Inhalt: Wir schreiben das Jahr 1969 – die Flowerpower-Zeit neigt sich ihrem Ende entgegen und erwartet mit dem Woodstock-Festival noch einen ihrer Höhepunkte. William Darcy besucht etwas widerwillig seinen Freund Charles Bingley, der in San Francisco bei den Hippies ein neues Leben und eine neue Liebe gefunden hat – ein Lebensstil, mit dem sich der elitäre William so gar nicht anfreunden kann. Doch dann verliebt er sich gegen seinen Willen in eines der Blumenkinder…

An dieser Stelle geht mein besonderer Dank an meine „Vorleserin" Melody Joy, die mir eine ständige Motivation und Inspiration war und darüberhinaus ein wahrer Quell an gewisser Information ;-). Und ich danke Caro, die die ganze Geschichte mit einer harmlosen Bemerkung über ein Bild von Colin Firth überhaupt erst ausgelöst hat.

Peeeeeeeeeeace, Schwestern :-)))))

PS: Es gibt insgesamt 10 Kapitel plus einen Epilog. Und ja: Zimperliesenalarm!


Kapitel 1

If you're going to San Francisco – be sure to wear some flowers in your hair... +)

William Darcy hatte ein richtig schlechtes Gewissen. Über ein Jahr war es nun schon her, seit sein Freund Charles Bingley England den Rücken gekehrt hatte, um nach San Francisco auszuwandern. Als Sohn reicher Eltern mit entsprechendem Erbe konnte er es sich leisten, einfach so einen Neuanfang zu wagen. Nur wenige Monate später hatte er dort die Liebe seines Lebens gefunden, seinen Engel, wie er die – nach eigenen Angaben – überirdisch schöne Amerikanerin gerne in seinem Liebeswahn bezeichnete. Der Engel war sehr schnell schwanger geworden und die beiden hatten geheiratet, kurz bevor die Zwillinge geboren wurden. Auf Druck von Charles' Eltern, wie William erfahren hatte.

Charles hatte William damals gebeten, sein Trauzeuge zu sein, doch William hatte sich zu dieser Zeit in der letzten Phase seines Studiums in Cambridge befunden und musste diese Ehre leider ablehnen, sehr zu Charles' Enttäuschung. Kurze Zeit später kamen die Zwillinge zur Welt und Charles hatte wieder eine Einladung verschickt, doch William war im väterlichen Unternehmen so eingebunden gewesen, dass er auch diesmal absagen musste. Ganz offen gesagt war er nicht gerade böse darum, nicht nach San Francisco fliegen zu können.

William Darcy stammte aus einer alten, englischen Familie, deren Wurzeln bis in die Zeit William des Eroberers und darüberhinaus sogar noch bis nach Frankreich zurückzuverfolgen waren, als man sich noch D'Arcy schrieb. Entsprechend stolz war man auf die noble Herkunft und entsprechend arrogant und snobistisch gab man sich.

Sicher, auch die Bingleys waren reich, aber sie hatten ihr Vermögen so richtig erst in den letzten hundert Jahren angehäuft. Ihr Urahn war ein armer Senn aus dem Appenzeller Land in der Schweiz gewesen, Guido Binggli, der im späten 18. Jahrhundert aus purer Not nach England ausgewandert war. Ursprünglich mit der Absicht, dort im Bergbau zu arbeiten, lernte er kurz darauf jedoch eine junge Farmerstochter kennen, nannte sich ab sofort George Bingley und mit Fleiß und Disziplin bauten er und seine Nachkommen die Farm seines Schwiegervaters in ein gut florierendes Unternehmen der Milchwirtschaft um, das heute unter der Leitung von Charles' Vater mehrere Niederlassungen im Vereinigten Königreich unterhielt. In Darcys Kreisen galten die Bingleys etwas abwertend als Neureiche.

Dass Charles ausgerechnet nach Amerika ausgewandert war, hatte William zutiefst erschüttert. Amerika! Unkultiviertes, verkommenes, durch und durch verdorbenes Land voller Banausen, ein Land, das England nicht im mindesten das Wasser reichen konnte. Ohne Traditionsbewusstsein, ohne jegliche Kultur – für William ein schier unerträglicher Gedanke, dass sein Freund dort sein Glück gefunden hatte. Oder es zumindest vorgab.

William plagte trotzdem das schlechte Gewissen. Charles war immerhin sein Freund, nicht wahr? Sollte er sich nicht lieber für ihn freuen, dass es ihm dort so gut ging? Dass er eine liebevolle Frau gefunden hatte, und jetzt auch noch zwei reizende Töchter… Er hatte Charles schon zweimal enttäuscht und wusste, er sollte der Einladung nun endlich Folge leisten. Schweren Herzens gab er sich schließlich einen Ruck, buchte seufzend einen Flug erster Klasse nach San Francisco und machte sich Ende Juli 69 auf den Weg ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten – auch wenn es ihm innerlich doch sehr zuwider war.

William hatte während des langen Fluges genügend Zeit, über die vor ihm liegenden Tage nachzudenken. Höchstens eine Woche würde er bleiben, hatte er sich vorgenommen. Er war noch nie in den Vereinigten Staaten gewesen, hatte es allerdings auch noch nie darauf angelegt. England war ein wundervolles Land, warum sich die Mühe machen, woanders hinzureisen, wenn es nicht unbedingt sein musste? Und jetzt flog er tatsächlich nach Amerika. Ein Land, dessen Bewohner angeblich englisch sprachen! Diese Barbaren! Nicht umsonst hatte Bernard Shaw den Ausspruch geprägt: "England and America are two countries divided by a common language".

Und Charles, dieser Vaterlandsverräter, fühlte sich dort nach eigenen Angaben äußerst wohl. Während William seinen Freund pflichtbewusst mit langen Briefen über sein Leben in England auf dem laufenden hielt, war Charles ein eher säumiger Schreiber. Seine Briefe waren meist nur kurz und selbst die paar Sätze, die er aufs Papier brachte, waren kaum leserlich, weil er mit seinem Füller gerne kleckste. Offenbar hatte sich die Erfindung des Kugelschreibers noch nicht bis nach Amerika herumgesprochen. William wurde sich bewusst, dass er überhaupt keine Ahnung hatte, womit Charles „dort drüben" sein Geld verdiente. Sein alter Freund schrieb meist nur über seinen Engel und seine Töchter sowie andere Belanglosigkeiten.

Anfangs jedoch sah es fast so aus, als würde William seinen Freund doch nicht so bald zu Gesicht bekommen. Müde und mit hämmernden Kopfschmerzen ging er von Bord des großen Düsenjets, durchlief die langwierigen Einreise- und Zollformalitäten, machte sich auf die Suche nach seinem eleganten Rimowa-Koffer und verließ nach über einer Stunde endlich das Flughafengebäude. Wo ihn zunächst einmal fast der Schlag traf.

Draußen herrschte eine drückende Hitze, die er nicht erwartet hatte. Er war viel zu warm angezogen für kalifornische Verhältnisse mit seinem dreiteiligen Anzug, dem Trenchcoat und dem Homburg. Aber es half nichts. Charles hatte ihm seine Adresse natürlich mitgeteilt, gleichzeitig aber verschämt eingestanden, dass er im Augenblick über keinen Wagen verfügte und ob es William viel ausmachen würde, sich ein Taxi zu nehmen. Das tat es natürlich nicht, doch die Suche nach einem solchen mietbaren Gefährt erwies sich als schwieriger als angenommen.

William betrachtete die im Vergleich zu englischen Autos riesigen Karossen, die vor dem Flughafengebäude hin- und herfuhren mit missbilligendem Blick. Liebe Güte, gab es in diesem Land überhaupt nichts in normaler Größe? Mussten diese überheblichen Barbaren denn alles übertreiben? Wie vulgär! Er sehnte sich seufzend nach dem edlen Luxus seines frisch erworbenen Rolls-Royce Silver Shadow. Wieso zum Teufel war er hierher gekommen?

Endlich fand er – nach einigem Suchen – den Taxistand. Skeptisch beäugte er die teilweise verbeulten, nicht sonderlich vertrauenserweckend aussehenden Wagen und noch mehr die sich darinnen befindlichen, noch viel weniger vertrauenserweckend aussehenden Fahrer. Diese waren entweder schwarz oder offenkundig südamerikanischer Abstammung und zu keinem von ihnen wollte William einsteigen. Die vierte Droschke hatte einen weißen Chauffeur und sah auch nicht ganz so verbeult aus wie der Rest der Flotte. William trat näher und öffnete beherzt die Tür zum Rücksitz.

Ein Schwall ihm unverständlicher, aber hörbar unfreundlicher Worte empfing ihn daraufhin. William starrte den Fahrer verwundert an und es dauerte eine Weile bis ihm klar wurde, dass er gefälligst den ersten Wagen zu nehmen hatte. Da er keine große Lust verspürte, sich mit diesem ruppigen Hinterwäldler zu streiten, der offenbar noch nicht einmal englisch sprach, gab er nach und lief nach vorne, doch der grimmig dreinschauende Schwarze mit der Zigarette im Mundwinkel missfiel ihm zu sehr, als dass er zu ihm einsteigen wollte. Glücklicherweise kam ein anderer Fahrgast und die ganze Kolonne rückte auf.

William wusste, er konnte nicht den restlichen Tag hier am Flughafen verbringen bis einer der Wagen respektive Fahrer ihm genehm sein würde. Das würde wahrscheinlich sowieso nie der Fall sein! Die Option, mit dem nächsten Flieger nach London zurückzukehren war verlockend, doch er verwarf den Gedanken gleich wieder. Schließlich biss er in den sauren Apfel und kletterte in das nächste freie Taxi, wieder mit einem schwarzen Fahrer. Er nannte diesem in knappen Worten die Adresse in Haight-Ashbury und das riesige Schiff brauste los.

Schließlich hielten sie nach schweigsamer Fahrt in einer etwas steiler abfallenden Straße vor einer langen Reihe recht farbenfroher, gepflegter Häuser, die alle eine Gemeinsamkeit hatten: Eine Treppe, die zur Haupteingangstür im ersten Stock führte. Im Erdgeschoss schienen sich jeweils Garagen zu befinden. William bezahlte den Fahrer, der ihm nicht mit seinem Koffer half, schüttelte missmutig den Kopf und suchte mit den Augen die Hausnummern der Häuserreihe ab.

Das vierte Haus war das gesuchte. Die Vorderfront bestand fast nur aus besagter Treppe und einigen recht großen Fenstern, angestrichen war es in einem leuchtenden, kräftigen Blau mit weißen, wie Stuck aussehenden Verzierungen zwischen den drei Geschossen. William war beruhigt, es machte einen ordentlichen Eindruck. Lediglich die merkwürdigen, langhaarigen Gestalten, die sich auf der Straße herumdrückten, missfielen ihm etwas und er überprüfte vorsichtshalber den sicheren Platz seiner Brieftasche.

Langsam trat er näher, stieg die fünfzehn Stufen hinauf und drückte entschlossen auf die Klingel. Im Haus ertönte ein Gong, doch niemand kam, um zu öffnen. William versuchte es ein zweites Mal, ohne Erfolg. Na wundervoll, dachte er angesäuert. Charles wusste doch genau, dass er heute kam, oder? Als er sich an die Tür lehnte um darüber nachzudenken, was er nun am besten tun sollte, gab diese urplötzlich nach und er wäre fast mit seinem ganzen Gewicht in den Flur gefallen. Die Tür stieß krachend gegend eine Wand, doch auch das veranlasste niemanden, nachzuschauen, wer der Eindringling sein mochte.

William blieb zögernd im Flur stehen und schaute sich staunend um. Liebe Güte, das war Charles' Haus? Hatte er es vor dem Einzug denn nicht renoviert? Die Wände jedenfalls waren nicht tapeziert, nur weiß und sehr nachlässig gestrichen. Und mit Unmengen von bunten Hand- und Fußabdrücken verziert. In drei verschiedenen Größen. Dazwischen hatte jemand immer wieder die Worte „Peace" und „Love" gekritzelt. Auf dem Parkettboden saß ein nacktes, etwa vierjähriges Kind, das mit zwei Katzen spielte. Irgendwo klimperte jemand auf einer Gitarre, aus einer anderen Ecke kamen mehr psychedelische Klänge. Und es stank bestialisch nach Patschuli und anderen Dingen, deren Ursprung William lieber nicht erkunden wollte. Er holte seinen Koffer herein und schloss leise die Tür. Ob er Charles hier irgendwo finden würde? Wo war er bloß gelandet? Sollte er vielleicht doch lieber umkehren? Noch hatte ihn niemand gesehen…

„Hey, Bruder! Der Friede sei mit dir!" begrüßte ihn eine hörbar weibliche, wenn auch etwas schleppende Stimme und eine junge Frau, gewandet in ein grelloranges Batikkleid und mit einem Perlenstirnband über glatten, schwarzen Haaren kam lächelnd auf bloßen Füßen auf ihn zu. William starrte sie an.

„Guten Tag", grüßte er schließlich wohlerzogen. „Mein Name ist William Darcy. Ich möchte gerne zu Charles Bingley – der wohnt doch hier, nicht wahr?" Er hoffte inständig, das sei nicht der Fall und er hätte sich bloß in der Hausnummer geirrt.

Die Frau trat nahe, viel zu nahe für seinen Geschmack an ihn heran und fuhr langsam über seinen Arm. Sie lächelte etwas weggetreten, anscheinend war sie total bekifft.

„Du bist also Charlies Freund…freut mich…komm mit, ich hab was zu rauchen da…und anschließend zeig ich dir meine…meine…" Sie fummelte an den oberen Knöpfen ihres Kleides herum, doch bevor sie „ihre" auspacken konnte, ertönte eine weitere Stimme, diesmal eindeutig männlicher Natur.

„Will! Da bist du ja endlich! Ich dachte schon, du hättest den Flieger verpasst oder so!" Ein blonder Hüne mit langen Haaren, einem schreiend bunten Hemd und in Jesuslatschen tauchte vor William auf und strahlte ihn an. William konnte es nicht fassen. Das war sein alter Freund Charles Bingley? Mit Ohrring und einem Stirnband ums Haupt geschlungen? Mit einem langen, dünnen Kinnbart? Er hätte ihn fast nicht wieder erkannt.

Charles merkte in seiner Wiedersehensfreude nichts von Williams offenkundigem Unbehagen. Er machte sofort Anstalten, ihn in den angrenzenden Raum zu ziehen, aus dem die psychedelischen Klänge kamen und wohin die orangefarbene Erscheinung wieder lautlos verschwunden war, doch dann bemerkte er den Aufzug seines Freundes.

„Hey, zieh dich erstmal aus, du musst ja schwitzen wie blöd! Ja, hier sind die Temperaturen viel angenehmer als im verregneten England, was? Hier gibt's noch richtig wunderbare Sommer. Wirf den Mantel da rüber und komm, ich kann es kaum erwarten, dir meine wunderbare Jane vorzustellen!"

William wollte seinen guten Mantel nicht irgendwohin werfen, doch Charles nahm ihm das edle, maßgeschneiderte Stück kurzerhand ab, auch den Hut und warf beides über einen wacklig aussehenden Stuhl. Dann zerrte er William in den nächsten Raum, der sich als großes Wohnzimmer entpuppte.

Ein großes Wohnzimmer, das so gut wie keine Möbel enthielt, dafür ein paar Leute, die William jedoch entweder ignorierten oder freundlich-harmlos angrinsten. William hatte keine Ahnung, ob sie ihn überhaupt richtig wahrnahmen. Er fürchtete, von dem hier drinnen noch viel beißenderen Geruch nach Patschuli, von mehreren Räucherstäbchen abgesondert, ohnmächtig zu werden, doch tapfer blieb er stehen und sah sich staunend um.

Eine komplette Seite unter den großen Fenstern war mit schier hunderten von Sitzkissen belegt. In der Mitte der Kissen saß eine junge, blonde Frau, die einen Säugling im Arm hielt und diesem ohne Scheu die Brust gab. William starrte sie sprachlos an, doch Charles zog ihn schon lachend in ihre Richtung.

„Jane, Liebling, darf ich dir William vorstellen? Endlich hat ers geschafft, uns zu besuchen, ist das nicht wunderbar? Will, das ist die Sonne meines Lebens, mein wunderbarer Engel, Jane." Jane Bingley schaute lächelnd auf und reichte William graziös die Hand, ohne ihre Tätigkeit zu unterbrechen und ohne Scham zu zeigen, dass der fremde Mann ihre entblößten Brüste sehen konnte.

„Herzlich willkommen, William!" sagte sie freundlich mit sanfter Stimme. „Ich hoffe, du verbringst ein paar schöne Tage hier bei uns. Fühl dich wie zu Hause, machs dir gemütlich und scheu dich nicht zu fragen, wenn du etwas brauchst."

„Freut mich, dich kennenzulernen", murmelte William verlegen und wandte sich zu Charles um. Sein Freund hatte recht, die Frau war tatsächlich von überirdischer Schönheit, dazu so sanft und freundlich, so unschuldig geradezu, dass man sie einfach gernhaben musste. Charles hatte sich zwischenzeitlich einen anderen Säugling geschnappt, den eine Frau gehalten hatte.

„Und das hier sind meine genauso wunderbaren Töchter, Angel 1 und Angel 2. Jane füttert gerade Angel 2. Sind sie nicht anbetungswürdig? Und genauso wunderbar wie ihre wunderbare Mutter." Charles war sichtlich stolz auf seine drei Frauen, während William sich schwor, seinen Freund zu erwürgen, sollte er noch einmal das Wort „wunderbar" in den Mund nehmen.

„Deine Töchter heißen Angel 1 und Angel 2?" fragte er perplex. „Was sind das für seltsame Namen? Ach so, es sind nur Spitznamen, nicht wahr?" Charles schüttelte lachend den Kopf.

„Nein, die heißen wirklich so. Da sie beide genauso so wunderschön und engelsgleich wie ihre Mutter sind, konnte ich mir keine passendere Namen vorstellen." William konnte es nicht fassen. Wer war dieser Mann, und was hatte er mit seinem alten Freund Charles gemacht? Doch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, übernahm Charles die weitere Vorstellung. Zuerst wandte er sich an die Frau, die Angel 1 gehalten hatte und neben Jane saß.

„Louisa, das ist mein Freund William aus England. William, Louisa Hurst, sie wohnt hier zusammen mit ihrem Mann, Lou, ihren beiden Kindern und Lous Schwester Caroline. Caroline hast du ja schon im Flur gesehen." Er nickte mit dem Kopf nach rechts, wo Caroline William lässig zuwinkte und sich die Lippen leckte. Louisa hob die Hand, sagte „Peeeeeeeeeace" und bewegte sich gleich wieder lässig zum Klang der seltsamen Musik, die von einem Plattenspieler kam. Lou Hurst reagierte überhaupt nicht, er lag ausgestreckt in einer Ecke und schnarchte ungestört vor sich hin.

William nickte bloß und suchte verzweifelt nach einem Grund, dieses stinkende und sicherlich auch ungezieferverseuchte Haus so schnell wie möglich wieder verlassen zu können. Zwei nackte Kinder kamen lachend und kreischend in den Raum gestürzt und warfen sich neben Louisa auf die Kissen. Charles grinste.

„Das sind Sunset und Sunrise, die jüngsten Mitglieder der Hurst-Familie." William schloss müde die Augen. Sunset und Sunrise? War er in einem Irrenhaus gelandet?

„Wo ist eigentlich Lizzy, Jane?" fragte Charles und reichte ihr Angel 1.

„Oben mit Charlotte. Sie bereiten das nächste Sit-In vor und wollten noch ein paar Lieder einstudieren."

Noch mehr bekiffte oder sonstwie abgedrehte Familienmitglieder? fragte sich William mit wachsendem Unbehagen. Außer Jane schienen die hier Anwesenden eher äußerst merkwürdig zu sein. Und wahrscheinlich übertrugen sie auch noch irgendwelche Krankheiten, wenn man nicht aufpasste. Vor allem Carolines lauernde Blicke verursachten ihm regelrechtes Bauchgrimmen.

„Ah, hier ist sie ja!" rief Charles und legte der jungen Frau, die gerade das Zimmer betrat, freundschaftlich einen Arm um die Schultern.

„Lizzy, Liebes, darf ich dir William vorstellen! Mein alter Freund aus England. Will, das ist Janes wunderbare Schwester Elizabeth, genannt Lizzy."

William starrte Janes wunderbare Schwester zunächst schweigend an. Er wollte niemanden mehr kennenlernen! Die junge Frau trug ebenfalls ein Batikkleid, das bis zu ihren bloßen Füßen reichte, ihre dunklen Haare hatte sie zu einem widerspenstigen Etwas aufgesteckt. Ihre rehbraunen Augen lächelten ihn freundlich an und sie entblößte dabei zwei Reihen strahlendweißer Zähne.

„Hallo, William", grüßte sie ihn mit leiser, melodischer Stimme. „Herzlich willkommen in unserem kleinen Nest!" Sie legte ihre Arme kurz an seine Schultern und hauchte ihm zur Begrüßung je einen Kuss auf beide Wangen. William schluckte hart. Deutlich hatte er ihre üppigen Brüste an seinem Oberkörper gespürt, als sie sich kurz an ihn gepresst hatte.

„Hallo", brachte er schließlich hervor und Elizabeths Augen funkelten belustigt, als sie sein sichtliches Unbehagen registrierte.

Bevor sich jedoch irgendwelche Konversation entwickeln konnte, gab es abermals Zuwachs in dem duftgeschwängerten Wohnzimmer.

„Peeeeeeeeeeeace, meine Brüder und Schwestern!" ertönte es laut und ein langhaariger, Sonnenbrille tragender, magerer Typ in Jesuslatschen und zerrissenen Jeans betrat das Zimmer. Sofort zog er Elizabeth in seine Arme und griff nach ihren Brüsten, um sie genüsslich zu kneten. Dass noch andere Leute im Zimmer waren, störte ihn nicht im geringsten.

„Heeeee, meine Zuckerschnute, gib dem lieben George einen Kuss, hörst du?" lallte er und verzog missmutig das Gesicht, als sie sich sanft, aber bestimmt aus seinem Griff befreite.

„Lass den Unsinn, George", sagte Elizabeth nur und brachte ein wenig Abstand zwischen sich und dem wahlweise bekifften oder betrunkenen Typen. Wahrscheinlich war er beides.

„Hey, bist doch sonst nicht so zickig", nuschelte besagter George und kratzte sich ausgiebig im Schritt. „Könnt mal wieder ordentlich einen wegstecken, was meinst du? Lass uns nach oben gehen, Süße."

William verzog angewidert das Gesicht und Charles mischte sich ein.

„Lass gut sein, Wickham, ok?" Er wandte sich zu William um. „Das ist George Wickham, auch ein alter Mitstreiter von uns. George, mein Freund William aus England."

Wickham musterte den Fremden mit angestrengt zusammengekniffenen Augen.

„Wenn du glaubst, dass sie dich ranlässt, haste dich aber geschnitten, hörst du?" grunzte er kaum verständlich, aber in sehr feindseligem Ton. „Die macht die Beine nur für mich breit, hast du verstanden? Nur für mich! Das ist ganz allein meine Pus..."

„Ist gut jetzt, George!" sagte Charles hastig und schob den zugedröhnten Neuzugang zu den Sitzkissen neben dem immer noch schnarchenden Lou Hurst. Wickham leistete keinen Widerstand und ließ sich stöhnend auf die Kissen fallen, wo Sunset und Sunrise Hurst es sich mittlerweile ebenfalls neben ihrem Vater bequem gemacht hatten und eingeschlafen waren. Innerhalb weniger Sekunden war auch George Wickham ins Reich der Träume gewandelt.

William hatte die Nase gründlich voll. Sein Kopf hämmerte, die stickige Luft nahm ihm den Atem, ihm war unerträglich heiß, die seltsamen Leute missfielen ihm. Er wollte nur noch weg von hier.


+) Scott McKenzie: San Francisco