Titel: Coda 2.3 (Kapitel 1/4)
Fandom: Harry Potter
Autor: Liriaen
Pairing: H/D, SS/HG und... thing.
Rating: FSK-16
Disclaimer: Danke, JK Rowling, William Gibson, Roger Zelazny - kein Geld, nur Liebe.
Wortzahl: 7.020 (von 32.000)
A/N: AU/Science Fiction-Novelle, die im Wissen um Teil 1 ("Algebra in der T.A.Z.") und Teil 2 ("Vanadium I-Ching") vermutlich mehr Sinn ergibt. Danke an Agadinmar und Catsintheattic für das Lektorat.
Zusammenfassung: Den Würgegriff einer Künstlichen Intelligenz namens Voldemort haben sie abgeschüttelt, doch die schöne neue Welt läßt auf sich warten.
Kapitel 1: Hermione schubst Polygone, Snape geizt mit seinen Nieren, und Harry und Draco stecken die Köpfe zusammen...
Coda 2.3
Kapitel 1
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"These days the world is full of questions,
and there are new ways to beautiful."
Salman Rushdie: "The Moor's Last Sigh"
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"Es gibt Dinge", doziert Ron einer unbeteiligten Hermione, "es gibt Dinge, die ich wirklich nicht über Harry wissen möchte." Mit dieser Bemerkung nimmt er eine Hürde aus Kartons und Styroporverpackungen, klettert zu seiner Werkbank und zieht mit der verbogenen Antenne, die er zum Zauberstab umfunktioniert hat, einen Bildschirm aus dem Tisch.
Als Hermione von ihrer Platine aufschaut, blendet sie ein Durcheinander aus Brüsten und Hintern. Ein Fleischpuzzle, das der menschlichen Anatomie en detail widerspricht und so in einander verkeilt ist, daß sie nicht mehr sagen kann, wo der eine Körper aufhört und der andere beginnt.
Die Mädchen sind gesponsorte Hybride: Zusätzlich zu ihrer Sexakrobatik führen sie die neuesten Modifikationen vor. Sobald Rons Cursor darüber gleitet, erscheinen Anbieterlogos, klappen Spezifikationen und Preislisten auf. Die Körperöffnungen auf Rons Holoschirm erscheinen abstrakt, sind aber, wie Hermione mit halbem Auge feststellen kann, voll funktionstüchtig.
"Würde es dir was ausmachen, deinen Porn wo anders zu gucken?", kommentiert sie müde, als aus den Lautsprechern immer spitzere Schreie tönen.
Ron dreht sich kurz zu ihr um, grüne Reflektionen im Gesicht, und greift nach dem Kopfhörer. "Sorry."
Das gesampelte Stöhnen hört auf, aber die Nahaufnahmen von zustoßenden Objekten und spritzender Flüssigkeit gehen Hermione auf die Nerven. Sie zieht es vor, den Laser beiseite zu legen und umzuziehen: Es hat keinen Sinn, sich aufzuregen; wenn Ron so drauf ist, geht sein Es auf override.
Sie kann sich in etwa vorstellen, was ihn heute früher als sonst zu Holoporn greifen läßt. Und Ron mag darüber anders denken, aber Hermione findet, der Anblick ihrer beiden Mitbewohner hat etwas zärtliches. Ihr fehlt zwar die Hard- und Software, um es nachzufühlen, aber ihr gefällt, wie Draco dabei seine Zehen spreizt.
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Gerade tut er es wieder, wie sie im Vorübergehen bemerkt. Seine Zehen sind lang und weiß, ein wenig bläulich vom Liegen auf kaltem Stahlbeton. Fast wie Finger, denkt Hermione: sie suchen den Rand der Schaumstoffmatte, um sich hinein zu krallen, lassen los und spreizen sich aufs neue.
Dann rollen sie sich nach innen, zeigen auf die Fußflächen, während die großen Zehen nach oben abdrehen.
Hermione kennt so etwas, ein Indikator von Elektroschocks, aber bei Draco deutet nichts auf einen Krampf hin - das ist kein Grand Mal, im Gegenteil: Draco kichert. Er aalt sich, lacht leise, bis sein Atem stockt und er kurz schlucken muß; dann hebt und senkt sich sein Brustkorb wieder mit der selben, tiefen Regelmäßigkeit.
"Gibt nichts zu sehen, Hermione, einfach weitergehen", sagt Harry. Er lupft die Hand vom Sandbender und scheucht lapidar in ihre ungefähre Richtung. Seine Augen bleiben dabei geschlossen – er muß einen Sensor programmiert haben, aus purer Gewohnheit, sogar in ihrem eigenen Wohnkomplex.
Als Harrys Handwurzel versehentlich auf mehrere Tasten gleichzeitig fällt, entfährt Draco ein kehliger Laut: Der Impuls drückt ihn in eine Rechtskurve und schlägt seinen Hinterkopf krachend gegen die Wand der Koje. "Verdammt, Granger", beschwert er sich, "hast du keine Scham, Weib?"
Er schüttelt drohend den Arm, und Hermione genügt ein kurzer Blick in seine Linsen, um zu wissen, daß er eine Faust sieht, wo in Wirklichkeit nichts ist, über der Stelle, wo früher das Morsmordre lag. Seine neuen Implantate flimmern träge; graue Testbilder, hinter denen unablässig ein Datenstrom sickert.
"Ich such' nur einen Platz zum Löten", sagt sie und beißt sich auf die Backe, weil es so selten dämlich klingt.
In einem der hinteren Lagerräume knallt sie grummelnd die Platine vor sich hin und fährt fort, Kupferdrähte zu verbinden.
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"Schon zwei fürs Leben Gezeichnete heute", raunt Draco, so nah an Harrys Ohr, daß sein Atem Funken schlägt und Harry empfindlich zusammenzuckt.
"Leck' nicht an meinem Port", murmelt er, während sein Daumen blind nach Dracos Mundwinkel sucht, "das ist eklig."
Draco summt überlegen. "Mmh. Schlecht isoliert, Potter. Du und deine schlampigen Hinterzimmer-Jobs. Mit ein bißchen mehr Zeit hätte Voldemort das korrigiert."
"Müssen wir im Bett über Voldemort reden?"
"Wir brauchen überhaupt n-"
Harry hat eine Hand zwischen sie gewunden, und die Sequenz, die er eingibt, reduziert den Rest von Dracos Rede auf ein simples "-nguh". Dabei zieht der Blonde ein Gesicht, als hätte er Wasser im Ohr.
-nicht reden. Ah, da bist du. Schmutzige Schnittstelle, schmutzige Gedanken, Potty; genau, wie Mutter immer gesagt hat. Was meinst du, wenn ich dich zum Schrotthändler bringe, wieviel würde ich für dich bekommen?
Er hört Draco nicht lachen, aber er fühlt es: in ribbelndem Kabelwiderstand, den die Glasfaser verstärkt wie ein Drahtseil. Was sie eigentlich nicht sollte. Nicht, daß es sich unangenehm anfühlt, Dracos Lachen, aber...
Hey. Hey, Malfoy! Wann warst du das letzte Mal in meinem Computer?
Laß' sehen... Gerade eben, mit dir?
Nein, davor...
Schau' halt in dein Log.
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Draco lacht noch einmal, mit einer Resonanz, die Harry hinterm Stirnbein kitzelt, dann verschwindet er aus Harrys Matrix: ein Vektor in einem Meer von Fraktalen, die nach Wismut oder Migräne-Aura aussehen. Als Harry ihm folgen will, knallt er gegen eine Firewall.
Eine Sekunde lang ist er unentschlossen – er kann nie voraussagen, wie Draco reagiert, wenn er ihm in sein Netz folgt. Wenn er gereizt ist, wenn ihm der Stumpf wehtut oder ihn ein Nichts einholt, dem er nicht anders begegnen kann, als alles, was nicht ZNS ist, runterzufahren, ahnt Harry, daß er besser escape drückt.
Nicht, daß Dracos Firewall große Kunst wäre. Er hat ein paar Fußangeln eingebaut, in Ordnung, und tatsächlich ist Harry ein paar Mal erst Minuten später wieder aufgewacht, nur... wenn er wirklich wollte, könnte er Dracos Schutz einreißen wie ein billiges Stück Pappe.
Klar ist das beiden; reden tun sie darüber nie. Und es macht es Harry nicht leichter, daß Draco ab und zu Hasch mich, ich bin der Frühling spielt - wenn er aufgestöbert werden will. Harry weiß genau, was Dracos restliche Klingen ein- und ausfahren läßt (sein Rücken spricht davon Bände), aber bei Dracos Gefühlen ist er sich weniger sicher.
Diesmal setzt er nicht ihm nach. Etwas an der Art, wie Draco sich fortgewunden hat, stört ihn, und er knautscht sich die Kissenrolle unters Ohr.
Der Sandbender geht nach zehn Minuten Inaktivität auf Standby, und im Halbschlaf spürt Harry kaum, daß Draco ihm behutsam den Stecker hinterm Ohr hervorzieht, ihn durch seinen eigenen ersetzt. Am Rand seines Bewußtseins hört er den Laptop quäken, aber das Warngeräusch sagt ihm nichts. Daß ein User sich nicht abmeldet, kommt vor.
... Malfoy?
Mmh... hier.
Draco.
Schlaf weiter, Harry.
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Obwohl der Laser Wärme abstrahlt, hat Hermione schon nach einer kleinen Platine und einem Motherboard eiskalte Hände. In der Abwesenheit richtiger Jahreszeiten machen sich November bis März zwar hauptsächlich durch Dunkelheit bemerkbar, aber die Feuchtigkeit im Boden tut ein übriges. Als sie sich das dritte oder vierte Mal vor Frost schüttelt und dabei einen Kontakt verdirbt, macht sie Schluß für heute.
Immerhin ist das Batch für Severus fertig. Sie verschweißt die Chips, räumt den Arbeitsplatz auf, und wenn Ron sie sehen könnte, würde er stichelnd fragen, woher sie auf einmal wieder soviel Schwung hat.
Grinsend schnappt sie ihre Tarnjacke und den Zauberstab, pausiert im Vorbeigehen noch mal vor Harrys Schlaftunnel. Sie ist nicht neugierig... sie will nur gucken, ob sie ein Stück vorangekommen sind.
Sie sind jedenfalls noch immer angezogen, Harry in Jeans und einem rattigen Fleece, Draco mit schwarzem Tanktop und Arbeitshosen - aber wenigstens den Laptop haben sie fortgeschoben. Ein Glasfaserkabel verbindet sie direkt, von einem Port zum andern, und Harry hat den Arm um Draco gelegt, ganz leicht, seinen Stumpf nicht belastend.
Hermione wäre nicht überrascht, wenn sie sich so bald nicht mehr rühren: Ihr momentaner Rekord im Porten ohne Brücke liegt bei 31 Stunden.
Bevor sie geht, rollt sie fürsorglich eine Thermodecke aus.
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"Jetzt noch? Alleine? Du spinnst ja." Ron nimmt ertappt die Füße von der Konsole und legt die Stirn in Falten. "Dann nimm wenigstens den Schocker mit."
Mit den Worten wirft er ihr einen EMP-Stab zu, den sie skeptisch ein paar Mal zwischen den Händen dreht, Sicherung und Schalter checkt. "Deiner? Der hat neulich gehakt und mir dann fast den Arm abgerissen. Nee, danke, laß mal. Ist nicht so weit", wedelt sie demonstrativ ihren Zauberstab, "wird schon reichen."
Ron hebt die Schultern, kann sich jedoch nicht verkneifen, Hermiones Weg die ersten 500 Meter per Kamera zu verfolgen, von den Retina-Scannern des inneren Perimeters bis zu den kreischenden Wellblechtüren hinter dem Schrottplatz, in dessen CCTV er sich vor einem Jahr eingehackt hat. Alter Video-Mist, aber praktisch, weil er wie ein zusätzlicher Baumring um ihre Bude liegt, und das ohne großen Aufwand.
Wenn er ehrlich sein müßte, aber das muß er nicht, hat er bei den erweiterten Barrieren auch an Malfoy gedacht. Von Anfang an ist der Freak durch ihre Türen geglitscht, als hätte er in Silikon-Öl gebadet; nennenswerte Retina hat er keine – was bleibt Ron schon anderes übrig, als zu diversifizieren.
Er sieht Hermione die Hände in die Jackentaschen stopfen und die Tarnfunktion aktivieren, dann verschwindet sie von den Bildschirmen. Ihn selber reizt so schnell nichts rauszugehen; er hat alles, was er braucht. Zumindest heute Abend.
Unter der Konsole lagern zwei Flaschen koreanischer Wodka in Trockeneis, sein Port harrt der interaktiven Einspeisung vom Quidditch-Halbfinale, und wenn Harry und Malfoy noch eine Weile an ihren Chips füßeln, was zu erwarten ist, hat er mindestens vier, fünf Stunden glorreiche Ruhe. Für einen langsamen Handjob, die neuen Manöver der Cannons und dreißig Minuten Dusche für sich allein, ohne daß jemand gegen das Waschmodul hämmert.
Genau in diesem Moment verstummt das tiefe Brummen aus dem Generatorraum. Die Turbine kommt stotternd zum Halt, und bevor die Notaggregate hochfahren, herrscht für ein paar Sekunden ungewohnte, nahezu absolute Stille.
Ron schaut von Geräteturm zu Geräteturm, aber es scheint nichts Ernstes zu sein - binnen weniger Sekunden sind sie sogar wieder am Stromnetz. Deshalb wird sich auch der Generator verabschiedet haben; seit Voldemorts Ende brauchen sie ihn immer seltener, vielleicht bald nur noch als Backup. Die Kapazitätsanzeigen schnellen hoch, bleiben stabil, die Aggregate fallen ab, und zärtlich tätschelt Ron den vorgeschalteten Verteiler.
Per Zauberstab schnickt er schon mal den Kanal für den Quidditch-Feed an. Er windet sich gerade zwischen Kabelrollen an die Eistruhe, als um ihn herum alles abschmiert. Danach bleibt es dunkel.
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Apparieren fühlt sich nicht mehr an, als müsse man sich durch chemisch verseuchten Reisbrei quetschen, aber Hermione ist der Abendspaziergang ganz recht. Wenn sie zu lange mit den Jungs auf einer Stange sitzt, bekommt sie Käfigkoller.
Ron, brillanter Geist, der er ist, ist im Haushalt ein Dreckschwein. Solange sie strikt im Untergrund gelebt haben, waren Nicht-Lüften und Auf-Müll-Hocken vielleicht noch mit Sicherheit zu rechtfertigen, aber seit Voldemort nicht mehr die Energie eines halben Kontinents absaugt, funktionieren auch wieder ein paar der öffentlichen Einrichtungen. Vor allem die Polizeinetze, okay, aber einige Viertel haben sogar wieder Müllabfuhr. Es wäre ein Leichtes, ihren Schrott dorthin zu schaffen - Ron müßte nur ausmisten. Aber wie Harry scheint er der Ansicht zu sein, daß selbst ein schimmeliger Yakitori-Stab noch zu etwas nutze ist. Zum Strip-Mikado-Spielen oder Laufwerke aufbiegen, wer weiß.
Hermione zieht den Kopf in den Kragen, schmunzelt in ihren Schal. Über ihr loht ein orangebrauner Himmel, gesprenkelt mit den Lichtern von Gleitern. Ausnahmsweise scheinen keine Polizei-Helikopter unterwegs zu sein: kein Lautsprecher-Schnarren, keine Scheinwerfer, nur das Schimmern von Neon auf nassem Asphalt.
Severus ist umgezogen, post-Voldemort, mit der Begründung, ein Recht auf Tageslicht zu haben, was absurd ist, weil seine neue Bleibe kein einziges Fenster aufweist. Es ist eher, daß sein Bein schlechter und die gewundene Treppe in sein altes Untergeschoß mühsamer geworden sind, aber Hermione wird den Teufel tun, das anzudeuten.
"Ich bin's", sagt sie in die altertümliche Gegensprechanlage.
Ihr Zählen ist bei 29 angelangt, als es knisternd nörgelt: "Das sehe ich. Ich kaufe nichts, Miss."
Hermione läßt sich gegen die Stahltür fallen und verschränkt die Arme. "Oh, wenn das so ist. Ein Posten Nano-gestützter Optik-Zellen für den anspruchsvollen Laborbetrieb? Ich habe gehört, in Nokturn zahlen sie dafür mit Nieren."
"Was für eine alberne Währung", kommt es trocken zurück. "Ich habe hier gerade keine herumliegen, und meine eigenen sind sozusagen gebunden. Haben Sie sonst nichts anzubieten, Miss?"
Sie hat genau vor sich, wie er dabei die untere Zahnreihe entblößt.
"Einiges, Sir. Sprechanlagen-Sex allerdings nur gegen vorherige Prüfung Ihres Kreditchips."
"Wie harsch, Granger", seufzt er. Dann gleitet die Tür auf.
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Er trägt noch immer den selben, fadenscheinigen Bademantel, für den sie ihn vor Jahren schon aufgezogen hat, und seit einiger Zeit weiß sie wieder, was für ein Vergnügen es ist, ihn ihm auszuziehen. Er lehnt an einem gekachelten Arbeitstisch und verfolgt mit halb geschlossenen Augen, wie sie langsam den doppelten Knoten löst, den Gürtel aus den Schlaufen zieht, ihn auf seine nackten Füße in den japanischen Holzschlappen fallen läßt.
Ab da ist es Hunger. Sie manövrieren einander grunzend durch den Raum, haarscharf an einem Topf mit blubbernder, grüner Pampe vorbei, die auf kleiner Flamme kocht, schrammen an einer scharfkantigen Aluwanne entlang, graben und wühlen in einander. Atemlos schaffen sie es in einen stickigen Vorratsraum, in dem ein ausrangierter Sessel steht, und während ihre Zähne und Zungen auf einander prallen, klappt Severus unter Hermione in den Fauteuil.
Daß sie für ihn Rock trägt, ohne Slip, macht die Sache schnell, vielleicht auch ein ganz bißchen schmutzig. Genau wie sein Bademantel.
Später folgt sie ihm ins Schlafzimmer, in ein Reich aus Bücherstapeln, Kerzenresten und tiefgrünem Samt, den er in dieser Qualität nur vom Schwarzmarkt haben kann. Jetzt ist es keine Gier mehr, sondern tastende Inbesitznahme. Das Kerzenlicht schmeichelt ihnen. Es verwischt die Linien in seinem herben Gesicht, übermalt Narben, von denen beide reichlich haben.
Würde nicht dann und wann irgendwo eine Zentrifuge losscheppern, ein Autoklav zischen oder ein Drucker Messergebnisse rattern, könnte man glauben, es sei eine andere Zeit, ein anderer Ort, aber es tut nichts zur Sache: Sie feiern, daß sie verdammt nochmal am Leben sind.
Nachdem Hermione ihm eine friedliche Viertelstunde aufs Schlüsselbein gesabbert hat, rührt sich in ihr Gesprächigkeit. "Harry ist fast wieder der alte", überlegt sie laut.
"Oh wirklich?" quittiert Severus. "Was für ein böses Erwachen."
"Mach' dich nicht lustig. Er war wirklich lange neben der Spur."
"Mh. Er kann von Glück sagen, daß er überhaupt noch ein Gehirn hat. Nicht, daß er den Verlust bemerken würde, so selten er es benutzt." Nachdenklich hält Severus den vernarbten linken Arm ins Licht. "Wie geht es Draco?"
"Besser, denke ich. Schwer zu glauben, aber die beiden kleben an einander. Sie sind ständig zusammen eingeloggt. Nur richtig... richtigen...", räuspert sie sich, "mit einander geschlafen haben sie noch nicht."
Severus' Mundwinkel zucken. "Woher willst du das wissen?"
"Mein Gott, es ist ein kleiner Compound", errötet Hermione. "Und sie liegen die ganze Zeit in ihren Kleidern herum."
"Selbst unter der unwahrscheinlichen Prämisse, daß Draco ihn ranläßt, glaube ich nicht, daß Potter in angemessener Zeit die dafür vorgesehenen Körperöffnungen fände."
"Severus!"
"Hermione."
"Harry ist vielleicht ein otaku, aber nicht geschlechtslos", schilt sie.
"Unabhängig davon, ob er weiß, wo sein Schwanz hängt und was man damit zu zweit machen kann," - Hermione schlägt nach Severus' schmalem Brustkorb - "ist Potter so viel mehr als nur ein otaku."
Er seufzt, nimmt ihre Hand und küßt die hornigen Fingerkuppen. Bis eben hat er alles andere vorgehabt, als ihr eine Rede zu halten - schon gar nicht diese. "Hör' zu, Hermione - ein paar Stunden länger an Voldemorts virtuellem Busen, und Potter wäre das zweitgefährlichste Wesen auf unserem umnachteten Planeten geworden. Was an Modifikationen und Programmen in ihm herumgeistert, ist der allgemeinen Entwicklung schätzungsweise fünf Jahre voraus. Mindestens. Wenn nicht mehr." Einen Arm hinterm Kopf, schaut Severus zur Decke, kaut nachdenklich auf seiner Unterlippe.
"Ich behaupte nicht, zu verstehen, was den beiden passiert ist", fährt er zögernd fort. "Ich habe eine ungefähre Ahnung, und die war gerade genug, Draco zu helfen, als es ihm dreckig ging... aber die meisten seiner Systemprozesse sind mir nach wie vor unklar."
Hermione setzt sich auf, als sie merkt, wie schnell der Spott aus seiner Stimme gewichen ist: "Was Potter betrifft, wüßte ich nicht einmal, wo anfangen. Kannst du dir vorstellen, wie viele zaibatsu da draußen ihn gerne in die Finger bekämen, wenn sie von ihm wüßten? Selbst ein mißlungener Versuch, ihn auseinander zu nehmen, würde ihnen den entscheidenden Vorteil geben. Also laß' uns für jede Minute dankbar sein, in der ihre Stecker mit einander beschäftigt sind. So lange sie damit von der Straße bleiben, sehe ich kein Problem darin."
Hermiones PHS sucht sich diesen Moment aus, um loszuwimmern, und sie schwingt sich mit akrobatischem Bogen vom Bett. Sie spürt Severus' Blick mit Interesse über ihren Hintern wandern und grinst, während sie in der Tasche wühlt.
Es ist Rons Kennung; wahrscheinlich will er wissen, wo sie bleibt. Genervt rollt sie die Augen - bis sie den Blut triefenden Schnitt in seinem Gesicht bemerkt.
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"Potter!", brüllt Snape, auf eine Art, daß Harry fast losläßt.
Er sitzt auf Malfoys Hüften und hat beide Hände an seinem Hühnerhals. Ron hat Malfoys nackten Arm nach hinten gezerrt, und obwohl halb ausgerenkt, scheint noch irrsinnige Kraft darin zu stecken – alle fünf Klingen sind ausgefahren und arretiert, und als Rons Griff eine Sekunde nachgibt, genügt das Malfoy, um ihm den Ellbogen aufzuschlitzen.
"Potter", knurrt Snape, jetzt hinter und über ihm, "was hat das zu bedeuten?"
Harry schaut keuchend auf, direkt in Snapes Zauberstab. "Das Frettchen hat versucht, mich umzubringen!", schnappt er, schlägt Malfoys Kopf zornig auf den Boden. Mit einer gewissen Genugtuung sieht er, wie Malfoys Implantate, eben noch weißblau, auf einmal einen weiten Durchschuß bekommen.
"Draco, Klingen rein", sagt Snape ruhig. Harry schäumt vor Wut, weil die kleine Ratte aufs Wort gehorcht, sofort, und den Kopf in Richtung von Snapes Stimme rollt: "Man könnte glauben, ihr wärt eine Straßenbande, keine Zauberer... War es nötig, ihn so zuzurichten?"
"Ihn so zuzurichten?" Harry traut seinen Ohren nicht. "Er war drauf und dran, Ron aufzuschneiden wie einen Schinken! Er hat den ganzen Tag in meinem Computer rumgeschnüffelt, und... und" – er spürt, wie er rot wird - "er war in meinem System."
Snape läßt den Zauberstab sinken. "Vielleicht hättet ihr vor euerm Plug & Play eine Gütertrennung vereinbaren sollen?"
"Was heißt hier Gütertrennung!", keift Harry. Er weiß selbst, daß er hysterisch klingt, aber welche Ahnung hat Snape schon? Malfoy war in sämtlichen Files und Funktionen, hat sich durch alle Volumes geriffelt, ein glitschiger Maulwurf, die Nase überall, wo er nichts zu suchen hat. Ist das so schwer zu verstehen? Malfoy hat mit unfehlbarem Instinkt die Lücke in Harrys Rüstung gefunden und war kurz davor, einen angespitzten Schraubenzieher hineinzurammen.
Im übertragenen Sinn.
"Warum hat er Ron angegriffen?", fragt Hermione tonlos. Es ist das erste, was sie seit ihrem schrillen Schrei beim Reinkommen hervorbringt, als Harry und Ron versucht haben, mit Malfoy den Fußboden aufzuwischen.
Ron hat Malfoys Arm nur zögernd gehen lassen und drückt sich einen Lappen mit Bildschirmreiniger auf die Stirn, um die Blutung zu stoppen: "Weil er so ein super Shinobi ist. Was weiß ich ich? Vielleicht war ihm langweilig. Oder er mußte mal wieder seinen Infrarotbereich austesten", mit dem Knie schubst er Malfoys Kopf zur Seite, "und dazu die ganze Hütte vom Netz nehmen."
Snapes Gesicht verzieht sich, als er aus der Hocke kommt und sich auf den ausgeleierten Bürostuhl vor den Konsolen hievt. Er brütet, überfliegt mit einem Auge die Feldanzeigen, das Havarieprotokoll, das einen kompletten Bildschirm füllt. "Ihr hattet einen Totalausfall", stellt er fest. Ron motzt "sag' ich doch", aber Snape ignoriert ihn.
Schweigend druckt er die Daten aus und studiert sie, einen gelben Daumennagel zwischen den gelben Zähnen; ein Anblick, der Harry ernsthaft an Hermiones Geschmack zweifeln läßt.
Wenigstens hat er Draco-... Malfoy zurückgepfiffen. Wie auch immer ihm das gelungen ist.
"Such deine Sachen zusammen, Draco", sagt Snape schließlich, "du kommst mit zu mir", und Harry kann nur mit offenem Mund zuschauen, wie Malfoy unter ihm wegschlickt, sich Straßenklamotten anzieht.
Bis zuletzt meidet er Harrys Blick.
"Wie, das war jetzt alles?" schimpft Ron den beiden hinterher, während Hermione die größeren Schnitte heilt, Pflaster auf die kleinen klebt.
Harry reagiert nicht: Er hat den Sandbender auf dem Schoß und streichelt die rauen Tasten aus Naturstein. Er fühlt sich verraten, und allein. Seine Augen schimmern, als er sieht, mit welcher Mühe der Laptop zu booten versucht.
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Snape hat ihn in einem Vorraum in einen Sessel geparkt und marschiert ruhelos auf und ab.
Draco schaut nicht auf. Er macht einen Knoten in den leeren Ärmel seines Pullis, löst ihn, indem er zwei Klingen darunterschiebt und rüttelt, knotet aufs Neue. Ein Warnsignal am unteren Rand seines Gesichtsfelds teilt ihm mit, daß seine Blutwerte suboptimal sind, sein Herzrhythmus an der Grenze zum Klinischen, aber er ignoriert es.
"Hör' auf, hospitalistisch rumzuschaukeln und sag' mir, was passiert ist." Severus' Stimme ist dunkel, kratzig, aber nicht unfreundlich. Ein unermüdlicher Teil Dracos zerlegt sie in Wellen und von da in ihre kleinsten, akustischen Merkmale. Die Algorithmen weisen den Sprecher eindeutig als Severus aus, die Frequenz ein angenehmer Bariton. Draco schaut stumm auf seine Füße, schluckt. Er weiß nicht, warum seine Unterlippe zittert.
Er läßt zu, daß Severus sich zu ihm quetscht und einen Arm um ihn legt. Mehrfach hört er seinen Namen, mit Nachdruck, mit Sorge, aber er kann nicht antworten, wüßte auch nicht, was. Kurz darauf gehen die LEDs in schreiendes Rot über, und sein Herz beginnt zu rasen. Es ist ein altbekannter Schmerz, tief in seinem Kreuz, zwischen den Wirbeln, der ihm erst ins Genick schießt und dann alles taub werden läßt.
Severus kann ihn hochheben wie eine Puppe. Er hört ihn fluchen und kramen, während Draco an die Decke schaut: Seine Linsen haben sich automatisch gedimmt, um die schlechte Bildauflösung zu kompensieren.
Es ist still, auf einmal, und Draco läßt müde den Kopf zur Seite fallen.
Als er aufwacht, liegt er warm und weich. Seine Systeme müssen sich schon in der Nacht wieder berappelt haben, denn nichts unterbricht sein Gähnen mit nervigen Statusmeldungen. Die Uhrzeit ist 09:17:56. Er streckt sich ausgiebig und schmatzt. Daß er sich in Severus' Bett befindet, eins von Severus' Nachthemden trägt und Severus ihm gerade Haar aus der Stirn streicht, akzeptiert er fraglos.
Er rollt sich in die Berührung wie ein Kater, schnurrt. Und dann ruiniert Severus' seine Stimmung, indem er etwas von einer üblen Nacht und vier Spritzen und einem Beinahe-Crash faselt, und sagt: "Ich glaube, als plausibelste Erklärung sollten wir einen Virus ins Auge fassen."
"Einen bitte was?"
"Du hast mich gehört. Ich schreibe nachher den Parzen, wegen eines Termins."
"Lieber Gott", vergräbt Draco den Kopf im Kissen. "Scheiße."
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Harry blinzelt skeptisch in den diesigen Morgenhimmel, dann springt er von einem verbogenen Stahlträger eine halbe Ebene tiefer. Die Explosion muß gewaltige Kräfte freigesetzt haben, um unter und über der Erde für solche Zerstörung zu sorgen.
Er erinnert sich, mit Malfoy die Bilder gesehen zu haben, damals, unzählige Male, ohne sie in ihrer Abstraktheit zu begreifen. Malfoy, wie er blicklos auf den Bildschirm starrt. Er selbst, überall wund und wieder allein, wie er sich neben Malfoy auf den Beton kauert. Jeder billige Seelenklempner wird ihm da beipflichten – das Ganze war von vornherein eine schlechte Idee. Ein vorprogrammiertes Desaster. Weil er ignoriert hat, wie kaputt Malfoy wirklich ist, und geglaubt, Malfoy und er seien einander... vielleicht nicht gleich, aber zumindest verwandt.
Voldemort hat nur Leere hinterlassen, denkt er. Daß die Welt seither besser geworden ist, schöner, muß ihm erst noch jemand beweisen.
Die Ruinen im Stadtkern sind erst teilweise abgetragen: In den Bezirken, in denen noch etwas zu bergen war, ein-, zweistöckige Häuser wegzuschaufeln, ging es schnell, zum Zeichen, daß das Muggel-Militär etwas tut. Dafür ist mehr als eine Quadratmeile im Zentrum nach wie vor Sperrgebiet.
Was nicht bedeutet, daß Harry in den verkohlten, vom Säureregen korrodierten Resten allein ist. Von den Rändern des Kraters führen überall Fuchsbauten in die Erde: Sie sind clever getarnt, weil es unter Androhung von Deportation verboten ist, sich im Sperrgebiet aufzuhalten, geschweige denn zu wohnen.
Dennoch hat sich dort eine Parallelgesellschaft angesiedelt. Sie bevölkert Hohlräume und neu gegrabene Tunnel, und sie unterscheidet sich von den vielen anderen Subkulturen, die in virtuellen wie realen Enklaven nisten, nur in einem: sie sehen das obszöne Loch in der Erde als etwas Göttliches an. Das Zeichen einer Gottheit, von der sie nicht sprechen können, deren Kult sie am Ort ihrer Apotheose erfunden haben.
Harry macht sich nicht die Mühe, sie darauf hinzuweisen, daß die Apotheose aus technischen Gründen leider ausgefallen ist.
Er schiebt sich die Tasche mit dem Sandbender vor den Bauch, damit er sie beim Abstieg besser schützen kann, und hangelt durch eine Öffnung zwischen zwei verkanteten Betonblöcken. Sie müssen einmal Teil eines Korridors gewesen sein: Ein Reflektorstreifen schält sich in spröden Brocken von ihrer Mitte, weist zu einem Notausgang, der vom Erdboden verschluckt worden ist.
Ein minimiertes Lumos zeigt, daß der darunter liegende Gang fast völlig verschüttet ist. Links und rechts geht es jeweils nur wenige Schritt in ein Dunkel, das nach verbranntem Kunststoff, Abfall und Pisse riecht. Aber nach wenigen Schritten nach rechts, hinter einem bis an die aufgeplatzte Decke reichenden Geröllhaufen, befindet sich offenbar ein weiterer Gang.
Mit dem Zauberstab zwischen den Zähnen beginnt Harry zu buddeln. Es dauert keine fünf Minuten, bis er ein Loch aufgescharrt hat, durch das er sich hindurchzwängen kann – die obere Schicht bestand nur aus lockerem Erdreich, das er von der anderen Seite wieder nachschiebt.
Dahinter beginnt eine Schräge, die tiefer reicht als der Gang am Einstieg. Obskure Rinnsale haben auf den Seitenwänden Schleimspuren hinterlassen. Wenn der Schein des Lumos sie streift, sehen sie aus wie mutierte Nacktschnecken. Der Betonboden ist stellenweise noch solide und wird steiler, und Harry muß sich mit einem Spruch bremsen, um nicht zu stürzen. Als er schließlich einen ebenen Teil erreicht, rutscht er mit dem Rücken an der Wand hinab und landet auf dem Hosenboden.
Den Kopf ins Genick gelegt, schnippt er das Lumos aus, lauscht in die Dunkelheit. Außer Wassertropfen, dem Schrabbeln von Ratten und seinem eigenen Atem ist nichts zu hören, auch wenn die nächsten Wohnhöhlen nicht weit weg sein können.
Es ist nicht der bequemste Ort der Welt, aber wenigstens hat er hier Ruhe. Ron harft seit gestern nonstop auf seinen Verletzungen und Malfoys Tücke herum, und Hermione folgt ihm auf Schritt und Tritt durch die Wohnung und wringt dabei betroffen die Hände. Er hat sie bei den Schultern nehmen müssen und sagen, daß es okay ist. Daß es ein Versuch war, und ein Fehlschlag, und daß man Malfoy den größten Gefallen tut, indem man ihm einen Bolzen in den Kopf jagt, ihn an einen halbschattigen Platz setzt und von Zeit zu Zeit wässert.
Bei der Vorstellung muß er bitter lachen. Gerade, als er das Gefühl hatte, Malfoy einen Schritt näher gekommen zu sein, ihn ein bißchen aus der Leere geholt zu haben.
Er tastet nach dem geriffelten "Ein"-Schalter seines Laptop, weckt ihn auf und schaut gebannt, wie vor seinen Augen Origami-Blüten aufklappen. Um Malfoys Spuren aus dem Sandbender zu tilgen, alles neu zu verschlüsseln, hat er die Nacht durchgemacht - schlafen konnte er sowieso nicht, schon gar nicht in einem Bett, das immer noch nach Malfoy riecht. Wenn er heimkommt, wird er die Matte rauswerfen.
Er sitzt ein paar Minuten reglos, sieht den flitzenden Snitches des Bildschirmschoners zu. Dann verschwindet er mit geschlossenen Augen in einem dreidimensionalen Koordinatennetz. Manchmal bildet er sich ein, daß es auf ihn wartet.
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"Der kleine Draco! Schau', Minerva, Draco Malfoy ist hier!"
Pomfrey strahlt die beiden zahnlos bis über beide Ohren an, und Draco drückt sich vor ihrem schlechten Atem weg, bis er Severus auf den Fuß tritt.
"Moment", angelt sie nach ihrem Gebiß, "gerade noch meine Sterne... ha, so ist besser. Zur Feier des Tages! Groß bist du geworden, Draco." Sie wischt die Hände an einer Schürze, von der Severus nicht wissen möchte, welche Eingeweide zuletzt darauf vergossen wurden, und wuschelt dem Jungen durchs Haar. "Aber so blaß. Und viel zu dünn. – Minerva! Jetzt komm' doch mal!"
Sie reißt einen sich sträubenden Draco am Arm vorwärts, und Severus muß auf seine Schuhe gucken, um nicht beim Lachen ertappt zu werden. Es ist nicht lustig. Pietätvoll wischt er sich das Grinsen vom Gesicht und sieht sich um: Das Vorzimmer der Drei ist nach wie vor enorm beruhigend eingerichtet. Menschliche und nicht-menschliche Präparate glotzen aus ihren Einmachgläsern von den Regalen, Schautafeln zeigen viel-antennige Parasiten, die Symptome von Datenfäule sowie Abszesse an schlecht gesetzten Neurokanülen. Über allem schwebt ein Geruch von Desinfektionsmittel und heißen Drähten.
Nebenan hört er Irmas Stimme, hart und schnittig im Vergleich zu Poppys schnatterndem Diskant: "Junger Mann, das ist kein Grund, verstümmelt rumzulaufen. Es ist ein bißchen unangenehm, wenn die Nerven angeschlossen werden, aber-"
"Ein 'bißchen' unangenehm!" protestiert Draco. "Pince, das ist die Untertreibung des Jahrhunderts!"
"Für dich immer noch Madam Pince."
Zwischen Tür und Angel sieht Severus, wie Pomfrey den Arm um Draco legt: "Das lassen wir besser für ein anderes Mal, Irma. Severus sagt, das arme Lamm hat sich was eingefangen." Dracos Kopf wirbelt zurück zu Snape, und er mimt 'armes Lamm?!', bevor sie ihn in eine Kabine schiebt: "Mach' dich schon mal frei, Draco. Du kennst das ja."
Severus blättert zerstreut in einem Ordner mit Informationsblättern, als Minerva sich hinter ihm räuspert.
"Severus Snape. Welch seltener Gast", konstatiert sie.
Er verneigt sich, soweit sein Bein ihn läßt, lächelt süßsauer. "Minerva. Ich glaube, mein Schmerzgedächtnis verhindert, daß ich euer gastliches Etablissement häufiger aufsuche." Um die drohende Tirade im Ansatz zu ersticken, deutet er mit einem spitzen Ellbogen Richtung Nebenzimmer. "Und, Draco. Was meinst du."
Minerva setzt sich geschäftsmäßig hinter den Schreibtisch. Der Zauberstab aus Platin, den sie kokett in den grauen Dutt gesteckt hat, ist das einzige, was ihre strenge Miene auflockert. "Nach allem, was du schreibst? Ungewöhnlich. Ad hoc würde ich ebenfalls einen Virus vermuten. Den kann er sich natürlich in jedem beliebigen virtuellen Raum geholt haben; sowas ist nicht auf SexSims beschränkt, sondern betrifft auch die, hm, sagen wir, zerebraleren Vergnügen. Wobei gilt, je ausgefallener die Sims, desto häßlicher die Viren. Portet er mit oft wechselnden Partnern?"
"Das mußt du ihn selber fragen" Severus macht ein langes Gesicht. "Bis gestern wußte ich nicht mal, daß er und Potter zusammen stecken."
Er setzt sich in einen Freischwinger, legt die Finger zusammen. Über Minervas Kopf hängt die Darstellung eines im Körper gewanderten Speed-Depots: Auch nicht anders als Krätze, denkt er, nur daß die in Frage kommende Milbe eine zwei Zoll breite Schneise der Verwüstung hinterlassen hat. Es ist erstaunlich schwer, den Blick davon zu lösen.
"Hast du eine Theorie, warum er ihrem Compound den Saft abgeschnitten hat?", fragt er.
Minerva hebt die Schultern. "Mein Tip ist so gut wie deiner, oder was du von Weasley kolportierst: Malfoy ist ein ausgebildeter Assassine. Dunkelheit ist kein Problem für ihn; wahrscheinlich arbeitet er sogar lieber so. Seine Sinne sind darauf ausgelegt."
"Hmm." Severus schaukelt langsam vor und zurück. Er erinnert sich gut.
"Komm'", reißt sie ihn aus Gedanken, "ich schätze, sie sind drüben so weit. Ich könnte mir vorstellen, daß der Junge dich dabei haben möchte."
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Pomfrey tuschelt irgendwas, und Pince, die hinter Schutzglas gerade die Schnittebenen festlegt, sagt indigniert: "Und deshalb stiehlt Severus uns die Zeit? Potter und Malfoy haben schon immer versucht, einander umzubringen. Große Güte, was soll daran neu sein?"
Die Weiber bringen ihn zum Kichern. Besser so als anders, denn die Drei können furchtbar sein, und Draco tut sein Bestes, stillzuliegen, aber er ist zappelig. Pomfrey muß ihm immer wieder zurufen, was er machen soll, weil er nicht aufpaßt und es in seinem Kopf rotiert. Gut, Biochem-Chips in Standby, Klingen voll ausgefahren, alle nicht vitalen Implantate aus. Sehnerv aus.
Die letzten beiden Punkte bringen ihn an den Rand der Panik. Weil er dann blind ist, wirklich blind, und er Severus' Anwesenheit nicht einmal mehr im Luftzug spürt.
Sie geben ihm ein paar Minuten, sich daran zu gewöhnen, aber das macht keinen Unterschied. Eine Weile glaubt er, hyperventilieren oder kotzen zu müssen, was nur daran liegt, daß sie ihn zwingen, die Biochem so bescheuert zu drosseln, und wenn er jetzt auf den Scanner reihert, kann er's auch nicht än-
"Draco." Severus fährt ihm beruhigend über den Unterarm, in weitem Bogen um die beiden Kanülen.
"Alles okay." Draco zwingt sich, lange auszuatmen. "Alles in Ordnung."
Und für diese Runde ist es das auch, für die simplen Scans - bis Pomfrey ihm die Haare zurückbindet und die Elektroden verteilt und die Diagnosekabel in seine Ports schiebt. Das ist, wobei er ausrastet, auch wenn es nur nach Reflex aussieht, ein kleines Schaudern, trotz des vorsorglich angewärmten Metalls.
Sie können das Anschließen auch an seinen Werten erkennen: das Auszacken von Adrenalin und Dopamin, die hektischen Spitzen des EEG, das Flackern von wilder Magie. Die Diagnoseprogramme isolieren von der Außenwelt: Genauso gut könnte er im Koma liegen, und er haßt es, haßt es, mit jeder Faser seines Körpers.
Das letzte Mal hat Potter ihn hierzu gezwungen, gleich das große Gedeck, um sicherzustellen, daß er dem Orden nichts einschleppt... Und Draco mit frischen Implantaten und einem um sich beißenden Morsmordre. Damals hatte er geschworen, Potter bei der nächsten, sich bietenden Gelegenheit auszuweiden - ein Gedanke, der ihn jetzt seltsam bedrückt.
Mit Potter an einer Strippe zu hängen, war schön, wirklich schön, und Potter... unerwartet sanft. Er hat ihn an Stellen gekrault, von denen Draco nicht wußte, daß er sie hat, geschweige denn, daß sie sich so gut anfühlen. Und er hat ihn zum Quieken gebracht, ihn. Verdammt.
Was er in Potters System wollte... Was für ein Scherz: als ob er dort jemals reinkäme. Er erinnert sich ja nicht mal mehr, es versucht zu haben.
Das ist, was ihm noch am meisten Angst macht.
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"Ihr braucht mich ein paar Minuten nicht, nehme ich an?" Seine Stimme klingt nicht so souverän, wie er gerne hätte, aber es ist eilig. Unsicher taumelt er zur Toilette und kotzt daneben. Seine Sinne sind im Overload, trotz Pinces Bemühungen, ihn beim Auftauchen abzufedern. Einige Sekunden liegt er selig mit der Wange am Metall der Kloschüssel und schaut einem Faden Galle zu, der vom Rand tropft.
Probehalber fährt er seine Klingen ein und aus, schabt damit über den Edelstahl. Er mag sie, immer noch: Im Neon der Toilette sieht das Vanadium zwar stumpf aus, aber als er die Nägel kurz unter den Hahn hält, hat es den Anschein, als könnte es Wasser schneiden.
Nachdem er sich den Mund ausgespült und festgestellt hat, daß er grauenhaft aussieht, geht er zurück.
"... hätten das wirklich unter Narkose machen sollen", hört er Pomfrey gerade noch sagen, worauf Pince erwidert: "Unfug. Du weißt genau, daß das die Werte verfälscht." Minerva schiebt ihre kantige Brille auf die Nasenspitze, liest Zahlenkolumnen quer, dreht Bilder in der Luft: "Ruhig Blut, Poppy, war ja kein Herzinfarkt. – Ah, Draco. Da bist du. Setz' dich."
Daß seine Beine nachgeben, kaschiert er, indem er sich lässig fallen läßt, den linken Knöchel aufs Knie legt. Ihn festhalten muß. Warum regt er sich so auf? Was kann schon passieren? Ein Tag Entlausen, den er im Idealfall verschläft. Die unschönere Variante wäre ein Hardware-Problem – aber damit beschäftigt er sich, wenn es so weit ist.
Merken die Drei eigentlich, wie sie sich vor ihren Klienten aufbauen? Natürlich. Nicht umsonst steht auf ihrem Firmenschild "Moirai Inc." Pomfrey, die Mütterliche. Pince mit ihrem Geiergesicht, die Erhaltende. Und McGonagall, Atropos. Es ist immer McGonagall, die einem das Urteil verliest.
Anfangs hört er sie nicht wirklich. Stattdessen beobachtet er Severus' Reaktion. Severus steht hinter den Parzen am Fenster und raucht, seine Augen schmale Schlitze.
"... das heißt, egal, was du jetzt tust, kein Porten. Nicht mit Potter, nicht mit anderen, nicht allein. Das beinhaltet alle Formen der Matrix inklusive ihrer Blasen."
"Die gute Nachricht", fährt sie sachlich fort, "ist, daß nichts gegen regulären Verkehr spricht."
"Fantastisch", murmelt Draco, unenthusiastisch.
"Nochmal einen Schritt zurück", kommt es von der Fensterbank. "Ein Klasse A-Sicherheitsleck bekommt man kaum von Materialermüdung, oder?"
McGonagall wendet sich zu Severus. "Das habe ich auch nicht gesagt", korrigiert sie. "Ich habe gesagt, daß ein Stresstrauma wie das Zusammentreffen mit Voldemort es begünstigt haben kann. Bei den meisten würde das genügen. Aber uns ist vollkommen klar, daß Dracos neurologische Ebenen... komplexer sind."
Wie diplomatisch. Das Wiesel sagt einfach "Freak". Potter nennt er nie so.
Pince scrollt kritisch durch Referenzdaten in ihrem Monokel, betrachtet Draco über dessen Rand. "Weswegen wir einen Virus im klassischen Sinn auch ausschließen können. Und etwas so altmodisches wie einen Trojaner hätten wir entdeckt."
McGonagall nimmt den Faden wieder auf. "Kurz, wir glauben, das Problem ist zweiteilig, Draco. Um es außerordentlich grob auszudrücken – sei so gut und hör' weg, Severus -, es sieht so aus, als ob du für eine bestimmte Art von Code automatisch die Beine breit machst."
"Beine? Code?", krächzt Draco.
"Wir haben ihn noch nicht identifiziert. Außerdem hast du vermutlich ein Loa."
Pomfrey nickt mitfühlend, und Draco rutscht der Fuß vom Knie.
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Es sei eine kleine Welt, hat irgendwer mal gesagt. Kompletter Bockmist.
Harry weiß von Welten hinter der Welt, sich überlagernde, in Serie geschaltete, von einander unabhängige, lineare und nonlineare Welten, die eigenen Gesetzen folgen. Er hat schon lange aufgehört, sie in rationale Beziehung zur Welt vor dem Spiegel zu setzen. Erised, denkt er oft, ist draußen. Transzendiert von einem Geflecht aus Linien und Frequenzen fühlt er sich frei, er selbst infinitesimal ausgestreckt, so dünn, daß das Licht durch ihn hindurchscheint.
Als er den Sandbender schlafen schickt, sind über sieben Stunden vergangen; auf der Oberfläche muß es fast schon wieder dunkel sein. Im Aufstehen stößt er mit dem Fuß gegen etwas Schepperndes und erschrickt kurz, bis er sieht, es ist eine Kaffeedose, die er letztes Mal liegen lassen hat.
Beim Rausklettern reißt er sich am scharfkantigen Beton die Hände auf und muß sich sofort wegducken, weil ein Suchscheinwerfer über dem Gelände kreist. Im gleißenden Licht der Strahler wirbeln Ruß und größere Partikel auf, die dem Helikopter einen Heiligenschein verleihen. In diesem Nimbus verschwindet vorübergehend sogar die matt beleuchtete Silhouette der City.
Das Suchlicht zeigt dafür um so deutlicher eine Gruppe verwilderter Kinder, die Steine nach den Rotorblättern und der offenen Pilotenkabine werfen, wohl aus einer der illegalen Kommunen am Kraterrand.
Harry wartet, bis sie eins nach dem anderen in Erdlöchern verschwinden, dann schlüpft unter den Absperrungen hindurch, zurück in die mittlere Zone – ehe das Rollkommando eintrifft.
Die Straßen sind immer noch alles andere als sicher, aber sie beleben sich, und die ersten kleinen Geschäfte erfreuen sich schon wieder schwunghaften Handels, zumeist mit Netzzeit, Batterien, Mini-EMPs, Kabeln, Einweghandschuhen und Zigaretten. Frische Lebensmittel sind ein bißchen schwerer zu bekommen.
In einem Eckladen kauft Harry einen Literbeutel thailändisches Bier sowie ein Tage altes Sandwich, das Eiersalat sein soll, neongelb ist und nach Isolierschaum schmeckt. Kauend pflanzt er seinen Hintern für ein paar Minuten auf der Therme des Ladens, läßt das Getriebe des Abendverkehrs um sich herum fließen.
Als im obersten Segment des Nachrichtenschirms Malfoy Tower auftaucht, verschluckt Harry sich an einem Eierbrocken: Die Kameras zeigen die paarundfünfzig Stock hohe, skeletierte Hülle der Konzernzentrale, Tausende geplatzter Fenster, hinter denen sich nichts mehr regt. Laut Bildunterschrift ist die Ruine von Matsuda gekauft und zum sofortigen Abriß freigegeben worden.
Was die Leitung des zaibatsu wohl sagen würde, überlegt er, wenn ihnen jemand den nominellen Konzernerben als Dreingabe lieferte, gebührenfrei, handlich verschnürt? Wer weiß, vielleicht gäben sie dem Ninjawunder sogar ein Büro mit Namensschild.
Allerdings nicht, ohne ihn zuvor unschädlich gemacht zu haben.
Harry schnaubt, reißt mit den Zähnen die Ecke des Biers auf. Hermione kann dem Arsch nachher gleich seinen restlichen Scheiß mitnehmen, falls sie wieder zu Snape geht. Ansonsten fliegt das Zeug auf den Müll.
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"Was glotzt ihr mich so an? Hab' ich was im Gesicht? Ein Einschußloch, oder so?" Harry feuert seine Jacke auf einen muffigen Kleiderhaufen und wirft sich auf das Sofa.
"Boah, bist du guter Laune", stellt Ron fest, und Hermione kreuzt die Arme auf eine Weise, die Harry in den Wahnsinn treibt: "Wo warst du den ganzen Tag? Wir haben uns Sorgen gemacht, Harry!"
Er zuzelt den letzten Rest aus dem Singha-Beutel und rülpst. "Ach ja? Wenn das stimmt, warum habt ihr mich nicht im Netz gesucht? Ihr wißt genau, unter welcher Form ich porte. Kann dann ja nicht so wichtig gewesen sein."
Ron wirbelt vom Bildschirm herum: "Jetzt mal langsam, Harry. Wir haben dich im Netz gesucht. Von deinem Avatar weit und breit keine Spur. Und die paar Nasen, die wir online getroffen haben, sagen, daß sie dich seit Wochen nicht gesehen haben. Klar, weil du und Malfoy seit Wochen rumliegt und eure Chips wienert-"
"Ron!" Hermione will ihn ausbremsen, aber soll er's doch ausspucken, endlich - es scheint ihn ja lang genug angekotzt zu haben.
"Du redest kaum noch mit uns, Harry", beschwert Ron sich. "Du bist nicht ansprechbar, du bist nur noch im Netz-"
"Hat euch vorher nicht gestört, oder? Solang ihr einen Deppen gebraucht habt, der unter Voldemorts Radar durchkriecht, war das völlig in Ordnung, stimmt's?" Harry starrt wütend von Ron zu Hermione und zurück. Mit Genugtuung registriert er, daß die beiden betroffen glotzen. "Hat euch interessiert, was Voldemort mit mir gemacht hat? Habt ihr gefragt, wie's mir geht?"
Hermione breitet mit den Händen den Rock über ihre Knie. "Ja, Harry. Ja, haben wir. Zuerst konntest du nicht, später wolltest du nicht darüber sprechen." Sie schluckt hörbar. "Ich finde, eben bist du ungerecht. Ich verstehe, daß Malfoy dich geschockt hat. Und man hätte was an den Augen haben müssen, um nicht zu sehen, daß du in ihn verknallt warst, aber-"
"Ich, verknallt in Malfoy? Du tickst wohl nicht richtig. Hat Snape dir das eingetrichtert?"
"Harry." Sie rollt die Augen, aber alles, was sie ihm damit sagt, ist, daß ihm ihre Scheinheiligkeit auf den Geist geht.
Ohne weiteres steht er auf und tritt sich den zugestellten Korridor frei. Dabei hört er noch, wie die beiden bestürzt hinter ihm her murmeln. Er kann nicht genau sagen, was ihn so zornig macht... Vielleicht, daß sie ihn behandeln wie ein Kind. Und er immer noch nicht frei ist.
Er sinkt auf den Rand der durchgelegenen Matte und stemmt die Beine an die Wand. Er kann Malfoys Schweiß riechen. Hätte er für jedes Mal, daß Malfoy unberührt gekommen ist, ein paar Sickel gekriegt, könnte er sich jetzt schon ein neues Deck kaufen.
Nicht, daß er eins wollte.
Bevor er sich ans Ende der Koje verzieht und den Sandbender anschmeißt, schleift er noch die Matratze in den Gang. Überall in dem statisch aufgeladenen Material hängen Malfoys Haare, und von Malfoys Babygeruch wird ihm schlecht.
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tbc.
