In loss of words.
Sprachlos.
Es gibt eine Zeit zum Leben und eine zum Sterben.
Mir ist, als hätte ich nie unsinnigere Dinge gehört.
Nein, ich bin mir sicher, dass ich nie etwas unsinnigeres gehört habe. So etwas schreibt man normalerweise auf diese kleinen Kärtchen, die dann in der Kirche ausgeteilt werden, wenn man auf eine Beerdigung gehen muss. Oder Gott schenke ihm die ewige Ruhe. Die ewige Ruhe. Wunderbares Abschiedsgeschenk. Kann mir wirklich nichts schöneres vorstellen, als ewig Ruhe, wenn ich 27 bin und jedes Wochenende tanze. Wenn laute Musik mein Lebensmotto ist und meine Band die schlechteste von ganz Las Vegas.
Ich wollte dein Kärtchen wegwerfen, wirklich. Aber es hat nicht funktioniert. Ich stand wirklich vorm Papierkorb und vor dem Karton mit deinen Sachen. Es hat nicht funktioniert. Ich habe sie wieder in meinen Schrank gestellt.
Die Guten sterben jung.
Noch so was. Was hat man denn davon, gut zu sein, wenn es nur bedeutet jung zu sterben? Langsam wird es deprimierend. Ich scrolle die Seite weiter runter und überfliege die Sprüche. Irgendwo muss doch etwas passendes stehen. Was schreibt man auf Beileidskarten?
Ich nehme den Umschlag in die Hand, drehe ihn hin und her. Der Kugelschreiber in meinen Händen wird schwer.
Ein Herz steht still, wenn Gott es will.
Vielleicht sollte ich die Karte nicht wegschicken. Das Motiv ist sowieso nicht schön. Ein goldener Kreis auf dem ein schwarzes Kreuz liegt.
Das kostbarste Vermächtnis eines Menschen ist die Spur,
die seine Liebe in unseren Herzen zurückgelassen hat.
Ich spüre wieder dieses Drücken auf der Brust, und wie meine Atmung beschleunigt. Das Zeichen dafür, mein Asthmaspray aus meiner Jackentasche zu kramen. Als ich es nicht sofort finde, werde ich hektisch und mein Herz beginnt ungeduldig gegen meine Brust zu pochen. Lindernd dringt das Medikament in meine Lungen. Kann ich nur empfehlen. Ich benutze es noch oft.12 Stunden unter der Erde begraben zu sein, geht etwas auf die Gesundheit und so lange ist das auch noch nicht her.
Erinnerungen sind das Land, aus dem wir nicht vertrieben werden können.
Ich drehe den Stift in meinen Händen. Irgendetwas muss ich schreiben. Sonst denken sie noch, du hättest mir nichts bedeutet. Und scheiße, du hast mir verdammt viel bedeutet. Verdammter, kleiner, norwegischer Bastard.
Meine Finger huschen über die Tastatur, als ich die Adresse in den Laptop tippe. Sie ist ziemlich lang, wie es diese Direktlinks an sich haben. Aber ich kann sie mittlerweile sowieso schon auswendig. Erwartungsvoll klicke ich auf Enter.
Die Datei beginnt zu laden.
Die Summe unseres Lebens sind die Stunden, in denen wir liebten.
Und ich beginne zu weinen.
Ich habe viele Stunden mit dir verbracht. Ich habe dich viele Stunden geliebt. Ich habe viele Stunden mit dir gestritten. Deswegen auch. Wegen dem Grund auf dem Bildschirm meines Laptops. Ein Foto. Ein schönes Foto. Ein Foto von uns. Es gibt so wenige davon. Ich hab es dir selten erlaubt, ein Foto von uns zusammen zu machen. Und dafür, dass du dieses hier online gestellt hast, habe ich zwei Tage nicht mehr mit dir geredet, bis ich um 3 Uhr in der Nacht vor deinem Appartment aufgetaucht bin, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe.
Die Summe unseres Lebens sind die Stunden, in denen wir liebten.
Und ihre Erinnerungen sind das Land, aus dem wir nicht vertrieben werden können.
Sanft lege ich einen Finger auf den Bildschirm und fahre deine Gesichtszüge nach. Es bringt nichts. Wie oft wird mein Herz dabei wohl noch zerbrechen. Jeden Tag aufs neue. Ich halte die Luft an, um zu verhindern, wieder weinen zu müssen. Es funktioniert mittlerweile schon ganz gut, musst du wissen.
Ich hätte dir so viel zu sagen.
Greg.
So vieles.
Meine Hand zittert, als ich schreibe, und als ich kurz darauf den Computer herunter fahre, die Karte einstecke und mein Büro verlasse.
In loss of words,
Nick Stokes.
