?", erkundigte sich Francis mehr gelangweilt als interessiert. „Er sitzt im Schulrat. Und wenn Dumbledore Mist baut, ist mein Vater gleich zur Stelle." Wie ein Assgeier, fügte Francis still hinzu.

„Aber mal was anderes. In welches Haus kommst du?", anscheinend hatte Draco seinen Unterton bemerkt. Francis zuckte nur mit den Schultern. „Wenn du die Wahl hast. Dann komm nach Slytherin. Alle guten Reinblüter sind dort," beschwörte er Francis, „und es ist das einzige Haus wo du niemals ein Schlammblut sehen wirst. Was man von den anderen Häusern nicht gerade behaupten kann." „Wir werden sehen. Ich weiß noch von gar nichts," Francis reckte sich. Er hatte keine Lust mehr auf eine so einseitige Diskussion und wollte lieber wieder allein sein, oder auch die drei Zweitklässler um sich herumhaben, die konnten es wenigstens versuchen leise zu sein. „Ich muss noch ein bisschen schlafen, bevor wir ankommen. Die Anreise war recht anstrengend." Draco runzelte die Stirn. „Wie seid ihr denn nach London gereist? Mit dem Besen?" Francis verneinte, „mit dem Reisenden König." Der Reisende König war in etwa mit dem Fahrenden Ritter zu vergleichen, nur war der König deutlich vornehmer und nicht einfach herbei zu winken. Statt eines Reisebusses, war der König eine Limousine mit allem was man sich für Geld kaufen konnte. Trotz aller Abneigung gegen Luxus, war die Fahrt mit dem König immer wieder eine Wohltat. Draco erhob sich langsam und schlenderte zur Abteiltür, wo Crabe und Goyle noch immer sinnlos herumstanden. Er gab den beiden ein Zeichen und sie verließen das Abteil. Ein letztes Mal drehte sich Draco um und sagte: „Ach übrigens. Deine Eltern sind dieses Jahr zu Sylvester bei uns eingeladen. Wirst du auch kommen?" Mit Sicherheit war das letzte was er wollte ein Abend in Gesellschaft einer solchen Familie und vor allem, auch seiner Eltern. „Vielleicht," gab er schließlich zurück. Draco nickte ihm ein letztes Mal zu und verschwand aus dem Sichtfeld der Glastür.

Francis atmete tief ein und beugte sich vor um die Karte vom Boden des Abteils aufzuheben. Malfoy hatte beim rausgehen noch sein Schuhprofil auf ihr hinterlassen. Francis strich den groben Dreck ab und steckte sie in seine Brusttasche. Er war sehr verärgert. Nicht etwa über die unbehobelte Art von Draco Malfoy, sondern alleine schon die Tatsache, dass ihn hier jemand kannte. Wahrscheinlich, vermutete Francis, würde Draco nur noch an ihm hängen, wenn er wirklich nach Slytherin kommen sollte. Und sonderlich unwahrscheinlich war es nicht. Draco hatte recht, als er sagte, dass dort die meisten Reinblüter aufgenommen werden.

Ruhe konnte sich Francis in einer Schule mit mehr als sechshundert Schülern sowieso nicht versprechen. Er überlegte. Von sich aus, konnte er keines der Häuser bevorzugen. Seine Eltern waren selber nie in Hogwarts gewesen. Er wusste nur, wofür die einzelnen Häuser standen. Slytherin stand für List und Tücke. Hufflepuff für Treue und Gerechtigkeit. Gryffindor für Tapferkeit und Mut. Und das vierte Haus, Ravenclaw, stand für Weisheit und Gelehrsamkeit. Alle hatten ihre positiven Aspekte, aber was mit den negativen war, konnte Francis noch nicht wissen.

Matt, James und Emma betraten wieder das Abteil und sie setzten sich eingeschüchtert auf ihre Plätze. „Was wollte Malfoy von dir," fragte James nach einigen Momenten. „Nichts besonderes. Meine Eltern sind mit seiner Familie befreundet." „Seid ihr Freunde," wollte Emma wissen. Francis schüttelte den Kopf. „Nein sind wir nicht. Er wollte mich nur dazu bringen, dass ich nach Slytherin komme." „Darfst du dir das aussuchen?" „Ich weiß es nicht," antwortete Francis, „mir wurde noch nichts genaues gesagt." „Wir konnten das nicht selbst entscheiden. Ich wollte ja eigentlich lieber nach Gryffindor, weil da mein großer Bruder ist, aber der sprechende Hut hat mich nach Hufflepuff geschickt," sagte James vorwurfsvoll. „Willst du denn nach Slytherin?" Wieder schüttelte Francis den Kopf. „Eigentlich ist es mir egal. Ich hoffe mal, dass mir die Entscheidung abgenommen wird," erwiderte Francis und schaute aus dem Fenster. Die Landschaft, mit ihren endlos scheinenden Ebenen, erinnerte ihn stark an Salisbury, wo er einmal mit seinen Eltern die Steine von Stonehenge besucht hatte.

„Versuch lieber nicht dort zu landen. Die Leute aus Slytherin sind fast alle gemein. Ich kenne nur ein nettes Mädchen aus der zweiten Klasse von da. Aber die hat meistens keine Lust mit uns zu sprechen, weil sie sonst von ihren Hauskameraden geärgert wird," sagte Emma betrübt. „Ich will mir über so was noch keine Gedanken machen," erklärte Francis, „ ich brauch noch ein bisschen Schlaf bevor wir ankommen. Und bitte versucht einigermaßen leise zu sein. Ich bin wirklich müde." Die drei nickten leicht und Francis drehte sich wieder zum Fenster. Bevor er die Augen schloss und sofort einschlief, sah er noch, durch die Spiegelung der Scheibe, einen grünlichen Schemen auf dem Gang.

Es wandelte den leeren Gang entlang. Aus einer Abteiltür kam ein dunkelhaariger Junge und lacht laut. Es warf einen Blick durch die geschlossene Tür und sieht einen Jungen mit roten Wangen auf dem Sitz stehen. Auf dem Abteilboden lief eine Maus herum und vier andere Leute kringeln sich auf ihren Sitzen vor lachen. Es verlies das Abteil wieder und rannte in den nächsten Waggon. In dem ersten Abteil setzte es sich vor einen dicklichen Jungen mit krausem Haar. Er war alleine im Abteil und schaute nervös aus dem Fenster. In seiner Hand hielt er eine Rose so fest, dass ein einzelner Bluttropfen an seiner Hand herunterlief.

Es roch an dem Blut und auf einen Schlag war es Nacht. Der Junge saß unter einem frei stehenden Baum und neben ihm stand ein großes Mädchen mit blonden, lockigen Haaren. Sein Herz raste. Er stand auf und küsste das Mädchen in einem Anflug von Übermut. Verdutzt wand sie sich ab und lief in Richtung eines kleinen, weißen Hauses. Enttäuscht und voller Wut auf sich selbst blieb der Junge zurück.

Der Junge zuckte kurz zusammen und begutachtete das Abteil. Es wand sich ab und ging aus dem Abteil. Am Ende des Ganges sah er das blonde Mädchen, aus den Gedanken des Jungen.

Es lief weiter, vorbei an dem Mädchen, in den nächsten Waggon. Drei Jungen standen auf dem Gang. Allesamt mit feuerrotem Haar. Sie unterhielten sich, wobei der kleinere genervt schien. Die anderen beiden waren Zwillinge. Es trat neben die drei und stupste den kleineren an seiner Hand an.

Der Junge saß in einer großzügigen Küche. Eine rundliche Frau stand am Herd und bereitete einige Spiegeleier vor. Die Frau erklärte dem Jungen unablässig, wie stolz sie auf ihren Kleinen sei. Der Junge errötete leicht, doch seine Gefühle sprechen eine eindeutige Sprache. Stolz. Sein Blick fiel auf das kleine silberne Abzeichen auf dem Tisch. Ein Wappen mit einem großen V darauf. Die Zwillinge betraten den Raum und beglückwünschten ihren Bruder, den sie Ron nannten, überschwänglich. Die Frau schien die Mutter der drei zu sein. Sie lies die Pfanne mit den Eiern hinter sich und begann aufgebracht auf die Zwillinge einzureden. Diese lachten laut und verließen die Küche wieder. Ron war inzwischen knallrot angelaufen.

Ron zog seine Hand schnell zurück. Wieder lief es weiter. Es betrat das letzte Abteil. Drei Mädchen waren am schlafen, während zwei weitere eine Partie Schach spielten.

Es lief zurück in den vorletzten Waggon. Ron lief wutentbrannt den Gang entlang. Draco Malfoy kam vor ihm aus einem Abteil und sofort versuchte sich Ron zu beherrschen. Draco warf Ron ein Kommentar nach, als dieser in ein Abteil eintrat um Draco aus dem Weg zu gehen. Es näherte sich Draco und roch an dessen Umhang.

In einem großen Saal standen gut dreißig in schwarz gekleidete Männer und Frauen und erhoben ihre Gläser. Draco stand hinter einer massiven Tür und lugte durch das Schlüsselloch. Ein Ausruf auf bessere Zeiten wurde angestimmt. Draco grinste seine beiden Freunde hinter sich breit an. Er bedeutete ihnen leise zu sein und sie gingen vorsichtig die Treppe in der Empfangshalle hinauf. Eine heimtückische Freude übermannte Draco als er ein Zimmer mit einem Bett und zwei einfachen Schlaffmatten auf dem Boden erreicht hatte.

Draco schaute irritiert zu Boden, ging aber sofort weiter zum nächsten Waggon. Es ging weiter. Im nächsten Waggon betrat es das letzte Abteil und sah Francis und die drei Zweitklässler. Es legte sich zu Füssen von Francis und schloss die Augen.

„Aufwachen," flüsterte eine Stimme von weit weg. Langsam öffnete Francis seine Augen. Matt hatte sich leicht über ihn gebeugt und lächelte. „Eben war ein Vertrauensschüler hier, der uns gesagt hat, dass wir bald da sind. Wir sollen schon mal unsere Umhänge anziehen." Francis nickte kaum merkbar und richtete sich auf. Sein Nacken schmerzte ihn leicht und er bewegte seinen Kopf hin und her, um die Steife zu vertreiben. Draußen war es tiefe Nacht und das Licht im Waggon ließ Francis Umgebung künstlich erscheinen.

Emma versuchte ihren Koffer aus der Ablage zu heben, aber sie mühte sich vergebens ab. Francis erhob sich und half ihr mit Leichtigkeit, den schweren Koffer auf den Sitz zu legen. Sie dankte ihm und er holte seinen eigenen Koffer herunter. Er hatte sich nicht gemerkt, in welchem er den Umhang verstaut hatte und griff natürlich nach dem falschen. Mit einem Seufzer wechselte er die Koffer und begann in dem richtigen zu kramen. Nach einem kurzen Moment hatte er den zerknüllten, pechschwarzen Haufen gefunden. Er breitete ihn aus, warf ihn sich über die Schulter und schnürte ihn am Hals zu.

Er betrachtete sich in der Spiegelung des Fensters. Seine strähnigen schwarzen Haare lagen platt auf seinem Kopf. Er griff einmal durch sie hindurch um etwas mehr Struktur in seine Frisur zu bringen. Der Ansatz eines Mittelscheitels kam nun zum Vorschein. Francis rieb sich die engen Augen, die seine asiatische Herkunft auf den ersten Blick verrieten und er war stolz, dass es zu sehen war. Er achtete auf ein relativ gepflegtes Auftreten. Denn der erste Eindruck zählt, wie er selber wusste. Vor allem an einem Ort der sein neues Zuhause sein würde. Der faltige Umhang wurde von seinen Händen grob glatt gestrichen und er bemerkte das Emblem, dass auf die linke Brust eingenäht war. Das Wappen von Hogwarts mit den vier Wappentieren für die einzelnen Häuser und dem großen geschwungenen H in der Mitte.

Die drei aus seinem Abteil warfen sich auch ihre Umhange über. Auf ihren Emblemen war nur ein Tier zu sehen. Ein Rabe war auf James Brust eingefasst, dass Tier von Ravenclaw. Matt und Emma trugen den Dachs von Hufflepuff. Unter ihrem Umhang trugen sie noch eine Art Robe. Diese war ebenso schwarz. Ein bisschen einfallslos war es ja schon, dachte sich Francis.

Matt hatte sich ans Fenster gestellt und hielt, mit plattgedrückter Nase, in Fahrtrichtung Ausschau. „Da ist der Bahnhof," stieß er nach einigen Minuten freudig aus. Francis schaute an ihm vorbei. In der Ferne konnte er mehrere Lichter sehen, die zu einem Dorf oder einer kleinen Stadt gehören mussten. Viele waren es nicht. Doch er wusste, dass Hogsmeade nur ein Dorf war. Es war das einzige Dorf in ganz England, in dem es nur Zauberer gab. Hogsmeade war direkt neben Hogwarts erbaut worden. Und an einigen festgelegten Wochenenden durften die Schüler einen Tag ins Dorf hinab gehen. Für die dortigen Läden mit Sicherheit ein Tag, der die Kassen klingeln ließ.

Langsam begann der Zug zu bremsen und blieb schließlich am Bahnsteig stehen. Eine große Unruhe brach im ganzen Zug aus. Wieder waren überall Koffer zu hören, die über das Holz geschliffen wurden. Die drei verließen das Abteil und Francis folgte ihnen.

An der Tür half er ihnen mit ihren Koffern. Als er in der Tür des Zuges stand, wollte er sich einen Überblick verschaffen und er sah die Massen, die auf dem Bahnsteig herum wuselten. Hunderte in schwarz gekleideter Schüler unterhielten sich, lachten und begrüßten sich ausschweifend. „Erstklässler zu mir," hörte er eine hohe Frauenstimme rufen. Nahe dem Ausgang des Bahnhofs sah Francis eine stämmige Frau, hohen Alters, stehen, die ihre Hand reckte. Francis verließ den Zug entgültig und zog seine beiden Koffer hinter sich her, während er sich einen Weg durch die Massen bahnte.

Als er sie fast erreicht hatte sah er, wie sich einige ältere Schüler, mit der alten Frau unterhielten. Durch den Lärm schnappte er nur Hagrid, oder etwas ähnliches auf. Er wartete bis sie sich mit niedergeschlagener Miene entfernt hatten und näherte sich der Frau.