1. Kapitel Er befand sich nach einem langen Arbeitstag im Bullpen, dem Lieblingspub des Teams. Normalerweise versuchte er sich vor solchen Abenden in irgendeiner Weise zu drücken. Normalerweise... Dass er nicht lachte. Er hatte sich in den letzten Wochen so sehr davor gedrückt, mit dem Team auszugehen, dass JJ und PG bereits angefangen haben, nachzubohren.
Spencer Reid hatte in seinem Leben einiges erreicht. Er, der mit einem IQ von 187, einem eidetischen Gedächtnis und der Fähigkeit, 20000 Wörter in der Minute lesen zu können, sollte eigentlich mit seinem Leben zufrieden sein.
Dies war aber nicht der Fall. Im Gegenteil. Gefühlsmäßig fuhr er jeden Tag aufs Neue Achterbahn. Warum dies der Fall war? Ganz einfach, er war verliebt. Gut, das war nicht unbedingt ein Grund dafür, dass man mit seinem Leben unzufrieden wurde, natürlich nicht. Aber wenn man den Pol seiner unerwiderten Gefühle jeden Tag aufs Neue sieht, kann das durchaus zu einer Frustration führen. Eben diese Frustration war auch der Grund dafür, dass Spencer im Moment einfach nur schlecht gelaunt war. Ihm war selber klar, dass er irrational handelte, aber er konnte einfach nicht anders.
Bei jedem anderen aus dem Team hätte er sich herausgeredet. Nicht aber bei diesen beiden. Sie kannten ihn einfach zu gut. Merkten, wenn er sich ihnen gegenüber verstellte, er ihnen etwas vormachte. Also war ihm dieses Mal nichts anderes übriggeblieben, als mitzugehen. Nun saß er hier, am Tisch mit seinen Teamkollegen, die für ihn aber schon so viel mehr waren. Da war Hotch, der ihn immer an einen großen Bruder erinnerte, einen, den er sich immer schon gewünscht hatte. Dann Rossi, ja, Rossi war im Grunde bereits schon zu einer Vaterfigur geworden. Er bewunderte ihn. Und natürlich waren da seine Schwestern, Emily, JJ und Penelope. Sie waren für ihn der Halt, gaben ihm Kraft. Kraft wofür? Da kam dann schlußendlich wieder das Thema Liebe ins Spiel.
Er, das Genie, das sich immer an Fakten und Wissenschaften festhielt, hatte sich unglücklich in das letzte Teammitglied verliebt. Derek Morgan. Derek war für ihn so viel mehr geworden als nur einfach ein Kollege. Zuerst fing es an, dass sie Freunde wurden. Irgendwann wurde daraus dann für Spencer aber mehr. Er merkte, dass er immer in der Nähe des anderen ein komisches Gefühl in der Magengegend bekam. Ihm wurde immer ganz anders. Schwindelig irgendwie. Am Anfang konnte er sich das gar nicht erklären, hatte er diese Gefühle doch noch nie erlebt. Der Theoretiker, der er nun einmal war, hatte er sich auf die Suche nach der Ursache gemacht. Bücher gewälzt. Medizinische zu Beginn. Aber nichts war darin zu finden gewesen. Es war für ihn am Anfang geradezu eine Qual gewesen, nicht zu wissen, was mit ihm geschah. Dann plötzlich, er war im Cafe nahe seines Appartements. Normalerweise war es nicht seine Art, Gespräche von anderen zu belauschen. Aber an diesem Tag war es einfach so passiert.
Am Nebentisch hatten sich zwei junge Frauen unterhalten. Die eine erzählte ihrer Freundin gerade davon, dass sie scheinbar eben genau die gleichen Symptome wie er hatte. Da war er einfach hellhörig geworden.
Und im Laufe des Gespräches hatte er herausgefunden, dass die Frau wohl verliebt war. Das war der Zeitpunkt gewesen, an dem er sich an seinem Kaffee verschluckt hatte. Er sollte verliebt sein? Das konnte doch gar nicht sein, oder? Leider war es nur so, dass er sich ab diesem Zeitpunkt immer wieder dabei erwischt hatte, wie er darüber nachdachte, ob dies nicht doch sein konnte.
Wochenlang hatte er sich hin und her überlegt, ob es nicht doch einen anderen Grund geben könnte. Aber schlußendlich war selbst ihm dann plötzlich aufgefallen, wie gerne er in der Nähe von seinem Kollegen war. Er fühlte sich einfach sicher bei ihm. Aufgehoben und wohl.
Damit fing aber seine Problematik erst einmal richtig an. Denn einmal in seinem Gehirn wahrgenommen, wollte eben dieses nichts davon wissen, die Gefühle nicht wahrhaben.
Es war zeitweise so, als ob in seinem Gehirn die Pro- und die Contra-Seiten fleißig miteinander in Konkurrenz stehen würden. Die eine Seite, die Pro-Seite, erklärte ihm ständig, dass da sehr wohl Signale von Derek kamen... die andere, die Contra-Seite, fing ihm immer wieder damit an, dass ein Mann wie Derek Morgan, welcher an jedem Finger 10 Frauen hatte, nie und nimmer etwas mit einem Nerd wie ihm anfangen würde. Meistens war die Contra-Seite leider dann auch die lautere, die sturere.
Und so war es auch heute, als er am Tisch mit seinen Teamkollegen in der Bar saß. Derek war nicht am Tisch, nein, er tanzte wieder einmal wie ein Wilder mit mehreren Frauen gleichzeitig. Natürlich auf Tuchfühlung. Sobald Spencer immer mal wieder einen Blick auf die Tanzfläche werfen konnte, war es ihm, als ob er Messer geschluckt hätte. Es tat so weh, seinen Derek dort zu sehen, wie ihn andere einfach so anfassen konnte. Oh, wie gerne er dies doch auch tun würde. Aber dazu würde es vermutlich nie kommen. So tief in Gedanken versunken, merkte Spencer gar nicht, dass Emily ihn die ganze Zeit anzusprechen versuchte. Erst als sie ihn in die Seite stupste, merkte er, dass er schon wieder völlig weggetreten war. Langsam schüttelte er seinen Kopf, um diesen klarer zu bekommen, drehte sich zu Emily um und fragte nach: "Ja? Entschuldige, Emily, ich war mit meinen Gedanken woanders."
Emily konnte darüber nur lachen und mit dem Kopf schütteln. "Oh Spencer, das habe ich gemerkt. Du warst mal wieder völlig weggetreten. Ich wollte wissen, ob du nicht auch tanzen gehen willst. Du kannst ja beinahe deinen Blick nicht von der Tanzfläche losreißen. Ist da eine dabei, welche dir gefällt?" Nun war es an Spencer, um Emily völlig entgeistert anzuschauen. Sie hatte es gemerkt? Gut, sie dachte, er würde eine Frau beobachten, aber trotzdem. Er mußte sich eindeutig zusammenreißen, also lachte er erst einmal los, und selbst in seinen Ohren hörte es sich gekünstelt an. In Emilys Augen konnte er auch sogleich erkennen, dass sie ihm das Lachen nicht abnahm. Nein, im Gegenteil, er erkannte in ihnen Sorge.
"Ach, Emily, du weißt doch, wenn ich tanze, sieht das aus, als ob eine besoffene Giraffe versucht Eukalyptus vom Baum zu fressen. Und, nein, ich habe keine Frau im Blick. Dafür ist doch Derek zuständig!" erklärte er Emily. Leider schien das nicht die beste Aussage gewesen zu sein, denn der sorgenvolle Ausdruck in Emilys Augen wurde nicht weniger. Emily fasste ihn am Arm und murmelte etwas davon, dass sie beide jetzt neue Getränke holen würden. Ohje, wo hatte er sich da hineinmanövriert. Das konnte nicht gutgehen. Aber was blieb ihm denn schon übrig? Er mußte wohl oder übel mit Emily an die Bar gehen. Dort angekommen, fing die Inquisition auch schon gleich an. "Spencer, was ist mit dir los? Ich mache mir wirklich Sorgen um dich! Und nicht nur ich, die anderen auch! Wirst du jetzt freiwillig sagen, was dir auf der Seele brennt, oder muß ich Penelope und JJ dazuholen?" Bei dieser Salve an Fragen war Spencer immer bleicher geworden, ihm war bewußt, dass er sich entweder ganz schnell eine Ausrede einfallen lassen mußte oder er wirklich sowas von geliefert wäre.
