Ich habe lange überlegt und das erste kapitel schlußendlich nochmals umgeschrieben, da es mir absolut nicht mehr gefallen hat. Die handlung an sich hat sich allerdings nicht verändert.
„Ves? Bist du schon fertig?"
„Ja, bin ich", murmelte Vestra leise, während sie die letzten ihrer Kleidungsstücke zu ihren wenigen Besitztümern in den Rucksack packte. Mit einem Knarzen der Holzdielen erhob sie sich aus ihrer neben dem Bett knienden Position, griff nach ihrer Tasche und sah sich ein letzten Mal in dem Zimmer um, welches ihr für mehr als ein Jahr als Zuhause gedient hatte. Sicher, es war klein und dunkel, aber es war besser als gar nichts.
Sie würde es hier vermissen.
Mit diesem Gedanken setzte sich die junge Frau in Bewegung und verließ den Raum. Draußen in der Küche wurde sie schon von Krokus erwartet, der ihr nur aufmunternd zunickte, als sie an ihm vorbei ging, unsicher die Tür ansteuerte und schließlich vor ihr stehen blieb.
Eigentlich wollte die Blonde hier nicht weg. Es war schön am Kap der Zwillinge und sie mochte den Riesenwal La Boum genauso wie auch den alten Arzt Krokus, dem sie nebenbei auch noch ihr Leben verdankte. Allein schon deswegen wollte sie hier bleiben, ihm helfen, bis sie ihre Schulden abgearbeitet hatte.
Doch er wollte ja, dass sie ging. Nicht weil er ihr überdrüssig war, sondern, weil ein junges Mädchen nicht abgeschieden von der gesamten Welt auf einem winzigen Felsen im Meer leben müssen sollte, wenn es nach ihm ging. Sie hatte sich seinem Wunsch bedingungslos gefügt, zumal sie insgeheim nach Hause zurück wollte. Zurück in ihre richtige Heimat. Einen Ort, von dem sie bis vor einigen Tagen geglaubt hatte, ihn in diesem Leben nie wieder sehen zu können.
Und jetzt war er so greifbar nah...
„Nun geh schon, Kleine. Die Piraten warten sicher nicht ewig auf dich." Vor Schreck zuckte Vestra zusammen, als sie plötzlich durch Krokus väterlich besorgte Stimme hinter sich aus den Gedanken gerissen wurde, ehe sie schnell nickte und zögernd die kalte Türklinke herunterdrückte.
Dämmriges Morgenlicht gemischt mit kalter, salziger Meeresluft begrüßten sie und ließ erahnen, dass die Sonne gerade erst aufging.
Mit einem tiefen Atemzug und einem entschlossenen Blick trat sie aus dem Haus. Der Griff um den Schultergurt ihres Rucksackes festigte sich.
An der Küste konnte sie wie die gesamte letzte Woche schon das Schiff ankern sehen. Eine mittelgroße Karavelle mit zwei Masten, violett-rötlichem Rumpf und einem mit hölzernen Flammen geschmückten Pferdekopf am Bug.
Und anscheinend befand sich in diesem Moment die gesamte Crew an Deck und wartete nur auf ihre Ankunft. Allein diese Tatsache wäre normalerweise mehr als genug für sie gewesen, um von der Küste weg zu Krokus zu rennen oder sich in ihrem Zimmer zu verstecken. Dort, wo sie die Schwärze nicht mehr sehen konnte, selbst wenn sie sie noch ganz genau spürte.
Schnell schüttelte sie den Kopf. Daran wollte sie jetzt gar nicht denken, nicht wenn sie mit diesen Menschen das Kap verlassen sollte.
Sie schluckte hart, als sie direkt an der Küste stehen blieb. Geschätzte zwei Meter trennten sie jetzt noch vom Schiff. Neben sich hörte sie Schritte und ohne hinzusehen wusste sie, dass Krokus neben ihr stand. Eine schwere Hand legte sich auf ihre zierliche Schulter.
„Mach dir nicht immer so viele Sorgen, kleine Ves. Der Junge da ist kein schlechter Mensch, das hast du doch sogar selbst gesagt."
Vestra nickte stumm, starrte einem Moment lang auf das Holz des Schiffes, ehe sie sich beinahe ruckartig umdrehte und Krokus umarmte. „Danke", flüsterte sie mit erstickter Stimme, „danke für alles. Irgendwann zahle ich alles zurück. Ich verspreche es."
Ruhig strich der alte Mann dem Mädchen durch die langen Haare, ehe er sie sanft von sich weg drückte. „Du musst mir gar nichts zurückzahlen, Kleine. Es reicht mir völlig, wenn du glücklich wirst."
Wieder nickte die Blonde. Danach drehte sie sich ohne ein weitere Wort um und kletterte an der ihr zugeworfenen Strickleiter an Deck der Karavelle.
Kaum, dass sie einen Fuß auf die hölzernen Planken gesetzte hatte, legte das Schiff bereits ab. Mit einem dumpfen Klappern wurde der Anker gelichtet, Wellen schlugen stärker gegen den Rumpf, als das Schiff Fahrt aufnahm und der Wind blähte pfeifend die beiden Segel. Und schlagartig breitete sich eiskalte Angst in ihren Adern aus, drohte ihr Blut zu gefrieren. Panisch blickte sich Ves um. Alle Crewmitglieder waren an Deck.
Einatmen. Ausatmen. Konzentration.
So wie man es ihr als Kind beigebracht hatte.
Es gab keine Schwärze hier an Bord. Nicht mehr als sonst irgendwo. Sie war hier sicher. All diese Menschen waren weder böse, noch wollten sie ihr etwas tun. Daran musste sie glauben und vertrauen, so schwer es ihr jetzt auch fiel.
Von einem mehr als vertrauen Geräusch aus ihren Gedanken gerissen, wirbelte sie herum, ließ noch in der Bewegung ihren Rucksack zu Boden fallen und lehnte sich so weit über die breite Reling, dass sie hinab in das dunkelblaue Wasser der Grand Line sehen konnte.
„La Boum!", rief sie glücklich, als sie den gigantischen Wal neben der im Vergleich geradezu lächerlich winzigen Karavelle schwimmen sah. Hinter sich hörte sie teilweise sogar ängstliche Rufe, als die restliche Crew ihren momentanen Begleiter bemerkte, doch Vestra reagierte gar nicht darauf, sondern stützte sich vollständig hoch, um auf der Reling sitzen zu können.
„Willst du mich auch verabschieden?", rief sie nahezu hinab, damit ihr tierischer Freund sie auch hören konnte. Ein zustimmendes Geräusch war die Antwort.
„Danke! Vielen dank, La Boum! Ich hoffe wir sehen uns irgendwann wieder!", mittlerweile musste sie wirklich fast schreien, da Wellen und Wind immer lauter wurden und drohten sie zu übertönen.
Noch einige Sekunden begleitete der Riesenwal das Schiff, ehe er abdrehte und zurück zum Kap der Zwillinge schwamm, an dem Krokus sicher schon auf ihn wartete.
Vorsichtig kletterte Vestra wieder von der Reling zurück an Deck und sah sich um. Sicherlich konnte sie irgendwo helfen. Mit einer Hand griff sie ohne hinzusehen nach ihrer Tasche, ehe sie sich zu einem der Crewmitglieder aufmachte um nachzufragen, was sie tun sollte.
Die erste Person, die ihr ins Auge fiel, war ein junger Mann, vielleicht Anfang bis Mitte zwanzig, mit gebräunter Haut und halblangen dunkelblonden Haaren.
„Entschuldigung?" Der junge Mann drehte sich überrascht um und fixierte sie fragend. „Ja, was ist?"
„Ich wollte fragen, ob ich mich irgendwie nützlich machen kann."
Er sah sie einen Moment lang nachdenklich an, ehe er den Kopf schüttelte. „Da frag mal lieber den Käpt'n."
Die junge Frau nickte nur und war bereits im Begriff sich umzudrehen, als seine Stimme sie zurückhielt. „Du heißt Vestra, richtig? Ich bin Aizen." Aus dem Augenwinkel sah sie, dass er ihr die Hand hinhielt, die sie zuerst zögernd, dann jedoch mit einem schwachen Lächeln ergriff. „Schön dich kennenzulernen. Wo finde ich den Kapitän?"
„Schau in seiner Kajüte nach, wenn er nicht an Deck ist, ist er meist da. Oder im Aufenthaltsraum, weil da er Kühlschrank steht", meinte Aizen zum Ende hin lachend.
Ves' Lippen deuteten nur ein kurzes Lächeln an, ehe sie sich umdrehte und sich ihren Weg in die Kajüte suchte. Tatsächlich saß der Gesuchte dort und schien einige Seekarte des Gebiets zu studieren, denn diese lagen ausgebreitet auf dem Schreibtisch vor ihm. Als sie den Raum betrat und die Tür knarrte, sah er überrascht auf, grinste sie dann aber förmlich an, als sie eintrat und den Raum hinter sich schloss.
„Was gibt es, Ves?", fragte der Schwarzhaarige. Das Grinsen auf seinen Zügen verschwand keinen Augenblick, während Vestra verwundert feststellte, dass er sich einfach ihren Spitznamen angeeignet hatte, ohne, dass sie es ihm erlaubt hatte. Jedoch würde sie nichts dazu sagen.
„Ich wollte nur nachfragen, was ich jetzt machen soll. Bezugsweise inwiefern ich mich auf dem Schiff generell nützlich machen soll."
Ihr Kapitän schien einen Moment zu überlegen und diesen nutze die junge Frau um sich ein wenig im Raum umzusehen. Auf den ersten Blick erinnerte er sie fast ein wenig an ihr Zimmer am Kap der Zwillinge. Es war nicht besonders groß und dazu noch voll gestellt mit allen möglichen Dingen, was den Raum nur noch beengter machte. Allerdings gab es ein Fenster über dem Bett an der linken Wand, wodurch es trotz der Enge nicht direkt beklemmend wirkte.
Alles in Allem befand Vestra den Raum als gar nicht mal so unangenehm zu bewohnen.
„Momentan kannst du nicht allzu viel machen, Ves. Und generell gesehen werden wir ja sehen worin du gut bist, oder? Und das wird dann deine Aufgabe an Bord. Bis dahin kann ich dir ja erst mal das Schiff zeigen, wenn du willst."
„Das wäre sehr nett. Sonst finde ich mich sicher nicht zurecht, Kapitän", antwortete das Mädchen nur, während der Schwarzhaarige bereits aufgestanden war und nun neben ihr an der Tür befand.
„Du kannst ruhig Ace sagen, Ves", informierte er sie grinsend, bevor er die Klinke herunterdrückte und beide wieder an Deck traten.
