The Good, the Bad, the Cocky
»Ich komme bestimmt nach Ravenclaw, so wie mein Dad«, sagt Pansy und beißt vorsichtig von einer roten Bohne ab, die nach Kirsche schmeckt.
»Hast du deinen Wintermantel eingepackt?«, fragt Gemma Parkinson ihre Tochter.
»Ja, Mom«, antwortet Pansy ungeduldig.
»Und deine Bücher?«
»Ja, Mom.«
»Schick uns eine Eule, sobald du -«
»Okay Mom, aber ich muss los, also …«
Edward Parkinson beugt sich zu ihr hinunter und nimmt sie fest in den Arm. »Pass auf dich auf, Prinzessin.«
Doch Pansy hört es kaum und sieht sich um; langsam füllt sich der Bahnsteig am Gleis neundreiviertel des Londoner Bahnhofs Kings Cross.
Die scharlachrote Lok mit dem Schild Hogwarts-Express, 11 Uhr bläst Dampf über die Köpfe der wartenden Menge hinweg. Das Geschnatter der Leute, das Rollen der schweren Koffer, die Flügelschläge der Eulen und das Maunzen der Katzen verschwimmt zu einem einzigen, großen Rauschen.
Der Gedanke, dass sie erst wieder in den Weihnachtsferien nach Hause kommen wird, macht Pansy ein wenig nervös, doch gleichzeitig empfindet sie auch eine unheimliche Vorfreude.
Endlich wird sie richtig zaubern lernen! Sie wurde nämlich an einer der angesehensten Schulen für Hexerei und Zauberei der Welt angenommen: Hogwarts, ein Zauberinternat in Schottland, das schon ihr Vater vor ihr besucht hat (ihre Mutter hingegen war einst Schülerin in Beauxbatons, einer Zaubererschule in Frankreich).
Mrs. Parkinson streicht Pansy über die kinnlangen, dunkelbraunen Haare und haucht ihr einen Kuss auf die Wange. »Benimm dich. Und sei fleißig, hörst du? Oh, und vergiss Winston nicht!«
Sie reicht ihr die Transportbox, aus der ihr kleiner, schwarzer Kater sie mit riesigen Augen anstarrt.
»Also dann, bis in drei Monaten.« Pansy nickt lächelnd und ihre Eltern winken ihr, bis sie in den Zug gestiegen ist.
~.~.~
Erfreulicherweise sind die Gänge noch weitgehend leer; die meisten ihrer Mitschüler scheinen noch damit beschäftigt zu sein, sich von ihren Eltern zu verabschieden und Freunde zu begrüßen, die sie in den Ferien nicht gesehen haben.
Mit ihrem Koffer in der einen, der Katzenbox in der anderen Hand, manövriert sich Pansy durch den Zug weiter nach vorne, als sich plötzlich eine Abteiltüre vor ihr öffnet und ein großer, breitschultriger Junge mit verwirrtem Gesichtsausdruck heraustritt. Pansy kann gerade noch stehen bleiben, bevor sie mit ihm zusammenstößt.
»Goyle, was machst du da?«, ruft jemand aus dem Abteil, offensichtlich gereizt. »Hör auf, den Gang zu verstopfen und hilf mir lieber mit dem Koffer!«
»Sorry«, murmelt der Junge und geht wieder hinein.
Leicht genervt setzt Pansy ihren Weg fort und findet schließlich einige Meter weiter ein leeres Abteil vor. Sie stellt die Katzenbox ab und schiebt ihren Koffer unter einen Fenstersitz, auf den sie sich fallen lässt. Sie widersteht der Versuchung, ihre Beine auf den Sitz gegenüber zu legen.
›So etwas machen nur unerzogene Kinder‹, hört sie ihre Mutter sagen.
Aus der Innentasche ihres Blazers zieht sie einen Taschenspiegel hervor, um sich kritisch zu beäugen. Ihre Haare sind immer noch glatt und ordentlich, ihr Haarreif sitzt an Ort und Stelle und sie hat weder Augenringe, noch rissige Lippen oder einen fahlen Teint (worauf ihre Mutter sie so gerne hinweist, als würde sie beeinflussen können, ob sie blass aussieht oder nicht).
Heute ist ein guter Tag.
Ihr Vater hat ihr einmal gesagt, dass sie das hübscheste Mädchen der Welt sei, aber natürlich ist sie nicht so naiv, ihm das abzukaufen - sie ist schließlich kein Kind mehr, auch wenn sie für ihr Alter verhältnismäßig klein ist.
Pansy hat ein rundliches Gesicht, wie ihr Vater. Sie hat nicht die hohen Wangenknochen ihrer Mutter geerbt, dafür aber leider ihre Nase, deren Spitze leicht nach oben geneigt ist. Nur mit ihren Augen ist Pansy zufrieden. Sie sind grün-braun und von dichten Wimpern umrahmt.
Sie klappt den Spiegel wieder zusammen, streicht sich ihren Rock glatt und nimmt die Katzenbox auf den Schoß. »Du hast es gut, Winston. Du bist perfekt!«
Noch während ihr Kater fragend maunzt, wird die Abteiltüre geöffnet.
»Hallo! Ist hier noch ein Platz frei?«, fragt ein Mädchen mit buschigem, braunem Haarschopf. Sie hat weder eine Eule, noch eine Katze dabei, trägt aber bereits ihren Umhang, der zur Schuluniform gehört.
»Ja«, antwortet Pansy, unfähig, den Blick von ihren Haaren abzuwenden, die einem Vogelnest gleichen und dringend eine Kur nötig hätten.
Das Mädchen verstaut seinen Koffer und setzt sich ihr gegenüber. »Ich bin Hermine Granger«, sagt sie leicht affektiert und offenbart dabei ihre etwas zu groß geratenen Schneidezähne.
»Pansy Parkinson.« Eigentlich hat sie keine Lust auf Smalltalk, andererseits kann es nur von Vorteil sein, sich möglichst überall beliebt zu machen. Selbst bei Leuten mit schlimmen Frisuren. Also bemüht sie sich, interessiert zu klingen und fragt: »Ist es auch dein erstes Jahr in Hogwarts?«
Doch kurz darauf wünscht sie, sie wäre still geblieben.
»Oh, ja, das ist es! Ich bin wirklich gespannt, was uns dort erwartet, vermutlich mehr als jeder andere hier im Zug. Naja, ich bin wohl sowas wie ein Ausnahmefall, schätze ich. Meine Eltern sind nämlich nicht-magisch – ihr nennt sie … Muggel, richtig?«
Pansy bringt ein halbes, verdutztes Nicken zustande, ehe Hermine fortfährt: »Jedenfalls soll es extrem selten vorkommen, dass Kinder von Muggeln magische Fähigkeiten besitzen, aber tja, hier sitze ich nun.
Wir waren natürlich total überrascht, als der Zulassungsbrief für mich ankam, ist ja klar! Aber der Schulleiter, Professor Dumbledore, hat meine Eltern in einem langen Gespräch davon überzeugen können, dass ich auch auf einer Schule für Hexen und Zauberer einen ordentlichen Abschluss machen kann. Also haben sie zugestimmt.
Im Umkehrschluss musste ich mir natürlich sämtliches Grundwissen selbst aneignen. Zum Glück bin ich aber schon vergangenen September elf geworden, also habe ich meinen Brief bereits vor einem knappen Jahr bekommen.
Ich habe die Zeit genutzt, mir die Schulbücher anzuschauen und sie vorsorglich alle auswendig zu lernen, um gut auf den Unterricht vorbereitet zu sein. Manche würden das vielleicht übertrieben finden, aber meine Mutter sagt immer ›Wissen ist Macht‹, und ich gebe ihr Recht. Hoffentlich habe ich nur nichts Wichtiges übersehen…« Hermine schaut für einen Moment grübelnd an die Decke. »Nein, ich habe mir alles gewissenhaft angeschaut. Naja, fast – es gibt ja leider kein Schulbuch zum Thema Quidditch. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es ist, auf einem Besen zu fliegen! Das erscheint mir, ehrlich gesagt, ziemlich klischeehaft.
Wie auch immer, jetzt bleibt natürlich noch die Frage, in welches Haus wir kommen, nicht wahr?«
Nachdem Hermine ihren Vortrag beendet hat, dauert es einige Sekunden, bis Pansy aus ihrer Trance erwacht. Sie hat kaum bemerkt, dass sich der Hogwarts-Express zwischenzeitlich in Bewegung gesetzt hat. »Ja, genau«, sagt sie knapp, um ihr kein neues Stichwort zu geben.
Würde Hermine nicht so besserwisserisch und wie ein Wasserfall daherreden, wären Pansy durchaus noch mehr Fragen eingefallen: ›Stimmt es, dass Muggel manchmal zum Mond fliegen? Und falls ja, was tun die dort?‹
›Haben die alle solche Biberzähne?‹
›Was ist mit deinen Haaren los?‹
Doch im nächsten Augenblick öffnet sich das Abteil erneut, und zwei weitere Mädchen treten ein.
Beide haben lange, schwarze Haare, die sie in einem geflochtenen Zopf tragen und sehen sich auch sonst sehr ähnlich.
Pansys Laune hebt sich. Sie sind hübscher als Hermine, aber nicht hübscher als sie selbst. Außerdem ist sie für jede neue Gesellschaft dankbar.
»Hallo«, sagen sie wie aus einem Mund.
»Ich bin Parvati Patil.«
»Und ich bin Padma Patil.«
Pansy und Hermine stellen sich ebenfalls vor, während die Zwillinge ihre Koffer unter die freien Sitze schieben.
»Oh, wie süß!«, ruft Padma, die neben Pansy Platz genommen und einen Blick in die Katzenbox geworfen hat.
»Er heißt Winston. Winston Purchill«, sagt sie grinsend und krault ihn durch das Gitter mit einem Finger am Ohr, woraufhin er leise zu schnurren beginnt.
»Ich hatte ja auch kurz überlegt, mir eine Katze anzuschaffen«, wirft Hermine ein. »Aber ich warte lieber noch damit, ich möchte mich erstmal auf den Lernstoff konzentrieren. Ein Haustier würde mich davon nur ablenken.«
Pansy und Padma tauschen einen flüchtigen Blick aus.
»Woher kommt ihr?«, fragt Parvati.
Pansy reagiert blitzschnell, während Hermine noch Luft holt: »Meine Eltern und ich wohnen mittlerweile in London, aber vorher haben wir in Paris gelebt, bis ich acht war. Meine Mutter ist nämlich Modedesignerin«, erklärt sie stolz.
»Wirklich? Das ist ja cool!«, antwortet Parvati beeindruckt. Die Schwestern sind Pansy schon jetzt weit sympathischer als Hermine.
»Ich beneide dich – ich würde auch so gerne mal nach Paris«, schwärmt Padma. »Wir leben in Manchester, aber unsere Eltern stammen aus Indien.«
Hermine hat offenbar entschieden, dass ihre Redepause nun lange genug gedauert hat: »Meine Eltern waren schon öfter mit mir in Frankreich, und bestimmt fliegen wir irgendwann wieder hin. Es gibt dort so viele Gegenden mit einer spannenden Hexerei-Vergangenheit, da könnte ich eine Menge lernen.«
Für einen Moment sieht es so aus, als wäre sie fertig, bis ihr eingefallen zu sein scheint, dass die Zwillinge ihre Geschichte von vorhin noch gar nicht kennen. Also erzählt sie sie noch einmal, sehr zu Pansys Leidwesen, die augenrollend aus dem Fenster schaut.
Ihr wird klar, dass sie erst seit einer halben Stunde in diesem Abteil sitzt, obwohl es ihr wie eine Ewigkeit vorkommt.
Während Hermine munter vor sich hin plappert, klopft es an der Tür. Eine niedliche, ältere Dame fragt, ob sie etwas von ihrem Imbiss-Wagen haben möchten, als Proviant für die Reise.
Pansy tauscht fünf Silbersickel und drei Bronzeknuts gegen zwei Packungen Bertie Botts Bohnen in jeder Geschmacksrichtung, Saure Drops und einen Schokofrosch.
Auch Padma und Parvati gönnen sich ein paar Naschereien, nur Hermine verzichtet, mit der Begründung, ihre Eltern seien Zahnärzte.
Pansy weiß zwar nicht, was das bedeuten soll, geht aber nicht weiter darauf ein und öffnet eine Packung ihrer Bohnen. Die Bezeichnung jede Geschmacksrichtung ist wörtlich zu nehmen - einmal hatte sie eine blaue Bohne für Heidelbeere gehalten, doch sie schmeckte nach Tinte!
»Ich habe eben die vier Häuser von Hogwarts angesprochen. Wie ist eure Meinung dazu?«, fragt Hermine enthusiastisch.
»Ich komme bestimmt nach Ravenclaw, so wie mein Dad«, sagt Pansy und beißt vorsichtig von einer roten Bohne ab, die nach Kirsche schmeckt.
Parvati nickt zustimmend. »Wir hoffen auch auf Ravenclaw. Oder natürlich Gryffindor - das scheint ziemlich beliebt zu sein und ich glaube, Professor Dumbledore war früher selbst dort.«
»Wirklich? Das klingt gut, Dumbledore gilt immerhin als einer der größten Zauberer unserer Zeit«, sagt Hermine ehrfürchtig. »Und was ist mit Hufflepuff und Slytherin?«
»Bloß nicht!« Parvati rümpft die Nase. »Nach Hufflepuff kommen nur Verlierer, aber im Vergleich zu Slytherin ist es immer noch das geringere Übel. Das sind nämlich alles falsche Schlangen, genau wie ihr fieses Wappentier.«
Pansy runzelt die Stirn. Schon oft hatte ihr Vater von seiner Zeit in Hogwarts erzählt; von den Geistern, die mal mehr, mal weniger freundlich sind, von Geheimgängen, die ins angrenzende Dorf Hogsmeade führen, von der besten Aussicht im ganzen Schloss (dem Astronomieturm) und natürlich von den vier Häusern und ihren Besonderheiten. Doch dass Hufflepuff und Slytherin einen schlechten Ruf haben sollen, hört sie heute zum ersten Mal.
Ihr Vater hatte nie negativ oder gar abfällig über Schüler aus anderen Häusern gesprochen, ganz im Gegenteil. Seiner Meinung nach repräsentieren sie alle erstrebenswerte Charaktereigenschaften: Intelligenz (Ravenclaw), Mut (Gryffindor), Fleiß (Hufflepuff) und Ehrgeiz (Slytherin).
Deshalb war es Pansy auch immer egal, welchem Haus sie später einmal angehört (so oder so wird ihr Haus selbstverständlich das Beste sein, sonst wäre sie ja nicht darin).
»Naja, das geht vielleicht etwas weit«, gibt Padma ihrer Zwillingsschwester zu bedenken.
»Aber im Grunde hab ich Recht! Du weißt doch, wie es immer heißt: Die Hexen und Zauberer, die böse wurden, waren allesamt in Slytherin«, erwidert Parvati und spricht den letzten Satz wie einen Reim aus, den sie auswendig gelernt hat. »Angeblich auch Du-weißt-schon-wer. Und ich finde, das sagt alles!«
Das finden scheinbar auch Padma und Hermine, denn nun herrscht Schweigen im Abteil.
Pansy beteiligt sich daran, weil sie sich zu benehmen weiß, doch immer, wenn sie den Begriff Du-weißt-schon-wer hört, möchte sie am liebsten theatralisch mit den Augen rollen.
Dieses Synonym verwenden viele Menschen, wenn sie von dem dunkelsten Magier der jüngeren Geschichte sprechen: Voldemort, ein mächtiger und grausamer Fanatiker, der Muggel und Muggelstämmige ausrotten und die Herrschaft über die Zauberergemeinschaft an sich reißen wollte.
Auch heute, zehn Jahre nach seinem Tod, ist dieses Kapitel der Geschichte immer noch ein sensibles Thema, und die Angst, seinen Namen auszusprechen, weit verbreitet (wenn auch völlig irrational, wie ihr Vater immer betont).
Pansy hat jedenfalls keine Lust, noch länger über verstorbene Schwarzmagier nachzudenken, oder darüber, ob es nun wirklich zwei gute und zwei schlechte Hogwartshäuser gibt. Das ist lächerlich und ergibt keinen Sinn.
Parvati wird schon noch früh genug feststellen, dass sie mit ihren komischen Vorurteilen alleine da steht. Bald werden sie in Hogwarts ankommen, in welche-Häuser-auch-immer gewählt und einfach eine gute Zeit haben. Ende.
Viel wichtiger erscheint Pansy die Frage, wie die Schuluniformen wohl aussehen, die sie bekommen, vor allem im Hinblick auf die Hausfarben. Die sind für sie nämlich der einzige Grund, Ravenclaw Hufflepuff vorzuziehen: Gelb steht ihr nicht besonders, Blau hingegen ist ihre Lieblingsfarbe.
Trotzdem würde sie natürlich alles für Hufflepuff geben, wenn man sie dafür auswählt.
Sie stellt sich vor, wie man sich eines Tages erzählen wird, dass Hufflepuff total uncool war, bis Pansy Parkinson aufgetaucht ist und alles verändert hat. Die Begeisterung für Hufflepuff wird sogar so weit gehen, dass Erstklässler, die einem anderen Haus zugeordnet werden, ihre Eltern anflehen, sie auf eine andere Schule zu schicken. Irgendwann wird Professor Dumbledore Einsicht walten lassen und die anderen drei Häuser schließen.
Hogwarts wird in Hufflepuff umbenannt und das neue Wappentier ist ein kleiner, schwarzer Kater.
Ein Grinsen huscht über ihr Gesicht.
»Habt ihr eine Idee, wie genau man für sein Haus ausgewählt wird?«, fragt Hermine in die Stille hinein. »Ich konnte darüber nichts in der Geschichte Hogwarts' finden.«
Padma überlegt. »Keine Ahnung, vielleicht müssen wir Fragen beantworten, wie bei einem Persönlichkeitstest.«
»Oder einfache Zaubersprüche vorführen«, meint Parvati.
»Soll mir Recht sein. Ich hab schon ein paar geübt und es hat jedes Mal geklappt«, sagt Hermine wichtigtuerisch.
Pansys Vater wollte ihr nicht verraten, wie die Auswahl abläuft (sie solle sich überraschen lassen). Sie hat zwar einmal aufgeschnappt, dass es etwas mit einem Hut zu tun haben soll, der reden kann, aber diese Idee kommt ihr irgendwie so blöd vor, dass sie sie für sich behält.
Hermine ist gerade dabei, ihre gelernten Zaubersprüche vor sich hin zu murmeln, als plötzlich ein pausbäckiger Junge in das Abteil platzt. »Entschuldigt die Störung, aber ihr habt nicht zufällig eine Kröte gesehen?«, fragt er, leicht außer Atem.
»Nein, Merlin sei Dank!«, antwortet Pansy und verzieht das Gesicht. Die Zwillinge kichern.
Verzweifelt fährt er sich durch die Haare. »Oh, Mist … er entwischt mir immer wieder!«
Hermine erhebt sich. »Weißt du was? Ich helfe dir suchen. Ich bin Hermine Granger.«
Der Junge lächelt sie dankbar an. »Neville Longbottom. Das ist wirklich nett von dir.«
»Ich wollte mir sowieso mal die Beine vertreten. Bis gleich, ihr Drei.«
Als sie die Tür hinter sich schließt, schauen die Mädchen sich an.
»Jetzt mal im Ernst«, sagt Pansy und stellt die Katzenbox auf den frei gewordenen Sitz. »Wer nimmt eine Kröte mit nach Hogwarts?«
»Wer will überhaupt eine Kröte besitzen?«, fragt Padma irritiert. »Katzen sind niedlich, Eulen sind nützlich, aber Kröten?! In den Briefen stand zwar, dass man eins von den drei Tieren mitnehmen darf, aber den Zusammenhang hab ich bis heute nicht kapiert. Noch schlimmer ist nur die Tarantel, die dieser Junge mit den Dreadlocks dabei hatte.«
»Tarantel?!«, ruft Pansy angewidert.
»Ja, als wir eingestiegen sind stand er noch draußen und hatte das Vieh in einer Pappschachtel. Hat für ziemlich viel Aufsehen gesorgt. Du magst wohl auch keine Spinnen?«
»Sagen wir so, wenn die Kröte hier auftaucht, schmeiße ich sie aus dem Fenster – kommt eine Tarantel, springe ich selbst!«
»Darüber hab ich auch kurz nachgedacht, als Hermine uns zugetextet hat«, sagt Parvati und verdreht die Augen. »Die hält sich wohl für ganz besonders schlau!«
»Ich weiß!«, seufzt Pansy. »Vielleicht haben wir Glück und sie bleibt weg. Hier im Zug sitzen noch so viele Leute, denen sie ihre Lebensgeschichte erzählen kann.«
Padma schmunzelt. »Na, der krötenlose Neville hört ihr bestimmt gerne zu.«
»Hmm … ich finde, Krötenjunge passt besser.«
»Also mich erinnert er eher an einen fetten Hamster«, grinst Parvati.
»Stimmt, aber gegen deinen geliebten Myron Wagtail kommt sowieso niemand an, nicht wahr, Schwesterherz?«, kichert Padma und wendet sich an Pansy. »Du weißt schon, der Frontsänger von den Weird Sisters. In ihrem Zimmer hängt ein riesiges Poster von ihm – mit nacktem Oberkörper!«
Parvati läuft rot an und murmelt: »Na und! Myron ist total cool.«
»Willst du ein Autogramm haben?«, fragt Pansy und verstaut den Rest ihrer Süßigkeiten in ihrem Koffer.
»Was meinst du?«
»Ich könnte dir eins besorgen. Mit Widmung, natürlich.«
Parvati starrt Pansy mit offenem Mund an. »Wie -«
»Ich seh' ihn alle paar Monate, meine Mom gibt gern Partys. Beim nächsten Mal sag ich ihm, er soll dir was Nettes schreiben.«
Mit einem schrillen Kreischen springt Parvati auf und fällt ihr um den Hals. »Oh Pansy – danke! Das ist ja der Wahnsinn!«
Belustigt tätschelt Pansy ihr den Rücken. »Kein Problem, wirklich.«
Grinsend sammelt Padma die Lakritz-Zauberstäbe vom Boden auf, die zuvor noch auf Parvatis Schoß lagen.
»Erzähl mir alles von Myron! Wie ist er so?«
»Naja, er ist ein bisschen … verrückt. Und witzig.«
»Ist er Single?«
»Ich glaube schon.«
Parvati gibt ein quietschendes Geräusch von sich, ihre Augen leuchten.
Noch eine ganze Weile wird Pansy über den Rocksänger ausgefragt, während Winston, den sie aus seiner Box geholt hat, mit einer braunen Bohne spielt, die sie sich nicht getraut hat, zu essen.
Sie reden über dies und jenes, zum Beispiel, aus welchem Holz ihre Zauberstäbe gemacht sind und wo sie ihre Schulumhänge gekauft haben.
Pansys Umhang aus Kreppseide hat natürlich ihre Mutter für sie angefertigt. Merlin bewahre, dass sie Mode von der Stange trägt, wie man sie etwa bei Madam Malkins Anzüge für alle Gelegenheiten in der Winkelgasse bekommt!
Keine von ihnen bemerkt, wie sich die Landschaft außerhalb ihres Fensters zunehmend verändert; wo vorhin noch Dörfer und ordentliche Felder zu sehen waren, fliegen jetzt Wälder, verschlungene Flüsse und dunkelgrüne Hügel an ihnen vorbei.
»Weißt du, ich glaube nicht, dass du in ein anderes Haus kommst als wir, dafür haben wir zu viel gemeinsam«, sagt Parvati zu Pansy. »Selbst dein Name fängt mit ›Pa‹ an, genau wie bei uns. Wir mussten uns einfach treffen!«
Pansy lächelt zufrieden, denn jetzt hat sie schon zwei Freundinnen, noch bevor sie überhaupt in Hogwarts angekommen ist. Nicht, dass sie das sonderlich überraschen würde; es ist nun mal von Vorteil, eine berühmte Mutter zu haben. In Paris hatte sie deshalb haufenweise Freundinnen, die sie beneidet und sie über alles haben bestimmen lassen.
Freundschaft ist wirklich etwas Tolles!
Ein paar Minuten später steckt Hermine wieder ihren Kopf ins Abteil. »Ich wollte euch nur Bescheid geben, dass wir Nevilles Kröte noch nicht gefunden haben, darum komme ich erst später zurück.«
»Ist gut!«, rufen die Mädchen im Chor und nicken verständnisvoll.
»Außerdem führen sich manche Leute hier draußen total kindisch auf; rennen die Gänge hoch und runter wie die Verrückten. Ich werde denen mal ins Gewissen reden«, sagt sie hochnäsig. Kurz bevor sie die Tür wieder schließt, scheint ihr doch noch etwas eingefallen zu sein: »Und übrigens – Harry Potter sitzt hier im Zug! Ich dachte zuerst, es sei ein Gerücht, aber ich hab ihn selbst gesehen«, sagt sie und verschwindet schließlich.
»Ich hab ihn selbst gesehen«, äfft Parvati sie nach. »Für wen hält sie sich bitte? Redet, als wäre sie eine Vertrauensschülerin im siebten Schuljahr. Mit diesen Biberzähnen nimmt sie doch eh keiner ernst.«
Pansy grinst hämisch. »Vielleicht will sie mit dem Gebüsch auf ihrem Kopf davon ablenken. Würde mich nicht wundern, wenn sich die Kröte darin verkrochen hat und nicht mehr alleine raus findet!«
»Und wieso überhaupt Gerücht?«, fragt Padma stirnrunzelnd. »Jeder, der bis elf zählen kann, weiß doch, dass Harry Potter in unserem Jahrgang ist.«
»Hey, lasst ihn uns suchen gehen, ich will wissen, wie er aussieht«, sagt Parvati.
»Wir sehen ihn noch früh genug«, bemerkt Padma. »Er ist immerhin in unserer Klasse.«
Harry Potter. Natürlich hat auch Pansy von dem legendären Jungen, der überlebt hat gehört, so wie wohl jede Hexe und jeder Zauberer auf dieser Welt.
Er wird so genannt, weil Voldemort vor zehn Jahren an Halloween seine Eltern umbrachte, irgendeine Macht ihn jedoch daran hinderte, den damals einjährigen Jungen ebenfalls zu töten und stattdessen ihn selbst zu Fall brachte.
Den Grund dafür kann sich bis heute niemand erklären, es heißt nur, der tödliche Fluch, von dem Harry lediglich eine Narbe auf der Stirn zurückbehalten haben soll, sei auf Voldemort zurückgeprallt, wodurch er starb.
Manche Leute behaupten zwar, er sei gar nicht tot, sondern nur verschwunden, aber das hält Pansy für Blödsinn. Noch blödsinniger ist nur die Theorie, Harry Potter sei selbst ein extrem mächtiger Zauberer.
»Ich weiß gar nicht, was an ihm so besonders sein soll«, sagt sie. »Es ist ja nicht so, als hätte er geheime Superkräfte oder sowas.«
»Aber seinetwegen ist Du-weiß-schon-wer damals verschwunden«, räumt Parvati ein.
»Er ist gestorben!«, erwidert Pansy nachdrücklich. »Und es war wohl einfach ein glücklicher Zufall. Ich meine, Potter war noch ein Baby. Er wusste vielleicht gerade mal, wo seine Nase ist, aber doch nicht, wie man einen der mächtigsten Zauberer der Welt vernichtet!«
»Ja, schon … aber willst du ihn denn nicht auch fragen, ob er sich an irgendwas erinnert?«
Pansy nimmt ihren Taschenspiegel zur Hand und betrachtet sich darin, während sie antwortet: »Das wird er doch dauernd gefragt. Hättest du Lust, ständig über die Nacht zu plaudern, in der deine Eltern gestorben sind? Wahrscheinlich hat er eh nur Quidditch im Kopf, so wie alle Jungs.«
Sie trägt eine Pflegecreme für ihre Lippen auf und wirft einen Blick aus dem Fenster. Der Himmel hat sich bereits purpurrot gefärbt und sie scheinen an Geschwindigkeit zu verlieren.
Die Mädchen ziehen gerade ihre Umhänge an, als eine Stimme ertönt: »In fünf Minuten erreichen wir Hogwarts. Bitte lassen Sie Ihr Gepäck mitsamt den Käfigen im Zug, es wird alles für Sie zur Schule gebracht.«
»Wir sehen uns bald wieder, mein Kleiner«, verabschiedet sich Pansy von Winston, verfrachtet ihn zurück in seine Box und tritt zusammen mit den Zwillingen hinaus auf den Gang, der bereits voller Schüler ist. Weiter hinten erkennt sie Hermine, die noch immer damit beschäftigt scheint, Longbottom zu trösten.
Schließlich kommt der Hogwarts-Express zum Stillstand und die Massen drängeln durch die Tür hinaus auf einen kleinen, dunklen Bahnsteig.
~.~.~
Kurz darauf erhebt sich der Schein einer Lampe über ihren Köpfen und eine tiefe, brummende Stimme ruft: »Erstklässler! Erstklässler hier rüber!«
Pansy sieht hoch – weit hoch – in ein sehr behaartes Gesicht. Es gehört einem Mann, der geschätzte drei Meter groß ist und verboten dick aussieht. Seine langen, verfilzten Haare lassen ihn wild erscheinen und die Laterne wirkt in seiner riesigen Hand klein und zerbrechlich.
Mit abschätzigem Blick fragt sie sich, ob diese Person zu den Lehrern in Hogwarts gehört.
»Nu mal los, mir nach – noch mehr Erstklässler da? Passt auf, wo ihr hintretet! Erstklässler, mir nach!«
»Wer genau soll ihm folgen?«, flüstert Pansy. »Ich glaube, ich habe es noch nicht ganz verstanden!«
Parvati hakt sich bei ihrer Schwester und Pansy ein, bevor sie dem bärtigen Riesen leise kichernd einem schmalen Pfad hinunter folgen. Um sie herum ist nichts als Dunkelheit. Ab und an hört man Mädchen aufschreien … und jemanden schniefen.
»Kopf hoch, Neville«, hören sie Hermine sagen.
Parvati versucht vergeblich, nicht loszuprusten. »Ich wette mit euch, die fette, kleine Heulsuse kommt nach Hufflepuff!«
»Nen Augenblick noch, und ihr seht zum ersten Mal in eurem Leben Hogwarts. Nur noch um diese Biegung hier«, ruft der Mann über die Schulter.
Der Pfad ist nun zu Ende und sie stehen am Ufer eines großen, schwarzen Sees.
Auf der anderen Seite, hoch oben auf der Spitze eines Bergs, thront ein gewaltiges Schloss mit vielen Zinnen und Türmen. Seine erleuchteten Fenster funkeln im Nachthimmel.
Ein lautes ›Oooohh!‹ ertönt.
Obwohl Pansy seit jeher in prachtvollen Villen ein- und ausgeht, raubt dieser Anblick selbst ihr für einen Moment den Atem. Mit ihrem Zuhause für die nächsten sieben Jahre hätte sie es wahrlich schlechter treffen können!
»Nicht mehr als vier in einem Boot!«, sagt der Mann und deutet auf die Flotte kleiner Boote, die am Ufer dümpeln. Er selbst nimmt eines für sich allein, woraufhin er gefährlich tief absinkt.
Pansy und die Zwillinge nehmen ebenfalls Platz, gefolgt von einem Mädchen mit blonden Zöpfen. Weiter vorne gesellen sich Hermine und Neville zu zwei Jungs.
»Alle drin? Nun denn – VORWÄRTS!«
Sie setzen sich in Bewegung und schweben über den spiegelglatten See, während sie schweigend zum Schloss hinauf starren. Als sie am Felsen ankommen, gleiten sie durch einen Tunnel, bis sie eine Art Hafen erreichen und aus den Booten klettern.
»He, du da! Ist das deine Kröte?«, fragt der Mann unvermittelt.
»Trevor!«, schreit Neville erleichtert und nimmt seinen verlorenen Freund in Empfang.
Pansy und die Zwillinge sehen sich grinsend an.
Sie marschieren weiter, bis sie vor einer langen Steintreppe stehen. Am oberen Ende angelangt, versammeln sie sich vor einem riesigen Eichentor – dem Eingangsportal des Schlosses.
»Alle da? Du da, hast noch deine Kröte?« Der Mann hebt seine gewaltige Faust und klopft dreimal an das Tor.
