Er wurde Heiler, weil seine Noten nicht für die Aurorenausbildung reichten und auch die Tatsache, dass er mit einem Entwaffnungszauber den dunkelsten Zauberer ihrer Zeit besiegt hatte, die zuständigen Behörden nicht davon überzeugen konnte, dass er vielleicht für ihre Zwecke von Nutzen sein könnte. Er verbrachte einige Tage damit, das gesamte Ministerium zu verfluchen, und begann dann seine neue Laufbahn.

Mit überraschendem Erfolg – auch wenn er, entgegen jedem seiner Mitauszubildenden, keinerlei altruistische Gründe für seine Berufswahl hatte. Er wollte einfach nur einen Beruf, bei dem er den Menschen irgendwie helfen konnte, und da stand 'Heiler' auf seiner mentalen Liste nun mal direkt hinter 'Auror'.

Es gefiel ihm sogar, und entgegen seiner eigenen Meinung war er gar nicht mal schlecht. Er gehörte sogar zu den Besten.

Er gewöhnte sich an blutige Brüche, dunkle Flüche und eitrige Wunden, lernte, diese zu behandeln und zur schnelleren Heilung anzuregen und wurde so rasch ein gerngesehener Gast im Krankenhaus.

Worauf ihn jedoch nichts hätte vorbereiten können, das war Draco Malfoy, der mit vollkommen unbeteiligter Miene die aus seinem grotesk angeschwollenen Oberarm staksenden Knochensplitter ansah und völlig teilnahmslos sagte: „Ich glaube, der ist gebrochen."

Keine Spur von dem vor Schmerz wimmernden Mimöschen, das im 3. Schuljahr so heftig über den Schnabelhieb von Seidenschnabel gejammert hatte.

Sein Analysezauber, den er über den Verletz anwandte, verwirrte ihn noch mehr. Malfoy stand weder unter Drogen noch unter schmerzstillenden Mitteln, noch war er geistig verwirrt.

Es war nicht der schlimmste Bruch, den Harry je gesehen hatte.

Aber es war die schlimmste Verletzung, die je ein Patient so völlig regungslos hingenommen hatte, ohne das Bewusstsein zu verlieren oder unter bewusstseinstrübenden Medikamenten zu stehen. „Das ist ein Rotationsbruch, Malfoy", sagte er dann, und der Blonde wandte ihm gelangweilt den Kopf zu.

„Schön, dass sich die Ausbildung bezahlt macht und du tatsächlich nachplappern kannst, was ich bereits gesagt habe", erwiderte er trocken, „könntest du dann den Bruch vielleicht heilen? Ich muss wieder zurück." Er sagte den letzten Satz in einem merkwürdig endgültigen Tonfall, den Harry jedoch ignorierte. Er biss sich auf die Lippen und räusperte sich leise.

„Diese Art Bruch ist immer durch Fremdeinwirkung entstanden", fügte er hinzu. „Solche Verletzungen sind nie Unfallfolgen oder sturzbedingt. Wer... wer war das?"

Die Augen des Blonden verengten sich leicht, dann seufzte er. „Wer war was?"

Bei jedem anderen Patienten hätte er nun vorsichtig versucht, sein Wissen zu vermitteln und seinem Gegenüber die Informationen sanft zu entlocken. Aber das hier war Malfoy. Den er nur behandelte, weil zu dieser unmöglichen Nachtzeit kein anderer Heiler im Haus war. Ich hasse Nachtschichten.

„Misshandlung", sagte er dann platt, und Malfoy zuckte kaum merklich zusammen. „Du wurdest offensichtlich misshandelt. Bei diesem Bruch muss jemand deinen Knochen durch einen enormen Kraftaufwand durch Drehen zerbersten. Eigentlich fast unmöglich bei Erwachsenen, noch dazu Männern, die so kräftig gebaut sind wie du."

Malfoy saß ein paar Sekunden reglos da, dann zuckte er mit den Schultern. „War das jetzt eine Anmache? Ich weiß, dass ich gut gebaut bin, Potter. Was das Andere angeht, irrst du dich. Und jetzt heil mich."

Harry starrte ihn perplex an und drehte dann angestrengt den Kopf zur Seite. Wie verletzt er auch immer sein mochte – Malfoy war und blieb ein Arsch, und daran konnten anscheinend weder die schwere Misshandlung noch die Jahre, in denen sie sich nicht gesehen hatten, etwas ändern. Das typisch passive Verhalten von Misshandlungsopfern fehlte völlig, und stattdessen strotzte der Blonde wie eh und je vor Gift und Galle. Harry beschloss, jeden besorgten Gedanken weit von sich zu schieben, auch wenn er genau wusste, dass er sich nicht irrte. Er würde seine Hilfe bestimmt nicht aufdrängen, und vor allem nicht einem undankbaren Idioten wie Malfoy.

„Halt still", befahl er dann steif und wich den undurchdringlichen Augen seines Gegenübers aus, bis der Bruch gerichtet war. Dann stand er auf und ging auf die Tür zu, immer noch, ohne den Blonden eines weiteren Blickes zu würdigen. „Du bist wieder gesund", teilte er dem Slytherin mit, während er schon die Türklinke herunter drückte, „sieh zu, dass das so bleibt."

Ein trockenes Schnauben war die einzige Antwort, die er bekam.

XXX

Als er seine Behandlung in Malfoys Akte eintrug, erkannte er den Grund für diese ironische Geste – Malfoy war in den vergangenen 3 Monaten insgesamt 23 Mal im Mungos aufgetaucht, jedes Mal während der Nachtschicht, und jedes Mal mit Verletzungen, die eindeutig auf äußere Gewalteinwirkungen hindeuteten. Die schwerste Wunde bisher war eine Rippenserienfraktur gewesen, bei der einzelne Knochenfragmente sich bis in den Darm gebohrt hatten, der daraufhin aufgerissen war und zu einer handfesten Blutvergiftung geführt hatte. Nur durch pures Glück und einen scheinbar endlosen Überlebenswillen war der Slytherin dem Tod von der Schippe gesprungen und noch am darauffolgenden Morgen war er wieder verschwunden, nur um dann einige Tage später mit einer Jochbeinfraktur aufzulaufen.

Harry überlief beim Durchblättern der Akte ein Schauer, und seine Hand zitterte leicht, während er die neuesten Knochenbrüche der langen Liste hinzufügte. Es war eindeutig – Malfoy wurde misshandelt.

Und er ertrug es mit der Stoik eines Muli, anstatt das für ihn typische zu tun und den Verursacher sofort zur Verantwortung zu ziehen.

Er schützte ihn, wer auch immer das sein mochte, und Harry fragte sich dumpf, warum das so war.

XXX

Nach 3 Wochen hatte er den Zwischenfall fast vergessen und versuchte gerade, in seiner Nachtschicht ein wenig Schlaf zu finden, als eine Krankenschwester herein geeilt kam und ihn sanft an der Schulter schüttelte. „Wir haben einen Notfall, Heiler Potter."

Er nickte schlaftrunken und taumelte hinter ihr her, war aber sofort hellwach, als er das unverkennbare Silberblond Malfoys auf der Trage erkannte.

Der Slytherin war bewusstlos, was auch nicht verwunderlich war.

Sein Hemd klebte blutstrotzend an seinem Körper und er war leichenblass, woraufhin Harry zunächst panisch seinen Puls fühlte. Er schlug noch, wenn auch schwach und alles andere als regelmäßig.

Harry fluchte unterdrückt und riss das bluttriefende Hemd weg, woraufhin sich ihm ein schockierender Anblick bot – direkt über dem Herzen des Blonden war durch irgendeinen spitzen Gegenstand das Wort „NEIN" eingeschnitten worden, und obwohl die Verletzung oberflächlich war, blutete sie immer noch wie ein kleiner Springbrunnen vor sich hin. Ein dunkler Zauber, soviel war eindeutig. Was jedoch verwunderlich war, war die sonstige Unversehrtheit Malfoys.

Für gewöhnlich besaßen Opfer dunkler Flüche weitaus mehr Wunden als nur eine einzelne, da sie sich für gewöhnlich heftig gegen die ihnen auferlegte schwarze Magie wehrten und somit das Ausmaß meist noch verschlimmerten. Es war ein natürlicher Reflex, ausgelöst durch die Schmerzen, die mit jedem dunklen Zauber einherging.

Malfoy jedoch hatte sich nicht gewehrt, war unbewegt geblieben, während der Fluch ihn traf. Ein weiteres Indiz darauf, dass er seinen Peiniger kannte.

Harry fluchte wieder und machte sich dann daran, den Blutfluss zu stoppen, während er der Schwester nebenbei auftrug, einige Blutkonserven zu besorgen und sie dem Blonden schon mal zu verabreichen. Sie eilte sofort los und kehrte bald darauf zurück, und Harry dachte sarkastisch, dass sie dank der zahlreichen vorherigen Aufenthalte des Slytherin immerhin schon seine Blutgruppe kannten und so ein Transfusionsunfall unwahrscheinlich wurde.

Nach einigen anstrengenden Minuten schlossen sich die Buchstaben, blieben allerdings als Narben zurück. Harry wusste nicht, ob sie je wieder ganz verschwinden würden und fragte sich, ob das dem Blonden wohl etwas ausmachte. Ohne darüber nachzudenken streckte er seine blutbesudelten Finger aus und zeichnete sacht das Wort nach.

Eine Hand griff nach seinem Handgelenk, und als er aufsah, begegnete er dem überraschend wachen Blick Malfoys. „Potter", begrüßte er ihn unenthusiastisch, „du schon wieder."

Harry lächelte schief, nicht in der Stimmung für eines ihrer 'Ich-hasse-dich-du-hasst-mich'-Spielchen. „Ich arbeite hier."

„Scheißjob", kommentierte der Blonde trocken, woraufhin Harry bloß mit den Schultern zuckte.

„Ziemlich hässliche Verletzung hast du da", erwiderte er dann, und Dracos Blick wurde um einiges kühler. Die Temperatur im Raum schien um ein paar Grade zu fallen.

„Deswegen bin ich ja auch im Krankenhaus", antwortete er lakonisch, drehte sich dann auf die Seite und versuchte, aufzustehen. Ein Schwindelanfall warf ihn jedoch wieder zurück, woraufhin Harry ihm kurz die Hand auf die Schulter legte.

„Du bist nicht der Typ, der sich so etwas gefallen lässt, Malfoy", sagte er eindringlich, „du musst da weg, wo auch immer du bist."

Der Slytherin schüttelte seine Hand ab und setzte sich wieder auf, und dieses Mal glückte der Versuch. Ohne mit der Wimper zu zucken zog er sein von getrocknetem Blut rot gefärbtes Hemd wieder an. „Du hast nicht den blassesten Schimmer, wovon du sprichst", gab er zurück, stand auf und verschwand mit schwankenden Schritten aus dem Raum, fast so, als wäre es Harry, vor dem er Angst haben müsste.

XXX

Von da an sah Harry jedes Mal in die Akte Malfoys, wenn er morgens zur Arbeit kam, und sah mit Bestürzung die Liste der Verletzungen wachsen. Innerhalb der nächsten 3 Wochen kam er mit einer stark blutenden Platzwunde am Hinterkopf, mit einem völlig zertrümmerten rechten Handgelenk, einem Milzriss und einem so heftigen Schlag gegen das linke Auge, dass er dort fast erblindet wäre.

Jede Faser in Harry sträubte sich dagegen, von einem so schwer misshandelten Menschen zu wissen und ihm nicht zu helfen, und somit ließ er sich für soviele Nachtschichten einteilen, wie es nur irgend möglich war.

In seiner 2. Schicht traf er wieder auf Malfoy. Dieses Mal zierte eine Brandwunde seinen linken Unterarm, die aussah als wäre sie ihm mit einem heißen Eisen zugefügt worden. Es war abscheulich und musste höllische Schmerzen bereiten, aber der Blonde ertrug es weiterhin mit seiner inzwischen beunruhigenden Gelassenheit und wartete geduldig auf seinen Arzt. Als Harry schließlich im Türrahmen auftauchte, seufzte er.

„Potter. Hast du kein zu Hause?"

„Hast du keins?" gab Harry knapp zurück, warf dann einen Blick auf den Arm und biss sich auf die Lippen. Er fragte sich dumpf, wie man so etwas Schönes wie Malfoy nur so zurichten konnte und trat sich im gleichen Moment mental gegen den Kopf – hatte er Malfoy gerade im Geiste als schön betitelt?!

Der Blonde seufzte abermals und sah dann zur Seite. „Ich hab mich verbrannt. Bin wohl zu nah an meinen Kessel gekommen", sagte er ruhig, und Harry schüttelte bloß den Kopf. Die Ausrede war schlechter, als er es von dem gewieften Slytherin gedacht hätte, aber es war immerhin ein Hinweis darauf, dass der Malfoy-Erbe doch nicht völlig unberührt von dem blieb, was mit ihm geschah.

„Kessel, was? Man könnte fast meinen, du willst ins Krankenhaus. Stehst du etwa auf mich?"

Draco schnaubte bloß und hob ansatzweise einen Mundwinkel. „So gut aussehen, dass ich mir die Haut am Unterarm für dich wegkokele, kannst du wirklich nicht, Potty, selbst wenn du dir ein Kleid anziehst", erwiderte er spöttisch, und aus einem idiotischen Grund hätte Harry gerne gelacht, verbot es sich aber.

„Hmm, dann also nicht wegen mir. Was sonst? Stehst du auf die Schmerzen? Masochist oder wie? Ich kann dir einen Psychiater empfehlen", bohrte er weiter. Draco lupfte eine Augenbraue.

„Mein Hirn ist in Ordnung, und selbst wenn nicht, würde ich nie eine Empfehlung deinerseits wahrnehmen. Ich bin kein Masochist, wenn du dir also eine wilde Bondage-Phantasie von mir ausgedacht hast, dann schaff sie lieber wieder ab."

Harry zog seinerseits eine Augenbraue hoch. „Also nur über 30 Unfälle in knapp 4 Monaten? Für so tollpatschig hätte ich dich gar nicht gehalten."

Der Slytherin lächelte dünn. „Potter, ich weiß genau, was du tust. Du hälst dein kleines Psycho-Spiel vielleicht für ausgesprochen ausgebufft, aber ich bin cleverer als du. War es schon immer. Versuch also gar nicht erst, mich mit meinen Waffen zu schlagen." Er bewegte sich leicht und zuckte kaum wahrnehmbar zusammen, als sein Hemd über die Brandwunde strich. „Wir beide wissen, was hier los ist. Es sind keine Unfälle. Aber so ist mein Leben nun mal – kümmer dich nicht darum sondern heil mich einfach. Kriegst du das hin, oder soll ich einen Kollegen rufen?"

Harry sparte sich den Kommentar, dass kein anderer Heiler im Haus war, und machte sich an die Arbeit. Die Verbrennung war nicht so schlimm, wie er gedacht hatte – anscheinend war die Wunde recht bald gekühlt worden und hatte so dafür gesorgt, dass dem Körper nicht zuviel Feuchtigkeit entzogen wurde. Noch dazu war ein Desinfektionszauber angewendet worden, der ein Eindringen von Bakterien verhindert hatte.

Recht gute Arbeit für jemanden, der keinerlei medizinische Ausbildung hatte, und Harry fragte sich unwillkürlich, wie oft Draco schon Brandverletzungen selbst behandelt hatte. Er konnte zumindest auf dem Arm, der ihm hingehalten wurde, keinerlei Narben entdecken, aber das musste ja nichts bedeuten.

Er seufzte, während er eine Salbe auftrug und dann ein paar Zauber murmelte, die die Wundheilung beschleunigen würden, ehe er einen Verband herbeizauberte und die Verbrennung fachmännisch verband. „Weißt du Malfoy, ich hätte dich nie für jemanden gehalten, der so etwas einfach hinnimmt."

Der Blonde warf ihm einen seltsamen Blick zu. „Bin ich nicht."

XXX

Die nächsten Wochen geschah nichts. Er hatte sich aus Gründen, die er sich selbst lieber nicht erklären wollte, für so viele Nachtschichten eintragen lassen wie es möglich war und kam sich schon vor wie ein Vampir, da er kaum jemals etwas Sonnenlicht sah, aber er sah Malfoy nicht wieder. Harry hätte zu gerne gewusst, ob er sich aus der ungesunden Beziehung befreit hatte, die für ihn so schwerwiegende Folgen hatte.

Dann allerdings sah er den Slytherin wieder, und seinem Zustand nach zu urteilen ging es ihm keinen Deut besser. Eher schlechter, um ehrlich zu sein.

Eines seiner Augen war komplett zugeschwollen und verkrustetes Blut klebte seine Haarsträhnen zusammen und färbte es in einem dreckigen Braunrot, das seltsam mit seinem hellen Teint kontrastierte. Seine Unterlippe war grotesk angeschwollenen und aufgeplatzt, noch dazu stand sein rechter Unterarm in einem überaus makaberen Winkel nach oben ab, und von irgendeiner Wunde an seinem Bein floss ein kleiner steter Blutstrom in seinen Schuh, der anscheinend mal größer gewesen war, wenn man nach der Lache ging, die sich zu seinen Füßen gebildet hatte.

Der Blonde saß in einer leicht fetalen Schonhaltung in einem der Behandlungsräume und starrte blicklos aus dem Fenster, und Harry sah ihn durch Zufall, als er auf seinem Weg nach draußen war.

Sein Fuß, zum nächsten Schritt erhoben, blieb in der Luft hängen und sein Unterkiefer fiel herab, ehe er sich seiner ärztlichen Tätigkeit besann und ins Zimmer stürzte. „Malfoy! Merlin, wie siehst du denn aus?! Wieso hat mich niemand gerufen?! Verdammte Scheiße, wie lange sitzt du denn bloß schon hier?! Weiß denn niemand in diesem blöden Krankenhaus, das Brüche weitaus schlechter heilen, je länger man sie unbehandelt lässt? Ich muss sofort..."

Malfoy drehte ihm mit einem genervten Ausdruck, den Harry ziemlich unpassend fand, den Kopf zu und zog seinen Arm weg, als dieser danach greifen wollte. „Potter", sagte er in einem Ton, der Harry sofort verstummen ließ, „du gehst jetzt nach Hause."

Harry blinzelte ein paar Mal, ehe er richtig verstand, was der Andere gerade gesagt hatte. „Was?! Das hier muss..."

„Potter", unterbrach ihn der Slytherin wieder, diesmal noch eindringlicher, „du gehst jetzt."

Sein eines offenes Auge bohrte sich in Harrys, und der Gryffindor schluckte geschlagen. „Ich werde Jefferson sagen, dass du Hilfe brauchst."

Der Blonde lächelte müde und sah wieder zum Fenster. „Spar dir die Mühe. Das tun die Schwestern schon."

Harry runzelte die Stirn und drehte sich um, als die ungeheuerliche Bedeutung dieses Satzes auf ihn niederkrachte. Er warf dem Slytherin einen überraschten Blick zu, der ihn jedoch weiter geflissentlich ignorierte, und marschierte dann aus dem Zimmer. Eine Schwester kam ihm entgegen und lächelte ihm freundlich zu. „Na, endlich frei, Harry? Mach dir einen schönen Tag. Schlaf dich aus."

Er knurrte sie wütend an, packte sie am Oberarm und zog sie trotz ihrer Proteste und verwirrten Blicke in die nächste ruhige Ecke.

„Wieso hat mich niemand darüber informiert, dass Malfoy hier rumsitzt und ganz offensichtlich die Behandlung eines Heilers braucht? Seid ihr alle komplett verblödet oder was?!" fauchte er böse, und ihre Augen weiteten sich erstaunt, ehe sie sich zu schmalen, zornigen Schlitzen zusammenzogen.

„Wie redest du eigentlich mit mir?!" zischte sie zurück und entzog ihm mit einem kräftigen Ruck ihren Arm, „wenn du es genau wissen willst: Er hat ausdrücklich angeordnet, dass er nicht von dir behandelt werden will. Er hat sogar gesagt, dass er nicht mal will, dass du von seiner Anwesenheit erfährst. Allmählich verstehe ich auch, warum."

Harry überging ihren bissigen Kommentar und verschränkte die Arme. „Er hat was?"

„Tja, Wunderheiler Potter", erwiderte sie ironisch, „anscheinend hast du den Mann nicht von dir überzeugen können. Er hat bei jedem seiner Besuche das Gleiche gefordert, egal, wie schlimm seine Verletzungen waren – er wollte lieber gar keine Behandlung bekommen, ehe er wieder dich sehen muss. Jedes Mal hat er bis zum Morgen gewartet und sich von dem Nächsten heilen lassen."

So ungefähr musste es sich wohl anfühlen, wenn man aus größter Höhe in die Tiefe fallen gelassen wird. Ihm schwand der Boden unter den Füßen und er stützte sich kurz an der Wand ab. „Und das hat mir keiner gesagt?" krächzte er leise und starrte seine Hand an, die heftig zitterte.

„Was sollten wir dir denn sagen? 'Harry, da ist ein Schwerstverletzter, aber er will lieber warten und womöglich sterben, bevor er dich in seine Nähe lässt?'" entgegnete sie brutal und schob sich dann an ihm vorbei. „Klär das mit ihm, bevor du uns deswegen anfauchst."

Er schluckte, während sie ihren Gang fortsetzte, und ließ sich dann an der Wand entlang zu Boden rutschen. Ihre Worten klangen immer noch in seinem Kopf nach: „...er will lieber warten und womöglich sterben, bevor er dich in seine Nähe lässt..."

XXX

Es war wohl mit das Dämlichste, was er je in seinem Leben getan hatte – und er hatte weiß Gott schon so einige doofe Sachen hinter sich gebracht – aber er wusste sich keinen anderen Weg.

In der Notaufnahme des St Mungos gab es für alle Patienten nur ein einziges, großes Wartezimmer, soviel wusste er. Und wenn Malfoy sich nicht von ihm behandeln lassen wollte, würde er wohl oder übel dort warten müssen, bis die Nacht vorbei war.

Also brachte Harry eine kleine Wanze an, die einzig und allein auf die magische Signatur Draco Malfoys im Wartezimmer reagieren würde; wartete, bis diese nach 12 ereignislosen Nächten losfiepte; marschierte in sein Büro und brach sich dann selbst den Arm.

Er hatte es in Gedanken recht oft durchexerziert – er würde seinen Arm in einer der Schranktüren einklemmen, die Zähne fest zusammenbeißen und dann in einem einzigen kraftvoll-energischen Schwung seines Körpers den Oberarm durchknacken wie sprödes Holz. Ganz einfach.

In Realität war das Ganze weitaus schwieriger, und vor allem tat es um einiges mehr weh. Für einen kurzen Augenblick wurde ihm schwarz vor Augen, und obwohl er sich schon damals im zweiten Jahr den Arm beim Quidditch gebrochen hatte, so bestand doch ein Riesenunterschied zwischem dem damaligen Schmerz und dem jetzigen.

Zum einen war der frühere Bruch schon so lange her, dass sich die Erinnerung an die Schmerzen im Laufe der Zeit ziemlich verwischt hatte, und zum Anderen war es kaum zu vergleichen, sich einen Knochen zu brechen, wenn es unerwartet geschah und man mit dem süßen Adrenalin des Sieges vollgepumpt war, oder ob man sich diesen Bruch selbst im vollen Bewusstsein dessen zufügte.

Wie auch immer, es tat weh. Nur mit Mühe konnte er seinen Arm aus dem Schrank ziehen, vermied tunlichst seinen Kopf auch nur in Richtung seiner Verletzung zu drehen und ging wieder aus dem Zimmer, direkt zu seiner Nachtschwester, die ihn mit offenem Mund anstarrte. „Harry, was zum Donner..."

„Ich habe mir den Arm gebrochen, Helen", erklärte er knapp und ignorierte den kurzen Gewissenbiss in Anbetracht der noch eintreffenden Patienten, die ohne funktionstüchtigen Heiler da stehen würden, „ich schätze, ich muss warten, bis Carl kommt, und mir hilft."

Sie nickte benommen, und er ging zielstrebig an ihr vorbei ins Wartezimmer. Dort saß, wie nicht anders zu erwarten, Draco Malfoy.

Sein Handgelenk wies einen tiefen Schnitt auf, aus dem noch immer Blut sickerte, dass seine Hand einem blutigen Handschuh gleich gemacht hatte. Seine Hose strotzte nur so vor Brandflecken, die den Stoff weggefetzt hatten, und er hatte ganz offensichtlich eine gebrochene Nase, die sein Aussehen seltsam verzerrte. Erst jetzt, wo sie nicht mehr so perfekt war, fiel Harry die Schönheit des Blonden auf.

Malfoy drehte ihm den Kopf zu, stutzte dann, und für einen kurzen Augenblick flackerte Panik in seinen Augen auf, bevor er wieder sein unbewegtes Gesicht aufgesetzt hatte.

„Dein Arm ist gebrochen."

Harry grinste ansatzweise. „Ich weiß. Tat mehr weh, als ich dachte."

Der Slytherin legte leicht den Kopf schief. „Hast du dir etwa absichtlich den Arm gebrochen?!"

„Es klingt laut ausgesprochen viel überstürzter und unüberlegter, als es war", meinte er rechtfertigend, und Malfoy schüttelte bloß spöttelnd den Kopf.

„Wenn es in deinem Kopf überaus logisch klang, Potter, hast du größere Probleme als ich dachte", erwiderte er trocken, und Harry zuckte bloß mit den Schultern, was er jedoch sofort bereute, als ein brennender Schmerz durch seinen Arm schoss. Niemand sollte diesen Schmerz wert sein. Seltsamerweise hatte er aber das Gefühl, dass Malfoy es war, auch wenn er eigentlich zu dieser Annahme keinen Grund hatte.

„Immerhin werde ich mich von dem nächsten verfügbaren Heiler behandeln lassen und nicht dumm darauf warten, dass einer kommt, dessen Gesicht mir mehr passt", sagte er scharf. Der Blonde schnaubte leise, anscheinend nicht im mindesten davon beeindruckt, dass Harry von seinen Wünschen gehört hatte.

„Du hälst es also für dumm, dass ich nicht sonderlich viel auf einen Heiler gebe, der sich aus mir unerfindlichen Gründen selbst den Arm bricht? Nun, ich glaube, du hast nicht laut genug „Hier!" geschrien, als die Logik verteilt wurde."

Harry ließ sich von dem Spott nicht aus der Ruhe bringen und ließ sich dem Slytherin gegenüber nieder. „Du weißt genauso gut wie ich, dass das nichts mit meinen Fähigkeiten als Heiler zu tun hat", entgegnete er ruhig, „du wolltest mich nicht, weil ich dein Handeln in Frage stelle."

Das Silber in Dracos Augen verdunkelte sich. „Ich wollte dich nicht", verbesserte er bissig, „weil ich genug Potter in meinem Leben hatte, als es für irgendeinen Slytherin gesund sein kann."

Harry fühlte sich merkwürdig getroffen und lehnte sich etwas in seinem Stuhl zurück. „Was soll das denn bitte heißen?"

Der Blonde fuhr sich mit der Hand durch sein Haar, ungeachtet der Tatsache, dass er so das Blut in seinen hellen Haaren noch weiter verteilte. Er sah mehr denn je aus wie ein gefallener Engel. „Du und dein unendlicher Helferkomplex", sagte er dann, „ist dir vielleicht je in den Sinn gekommen, dass ich nicht grundlos so aussehe? Dass ich das vielleicht sogar verdiene? Mordred, Potter, du wolltest mich doch selber oft genug zu Brei schlagen – was stört es dich so, wenn jemand anderes das tut?"

Darüber hatte er nicht einmal nachgedacht, und diese Erkenntnis war fast noch überraschender als Malfoys Frage. Er kam sich fast ertappt vor, als hätte er etwas Verbotenes getan. „Niemand verdient das", gab er schließlich zurück, „und außerdem waren wir damals Kinder. Wir haben uns verändert."

„Ach, wirklich?" fragte Draco zweifelnd und zupfte leicht an seinem Hemdärmel, sodass ein Teil des Dunklen Mals sichtbar wurde, „es gibt genug, die dir da widersprechen würden."

„Sie irren sich", sagte er fest und widerstand dem Drang, nach Dracos Hand zu greifen, was einerseits an seinem eigenen lädierten Arm sowie dem blutigen Zustand der Hand des Blonden lag und andererseits daran, dass er selbst nicht wusste, wieso er das eigentlich tun wollte, „der Malfoy, den ich kenne, hätte ganz anders reagiert."

„Der Malfoy, den du kanntest", korrigierte Malfoy ungerührt, „oder zu kennen glaubtest." Er seufzte. „Was willst du von mir, Potter? Du hast keine Ahnung, was in meinem Leben los ist. Ich..."

„Ich will, dass du keinen Grund mehr hast, dauernd hier zu sein", sagte Harry fest, und Draco schnaubte bloß.

„Potter", sagte er dann und klang unendlich müde, „lass es einfach. Gib auf. Du kannst nicht gewinnen."

Damit schloss er die Augen und ignorierte jeden weiteren Versuch Harrys, wieder mit ihm ins Gespräch zu kommen.

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So, das hier ist auf dem Weg zu einem Two-Shot. Teil 2 ist in Arbeit, aber ich dachte mir, ich nutze die Gunst der Stunde (bzw der Internetverbindung) und lade schonmal Teil 1 hoch. Und da ist er auch schon, täterätä.