„Sind sie der Kerl vom Center?"
Der blonde Mann nickte. Er war hochgewachsen, von schmächtiger Statur und trug eine Brille. Das zynische Lächeln das um seine Lippen spielte wollte nicht wirklich zu seinem weichen Gesicht passen, doch der Wachmann ließ sich von solchen Kleinigkeiten nicht irritierten.
Sein Schnauzbart bebte als er nach Luft schnappte und den Gang hinunter zeigte.
„Dann kommen sie mal mit!"
Das Licht der Neonröhren an der Decke spiegelte sich in der Glatze des Wachmanns und kopfschüttelnd wandte der Blonde den Blick ab.
Die Wände hier waren weiß. Der Boden war weiß. Die Türen waren weiß. Fenster gab es, wie er zu seiner Verwunderung feststellte, keine.
„Warum genau sind sie nochmal hier?", brummte der Wachmann während er schwerfällig eine Registrierungskarte aus seiner Brusttasche zog und in einen Kartenleser steckte. Eine der Türen am Ende des Ganges öffnete sich und weiterhumpelnd wartete er auf Antwort. Der blonde Mann ließ sich Zeit und sah sich aufmerksam um. In manchen Türen waren kleine Sichtfenster eingelassen und hinter dem ein oder anderen erkannte man ein düsteres Gesicht.
„Das Center hat Interesse an ihrem neuesten Insassen. Chester Finnley."
Der Wachmann warf einen Blick über die Schulter und irritiert bemerkte der Neuankömmling die Angst in dessen Augen.
„Nicht mehr ganz dicht, sag ich ihnen. Ich mein … Wir haben viele hoffnungslose Fälle hier, aber der…"
Der Blonde nickte leicht. Er hatte die Akte mit den Informationen zu seinem neuesten Schützling noch nicht bekommen, lediglich die Anweisung eine möglichst detaillierte Erstdiagnose zu stellen. Das Center schien in diesem Jungen einiges an Potenzial zu erkennen und wollte ihn möglichst halten. Seufzend strich er sich ein paar der blonden Strähnen aus dem Gesicht und schob seine Brille ein wenig weiter nach oben.
„Wissen sie was er getan hat?", fragte er leise und heftete den Blick auf den Hinterkopf des Wachmanns. Das Klacken seiner Schuhe klang in dem leeren Gang extrem laut und mit einem unguten Gefühl musterte er das Schild neben der Tür, auf die sie gerade zusteuerten.
‚Zutritt nur für autorisiertes Personal.'
Der Wachmann ignorierte seine Frage und drehte sich mit ernster Miene um.
„Tragen sie Waffen, scharfkantige Dinge, Stifte oder dergleichen bei sich?"
Er nickte und zog seinen Kuli aus der Tasche.
Der Wachmann schnaufte und nickte dann.
„Sollte wohl ihn Ordnung gehen."
Missmutig kramte er einen Schlüssel aus seiner Hosentasche und steckte ihn in eine Buchse, die neben der Türe angebracht war. Eine Vorrichtung schob sich beiseite und gab die Sicht auf eine Schalttafel frei. Mit einem Blick zu dem Neuankömmling, der freundlicherweise den Blick abwendete, tippte er den zuständigen Code ein und mit einem Quietschen schoben sich die Riegel, die die Türe sicherten, zurück. Der Wachmann schluckte, entsicherte die noch im Halfter steckende Pistole und öffnete die Türe.
„Wenn man sie anweist zu schweigen, schweigen sie. Wenn die Sitzung abgebrochen wird, verlassen sie ohne Widerworte den Raum. Sollte es Schwierigkeiten geben, halten sie sich zurück, sie werden von insgesamt vier Wachmännern geschützt."
Ein Schauer rann über den Rücken des Blonden, ehe er nickte. Ein Härtefall wie es schien.
Der Raum den sie betraten hatte die Größe einer zu groß geratenen Abstellkammer, doch statt Eimern und Besen befanden sich in diesem Raum ein Telefon und zwei Stühle vor einer verglasten Wand. Der Nebenraum sah aus wie ein typisches Verhörzimmer, dass der Blonde aus schlechten CIA-Serien kannte. Grotesk.
Der Glatzkopf schloss die Türe und verriegelte sie mit dem erneuten Eintippen des Codes.
„Sie können hineingehen."
Er nickte zu einer Türe die in den Verhörraum führte und nochmal tief durchatmend, ging der Blonde auf sie zu. Mit zitternden Händen öffnete er die Türe und trat ein. In Empfang genommen wurde er von zwei schwer bewaffneten Wachmännern die ihn mit einem leichten Kopfrucken zu einem der Stühle schickten. Aus der braunen Aktentasche, die er bei sich trug, holte er ein Klemmbrett und seinen Kuli. Nervös sah er zur Uhr, die in sicherer Höhe angebracht war. Nur noch einen Augenblick…
Ein Blick zur vermeintlich durchsichtigen Glaswand bestätigte ihm das CIA-Feeling. Aus dem riesigen Spiegel blickte ihm sein eigenes, leicht bleiches Gesicht entgegen.
„Hat man sie bereits mit den Regeln vertraut gemacht?"
Die braunen Augen des Blonden ruckten zum Wachmann, der gesprochen hatte. Im Gegensatz zu dem Kerl der jetzt hinterm Spiegel saß, sah er schon eher aus wie jemand von der Security.
„Ich…denke schon."
„Gut. Dann halten sie sich daran. Sie bringen ihn jetzt rein."
Einen Moment herrschte Stille, doch dann hörte man leise Schritte hinter der Tür, die von der anderen Seite in das Verhörzimmer führte. Sie öffnete sich und in einem orangenen Gefängnisoverall trat ein junger Mann mit silbernen Haaren, an jeder Seite einen breitschultrigen Wachmann, ein. Der Blonde schnappte nach Luft, überrascht feststellend, dass er den Atem angehalten hatte.
Sein Gegenüber sah aus wie neunzehn. Maximal.
„Setz dich!", herrschte einer der begleitenden Wachmänner, drückte den Häftling auf den anderen Stuhl und überprüfte die Eisenschellen um dessen Hand- und Fußgelenke. Er nickte seinem Kollegen zu und dieser ging etwas auf Abstand.
„Sie können anfangen."
Der Blonde nickte und nahm die Akte entgegen, die einer der Wachmänner ihm entgegenstreckte.
Einen Blick zu dem jungen Mann werfend, der ihn mit kaltem Amüsement beobachtete, schlug er die Akte auf und begann zu überfliegen, was sein Gegenüber verbrochen hatte.
Die Augen des Blonden huschten in einem wahnsinnigen Tempo über die Dokumente. Anbei gelegt waren Zeugenaussagen, Bilder des Tatorts, der Leiche des jungen Mannes und Bilder der jungen Frau. Das Grinsen des Jungen wuchs unmerklich ein wenig mehr und mit einem leisen Seufzen schloss er die Augen. Der Blonde schloss die Akte, versuchte sich zu sammeln und nahm seinen Stift in die Hand. „Bist du dir bewusst, warum du hier bist?"
Für einen Moment herrschte Stille und der Blonde befürchtete keine Antwort zu bekommen, doch das abfällige Schnauben das plötzlich ertönte, ließ ihn stutzen.
„Wie unhöflich. Für gewöhnlich stellt man sich erst einmal vor."
Der Blonde zögerte einen Moment, doch dann nickte er.
„Natürlich. Mein Name ist Sam Hiller. Ich habe einen Doktor im Fachbereich Psychologie und wurde vom Center geschickt um deine Erstdiagnose zu machen."
Der junge Mann musterte ihn von oben bis unten.
„Sie sehen nicht aus wie ein Doktor. Schon gar nicht wie ein Psychologe."
Sams Augenbrauen ruckten in die Höhe, doch Chester sprach weiter.
„Sie sind zu zynisch. Lächeln kaum. Dazu kommt, dass sie rauchen. Hat ihnen niemand gesagt, dass das schädlich ist, oder kümmert das so ein intellektuelles Arschgesicht wie sie erst gar nicht?"
Chester lachte leise und ignorierte wie einer der Wachmänner seinen Schlagstock aus dem Gürtel nahm. Sam jedoch grinste leicht, anstatt sich zu ärgern und sah sein Gegenüber aufmerksam an.
„Du bist ein guter Beobachter, aber das gibt dir nicht das Recht mich zu beleidigen, Chester."
„Warum nennen sie mich so?"
Aufhorchend sah der Blonde von seinen Notizen auf.
„Wie soll ich dich sonst nennen, Chester? Ist dir Mr. Finnley lieber?"
„Warum nennen sie mich so?"
Sams Blick huschte erst zum Spiegel und dann zu den Wachmännern, die neben Chester postiert waren. Diese schienen genauso ratlos wie er.
„Weil du so heißt.", antwortete er schließlich trocken und vermerkte erneut etwas auf seinem Klemmbrett.
„Nein, tue ich nicht."
„Wie heißt du dann? Superman?", brummte er sarkastisch.
Chester knurrte leise und richtete sich in seinem Stuhl auf. Ein irres Funkeln trat in seine Augen, während er den Kopf schief legte.
„Mein Name ist Finn."
Im Kopf einige Symptome durchgehend, kritzelte Sam weiter auf seinem Klemmbrett. Sein Gegenüber wurde unruhig.
„Ich heiße Finn. Ich bin nicht wie er!"
Sam sah auf und schluckte leicht.
„Wie wer?"
„Chester."
„Und wo ist Chester?"
„Bei mir."
„Bist du dir bewusst warum du hier bist?"
„Ich habe dieser Schlampe die Lektion erteilt, die sie verdient hat!"
„Wollte Chester das?"
„Natürlich nicht.", schnaubte Finn und strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Er ist schwach. Viel zu schwach."
„Kann ich Chester kennen lernen?"
Einen Moment schien der junge Mann zu zögern, doch dann brach ein heiseres Lachen aus seiner Kehle.
„Da wünsche ich viel Spaß, Herr Doktor…!"
Als Finn plötzlich die Augen verdrehte und in sich zusammensackte, sprang Sam auf.
Epilepsie? Ein Anfall?
Doch binnen weniger Sekunden, schien sich sein Gegenüber gefangen zu haben. Noch immer zitterte er, doch dann durchbrach ein gellender Schrei dir Stille.
Eine Gänsehaut rauschte über Sam's Körper, als er sah wie der junge Mann vor ihm zusammenbrach.
„WAS HAST DU GETAN!"
Der Häftling bebte, krallte seine Hände in seine Haare und begann zu schluchzen.
Zur Wand zurückweichend, drückte Sam sein Klemmbrett an sich.