Meine unautorisierte Fortsetzung, angeregt von Dairyûs wunderbarer Geschichte Ich mag Elben. Ich setzte mich hier dem doppelten Zorn der Meisterin aus, indem ich nicht nur den blonden Elb entkommen lasse, sondern –
wehe mir! – Gerichte wie "geräucherte Nazgûlzungen" erfinde.

Mag ich Elben? (Hommage à Dairyû)

Nicht lange danach begannen sich überaus appetitliche Düfte aus den Fenstern des Küchengeschosses von Barad-dûr auszubreiten und stiegen hinauf in den Thronsaal, wo Sauron sich vergebens bemühte, seine wachsende Ungeduld – sein einziges Laster – zu bezähmen.

Schließlich öffneten sich die Türen und vier leicht keuchende Leibdienerorks servierten das Gericht, das im Eilschritt aus dem zweiten Stock über die Wendeltreppen zur Turmspitze transportiert worden war. Sechsmal waren dabei die Träger ausgewechselt worden. Barad-dûr war eben ein Kompromiß zwischen Tradition und Fortschritt und an Annehmlichkeiten, die den Dienern oder Gästen zugute gekommen wären (wie etwa Aufzüge), hatte der Dunkle Herrscher bei der Konstruktion nicht viele Gedanken verschwendet.

Mit gebieterischer Geste entließ Sauron die Domestiken und nahm an der Tafel Platz. Das Elben-Spezialbesteck lag bereit. Der erste Schnitt mit der schwarzen Morgulklinge erwies den Elben als zart und saftig, doch der köstliche Duft, der sich nun aus dem angeschnittenen Stück Lende verbreitete, ließ Sauron innehalten. Mit geschlossenen Augen gab er sich verzückt dem olfaktorischen Genuß hin und entschied, daß diese Delikatesse eine weitere Krönung verdient habe.

Kraft seines Willens ließ er den Palantír von seinem Platz in einer Nische des Saales zur Speisetafel rücken und konzentrierte seine Gedanken auf einen seiner Widersacher. Schon bald darauf erklang eine dumpfe Stimme: "Herr, Herr! Schaut nur, Herr! Die Kugel fängt schon wieder an zu leuchten!" Das war Grîma, wie Sauron wohl wußte, und nun kam auch Saruman zum Palantír, Saruman, der gebratenen Elb ebenso zu schätzen wußte wie der Dunkle Herrscher, der diesen Genuß aber schon lange hatte entbehren müssen. Mit vollem Einsatz seiner Kräfte sandte Sauron den Bratenduft durch den Palantír und ließ ihn Saruman um die Nase wehen. Ganz genau konnte er verfolgen, wie die Nase des alten Zauberers zuckte und sich sein Gesicht in eine Oase des Entzückens verwandelte, nur um gleich darauf zu einer Maske bitterer Enttäuschung zu versteinern. Mit großer Mühe hielt der Istar nun seine Gesichtszüge unter Beherrschung, doch Sauron hatte genug gesehen und Sarumans Frustration konnte er über all die Länder hinweg, die zwischen Orthanc und Barad-dûr lagen, deutlich spüren. Daß Saruman dies wußte, bereitete dem Herrn der Dunklen Heerscharen zusätzliches Vergnügen.

Hochzufrieden machte er sich daran, den Blonden zu zerlegen und begann, zu essen. Sein Küchenmeister wußte genau, worauf es bei der Elbenschlachtung ankam. Er war ein Meister seines Fachs, von Sauron persönlich angelernt. Elben mußten langsam auf ihr Schicksal zugeführt werden und genau erkennen, was ihnen bevorstand. Nur so konnte sich das köstliche Adrenalin in den Körper ergießen, das dem Fleisch diese ganz besondere Note verlieh, die der Dunkle Herrscher so überaus schätzte.

KNIRSCH!

Mit einem schabenden Geräusch waren Saurons gut ausgebildete Schneidezähne über ein metallisches Artefakt geglitten, das nicht zu dem Blondelben gehören konnte.

Mit einem Anflug von Ekel zog er das Objekt aus seinem Mund und betrachte es. Ein Stück von einem eisernen Armschutz, wie ihn Orks gerne zu tragen pflegten.

Orks.

Orks … ?

ORKS!

Er stieß die Tafel von sich und erhob sich. "WACHE!" donnerte er und ließ die Türen des Saals aufspringen. Eine Anzahl von Garde-Orks purzelte übereinander in dem Bemühen, so schnell wie möglich vor dem Thron Aufstellung zu nehmen.

"Bringt mir den Küchenmeister! Sofort!"

Während die Gardisten ausschwärmten, nahm Sauron noch einmal die Mahlzeit in Augenschein.

Der Duft war noch immer betörend. Aber das Metallstück, das neben dem Teller lag, irritierte ihn zutiefst. Und dann … War das Fleisch nicht ein wenig zu dunkel für Blondelb? Er hatte die braune Farbe der knusprigen Haut für gut durchgebratenen Elb gehalten, aber …

Wie würde wohl gut durchgebratener Ork aussehen?

Sauron erstarrte. Hatte man ihn betrogen? Im eigenen Hause?

Wo blieb der Küchenmeister? Ach, mußte man in diesem Turm denn alles selber machen? Wie ein Sturmwind über Gorgoroth begab er sich ins Küchengeschoß, wo alle Orks vor dem schwarzen Schatten seines Zorns zurückwichen.

"Der Küchenmeister ist nirgends zu finden, Gebieter!" erstattete der ranghöchste Garde-Ork zitternd Bericht, einen unbefriedigenden Bericht, der ihn unter normalen Umständen das Leben gekostet hätte, doch Saurons Wut war zu zielgerichtet, um sich mit Kollateralbestrafungen abzugeben. Sein Sinnen und Trachten war allein auf die Klärung dieses Falles gerichtet.

"Durchsucht die Abfalleimer!" fauchte er. In kurzer Zeit wurden seine Myrmidonen fündig. Der Kopf und einige andere ungenießbare Körperteile des Küchenmeisters tauchten in der Mülltonne neben dem Fenster auf, zusammen mit den übrigen Teilen des Armschutzes. Eine kurze Befragung ergab, daß die Mahlzeit wie üblich vom Küchenmeister persönlich und allein zubereitet und als sie fertig war über eine Durchreiche in den Hauptküchenraum geschoben worden war. Der Meister selbst war dabei nicht in Erscheinung getreten.

Mißmutig betrachtete Sauron vom Küchenfenster aus die schwarze Wand von Barad-dûr. So glatt sie aus der Entfernung aussah, gab es doch genügend Ritzen, Vorsprünge und Simse, die einem geübten Kletterer Halt boten. Elben waren gute Kletterer, sagte man. Auf diese Weise mußte dem Blonden die Flucht gelungen sein. Welche Torheit! Man würde ihn in kurzer Zeit wieder einfangen.

Aber wie um alles in Arda war es dem Elben gelungen, den Ork so delikat zuzubereiten, daß selbst er, der Dunkle Herrscher, der größte Gourmet von Mordor (und wahrscheinlich von ganz Mittelerde), ihn für Elb gehalten hatte? Ob Elben zu besonderen Anlässen gelegentlich Orks – – –? Hmm. Hinter dieser wahrhaft großen Cuisine mußte jedenfalls eine lange Tradition stehen, das war klar.

Hier müssen wir eine kleine Abschweifung machen, um Saurons Erstaunen verstehen zu können. In Mordor, wo die spärliche Vegetation nicht viel zur Ernährung beitragen konnte, war tierische Nahrung stets von höchster Bedeutung gewesen. Sauron selbst hatte mit großem Erfindungsreichtum die Entwicklung geeigneter Köstlichkeiten vorangetrieben. (Die Köstlichkeiten, wohlgemerkt, blieben ihm und den höheren Chargen vorbehalten, die Orks bekamen bestenfalls die Reste.) Was hatten er und sein Untergebener, Saurons Mund, für Spaß dabei gehabt, Gerichte zu kreieren – der getreue Mund, der seinen Namen nicht nur trug, weil er Sauron oral zu Diensten war, sondern auch, weil er als Vorkoster für Experimentalgerichte diente. Sie hatten Mordor unübersehbar auf der kulinarischen Landkarte von Mittelerde verewigt. Kompositionen wie "Carpacchio vom ungeborenen Wargwelpen" legten von ihrem Genius ebenso Zeugnis ab wie "Geräucherte Nazgûlzunge", ein ungemein seltener Leckerbissen, der bisher nur neunmal serviert worden war und für den kein weiterer Nachschub in Aussicht stand. Niemand jedoch – Sauron eingeschlossen – hatte es bisher vermocht, Ork in irgendeiner Form halbwegs genießbar zuzubereiten. Dieser kulinarische Durchbruch war unschätzbar.

"Bringt mir den Elb! Und keiner rühre ihn an! Ich muß ihn lebend haben!" Mit diesem Befehl wurden die Nazgûl ausgeschickt und die Orkhorden losgelassen. Sie würden ihn sicher finden. Er konnte noch nicht weit gekommen sein; vielleicht würde er sogar wieder einen Nazgûl nach dem Weg fragen.

Mit Zuversicht blickte Sauron in die Zukunft. Ein Koch, der ihm Tag für Tag köstlichen 'Ork à la Elb' zubereiten würde, um nicht selber als Braten zu enden. Hach. Die Küchenfenster würden natürlich vergittert werden müssen.

Er ließ den Ex-Küchenmeister aufwärmen, um die Mahlzeit zu beenden, und zur Feier des Tages einen der besten Mordorweine servieren. Der Château Udûn 2916 mit der dezenten Schwefelnote und dem feinen Aschearoma hatte ihm noch nie so wunderbar gemundet wie in dieser Kombination.