Keine guten Nächte
Lieutenant Tom Paris, Steuermann der USS Voyager, treusorgender Ehemann von der Chefingenieurin B'Elanna Torres und seit einigen Monaten außerdem noch Vater, war zu spät für seine Schicht auf der Brücke.
Verdammt, das mußte ja kommen, dachte er, gerade als sich die Türen des Turbolifts öffneten und er möglichst unauffällig versuchte zur Conn zu kommen. Miral, seine Tochter, war gestern Abend ausnahmsweise einmal früher eingeschlafen und er und B'Elanna hatten den freien Abend für sich genutzt, dabei aber die Zeit vergessen. Das Resultat war, daß beide erst weit nach Mitternacht eingeschlafen waren und nicht einmal das morgendliche Geschrei von ihrer Tochter gehört hatten.
"Guten Morgen, Tom", wurde er von Chakotay begrüßt, gerade als er sich an seinen Platz begab.
Tom seufzte. "Tut mir leid, Commander, Captain, das kommt nicht mehr vor."
Er drehte sich zu den beiden Führungsoffizieren um und stutzte, als er lediglich den Commander dort sitzen sah.
"Wo ist denn der Captain?", fragte er.
Chakotay schmunzelte. "Scheinbar sind Sie heute nicht der Einzige, der verschlafen hat. Chakotay an Janeway", sagte er dann nachdem er auf sein Combadge getippt hatte.
"Was gibt es, Commander?", kam eine merkwürdig leise Stimme zur Antwort.
"Captain, es ist bereits 10 Minuten nach Acht. Möchten Sie heute Ihren Dienst lieber später antreten?"
Es folgte eine kurze Pause, dann antwortete sie: "Ich werde noch einige Berichte durchgehen, Commander, bitte sagen Sie mir Bescheid, wenn sich etwas wichtiges ereignen sollte. Ich werde in ein paar Stunden vorbei schauen."
Chakotay runzelte die Stirn und seine Spitzbübigkeit war verschwunden. Kathryn verschlief äußerst selten und wenn, dann war sie ungehalten über ihre Unpünktlichkeit und höchstens 10 Minuten später auf der Brücke. Er hatte noch nie erlebt, daß sie Berichte als Ausrede vorschob.
"Verstanden, Captain", sagte er nur und beschloß sie später unter vier Augen zu fragen, ob alles in Ordnung wäre.
Tom, der Chakotay immer noch ansah, runzelte ebenfalls die Stirn und bevor er etwas sagen konnte meinte der Commander: "Privileg des Captains, Tom, sie kann ihren Dienst antreten wann sie will." Er lächelte noch um der Brückencrew zu zeigen, daß er sich keine Sorgen machte.
Tom drehte sich wieder zu seiner Konsole um und murmelte vor sich hin: "Ich hab einfach den falschen Rang."
Kathryns Herz schlug ihr bis zum Hals und sie blieb eine Weile liegen, bis sie das Gefühl hatte aufstehen zu können. Sie wischte sich mit der Hand über die Augen als ob sie damit die Müdigkeit aus ihr heraustreiben könnte, aber sie fühlte sich immer noch völlig kaputt. Seit Tagen schon hatte sie ständig Albträume die immer schlimmer wurden. Anfangs war sie lediglich früher als üblich aufgewacht und froh darüber, doch inzwischen hatte sie fast schon Angst vor dem Einschlafen. Dementsprechend ging sie erst spät zu Bett, wenn sie die Augen einfach nicht mehr offen halten konnte.
"Computer, Kaffee, schwarz", orderte sie beim Replikator und Sekunden später erschien eine Tasse mit der dampfenden, schwarzen Flüssigkeit. Sie umfaßte sie mit beiden Händen und sog den frischen Kaffeeduft tief ein bevor sie den ersten Schluck nahm. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen, der Kaffee hatte immer noch seine magischen Kräfte für sie, sie fühlte sich gleich besser.
Sie setzte sich auf die Couch und nahm ein Padd von dem kleinen Stapel, der auf dem Tisch lag. Auch wenn sie verschlafen hatte würde sie doch wenigstens ihren Pflichten nachkommen. Doch es fiel ihr schwer sich auf den Bericht zu konzentrieren, ihre Gedanken schweiften zu dem letzten Traum ab, den sie gehabt hatte.
"Meine Muskeln sind völlig verhärtet", sagte sie gerade, als sie am Tisch in ihrer Unterkunft auf New Earth saß. Chakotay stand sofort auf und kam zu ihr.
"Lassen Sie mich mal." Er nahm ihre Haare zur Seite, wobei er sie noch einen Moment in den Händen hielt und darüber strich. Dann legte er sie über ihre linke Schulter und begann ihre Schultern zu massieren.
Kathryn schloß die Augen und seufzte genüßlich. "Das fühlt sich gut an."
"Ich habe reichlich Erfahrung", gab Chakotay zur Antwort. "Meine Mutter hatte ständig einen verspannten Nacken. Nur mir hat sie zugetraut daß ich es nicht verschlimmern würde."
Kathryn lehnte sich entspannt ein wenig nach hinten und Chakotay kam näher. Plötzlich hörte er auf und sie spürte ebenfalls dieses Knistern zwischen ihnen.
Langsam öffnete sie die Augen, stand dann auf und drehte sich zu ihm herum.
"Ist schon viel besser, danke sehr."
Chakotay nickte kurz.
"Ich glaube, ich lege mich schlafen. Wir sehen uns morgen", machte sie den Versuch die Situation aufzulösen."
"Träumen Sie etwas schönes", wünschte Chakotay ihr.
"Ja, Sie auch." Dann ging sie zu ihrer Schlafnische, legte sich hin und dachte über das nach, was sie gerade zwischen ihnen gespürt hatte.
Kathryn hatte diesen Traum schon früher gehabt, am häufigsten kurz nachdem sie von New Earth wieder auf der Voyager waren, und im Gegensatz dazu, was wirklich passiert war, hatte ihr Unterbewußtsein die Ereignisse verändert. Statt daß Chakotay ihr die Legende vom Krieger erzählt hatte und ihr damit zu verstehen gegeben hatte, daß er auf sie warten würde, war sie zu ihm gekommen und hatte ihn wortlos und mit einem Verlangen angesehen, daß er aufstand und seine Hände um ihre Taille legte. Sie küßten sich und ein Glücksgefühl durchströmte sie, als er sie einfach hochhob und auf ihr Bett trug, wo sie ihren Gefühlen füreinander freien Lauf ließen. Doch seit ein paar Tagen hatte sich der Traum in einen Albtraum geändert.
Als sie wieder aus ihrer Schlafnische kam und sich vor Chakotay stellte, ihr Blick voller Verlangen, schaute er nur kurz auf und meinte dann: "Es war ein Fehler uns beide auf den Planeten zu schicken. Wegen Ihnen sitze ich hier mit Ihnen fest."
Kathryns Blick erstarrte und sie war wie im Schock, als sie die Worte aus seinem Mund hörte.
"Aber Chakotay, ich dachte...", fing sie an, doch er schnitt ihr das Wort ab.
"Es wäre besser gewesen, wenn Sie alleine hier runtergebeamt wären. Dann wären wir Sie los. Ich bin ein besserer Captain für die Voyager, Sie haben uns hier stranden lassen! Wäre das Schiff unter meinem Kommando gewesen wären wir schon alle längst wieder zu Hause. Sie widern mich an, Kathryn."
In ihren Augen glänzten Tränen und er lachte verächtlich.
"Kritik können Sie nicht ab, wissen Sie was? Ich verschwinde hier. Ich kann Sie nicht mehr ertragen." Damit stand er auf, packte einen Tricorder und einen Phaser und verschwand in die Nacht hinaus.
"Chakotay!", rief Kathryn panisch hinter ihm her. "Laß mich nicht allein! Bitte! Ich brauche Dich!"
An diesem Punkt wachte sie dann schweißgebadet und ab und zu mit tränennassem Gesicht auf.
Sämtliche Träumen endeten bisher damit, daß Chakotay ihr sagte, wie sehr er sie haßte und sie dann für immer verließ. Kathryn hätte nicht gedacht, daß es noch schlimmer kommen könnte, aber in dieser Nacht war es so gekommen. Als er gerade wieder in die Nacht hinausgerannt war tobte wieder ein Plasmasturm. Sie sah, wie er gerade die Waldgrenze passierte, als ein Blitz in einen Baum einschlug, dieser auf Chakotay kippte und ihn unter sich begrub. Sie schrie seinen Namen und rannte zur Stelle, wo er lag. Doch sie kam zu spät, Chakotay blickte sie mit geöffneten, leblosen Augen an. Er war tot.
Hier war Kathryn mit einem Schrei aufgewacht, sie hatte seinen Namen gerufen. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals und just in dem Moment kam Chakotays Stimme über die Com um zu fragen, wo sie bliebe.
Sie starrte auf das Padd und dann erst wurde ihr bewußt, daß sie kein einziges Wort verstanden hatte, was dort geschrieben war. Chakotays lebloser und zerschmetterter Körper trat vor ihre Augen und sie schüttelte den Kopf um das Gespinst zu vertreiben. Wie schon am Morgen spürte sie eine Angst, die sie bisher so nicht kannte.
Schluß damit, tadelte sie sich dann selber, es sind nur Träume, keine Realität. Chakotay ist auf der Brücke und New Earth ist Vergangenheit. Es geht ihm gut.
Der Gedanke, daß sie vielleicht mit dem MHN einmal über ihre ständigen Albträume sprechen sollte, kam ihr kurz in den Sinn, aber sie verwarf ihn sofort wieder. Der Doktor war für medizinische Notfälle zuständig, nicht für schlechte Träume.
Sie wandte sich wieder dem Padd zu und konzentrierte sich diesmal völlig auf den Inhalt.
Nach gut zwei Stunden war Kathryn dann mit den Berichten durch und beschloß, sich auf der Brücke sehen zu lassen.
"Bericht", erklang ihre kräftige Stimme kurz nachdem sich die Turbolifttüren geöffnet hatten. Die Brückenoffiziere blickten sie kurz an und Chakotay stand aus seinem Sessel auf. Er verfolgte mit seinem Blick, wie sie auf den Platz in der Mitte zusteuerte und informierte sie dabei.
"Wir befinden uns immer noch bei Warp 6, die Langstreckensensoren haben am äußeren Erfassungsrand ein Borg-Schiff geortet, das aber seinen Kurs nicht geändert hat. Vor ein paar Minuten ist es von den Sensoren verschwunden. Ein Klasse M Planet befindet sich auf unserem Weg, allerdings scheint es sich um eine Prä-Warp Zivilisation zu handeln."
Er setzte sich links neben sie als sie Platz genommen hatte und musterte sie verstohlen von der Seite. Ihr Blick war ernst und haftete an dem Sichtschirm, allerdings fielen ihm die dunklen Ringe unter ihren Augen auf, die sie wohl noch versucht hatte in ihrem Quartier zu überdecken.
"Danke, Commander. Das klingt alles nach einem ruhigen Tag."
"Hoffen wir es", antwortete er und wandte sich dann seiner Konsole zu.
Die nächsten Stunden über glitt sein Blick immer wieder zu Kathryn. Sie starrte die ganze Zeit nach vorne, bewegte sich kaum und ab und zu nahm er ein winziges Zucken um ihre Mundwinkel wahr.
Was ist bloß los mit ihr?, überlegte er zum wiederholten Male.
Schließlich hielt er es nicht mehr aus, lehnte sich so weit wie möglich zu ihr herüber und fragte so leise, daß nur sie es hören würde: "Kathryn, ist alles in Ordnung mit Ihnen?"
Die Angesprochene zuckte leicht zusammen, blickte ihn dann an und setzte ein Lächeln auf.
"Natürlich Chakotay, meine Nacht war nur etwas zu kurz um ehrlich zu sein."
Chakotay war nicht so ganz überzeugt und fragte weiter: "Bedrückt Sie etwas?"
Kathryn überlegte einen winzigen Moment, ob sie ihm von ihren Albträumen erzählen sollte, aber sicher hätte er dann auch den Inhalt erfahren wollen und das konnte sie auf keinen Fall tun.
"Nein, ich habe einfach in letzter Zeit ein paar Probleme beim Einschlafen, das ist alles."
"Vielleicht sollten Sie einmal den Doktor aufsuchen?", schlug Chakotay vor.
Kathryn nickte und lächelte. "Das werde ich, wenn es nicht besser wird."
Chakotay nickte zufrieden und beide wandten sich wieder ihren Aufgaben zu.
Als ihre Schicht auf der Brücke vorüber war und sie gerade auf dem Weg in ihr Quartier hörte sie hinter sich auf einmal jemanden ihren Namen rufen.
"Kathryn! Warten Sie!"
Sie blieb sofort stehen und sah Chakotay auf sich zulaufen.
"Ist etwas passiert, Commander?", fragte sie besorgt.
Als Chakotay sie erreicht hatte schüttelte er den Kopf. "Nein, ich wollte nur fragen, ob Sie Lust hätten das Holodeck mit mir zu besuchen?" Er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln.
Sie hätte so gerne ja gesagt, aber sie fürchtete, wenn sie jetzt noch in ihrer Freizeit mit ihm etwas unternehmen würde, daß ihre Träume dann noch schlimmer werden würden. Daher setzte sie eine betretene Miene auf und sagte: "Das würde ich sehr gerne Chakotay, aber ich habe leider noch etwas zu erledigen. Ein anderes Mal aber gerne. Guten Abend, Commander."
Sie schickte ihm noch ein entschuldigendes Lächeln und ging dann in ihr Quartier.
Chakotay war enttäuscht und auch besorgt. Er war sich sicher, daß irgendetwas mit ihr nicht stimmte. Doch solange er nicht annähernd wußte, was sie bedrückte, konnte er ihr auch nicht helfen wenn sie es nicht wollte. Daher ging er ebenfalls in sein Quartier und las sein Buch weiter.
