„Hast du eigentlich wirklich jemals geglaubt, es würde sich etwas ändern?"
Die Frage hing schwer in der Luft, wie ein übler Geruch, und das Silber in den Augen ihres Gegenübers flackerte leicht.
„Nein."
Die Antwort war kalt, endgültig und nicht einmal ein Ansatz von Verzweiflung oder Trauer schwang in dem kleinen Wörtchen mit. Seine Meine blieb emotionslos wie stets, und doch regte es sie heute mehr auf als je zuvor.
„Was sollte das Ganze dann?" fragte sie nach einer Weile, in der sie ihrer Wut gestattet hatte, in ihr hochzukochen wie giftige Galle, „warum hast du das dann getan?" Eine Sekunde lang hielt er ihrem Blick stand, dann wandte er seinen Kopf zum Fenster und starrte durch die Gitterstäbe auf die aufgewühlte See. „Ich bin ein Slytherin, Granger", erwiderte er schließlich, und trotz seiner Gefängniskleidung, seinem verklebten Haar und seines ungewaschenen Körpers klang immer noch der altbekannte überlegene Spott in seinen Worten mit, „wir sind selbstsüchtig."
Sie schnaubte leicht und warf ihr Haar zurück, leicht irritiert darüber, dass selbst 8 Monate Azkaban seinen Stolz nicht hatten brechen können, und folgte dann seinem Blick raus aus der tristen 9m²-Zelle auf eine Welt, die gerade von einem Sturm geschüttelt wurde – ähnlich wie ganz Europa vom Krieg. „Dem Dunklen Krieg", wie der Prophet ihn betitelt hatte.
„Aber nicht dumm", gab sie zu rück, und für den Bruchteil einer Sekunde hoben sich seine Mundwinkel wieder, fielen aber so schnell wieder in ihren Ausgangszustand zurück, dass sie nicht sicher sein konnte, dass sie es sich doch nicht nur eingebildet hatte.
„Was willst du hier, Granger?" fragte er dann, seine Stimme plötzlich müde, die Augen immer noch starr auf das Meer gerichtet, „man wird euch schon informieren, sollte ich randalieren, flüchten oder sterben."
Auch wenn sie seine Augen nicht sehen konnte, so war sie doch erschrocken über die verhaltenen Sehnsucht, die überdeutlich in seinem letzten Wort mitschwang. „...sterben..."
Wie ein Gebet, eine stille Bitte war das Wort über seine Lippen gehuscht und sie wurde unwillkürlich blasser. Und ärgerlicher, wie sie mit Genugtuung feststellte. Ärger war besser als Mitleid.
„Ich weiß, dass du es nicht warst", sagte sie dann, und beobachtete zufrieden, wie sich sein Adamsapfel daraufhin abrupt hob und senkte.
„Du irrst dich", antwortete er, seine Stimme belegt, „Ich war es. Es gibt Zeugen. Vertrauenswürdige Zeugen." Kurz sah er sie wieder an, seine Augen voller stummer Anschuldigungen. Sie räusperte sich.
„Getäuschte Zeugen."
Stille folgte diesen Worten, und das einzige Geräusch waren die satt auf den Steinboden aufschlagenden Regentropfen. Leicht verspätet bemerkte sie, dass kein Glas den Gefangenen von den Launen der Natur schützte und schauderte innerlich in Erinnerung an den heftigen und kalten Winter, sich jetzt erst allmählich verabschiedete. Kein Wunder, dass er so ausgemergelt aussah.
„Mein Urteil kann nicht zurückgenommen werden", sagte er dann, wieder den gewohnten Tonfall von Langeweile und Arroganz annehmend, als ginge es hier nicht um sein sondern um das Schicksal eines völlig Fremden, „es ist also völlig gleichgültig, was du zu wissen glaubst."
Sie holte tief Luft und sah zu Boden, ihre Hände zu Fäusten geballt. „Ich bin eine Unansprechbare, Malfoy", meinte sie schließlich, „ich kann dich hier raus holen, wenn ich will."
Wieder schnellten seine Augen zu ihr herüber und eine kleine steile Falte hatte sich auf seinem Nasenrücken gebildet. „Wieso solltest du das tun?"
Wie knetete ihre Finger und biss sich kurz auf die Unterlippe, sich der Ironie ihres Angebots vollauf bewusst. „Wir brauchen einen Spion."
Ein trockenes Lachen entrang sich seiner Kehle, das in dem kleinen Raum ein unheimliches Echo hinterließ. „Die Rolle hatte ich schon", gab er zurück, „und damals habt ihr mir nicht getraut. Wieso jetzt?"
Sie hob den Blick, ein kleines Lächeln auf ihren Zügen, das ihre Augen funkeln ließ. „Weil ich jetzt sicher bin, dass du ihn liebst."
XXX
Er wanderte langsam durch die Gänge Hogwarts, jeder seiner Schritte fast schmerzhaft laut in seinen Ohren nachhallend, und seufzte lautlos. Nie hätte er gedacht, dass das mal passieren würde, aber der allgegenwärtige Lärm fehlte ihm. Seit die Schule zum Hauptquartier des Ordens umfunktioniert worden war, hatten sich das früher immer präsente Gekicher und Geplapper auf ein Minimum reduziert, und alle Gespräche wurden fast ausschließlich im Flüsterton abgehalten. Die erste Zeit hatte er die Ruhe durchaus genossen, aber 4 Jahre waren definitiv genug der Stille.
Er schüttelte den Kopf und bog um eine Ecke, nur um beinahe mit einem offenbar völlig in seine Gedanken versunkenen jungen Mann zusammen zu stoßen, der offensichtlich schleichen konnte wie eine Katze, da ansonsten wohl auch seine Schritte zu hören hätten sein müssen.
„Potter", stellte er wenig beeindruckt fest und kräuselte leicht seine Lippen, „passen Sie auf, wo Sie hinwandern."
Der Angesprochene hob den Blick und zog provokant eine Augenbraue hoch. „Weil ich sonst unheimliche Gestalten auf den Gängen treffen könnte, Professor?" fragte er scheinbar unschuldig zurück.
Er knurrte leise und verengte die Augen. „Sollten Sie nicht ebenfalls in der Großen Halle sein", fragte er dann, den Kommentar Potters übergehend, „Ihre kleine Freundin wollte uns doch etwas zeigen."
„Hermine ist nicht meine Freundin", erwiderte der Gryffindor leicht genervt, „außerdem bin ich nicht eingeladen."
Dieses Mal war es an ihm, seine Augenbrauen hochzuziehen, ein leicht süffisantes Lächeln auf den Lippen. Sieh an, war da etwa eine Sache, die sogar der großmagische Harry Potter nicht erfahren durfte, er allerdings schon? Sein Interesse an der bis eben noch als leidig empfundenen Versammlung stieg um einiges, und er gönnte sich einen kurzen, abwertenden Blick auf seinen ehemaligen Schüler.
„Welch ein Pech", sagte er schließlich und schob sich an dem Dunkelhaarigen vorbei, mit neugeweckter Eile auf die Halle zustrebend.
Mit Schwung stieß er die Tür auf, den Blicken der restlichen Ordensmitglieder begegnend, die ihn leicht kritisch beäugten. Anscheinend war er zu spät – nicht, dass es ihm etwas ausmachte. Schließlich hatte Granger diese Versammlung einberufen, und er würde ganz bestimmt nicht wie ein Schoßhund springen, wenn sie ihn rief.
„Ah, Severus", begrüßte ihn Dumbledore, seinen giftigen Blick ignorierend und auf einen Stuhl ihm gegenüber deutend, „dann kann Miss Granger ja beginnen."
Er setzte sich und richtete seine Augen, wie alle anderen auch, auf die junge Hexe, die leicht nervös am Kopfende des Tisches stand und prüfend ihren Blick durch den Raum schweifen ließ, ehe sie sich umdrehte.
„Du kannst den Umhang jetzt abnehmen", sagte sie dann scheinbar ins Nichts hinein, woraufhin sich seine Augenbrauen leicht irritiert zusammenzogen.
Dann jedoch erklang ein gedämpftes, raschelndes Geräusch, und alle Anwesenden, ihn eingeschlossen, sogen scharf die Luft ein, als der Schein der Kerzen auf silberblonde Haare fiel. Plötzlich war völlig klar, wieso Potter bei dieser besonderen Versammlung nicht anwesend war – denn dort vor ihnen, die Spuren Azkabans noch allzu deutlich an ihm erkennbar, stand schließlich Draco Malfoy.
XXX
Es dauerte nur Sekunden, bis der erste Zauberstab auf ihn gerichtet war. Dann vergingen wiederum nur wenige Augenblicke, bis sich die ersten Zaubersprüche formten und er fremde Magie an sich ziehen und zerren fühlte. Glücklicherweise hatte ihn Granger mit diesem ominösen Amulett ausgestattet, das ihn vor den meisten Zaubern schützen sollte.
„Eminisco!" bellte es da laut, und er fand sich nach Atem ringend in der Luft baumelnd wieder, sich innerlich mal wieder die Frage stellend, ob das hier wirklich besser war als die Gefangenschaft in Azkaban. Seine Augen glitten suchend durch den Raum und bohrten sich schließlich in die seines Patenonkels, der nun sanft seinen Zauberstab schwenkte und ihn damit an die Wand beförderte.
Hätte er gekonnt, hätte er gelächelt. War ja klar, dass Grangers Amulettchen ihn nur vor „guten" Zaubern bewarte, während Severus sich nicht scheute, ihn gleich einen dunklen Zauber auf den Hals zu hetzten.
„Relatius", krächzte er leise, und der unheimliche Griff um seinen Hals verschwand. Er fiel reichlich ungrazil zu Boden und rieb sich die Kehle.
Severus blinzelte verwirrt, und Granger positionierte sich – zu seinem stillen Erstaunen, schließlich galt sie als eine der cleversten Hexen seiner Zeit und wer mit ein bisschen Verstand stellte sich schon schützend zwischen eine Herde Auroren und einen verurteilten Todesser? – vor ihm, die Arme ausgebreitet.
„LASST DAS!" zischte sie aufgebracht, und tatsächlich sanken einige der Arme herab. Es wunderte ihn nicht, dass der Arm seines Patenonkels immer noch auf ihn gerichtet war.
„ER IST MEIN GAST, ALSO BEHANDELT IHN AUCH SO!"
„Gast?!" fragte Severus fassunglos, die schwarze Augen zu Schlitzen verengt, „Granger, das ist ein gefährlicher Mörder und verurteilter Sträfling!"
Sie schnaubte bloß und wandte ihm ihren Blick zu. „Erinnern Sie sich, dass Sie Ähnliches schon einmal zu mir gesagt haben und sich damals ebenfalls irrten?"
Sein ehemaliger Hauslehrer blinzelte, ehe er zur Seite sah und dann mit zusammengebissenen Zähnen ebenfalls seinen Arm senkte. Nach und nach taten es ihm die restlichen Ordensmitglieder nach, wenn auch der Zweifel und das Misstrauen immer noch fett in ihren Augen stand und wohl auch nicht so schnell schwinden würde. Er stand langsam wieder auf, um Haltung bemüht, und tat sein bestes, seine aufwallende Magie unter Kontrolle zu halten, die sich in dieser feindlichen Umgebung gegen alles und jeden aufzubäumen drohte. Zu lange war sie in Akzaban unterdrückt worden, zu lange hatte er diesen Hass erleben müssen, zu lange war es her, dass derjenige, der ihn mit einem einzigen Blick wieder zur Ruhe kommen ließ, auch nur seine Anwesenheit registrierte.
Seine Nackenhaare richteten sich auf, und er fühlte mit absoluter Sicherheit, dass eben jener Mensch gerade sehr nah war. Sein Atem beschleunigte sich unwillkürlich und wieder hatte er das Gefühl, als würde ihm die Luft genommen, wenn auch dieses Mal aus völlig anderem Grund. Wo bist du...
„ENDARGO!" erklang es da plötzlich von rechts her, und er wurde erneut in die Luft gehoben, quer durch den Saal geschleudert und dann mit unnatürlicher Kraft an die kalte Mauer gepresst. Er zischte vor Schmerz auf und registrierte mit zusammengepressten Zähnen, dass seine jüngst geheilten Rippen durch den Aufprall wieder gebrochen waren und sich die Knochensplitter nun unheilvoll in sein Fleisch bohrten.
„Aber... was...", kam es leise von Granger, und er hob langsam die Lider. Silberne Augen begegneten smaragdgrünen, und mit einem Schmerz, der tiefer ging als seine gebrochenen Knochen, registrierte er, dass in dem einst so bekannten Gesicht nur Ablehnung und Hass geschrieben stand. Innerlich dankte er kurz seinen Eltern für das ewige Training der perfekten Fassade, sodass niemand anderes im Raum wohl mitbekam, wie ihm zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres vor Zeugen das Herz gebrochen wurde.
„Re...la...tius", flüsterte er leise, doch dieses Mal wirkte sein Zauber nicht. Seine Magie regte sich nicht, während der Gryffindor ihn mit Blicken aufspießte.
„DU!" rief dieser hasserfüllt, „DU WAGST ES! DIESES MAL WERDE ICH DICH UMBRINGEN, DAS SCHWÖRE ICH!"
Er wagte es nicht, den Kopf abzuwenden um diesem mörderischen Augenpaar zu entgehen, wollte sich die Schwäche nicht eingestehen, dass selbst der Verrat Harrys nichts an seinen Gefühlen geändert hatte. So starrte er nur mit leerem Blick zurück, jede Emotion aus seinen Augen verbannend. Sollten doch alle glauben, was sie zu wissen dachten. Sollten sie ihn doch für das Monster halten, dass sie alle in ihm sahen.
Sollte er ihn doch töten, dann wäre es wenigstens vorbei.
„STUPEFY!" gellte es da durch den Raum, und ein roter Lichtstrahl sirrte durch die Luft, traf Harry in der Brust und ließ diesen leblos zusammensacken. Der Halt um Draco verschwand, und er fiel erneut unsanft zu Boden. Dieses Mal gab er sich nicht die Mühe, wieder aufzustehen, sondern blieb einfach liegen und starrte den Boden vor sich an.
„Mr Malfoy", sagte eine Stimme dann, und er erkannte verblüfft, dass es Dumbledore war, der dort mit ihm sprach und dass er es wohl auch gewesen war, der ihn vor Harrys Zorn bewahrt hatte, „vielleicht sollten Sie sich zunächst erst einmal wieder zurückziehen. Die Gemüter scheinen mir etwas aufgeheizt." Und bevor er wirklich wusste was geschah, erschien ein ängstlich wirkender Hauself, ergriff seine Hand und schnippte in die Finger. Dunkelheit umfing ihn.
