Titel: Weihnachtswrestling
Rating: P16
Pairing: SSHG
Worte: 8800
Disclaimer: Alles JKRs. Nix meins. Oh, doch. Die Adventskranzlinge gehören mir.
1.
„Wrathling? Was zur Hölle soll das sein?"
„Fluch nicht so kurz vor Weihnachten, Severus. Das gehört sich nicht."
Minerva war zwar beinahe hundert Jahre alt und die beiden Zaubererkriege hatten deutliche Spuren an ihr hinterlassen, doch Severus schämte sich trotzdem wie ein Schuljunge, wenn sie ihn rügte. Seltsam, dass er erst sechsundfünfzig Jahre alt werden musste, bevor er ihre wohlmeinende Autorität anerkennen konnte.
„Was sind Wrathlings?", fragte er erneut.
„Wreathlings, Severus, Wreathlings. Und nein", sie hob die Hand, als er ihr ins Wort fallen wollte, „das sind keine von Ms. Lovegoods Kreaturen."
Missmutig setzte er die Lesebrille auf, die er seit einigen Jahren benötigte. Das Alter hatte seinen Tribut gefordert und er konnte nicht länger die Schädigung am Sehnerv, die das Gift Naginis verursacht hatte, ausgleichen. Er hasste diese ständige Erinnerung an das Haustier seines ehemaligen Meisters. Trotzdem war er dankbar, dass er nur mit einer recht geringen Einschränkung leben musste, denn entgegen aller anderslautenden Gerüchte lebte er gerne. Minerva hatte wesentlich mehr Schäden von den Flüchen und Kampfverletzungen davongetragen. Das Zittern ihrer Hände, das zu einer schlecht lesbaren Handschrift führte, war einer davon. Die winzigen Buchstaben, die sie auf das Papier setzte, waren völlig verwackelt. Severus stellte mit Bedauern fest, dass sie durch ihre Behinderungen nicht kompatibel fest. Gerade, als sie eine stabile Freundschaft aufgebaut hatten, fiel das ins Gewicht. Es war nicht fair, dass Voldemort auch knapp zwanzig Jahre nach seinem verdienten Ende so viel Einfluss hatte.
„Tatsächlich." Er hatte den Buchstaben entdeckt. „Wreathlings." Er ließ den Pergamentfetzen auf den Schreibtisch der Schulleiterin gleiten und setzte die Brille ab. „Also?"
Minerva seufzte und legte die Hände auf dem Tisch zusammen.
„Deinen Worten entnehme ich, dass du nicht weißt, worum es sich bei Wreahtlings handelt." Sie seufzte erneut, doch Severus meinte, die Worte „kein Wunder" gehört zu haben. Er biss die Zähne aufeinander und wartete. Es war zwecklos, auf Minervas Sticheleien einzugehen. Sie war die Mutter, die er dank seines gewalttätigen Vaters als Junge nicht haben durfte. Vielleicht hätte er von Eileen diese liebevoll-strenge Mutterliebe bekommen, wenn Tobias Snape nicht allen Lebensmut aus ihr herausgeprügelt gehabt hätte.
„Wreatlings sind eine Unterart der Wichtel, die um Weihnachten herum besonders oft gesichtet werden. Ursprünglich in Deutschland beheimatet, haben sie sich mittlerweile in vielen Ländern der Erde verbreitet. Leider geht ihre Population zurück, was ernste Folgen hat."
„Tatsächlich." Er wusste noch nicht, warum Minerva ihm das erzählte, und wurde ungeduldig.
„Ich hatte gehofft, du wärest mit der Spezies vertraut. Das würde dir die Aufgabe erheblich erleichtern. Nun gut. Hermione wird sich auf das Beste vorbereitet haben." Sie schob ihm einen Umschlag zu, der das Siegel des Ministeriums der Magie trug.
„Aufgabe?" Ihm schwante Übles. „Das ist wieder so ein Himmelfahrtskommando, auf das Shacklebolt mich schicken will, oder?" Er beäugte den Umschlag misstrauisch.
„Weihnachten, nicht Himmelfahrt." Minerva schien sich zu amüsieren. „Aber ja, ich fürchte, Kingsley hält dich für den besten Mann dafür."
„Er hält mich für den einzigen Mann dafür", brummte Severus. Kingsley Shacklebolt hatte persönlich dafür gesorgt, dass er von seinen Kriegsverbrechen freigesprochen wurde, und hatte sogar die breite Masse der Gesellschaft davon überzeugen können, dass er Albus Dumbledore nicht aus purer Boshaftigkeit getötet hatte. Im Gegenzug ließ er den Minister so viele Gefallen von ihm fordern wie er wollte. Zum einen, weil es eine gute Möglichkeit war, die Schuldgefühle, die ihn trotz oder gerade wegen seines Freispruchs plagten, in Schach zu halten. Dem Minister zur Verfügung zu stehen war ein deutlich angenehmerer Weg, der Zauberwelt seine Schulden abzubezahlen, als in einer Zelle in Askaban sinnlose Tätigkeiten im Rahmen der neu eingeführten Beschäftigungstherapie zu verrichten. Zum anderen belebten die Aufträge Shacklebolts seinen Alltag ungemein. Severus war ehrlich genug, um zuzugeben, dass dies seine größte Motivation war. Die Zauberwelt und er sollten längst quitt sein. Schließlich waren die Kriege nicht allein seine Schuld gewesen.
Er überflog Kingsleys Schreiben, fand darin jedoch kaum mehr Informationen als die, die Minerva ihm bereits gegeben hatte. Er wusste immer noch nicht, was diese Wreahtlings waren und warum ihr Verschwinden so schrecklich war. Spezies starben aus, entwickelten sich weiter oder wurden ausgerottet, das war sowohl in der Muggel- als auch in der magischen Welt bekannt. Warum diese Wichtelart wichtig genug war, um dem entgegenzuwirken, musste er ebenso herausfinden wie das Wie. Er freute sich darauf, dem vorweihnachtlichen Chaos des Schlosses zu entkommen.
Nachdem er die Details seiner Freistellung mit Minerva besprochen hatte, verabschiedete er sich, um mit seiner Recherche zu beginnen.
„Moment." Am Durchgang zur Wendeltreppe hielt er inne und drehte sich um. „Sagtest du, Granger ist auch dabei?"
Minerva grinste wie ein Honigkuchenpferd und Severus stöhnte theatralisch.
„Kranzlinge, oder besser: Adventskranzlinge, so heißen sie auf Deutsch, sind eine Unterart der Wichtel. Sie sind im Aussehen den Cornwallwichteln ähnlich, allerdings sind sie dunkelgrün und wesentlich kleiner. Und sie sind nicht so gemein. Ganz im Gegenteil sogar."
„Kranzlinge." Er wand seine Zunge um das fremdsprachige Wort. Granger beherrschte es perfekt, worüber er sich nicht wunderte. Was für ihn Zaubertränke, Arithmantik und auch Muggelphysik waren, war für sie Heilkunde, Zauberkunst und Sprachen. Eigentlich ergänzten sie sich gut.
„Ernsthaft, Snape? Ich versuche dir zu erklären, was das Problem ist, und du kannst schon das erste Wort nicht verstehen?"
Er mochte Granger, obwohl er es nie zugeben würde. Offiziell war sie Heilerin Weasley, doch für ihn würde sie immer Granger bleiben. Allerdings hatte sie nicht mehr viel mit dem nervigen Gör gemeinsam, das sie einst gewesen war. Vor einigen Jahren hatte sie sich von ihrem idiotischen Ehemann getrennt, der ihr die gemeinsamen Kinder aufs Auge gedrückt und sich zu seinem Bruder nach Europa verdrückt hatte. Wenigstens schienen die beiden Weasleysprösslinge Grangers Intelligenz geerbt zu haben. Er dankte Gott für dieses kleine Wunder, denn ab dem nächsten Schuljahr käme er in den noch zweifelhaften Genuss, ihre Älteste zu unterrichten. Seitdem ihre Kinder – ganz Muggel – die Grundschule besuchten, hatte Granger ihren Beruf wiederaufgenommen. Doch statt endlose Schichten im Sankt-Mungo-Hospital zu schieben, hatte sie sich fortgebildet und war nun eine der wenigen anerkannten Psychotherapeuten in der Zauberwelt Großbritanniens. Ihr Spezialgebiet waren Angststörungen und Suchtproblematiken, und von beidem gab es genug Betroffene nach dem letzten Krieg. Das Ausmaß der Störungen kam oft erst Jahre später zum Vorschein und es mangelte ihr nicht an Patienten. Er pflegte regen Kontakt mit ihr, weil sie manchmal ihren Klienten Tränke verschrieb, um die herkömmliche Behandlung zu unterstützen oder zu beschleunigen. Die meisten hatten Einwände dagegen, dass sie Tränke aus dem Sankt Mungos anforderte, denn in der recht kleinen Gemeinschaft der Zauberer kannte jeder jeden und Grangers Patienten fürchteten um ihren Ruf. Sie zauberte dann immer ihren „absolut verschwiegenen, vertrauenswürdigen Tränkemeister" aus dem Ärmel. Für besonders vertrauenswürdig hielt er sich selbst nicht, doch Grangers Patienten schienen ihr aus der Hand zu fressen. Es war wohl auch hilfreich, dass sie nicht wussten, wer die Beruhigungstränke und empfindungsdämpfenden Elixire tatsächlich braute – und in welche er hineinspuckte, bloß weil er es konnte. (In den Trank für Narzissa Malfoy beispielsweise, aber das war ein ganz anderes Thema.)
„Snape! Hörst du überhaupt zu?"
„Selbstverständlich", sagte er beleidigt und ließ seine Gedanken wieder schweifen. Granger hatte irgendetwas mit ihren Haaren gemacht, sie gekämmt oder so etwas in der Art, und ihr Kostüm unter dem Reiseumhang schien neu zu sein. Interessiert beobachtete Severus seine Reaktion auf eine Frau, die in geschmackvollen, aber enganliegenden Kleidern vor ihm in seinen Räumlichkeiten stand. Eigentlich hatte er gedacht, dass er für so etwas längst entweder zu abgebrüht oder zu alt war. Und doch konnte er weder den Blick von ihr abwenden noch das angenehme aber unangebrachte Gefühl von Wärme abstellen, das sich in ihm breitmachte. Er fragte sich, ob Minerva in Albus' Trickkiste gestöbert und irgendeinen Mistelzweigzauber entwickelt hatte, der bewirkte, dass er Granger plötzlich attraktiv fand. Fasziniert beobachtete er die Bewegungen ihrer Lippen und fragte sich, was wohl passierte, wenn er sie einfach küsste. Ihr unvermitteltes Schweigen brachte ihn etwas aus dem Konzept, doch wie die meisten Männer konnte er auf Anhieb die letzten Worte der Frau zitieren und instinktiv korrekt darauf reagieren.
„Können wir?"
„Selbstverständlich, Granger."
Der Frieden hatte ihn unaufmerksam werden lassen. In den Jahren seit dem Fall des Dunklen Lords war er weich geworden und seine Reflexe, die sein Überleben als Spion gesichert hatten, waren verkümmert. Nur deshalb lief er kurze Zeit später neben Granger über Hogwarts' Ländereien bis zum großen schmiedeeisernen Tor, hinter dem sich der Apparationspunkt befand. Er hatte keine Ahnung, wo sie hin wollte, und klammerte sich hoffnungsvoll an Minervas Einschätzung, dass seine Expeditionspartnerin sich gut vorbereitet hätte. Ihre Hand auf seinem Arm lenkte ihn ein wenig ab, doch das Gefühl, während der Seit-an-Seit-Apparation zerquetscht zu werden, war so unangenehm wie eh und je.
Die Apparation schien ewig zu dauern. Noch eine Sekunde länger und er hätte das Bewusstsein verloren, fürchtete Severus. Endlich fühlte er den Boden unter seinen Füßen und holte tief Luft, um seine Atmung zu beruhigen, bevor er sich umsah. Er entdeckte nichts als Bäume. Die meisten von ihnen reckten ihre kahlen Äste nach oben. In der eiskalten Luft stand sein Atem in kleinen Wölkchen vor ihm. Seine Stimmung fiel auf das Niveau der Temperatur.
„Wo hast du uns hingebracht, du dummes Mädchen?" Natürlich hatte sie ihm alles erklärt, doch es war ganz allein ihre Schuld, dass er nicht zugehört hatte. Ihr gehörten schließlich die Kurven und die roten Lippen und das Funkeln ihrer Augen, das ihn nicht klar denken ließ.
„So siehst du mich also?"
Bevor er antworten konnte, lief sie schon weiter in den Wald hinein. Ihr Reiseumhang wehte schwungvoll hinter ihr her und Severus blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.
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