Hermione klopfte zaghaft an Professor Snapes Tür. Es war nicht gut, ihn noch so spät stören zu müssen, aber sie hatte keine andere Wahl. Wenn sie das Buch heute nicht zurückgab, würde er ihr morgen erneut jede Menge Punkte abziehen, und sie hatte in diesem Schuljahr bereits für mehr Abzüge im Kampf um den Hauspokal gesorgt als in all den Jahren zuvor, obwohl sie sich noch mehr Mühe als sonst gegeben hatte, Snapes Ansprüchen weitestgehend gerecht zu werden.
Ihre Probleme mit Snape hatten im Laufe ihrer Schulzeit merklich zugenommen, und es wurde immer schlimmer, je näher Hermiones Abschluss rückte. Es waren nur noch wenige Monate bis zu den NEWTs, und sie hatte inzwischen den Eindruck, dass Snape in voller Absicht nach Fehlern in Hermiones Verhalten suchte. Er machte ihr wie keinem anderen Schüler das Leben schwer; sogar Neville schien zur Zeit vor Snapes Gemeinheiten sicher zu sein. Warum sich der Meister der Tränke so sehr auf sie konzentrierte, vermochte Hermione nicht zu sagen, denn sie hatte sich so gut wie nie zuvor im Griff, was Widerworte oder anderweitige – in Snapes Augen unnötige – Unterbrechungen seines Unterrichts anging. Sie beachtete in seiner Gegenwart jede denkbare Regel, war stets höflich und zurückhaltend, aber je mehr sie sich bemühte, desto häufiger schien Snape irgendeinen Makel an ihr zu finden. Sie hatte allmählich den Verdacht, dass er irgendein perfides Spiel mit ihr trieb, dessen Regeln sie nicht kannte und das sie deswegen nur verlieren konnte.
Sie klopfte noch einmal, ohne dass eine Antwort erfolgte. Sie wollte sich bereits abwenden und gehen, als sich die Tür wie von selbst öffnete. Snape stand direkt dahinter.
„Miss Granger, was für eine Überraschung. Ich hatte mit einem zögerlichen Hufflepuff-Erstklässler gerechnet, nicht mit einer Gryffindor."
Sie sah ihn irritiert an. „Professor?"
Gong.
Die Turmuhr von Hogwarts schlug.
Er wies auf die Tür. „Ihr Klopfen, Miss Granger."
Gong.
Sie blickte zwischen der Tür und ihrem Lehrer hin und her, dann begriff sie.
Gong.
„Verzeihung, Professor, ich wusste nicht, ob sie schon schlafen, da wollte ich leise sein."
Gong.
Er sah sie mit einer Mischung aus Zweifel und Spott an, dann wandte er sich ab und ging zu seinem Schreibtisch.
Gong.
„Ihre Fürsorge überrascht mich, Miss Granger."
Gong.
Sie verschwieg natürlich, dass es ihr nur darum gegangen war, weitere Strafpunkte zu vermeiden, die unumgänglich gewesen wären, hätte sie Snape aus dem Schlaf gerissen.
Er setzte sich, während sie immer noch im Türrahmen stand.
Gong.
„Was verschafft mir die Ehre, Miss Granger?"
Gong.
„Das Buch, Professor. Ich wollte es zurückgeben."
Gong.
Sie zog es unter ihrer Robe hervor und betrat Snapes Büro.
Gong.
„Ah, ‚Dreißig Neue Rezepte'. Und, fanden Sie es inspirierend?", fragte er spöttisch.
Gong.
„Es … war hilfreich. Vielen Dank, Professor, dass ich es mir ausleihen durfte."
Gong.
Er lächelte. „Kein Problem. Legen Sie es dort ab." Er zeigte auf einen kleinen Beistelltisch neben dem hoch aufragenden Bücherregal an der Wand.
Sie ging hinüber und legte das Buch ab.
„Zehn Punkte Abzug für Gryffindor", sagte er trocken.
Sie drehte sich um und sah ihn überrascht an. „Professor …?"
„Sie hätten das Buch gestern zurückbringen sollen, Miss Granger." Er lächelte.
„Aber … sie sagten doch heute morgen …"
„Falsch. Ich sagte gestern morgen, sie möchten es noch am gleichen Tag zurückbringen … Es ist bereits nach Mitternacht, Miss Granger."
Sie sah ihn aus funkelnden Augen an. Natürlich war es nach Mitternacht – wenige Sekunden. Dass er sie an der Tür aufgehalten hatte, war nicht ihre Schuld gewesen, aber wenn sie jetzt wieder anfing, mit ihm zu diskutieren, würde sie sich nur noch mehr Punkte einhandeln.
„Stimmt etwas nicht, Miss Granger?"
Sie biss sich auf die Unterlippe, dann erwiderte sie: „Nein, Sir. Gute Nacht, Professor Snape."
„Gute Nacht, Miss Granger."
Hermione rauschte aus dem Büro, und hinter ihr fiel die Tür mit einem Krachen ins Schloss.
Die junge Hexe schüttelte den Kopf vor Wut und Empörung, während sie die Treppe empor stieg. Wie weit würde er dieses gemeine Spiel wohl noch treiben? Was konnte sie nur tun, um dieser Sache endlich Einhalt zu gebieten …?
