Vorwort
Zu allererst: Ich bin erstaunlicherweise nicht J.K. Rowling und verdiene kein Geld an der ganzen Sache hier – ich hoffe immer noch, im Lotto zu gewinnen! Und dieser Satz gilt für alle nachfolgenden Kapitel ebenfalls.
Die Geschichte hat 13 Kapitel und wird unregelmäßig hochgeladen – je nachdem, wie weit ich mit dem Durchkorrigieren komme. Dafür sind zumindestens die späteren Kapitel auch ziemlich lang für meine Verhältnisse.
WARNUNG: Es werden sensible Themen behandelt: Rassismus, Gewalt, Mobbing, Selbstmord und noch so einiges.
Der Anstoß zu dieser Geschichte war eine Reportage über eine Gruppe Neonazis im Ruhrpott, die einen älteren Mann fast zu Tode geprügelt hatten, weil der sich an ein Mädchen rangemacht hatte. Dabei hat es mich schockiert, das die meisten in der Gruppe, die Sprüche gegen Ausländer gar nicht mochten, aber nie den Mund aufgemacht hatten. Die fertige Geschichte hat jetzt nicht mehr viel mit der Reportage zu tun, aber seht selber.
Ich bin gegen jede Form von Rassismus, habe kein Verständnis für Neonazis und jegliche Form von Intoleranz gegenüber anderen Ländern, Menschen, Mentalitäten, Religionen. Ich stamme aus einer wildgemischten europäischen Familie und habe selber einen südamerikanischen Ehemann. Ich hoffe, das beweist genug, dass ich nichts mit dem braunen Gesocks zu tun habe.
Ich habe wochenlang Geschichtsbücher und Fachliteratur gewälzt, um zu sehen, wie es Kindern von Nazis so erging und wie die so dachten/denken. Wie jemand überhaupt den ganzen Mist glauben konnte, dass andere Menschen minderwertig waren, nur weil sie eine andere Religion hatten.
Ich bin gegen Gewalt. Und Selbstmord ist sicher KEINE Lösung!
Ich möchte hier eigentlich eine Bresche schlagen gegen Intoleranz und Mobbing, Lehrer, die weggucken und Schüler eher demotivieren, statt zu ermutigen. Und ja, ich weiß, wovon ich rede. Es gibt sicher auch andere, aber die schwarzen Schafe darf man nicht unter den Teppich kehren.
Ich hoffe, es macht trotzdem auch Spaß die Geschichte zu lesen – trotz des Anspruchs, den ich hier ankündige.
Es ist ja auch eine Liebesgeschichte dabei – aber erwartet nicht Romeo & Julia.
Das erste Jahr
„Malfoy, Scorpius!"
Ein Raunen ging durch die große Halle. Der Junge neben Scorpius warf ihm einen merkwürdigen Blick zu. Er hatte auf der Fahrt nach Hogwarts mit ihm in einem Abteil gesessen und sie hatten sich über Quidditch unterhalten. Scorpius hatte ihm nicht seinen Nachnamen genannt. Wozu auch? Andrew hatte das ja auch nicht.
War er verpflichtet jedem zu sagen: „Hallo, ich bin Scorpius Malfoy. Ja, genau: DIE Malfoys! Todesser und so." nein, war er nicht!
Nun wurde ihm aber doch mulmig. Langsam lief er auf den Stuhl zu, auf dem der sprechende Hut lag. Innerlich verfluchte er seine Eltern. Warum hatte sein Vater nicht einfach den Namen seiner Mutter angenommen? Die zwei hatten nie den einfachen Weg gewählt. Man muss sich nicht für seine Vergangenheit schämen – jeder konnte sich ändern. Oder irgend so ein Blödsinn! Dabei hatten sie nicht an ihren Sohn gedacht. Wie auch – Scorpius hatte ja noch nicht existiert, nicht wirklich jedenfalls.
Nun war er am Stuhl angelangt. Seufzend nahm er den Hut, drehte sich um, setzte sich auf den Stuhl und den Hut auf den Kopf.
Nichts geschah. Seine Mutter hatte ihm erzählt, der Hut würde mit ihm in seinem Kopf sprechen. Aber er hörte nichts. Vielleicht war etwas mit seinem Kopf nicht in Ordnung? Das würde passen.
„Äh, hallo?" dachte er. „Ich überlege." kam die etwas mürrische Antwort. „Oh, Entschuldigung!" Also wartete Scorpius. Als eine Minute verstrich, wurde er unruhig. „Ähm, entschuldigen Sie, Herr Hut ..." Er vernahm ein Seufzen. „Ja?"
Scorpius wusste auch nicht, was er eigentlich fragen wollte. Er wollte nur endlich von diesem Stuhl herunter. Er konnte regelrecht alle Augen auf sich spüren. „Finden Sie kein passendes Haus für mich, weil ich ... naja, weil was mit mir nicht stimmt?"
Wieder ein Seufzen. „Nein, ich bin mir uneins. Du bist ein reinblütiger Malfoy und hast Slytherin-Eigenschaften. Aber du bist nicht so gerissen, dafür mutig. Das würde zu Gryffindor passen."
Scorpius bekam eine Gänsehaut. Gryffindor? Das würde schrecklich werden! „Ja, das dachte ich auch." kam die trockene Antwort vom Hut. „Auf der anderen Seite bist du intelligent genug für Ravenclaw. Du hast aber auch die Loyalität für Hufflepuff."
Scorpius überlegte. „Mir stehen also alle Häuser offen?" - „Ja." Der Hut klang nicht zufrieden. „Dann möchte ich nicht nach Slytherin, wenn das möglich ist und schon gar nicht nach Gryffindor." Scorpius überlegte weiter. „In Ravenclaw beschäftigen sich die Schüler doch am meisten mit dem Lernen – vielleicht habe ich da die besten Chancen?"
Der Hut seufzte erneut. „Wenn du meinst – so soll es sein!" Und laut rief er „RAVENCLAW!"
Scorpius nahm den Hut ab und stand auf. Keiner klatschte. Er sah die geschockten Blicke am Ravenclaw-Tisch, die hasserfüllten von den Gryffindors und die misstrauischen von den Slytherins. Die Hufflepuffs schienen nur erstaunt. Das hatte er nicht erwartet.
Langsam, mit trotzig erhobenem Kopf lief er zum Tisch der Ravenclaws. Am hintersten Ende hatte man Platz für die Erstklässler gelassen. Erleichtert setzte er sich an den Platz, der am weitesten von den anderen Ravenclaws entfernt war.
„Nelson, Jolanda!" Kaum jemand schien sich für Jolanda zu interessieren. Alle Aufmerksamkeit ruhte immer noch auf Scorpius.
Erst bei „Potter, Albus!" hatte Scorpius das Gefühl, das ihn wirklich niemand mehr anstarrte. Natürlich, der Sohn des großen Harry Potter stach ihn, den Sohn eines Todesser um Längen aus. Aber auch Scorpius war neugierig. Er hatte die Potters und Weasleys auf dem Bahnhof gesehen. Er wusste, wer sie waren, kannte die Gesichter aller. Natürlich aus den Zeitungen, aber auch von Fotos seiner Großtante Andromeda und den Geschichten seines Vaters. Aber daran wollte er jetzt lieber nicht denken.
Albus sah nervös aus. Ob er wohl nervös war, weil er befürchtete nicht mutig genug für Gryffindor zu sein? Sein älterer Bruder James war in Gryffindor. Das hatte letztes Jahr im Tagespropheten gestanden.
Der Hut ließ sich auch dieses Mal Zeit. Nicht so lange, wie bei Scorpius, aber doch länger als bei allen anderen. „Ravenclaw!" Die Bücherwürmer am Tisch begannen zu jubeln. Sie konnten also doch ausgelassen sein und sich freuen. Albus nahm den Hut ab und kam mit hochrotem Kopf an den Tisch. Ihm wurde auf den Rücken geklopft, die Hand geschüttelt.
Scorpius sah das alles. Er hatte damit gerechnet. Was aber nicht bedeutete, dass es nicht wehtat. Tapfer schluckte er die Tränen hinunter. Er versuchte sein Gesicht so neutral wie möglich, zu halten.
Sein Vater hatte seine Maske für die Öffentlichkeit perfektioniert. Er erschien glatt und kalt für alle, die ihn nicht kannten. Sein Gesicht zeigte außerhalb seines Hauses selten eine Gefühlsregung. Heute verstand Scorpius zum ersten Mal wirklich die Notwendigkeit einer solchen Maske.
Albus war nun bei den leeren Plätzen angelangt. Scorpius sah kurz vom Tisch auf. Albus schien etwas unentschlossen, wie weit er sich von Scorpius weg setzen konnte, ohne wirklich unhöflich zu sein. Dann trafen sich ihre Blicke. Schnell sah Scorpius wieder auf den Tisch. Da sah er, wie sich ein Bein über die Bank schwenkte und Albus sich mit einem Plumps neben ihm fallen ließ. „Hi!"
Erstaunt sah Scorpius auf. „Hi!" aber Albus sah schon wieder nach vorne, wo gerade ein braunhaariges Mädchen nach Gryffindor gewählt wurde. Dann kam „Weasley, Rose!"
Wieder ein Raunen. Das Mädchen ging mit hoch erhobenem Kopf nach vorne und setzte den Hut auf ihre rotbraunen Locken. Albus stieß Scorpius den Ellbogen in die Rippen. „Meine Cousine. Wenn sie nicht auch nach Ravenclaw kommt, wird sie sich auf ewig ärgern. Sie denkt, sie ist schlauer als ich!" Dabei hatte er ein Grinsen im Gesicht.
Scorpius nickte nur. Was sollte er dazu auch sagen? 'Oh, mein Dad hat mir von ihrer Mutter erzählt. Sie war unausstehlich, aber als seine Tante sie gefoltert hat, hat ihm das schon leidgetan. Vor allem später als sie ihn aus Azkaban geholt hatte.' Das war wohl kein Tischgespräch, das ihm Freunde bringen würde.
„Ravenclaw!" Panisch sah Scorpius nach vorne. Albus neben ihm begann zu jubeln. Hatte er Slytherin und Gryffindor ausgeschlagen, um nun in Ravenclaw mit den Kindern zusammen zu sein, die er eigentlich vermeiden wollte?
Er war nur froh, dass Delila Zabini und Cristobal Munoz Parkinson wirklich in Slytherin gelandet waren. Trotzdem würde er mit Albus Potter einen Schlafsaal teilen, jede Schulstunde mit Potter und Weasley verbringen.
Er hatte den Blick von Ron Weasley auf dem Gleis gesehen. Er hasste seinen Vater immer noch. Sein Vater hatte seine öffentliche Maske zur Schau gestellt. Niemand würde je sehen, wie sehr sein Vater unter der öffentlichen Verachtung litt. Vor allem unter der allgemeinen Anfeindung, gegen seine Mutter und ihn. Sein Vater hatte ihm erklärt, dass er verstand, wieso man ihn so behandelte – aber Astoria und Scorpius hatten damit nichts zu tun. Dennoch litten beide unter der gleichen Behandlung.
Rose setzte sich glücklich lächelnd neben Albus. „Ich wusste es! Al, wir sind in Ravenclaw!"
Albus umarmte seine Cousine kurz. Die zwei schienen sehr zufrieden. „Die Gryffindors sind ganz schön stinkig! Die haben mit noch einem Potter und Weasley gerechnet!" Sagte ein älterer Junge neben Scorpius. 'Neben ihm' hieß in diesem Fall knapp zwei Meter weiter auf der Bank entfernt.
Scorpius sah zu den Gryffindors hinüber. Sie sahen wirklich etwas genervt aus. Nur der andere Potter schien sich nicht zu grämen.
Rektor Asherton hielt eine kurze Rede und dann erschien das Essen. Erst jetzt merkte Scorpius, wie hungrig er war. Er nahm sich einen Hühnerschlegel und schaute sich nach einer Beilage um. Aber der Kartoffelbrei stand neben Rose Weasley. Sehnsüchtig starrte er darauf. Aber er wollte niemanden daran erinnern, dass er auch noch da war.
Daher begann er sorgfältig, sein Hühnerbein mit Messer und Gabel auseinanderzunehmen. Plötzlich erschien eine Schüssel vor seinem Gesicht. „Kartoffelbrei?" erstaunt sah Scorpius auf. Albus hielt ihm die Schüssel hin. „Äh, ja, danke!"
Albus nickte nur und konzentrierte sich auf sein Essen.
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Er hatte das hinterste Bett in dem runden Turmzimmer erhalten. Er wusste, dass es eigentlich kein hinterstes Bett in einem runden Raum geben konnte, aber so kam es ihm vor. Das Zimmer war für mehr als vier Jungen gemacht und daher hatte man Betten entfernt. Seines hatte auf beiden Seiten den größten Platz zum nächsten Bett. Magie schien ihre Grenzen zu haben, wenn es um Ausdehnen und Schrumpfen von alten Schloss-Räumen ging.
Außer Albus waren noch Ben und David nach Ravenclaw gekommen. Beide beäugten Scorpius misstrauisch. Nach nur wenigen Minuten war klar, dass die drei anderen sich gut verstanden. Als er sich zum Schlafen hinlegte und die Vorhänge um sein Bett schloss, hörte er, wie die anderen sich noch leise weiter unterhielten.
Nachdem die drei Jungs über das Schloss und die Zeremonie gesprochen hatten, wandten sie sich einem anderen Thema zu. Scheinbar dachten sie, Scorpius wäre bereits eingeschlafen.
„Sagt mal, was ist denn mit dem los? Warum haben alle so merkwürdig reagiert, als er aufgerufen wurde?" Das war Ben. „Du bist nicht aus einer magischen Familie, oder?" Potter.
„Nein, meine Eltern sind ... Miggel?"
Die zwei anderen Jungs kicherten. „Muggel" erklärte David. Dann sprach er leise weiter. „Sein Vater war ein Todesser. Die haben vor knapp 20 Jahren Muggel und Muggelgeborene versucht zu vertreiben und zu töten. Das war damals ganz schrecklich! Und sein Daddy ..." kurze Pause. "... hat den Anführer damals in einem magischen Duell besiegt!"
Scorpius hatte das Gefühl das Abendessen würde gleich wieder einen zweiten Auftritt erhalten.
„Meine Tante hat aber seinen Vater damals aus dem Gefängnis geholt. Er kann nicht so schlimm gewesen sein und vielleicht ist Scorpius ja ganz nett!" Potter schien das ernst zu meinen.
Er hörte die zwei anderen Jungen kichern. „Scorpius! Meine Güte, was haben dem seine Eltern damals genommen?" Das war der Muggel-Typ. Scorpius mochte ihn jetzt schon nicht. Jetzt hörte er, wie Potter auch lachte. „Mein Onkel sagt immer, die Malfoys sind alle etwas merkwürdig, das läge an der ganzen reinblütigen Inzucht."
Scorpius verkroch sich tiefer unter die Decke. Sein weißer Kater Snowball sprang auf sein Bett und rollte sich neben Scorpius auf dem Kissen zusammen. Scorpius legte seinen Kopf neben den der Katze auf das Kissen und streichelte das weiche Fell. Die Tränen brannten in seinen Augen, aber er hielt sie tapfer zurück. Erst nachdem die anderen Jungen eingeschlafen waren, fiel er in einen unruhigen Schlaf.
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„Malfoy!" Ein großer dunkelhaariger Junge trat ihm in den Weg. Scorpius war am ersten Morgen in Hogwarts auf dem Weg zum Frühstück.
Er hatte mit seinem Kater im Arm und klopfendem Herzen darauf gewartet, dass die anderen Jungen aus dem Schlafraum verschwunden waren. Er wollte nicht schon wieder angestarrt werden.
Keiner hatte versucht, ihn zu wecken. Das hatte ihm einen Stich versetzt. Schon am ersten Tag gehörte er nicht dazu. Tränen waren ihm in die Augen gestiegen und er hatte weitere Minuten einfach nur in seinem Bett gesessen. Bis er den Mut gefunden hatte, doch noch aufzustehen.
Nun war er zu spät dran und der Junge vor ihm schien sich Zeit zu lassen, mit was auch immer er von ihm wollte. Der Junge sah mindestens 3 Jahre älter aus und überragte ihn um fast zwei Köpfe.
Er musterte Scorpius mit verächtlich verzogenem Gesicht. Plötzlich stieß er Scorpius mit beiden Händen vor die Brust. Schmerzlich kollidierte dieser mit der Wand.
„Es ist eine Schande, dass Abschaum wie du hier unterrichtet wird! Man hätte deine gesamte Familie damals ausrotten sollen. Das wäre kein Verlust gewesen!"
Scorpius sah ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Sein Herz schlug ihm bis in den Hals. Angst durchströmte ihn.
„Aber wir werden schon dafür sorgen, dass du dich hier nicht all zu heimisch fühlst! Wir machen dich platt, wie eine Kakerlake!" Zischte der Junge hasserfüllt. Plötzlich hatte er einen Zauberstab in der Hand. Er flüsterte ein Wort, das Scorpius nicht verstand.
Scorpius Kleidung verschwand. Einfach so stand er ohne einen Faden am Leib vor der großen Halle. Entsetzt sah er an sich herab.
Erschrocken sah er auf, aber der Junge war verschwunden. Stattdessen konnte er sehen, wie die Tür zur großen Halle sich öffnete und die Schüler sich vom Frühstück zu ihrem ersten Unterricht drängten.
Die ersten blieben stehen und starrten ihn an. Scham vermischte sich mit der Angst. Scorpius konnte nur noch das Rauschen seines Blutes hören. Das Gefühl in seinen Händen war von einem merkwürdigen Prickeln ersetzt worden. Er versuchte, sich so klein, wie möglich zu machen. Er rollte sich fast zusammen und drängte sich noch näher an die Wand. Vergrub den Kopf in seinem Schoß. Das alles war sicher nur ein Albtraum, aus dem er gleich aufwachen würde.
Dann spürte er Stoff um seine Schultern. Eine weibliche Stimme sagte laut und deutlich: „Haben Sie keinen Unterricht? Wer nicht in fünf Sekunden verschwunden ist, verliert Hauspunkte!"
Ein Arm legte sich um seine Schultern. „Kommen Sie!" Der Arm, der Frau schob ihn in eine stehende Position und dann eine Treppe hinauf. Mit gesenktem Kopf stolperte Scorpius die Stufen hinauf. Scham, Verwirrung und Wut wechselten sich in ihm ab. Vor einer Tür ließ sie seine Schulter los. Die Tür öffnete sich. Mit einem Wink ihrer Hand deutete sie Scorpius an, ihr zu folgen.
Zögernd und vor Kälte zitternd folgte er ihr in den Raum. Die Frau, hager, weder jung noch alt, mit dunklen Haaren, war hinter einen riesigen Schreibtisch getreten. Nun sah sie ihn ausdruckslos an. Sie hob den Zauberstab und Scorpius zuckte zusammen.
Hatte sie ihn nur hergeholt, um sich ihn in Ruhe vorzunehmen? Er sollte hier doch nur lernen! Das war doch eine Schule!
Aber der Zauber, der ihn traf, wärmte ihn nur. Scorpius entspannte sich ein wenig. Die Frau setzte sich und machte eine einladende Handbewegung in Richtung eines Ohrenbackensessels, der vor dem Schreibtisch stand. Vorsichtig ließ Scorpius sich auf der Kante des Sessels nieder.
„Scorpius, nicht wahr?" Sie sah ihn etwas freundlicher an. Scorpius nickte. Sie lächelte kurz.
„Ich bin Professor Hallstring, die Hauslehrerin von Slytherin." Sie schien weder freundlich, noch unfreundlich zu sein. Scorpius wusste nicht, was er von ihr halten sollte.
Sie schob eine Blechdose über den Tisch. „Plätzchen?" Scorpius wollte eigentlich nichts essen, aber sein Magen zog sich hungrig zusammen. Schüchtern griff er mit spitzen Fingern nach einem der Kekse in der Dose.
„Wissen Sie, wer Ihnen das angetan hat?" Ihre Stimme klang wieder ganz professionell. Scorpius sah auf den Keks in seiner Hand und schüttelte stumm den Kopf. Er blickte kurz auf, um zu sehen, ob er sie verärgert hatte.
Sie seufzte nur. „Das hatte ich mir gedacht. Nun, Scorpius, wir kennen solche Übergriffe leider schon. Als ich sah, dass Sie auf der Liste der neuen Schüler waren, habe ich mit dem Rektor gesprochen. Ich wollte, dass man mit ihren Eltern vorab spricht. Aber Rektor Asherton hielt es nicht für nötig. Das hat man nun davon einen Amerikaner als Rektor zu haben, der von solchen Dingen keine Ahnung hat!" Der letzte Satz war halb gemurmelt.
Dann holte sie Luft. „Nun, es wäre in gewisser Weise einfacher, wenn Sie in meinem Haus wären. Wir haben einige Mitschüler, die einen ähnlichen familiären Hintergrund haben, wie Sie. Aber das lässt sich nun nicht ändern!
Sie sollten sich an einige Regeln halten. Versuchen Sie dunkle Ecken in diesem Schloss zu meiden. Vermeiden Sie es alleine durch die Gänge zu laufen. Versuchen sie sich so wenig wie möglich in den Vordergrund zu drängen. Und halten Sie um Merlins Willen mit irgendwelchen Überzeugungen gegenüber muggelgeborenen Mitschülern zurück!"
Scorpius setzte sich gerade. „Überzeugungen?" Sie verdrehte die Augen. „Ich sage es einmal anders: Falls Sie in der Tradition der Reinblüter erzogen wurden, würde ich das hier nicht an die große Glocke hängen!"
Scorpius sah sie aus großen Augen an. Gab es wirklich noch Kinder in seinem Alter, die so erzogen wurden? Sein Vater und vor allem seine Mutter hatten immer Wert darauf gelegt, dass alle Menschen, ob Muggel oder Zauberer gleichwertig seien.
Die Lehrerin sah ihn kurz ernst an, dann schnippte sie mit den Fingern. Eine junge Hauselfe erschien neben ihr. „Dipsy kannst du bitte Kleidung für Herrn Malfoy besorgen?" die Elfe verbeugte sich und verschwand wieder.
Scorpius kannte Hauselfen nur aus Büchern. Er hatte noch nie eine leibhaftig gesehen. Sein Blick haftete noch auf der Stelle, an der die Elfe verschwunden war, als die Lehrerin bereits weiter sprach.
„Bitte versuchen Sie sich das nächste Mal, den Angreifer zu merken." Sie hatte seinen Gesichtsausdruck wohl bemerkt. „Es tut mir wirklich Leid, aber ich denke, es wird nicht bei einem Vorfall bleiben. Wir Lehrer versuchen es zu unterbinden, aber manchmal gelingt das nicht. Sollte es sich wiederholen, können Sie sich gerne auch an mich wenden. Ich kenne mich mit diesen Dingen bereits aus."
Die Elfe erschien plötzlich neben Scorpius und er zuckte erschrocken zurück. Professor Hallstring erhob sich. „Dipsy bring Herrn Malfoy, nachdem er sich angekleidet hat, zu seinem Klassenzimmer." Scorpius sah von der Elfe zu der Lehrerin. „Äh, ich habe keinen Stundenplan ..."
Sie nickte. „Ja, ich hatte ihren Plan noch und war auf dem Weg Sie zu suchen." Sie lief um den Tisch herum und überreichte ihm ein Pergament. „Ich muss jetzt zu meinem Unterricht. Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie benötigen. Ich werde Ihren Lehrer informieren."
Damit lief sie aus dem Zimmer. Scorpius ließ sich in den Sessel zurücksinken. Verzweifelt sah er zur Decke. Wie sollte das weiter gehen? Er wollte nach Hause! Er wollte nicht zum Unterricht.
Die Elfe hielt ihm das Bündel mit den Kleidern hin. Seufzend nahm er es und begann sich anzuziehen. Als er fertig war, sah er auf das Pergament. „Ich habe jetzt Zaubertränke. Kannst du mich zu dem Raum bringen, Dipsy?"
Dipsy lächelte ihn fröhlich an. „Dipsy bringen zu Kerkern. Kommen!" Sie hüpfte vor ihm aus dem Zimmer und mehrere Treppen hinab. Vor einer schweren Eisentür blieb sie stehen und nickte Scorpius gewichtig zu. „Zaubertränke!" und schon war sie wieder verschwunden.
Mit klopfendem Herzen öffnete Scorpius die Tür. Seine Mitschüler saßen alle an Zweiertischen und jetzt starrten ihn alle an. „Herr Malfoy treten Sie bitte ein. Professor Hallstring hat mir bereits berichtet, dass Sie später kommen. Bitte setzen Sie sich hier vorne hin, da ist noch ein Platz neben Herrn Potter frei." Der Lehrer war rund – alles an ihm: der Kopf, der Bauch, seine Hände. Er sah aus, wie ein überdimensionaler Weihnachtsmann. Und das fröhliche Lachen in seinem Gesicht passte da gut hinein.
Scorpius lief mit gesenktem Kopf zu dem angewiesenen Platz und versuchte so unauffällig, wie möglich auf den Stuhl zu gleiten. Er hörte das Raunen seiner Klassenkameraden. Alle hatten sicher die Episode vor der Halle miterlebt. Potter warf ihm einen kurzen Blick zu. Aber er sagte nichts.
Der Lehrer, Professor Slinger, fuhr fort etwas über Zaubertränke im Allgemeinen zu sagen. Aber Scorpius hörte gar nicht zu. Seine Gedanken kreisten um Möglichkeiten, hier so schnell wie möglich wieder zu verschwinden. Aber seine Eltern konnten sich keine andere magische Schule leisten. Und wenn er in der magischen Gesellschaft einen Beruf ergreifen wollte, benötigte er einen Abschluss. Oder er würde für immer als Muggel leben müssen.
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Schnell entwickelte sich ein Muster in Scorpius Alltag. Er ging alleine zum Frühstück, saß an einer Ecke des Tisches und versuchte so auszusehen, als würde er dazugehören. Das wiederholte sich bei allen Mahlzeiten. Beim Unterricht saß er in den hintersten Bänken.
Kaum jemand redete mit ihm. Wenn aber doch einmal ein Mitschüler mit ihm redete, wurde er entweder als Nachkomme eines Haufen von Blutsverrätern oder als Abkömmling von Todessern beschimpft. In den Gängen wurde er misstrauisch und feindselig beobachtet. Mehr als einmal wurde ein Fluch gegen ihn gerichtet, aber der Täter verschwand in der Masse und Scorpius musste sich mit Gummibeinen oder Fledermausflügeln herumschlagen. Die blauen Flecken von Ellbogen, die ihm im Vorbeigehen in die Rippen geschlagen wurden, bekamen nie die Möglichkeit vollkommen zu verblassen – sie wurden immer wieder erneuert.
Wie versessen konzentrierte er sich auf das Lernen. Allerdings entfernte ihn das noch mehr von seinen Mitschülern, sogar von den anderen Ravenclaws. Er verschanzte sich regelrecht in der Bibliothek. Wenn er nicht dort lernte, lernte er auf seinem Bett, mit seinem Kater auf dem Schoss, bei geschlossenen Vorhängen.
Scorpius vermisste seine besten Freunde von zu Hause Alex und Robert. Sie lebten in der gleichen Siedlung, wie seine Eltern und waren in die gleiche Klasse der Muggelschule im Ort gegangen. Er hätte ihnen gerne einen Brief geschrieben, wusste aber nicht wie er ihn schicken sollte. Vielleicht hätte er die Briefe an seine Eltern per Eule schicken können und diese hätten sie weiter gereicht. Scorpius wollte aber nicht, dass seine Eltern die Briefe lasen.
Mindestens einmal am Tag überlegte er, dass er seinen Eltern schreiben sollte. Er tat es aber nie. Alle Mitglieder seiner Familie litten unter den Repressalien. Das war nun sein Anteil am Schicksal der Familie Malfoy. Er konnte das! Er war stark! Schließlich war er hier zum Lernen, nicht zum Spaß haben! Und es waren ja auch nur ein paar Jahre ...
Nach den ersten zwei Monaten konnte er sich selber nicht mehr an seine Stimme erinnern. Selbst im Unterricht nahmen ihn die Lehrer nicht mehr wahr.
Mit gesenktem Kopf schlurfte er nach dem Abendessen zu seinem Gemeinschaftsraum.
„Malfoy!" Die Stimme war kalt und irgendwo zwischen gelangweilt und befehlsgewohnt. Scorpius hob den Kopf.
Ein dunkelhaariger Junge, vielleicht 15 oder 16 stand in einer Ecke der Eingangshalle. Er hatte eine Krawatte in grün und silber. Ein Slytherin! Das hatte ihm gerade noch gefehlt.
„Muss man dir eine Einladung schicken?" Der Junge sah ihn herausfordernd an. Scorpius überschlug seine Chancen. In der Eingangshalle kurz nach dem Abendessen würden sie ihn sicher nicht all zu weit gehen. Vielleicht irgendwelche harmloseren Flüche. Wenn er den Jungen ignorieren würde, würde es sicher schlimmer.
Stumm trat er zu dem Jungen. Neben ihm standen einige andere Jungen, die ihm nun kalt entgegen blickten.
Scorpius blieb vor dem Jungen stehen, starrte auf dessen Krawatte und hoffte, es würde schnell vorbei sein.
Der Junge musterte ihn kalt. „Wieso bist du in Ravenclaw gelandet?" Scorpius kannte das schon. Als Nächstes kämen Beleidigungen wegen seiner Todesser-Verwandten, oder weil sie Verräter waren, weil sein Vater ein Feigling war ... irgendetwas in dieser Art. Er zuckte mit den Achseln und hoffte, diese Antwort würde die geringste Bosheit heraufbeschwören.
„Deine Mutter ist eine Greengrass, oder?" Normalerweise ließen sie aber seine Mutter aus dem Spiel. Er nickte. Der Junge legte seinen Kopf schief und sah ihn mit einem ironischen Ausdruck an. „Bist ja ein großer Redner!" Dann lief er einmal langsam um Scorpius herum. Betrachtete ihn dabei genau, wie auf dem Viehmarkt. Scorpius wunderte sich, ob er sich gleich seine Zähne anschauen würde.
„Wieso ist ein reinblütiger Zauberer wie du nicht in Slytherin?" Er war wieder vor Scorpius angekommen. „Was für eine Vergeudung! Aber das kann man ja ausgleichen. Komm' doch einfach in deinen freien Stunden zu uns. Wir treffen uns immer im hinteren Hof unter dem Säulengang. Du siehst uns dann schon!"
Damit gab er den anderen ein Zeichen und sie drehten sich alle mehr oder weniger gleichzeitig um und ließen Scorpius stehen.
Das war seltsam! Wollten sie ihn erst später in Ruhe in einer ruhigen Ecke rannehmen? Oder war das wirklich ein Angebot gewesen?
Eine Woche später hatte Scorpius sich entschlossen, der Einladung zu folgen. Er hatte den Jungen ein paar Mal in der Schule gesehen und jedes Mal hatte er ihn freundlich angegrinst. Scorpius sehnte sich nach jemandem, mit dem er reden konnte. Dafür würde er jedes Risiko eingehen.
Er fand die Gruppe in einer Ecke des Säulengangs bei einer Steinbank. Es waren vielleicht 10 Schüler aus den unterschiedlichen Jahrgangsstufen. Die meisten aus Slytherin, aber nicht alle. Der Junge, der ihn angesprochen hatte, stand auf, als er Scorpius herantreten sah.
„Malfoy! Schön, dass du dich entschlossen hast, zu uns zu kommen. Ich bin Alfred Avery. Unsere Großväter waren gute Freunde." Heiß durchfuhr es Scorpius: Niemand sprach über seinen Großvater! Und schon gar nicht in einem alltäglichen Tonfall. Sein Großvater konnte keine Freunde gehabt haben. Außer sie waren auch ...
Er sah Avery neugierig an. Dieser lachte. „Hat man dir nichts über den alten Herren erzählt? Ja, die alten Helden zählen heutzutage nicht mehr viel. Jetzt wo das Ministerium von Schlammblütern und Blutsverrätern geleitet wird und alle Potter Puderzucker in den Hintern blasen!"
Er wies auf den Platz neben sich auf der Bank. „Setz' dich! Ich stell' dir die anderen vor!" Scorpius merkte sich im ersten Anlauf nur die Namen von den drei Schülern aus seinem Jahrgang. John Singer, Leonard Walthers und Lissy . Die drei waren alle in Slytherin.
Als es Zeit zum Abendessen wurde, liefen sie gemeinsam zum Speisesaal. Scorpius fühlte sich zum ersten Mal nicht ausgeschlossen. Er war Teil dieser Gruppe, warum diese ihn auch immer haben wollte. Lächelnd lief er neben Leo zur großen Halle.
Lissy St. James ging an ihm vorbei und zwinkerte Scorpius zu. Als dieser sie verblüfft ansah, kicherte sie und rannte zu Delila Zabini an den Esstisch.
Leo lachte. „Mädchen sind soo sinnlos!" Scorpius nickte zustimmend. „Aber wenn man einen Sohn haben möchte, braucht man sie wohl doch..." Beendete Leo seinen tiefsinnigen Gedankengang. Scorpius sah ihn fragend an. „Willst du denn Kinder?"
Leo zuckte mit den Schultern. „Mein Alter sagt immer: Du musst den Stammbaum fortführen!" John grunzte zustimmend. „Meiner auch!" Scorpius Vater hatte ihm von Stammbäumen nie viel erzählt. Er wusste, dass seine Familie sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits wahrscheinlich bis zu Merlin zurück zu verfolgen war, aber das war nie wichtig gewesen.
Scorpius verbrachte nun die meiste Zeit mit Averys Gruppe. Er erkannte schnell, dass seine neuen Freunde nach ganz anderen Regeln lebten. Manchmal wunderte er sich über ihre Ansichten, aber weil sie meist über andere Dinge sprachen, wie Quidditch oder Lehrer, störte es Scorpius nicht weiter.
Und mit der Gruppe um ihn herum traute sich keiner mehr, ihn zu verhöhnen oder zu verhexen. Im Gegenteil.
Avery ermutigte ihn, seine ehemaligen Peiniger auszudeuten. Die nahmen sie sich dann zusammen vor. Der Junge, der ihn am ersten Tag so bloßgestellt hatte, war der erste. Er hieß Nathaniel Bones und war im fünften Jahr. Sie lauerten ihm in der Nähe der Bibliothek auf und zerrten ihn in einen unbenutzten Gang.
Zwei ältere Slytherin, die Avery extra wegen ihrer Bulligkeit ausgesucht hatte, hielten Bones an den Armen fest. Alfred stand vor ihm und grinste kalt. Bones sah nervös aus. Trotzdem erklärte er großspurig: „Was soll das Avery? Lasst mich sofort los!"
Alfred drehte sich zu Scorpius um. „Nun, Scorpius, sollten wir den lieben Nathaniel laufen lassen? Einfach so?" Scorpius dem es etwas unangenehm war aus der Gruppe herausgedeutet zu werden, schüttelte den Kopf. Avery nickte. „Komm zu mir Scorpius."
Mit hochrotem Kopf trat Scorpius neben Alfred. Dieser legte ihm freundschaftlich den Arm um die Schultern. Er betrachtete Bones, der sich gegen die Arme seiner Gegner wehrte, wie man ein Gemälde anschaute.
„Nun, Scorpius, ich denke auch, dass der gute Nathaniel hier eine Lehrstunde benötigt. Er hat sich gegenüber einem neuen Schüler sehr schlecht benommen. Das macht man nicht. Schon gar nicht, wenn man seine niedere Herkunft in Betracht zieht. Alles Muggelliebhaber und Blutsverräter." Alfreds Stimme klang heiter, als würde er über das Wetter sprechen.
Dann wandte er sich wieder Scorpius zu. „Wir haben festgestellt, dass Gelerntes viel besser beachtet wird, wenn man es nachdrücklich erklärt." Ohne hinzusehen, schwang er seinen Zauberstab in Richtung des gefangenen Jungen und zischte ein Wort. Dieser klappte in den Armen, der zwei anderen zusammen und stöhnte.
Lächelnd drehte Avery sich wieder zu Bones um. „Nun, Nathaniel, möchtest du dich nicht bei meinem Freund für dein unsägliches Verhalten entschuldigen?"
Bones, der immer noch vornüber gebeugt in den Armen der zwei anderen hing, zischte: „Fick dich, Avery!" Alfred schien das zu freuen. Theatralisch seufzte er. „Nun, dann müssen wir wohl härtere Maßnahmen anwenden."
Ein Zauber wurde gezischt und Bones bäumte sich auf. Scorpius konnte sehen, dass seine Schuluniform quer über der Brust zerschnitten war und Blut hervorsickerte. Wieder zischte Alfred etwas und wieder bäumte sich Bones auf. Ein weiterer Schnitt erschien in der Uniform.
Alfred drehte sich zu Scorpius, der wir gebannt auf Bones starrte, der nun stöhnend in den Armen der zwei Slytherin hing. „Möchtest du?" erschrocken sah Scorpius auf. „Ich … ich kann solche Zauber nicht." stammelte er.
Alfred lächelte. „Nun, dann lernst du sie. Du kannst soviel üben, wie du möchtest. Nathaniel hier wird nicht einfach verschwinden."
Alfred trat wieder neben Scorpius und zeigte ihm langsam eine Bewegung mit dem Zauberstab. „Dabei musst du Lativando sagen. Konzentriere dich dabei auf deine Wut und den Hass, dann wird der Zauber besser."
Scorpius wiederholte die Bewegung einige Male. Er kam sich merkwürdig vor, wie er hier vor der Gruppe einen Zauber übte, wie im Unterricht. Dann nickte Alfred zufrieden. „Versuche es!"
Scorpius bewegte seinen Zauberstab und rief „Lativando". Das Hemd von Bones schien kleine Risse zu bekommen. Alfred nickte. „Das war schon nicht schlecht. Jetzt konzentriere dich auf deine Gefühle. Erinnere dich, wie du dich gefühlt hast: nackt in der Eingangshalle."
Scorpius schloss die Augen. Scham wallte in ihm auf. Dann Wut, unbändige Wut. Wieso hatte Bones das gemacht? Er hatte ihm nichts getan! War ihm nie begegnet! Blitzschnell bewegte er seinen Zauberstab und zischte die Zauberformel.
Bones schrie auf. Seine Uniform war zerrissen, auf seinem Oberkörper erschienen blutige Striemen. Scorpius sah nur noch Bones, spürte nur noch den Hass. Und die Befriedigung, als er den anderen Jungen schreien hörte. Erneut ließ er den Zauber auf den anderen los. Wieder und wieder.
Irgendwann spürte er eine Hand auf seinem Arm. „Es ist genug Scorpius. Wir wollen ihn ja nicht wirklich umbringen. Das wäre zu schwierig zu vertuschen." Wie aus einer Trance erwacht, blinzelte Scorpius Alfred an. Dieser lächelte zufrieden und klopfte ihm kurz auf die Schulter.
Dann trat er auf Bones zu, der stöhnend am Boden lag zu. Er zog seinen Kopf an den Haaren hoch, sodass Bones ihn ansehen musste. „Hör zu, du Haufen Dreck. Wenn auch nur ein Wort hierüber laut wird, bist du tot. Ist das klar? Und glaube bloß nicht, dass wir dich nicht erwischen oder nicht wissen, wie wir dich unbemerkt um die Ecke bringen können." Er stieß den Kopf von sich und wischte sich die Hand an seiner Robe ab.
Stumm gab er der Gruppe ein Zeichen und sie verließen hinter Alfred den Gang.
Scorpius durchlief ein Hochgefühl. Der Rausch der Macht war unbeschreiblich. Er hatte das Gefühl, bedeutend zu sein. Ihm würde keiner mehr etwas antun. Nie wieder! Er würde sich wehren!
Am nächsten Morgen sah die Sache schon ganz anders aus. Nervös ging Scorpius zum Frühstück. Als er die Halle betrat, bemerkte er sofort, dass die Stimmung anders war als sonst - unruhig, ängstlich. Er hörte Satzfetzen. Alfred winkte ihn an den Slytherintisch.
Als er sich setzte, fragte er: „Was ist passiert?" Alfred sah ihn bestürzt an. „Hast du es nicht gehört? Man hat den armen Nathaniel Bones arg misshandelt. Er liegt in der Krankenstation." Nichts verriet Alfred. Scorpius bewunderte ihn für seine Kaltschnäuzigkeit. Im Gegensatz dazu verkrampfte sich sein eigener Magen furchtsam. Während er sich mechanisch Müsli nahm, fragte er das, was ihn eigentlich interessierte: „Weiß man, wer es war?"
Alfred schüttelte betrübt den Kopf. „Nein, der arme Nathaniel kann sich scheinbar nicht erinnern!"
Erleichtert begann Scorpius zu essen. Aber ein ungutes Gefühl blieb. Würde Bones für immer einen Gedächtnisschwund vortäuschen oder würde er doch noch reden?
ooo
Bones erzählte nichts. Was aber die Gerüchteküche nicht aufhielt. Und Avery und seine kleine Gruppe waren die Hauptverdächtigen. Immer wieder sprachen Schüler und auch Lehrer mehr oder weniger offen Anschuldigungen aus. Beweisen konnte man ihnen aber nichts, ohne die Aussage von Bones.
Als Ergebnis trat niemand mehr der Gruppe zu nahe. Scorpius wurde nicht einmal mehr aus Versehen angerempelt. Sobald einer von ihnen auftauchte, gingen ihnen die Mitschüler aus dem Weg.
Die weiteren 'Erziehungsmaßnahmen', die Alfred gegen Scorpius einstige Peiniger durchführte, steuerten ebenfalls dazu bei, dass man der Gruppe mit Vorsicht gegenübertrat. Keine der anderen 'Maßnahmen' kam an die, gegen Bones heran. Die anderen Jungen benötigten nur einige Drohgebärden und den einen oder anderen harmloseren Zauber, bevor sie sich bei Scorpius auf Knien entschuldigten.
Dieser neue Status gefiel Scorpius. Und er hatte neue Freunde in Leo und John gefunden. Seine Mitschüler aus Ravenclaw sprachen weiterhin nicht mit ihm. Sie warfen ihm nur dann und wann misstrauische Blicke zu. Er aß auch nicht mehr an deren Tisch. Abends verbrachte er die meiste Zeit immer noch in der Bibliothek oder John und Leo nahmen ihn mit in den Slytherin-Gemeinschaftsraum. Da Alfred hier das Sagen hatte, wagte keiner Einwände zu erheben.
Scorpius lernte auch Alfred Avery besser kennen. Dieser hegte einen besonderen Groll gegen die Potters und Weasleys. Er nannte sie 'Schlammblutgesocks'. Und er wagte es, es ihnen sogar ins Gesicht zu sagen. Mehr als einmal war Alfred mit James Potter oder Fred Weasley aneinandergeraten.
Meist blieb es bei verbalen Attacken. Oft sah Scorpius Albus und Rose neben ihren Cousins stehen und wütend die Hände ballen. Aber Scorpius konnte auch sehen, wie Rose kleiner wurde, wenn sie an Avery vorbei lief, wenn sie alleine war. Während des Unterrichts konnte er manchmal ihren Blick auf sich spüren. Es sah aus, als würde sie sich fragen, wie er nur in Ravenclaw gelandet war. Sie schien ihn als die Schande ihres Hauses anzusehen.
Das machte ihn immer noch wütend, auch wenn Scorpius selbst nicht mehr wusste, warum er unbedingt in dieses Haus hatte gehen wollen. Er bereute es bitter, dass er dem Sprechenden Hut gesagt hatte, dass er nicht nach Slytherin wollte.
