Die Annalen der Liebe
Es war einmal, vor langer Zeit, in einem nicht so weit entfernten Land...
Hogwarts hieß die Schule, auf die Marianne ging. Dort hatte sie einige dämliche Lehrer, zum Beispiel Professor Binns, ein GEIST, der Geschichte der Magie unterrichtete. Und Professor Vector, die Arithmantik lehrte. Eigentlich war die Professorin gar nicht dämlich, aber das Fach, und sehen wir den Tatsachen doch bitte mal ins Auge: Welcher geistig gesunde Mensch studiert denn so etwas? Wenn sie vielleicht noch ein gescheites Fach nebenher unterrichten würde, wie zum Beispiel Geographie, aber das war offensichtlich unter der Würde der zahlenverdrehenden Hexe gewesen.
Wie auch immer, Marianne kämpfte und kämpfte gegen dieses Fach an, doch es half nichts. Ihre gestrengen Eltern, entstammend aus einer reinen englischen Zaubererfamilie, hatten darauf bestanden, daß sie dieses Fach wählte, als sie stattdessen interessante Dinge wie Muggelkunde hätte nehmen können. Muggels interessierten sie überhaupt über die Maßen, doch das durfte sie natürlich nicht zugeben, eine Schülerin des Hauses Slytherin hatte gemeinhin nur Verachtung übrig für die Nichtmagier dieser Welt.
Ihre Mutter hatte ihr zum Ende des zweiten Schuljahres stundenlang in den Ohren gelegen, daß sie Arithmantik später einmal für ihre Karriere brauchen könnte (sie war von Beruf Tochter und Erbin eines immensen Vermögens), da sich damit leicht alle Konten kontrollieren und verwalten ließen. Außerdem würde der sichere Umgang mit Zahlen helfen, das Geld zu vermehren, das ungenutzt auf zahlreichen gringotter Bankkonten verstreut lag. Eine Zelle reichte nämlich nicht aus für die enormen Schätze, die ihre Familie besaß. So war es also dazu gekommen, daß Marianne sich seit der dritten Klasse jede Woche zwei Doppelstunden quälte. Sehr bald aber war sie darauf verfallen, die Zeit zum Tagträumen zu nutzen, und die Hausaufgaben einfach von Draco abzuschreiben. Auf die Prüfungen bereitete sie sich vor, indem Draco ihr stundenlang die kompliziertesten Vorgänge zu erklären versuchte, vergeblich meistens, doch etwas blieb wohl immer hängen und sie schaffte zumindest so viele richtige Antworten, um die Prüfungen zu bestehen. Draco war ein komischer Kauz. Stolz und eingebildet auf seinen Malfoy-Clan, aber trotzdem geduldig bei denen, die er für wichtig genug hielt. Marianne war tatsächlich eins seiner wichtigsten Projekte, denn ihre beiden Familien, um zwei Ecken verschwägert, hatten es sich einst in den Kopf gesetzt, die beiden zu verheiraten. Als folgsamer Sproß seiner Eltern stand Draco voll und ganz hinter der Verwirklichung dieses Planes, aber Marianne würde ihm da schon noch einen Strich durch die Rechnung machen. Sie war zwar in niemanden sonst verliebt, denn in der Schule gab es nur unreife pubertierende Jungen, aber sie war sich ganz sicher, daß sie eines Tages noch auf IHN treffen würde: ihren Prinzen. In ihrem Lieblings-Muggelroman (den sie mit einem Zauber als Arithmantikbuch getarnt immer neben ihrem Bett liegen hatte) gab es einen Charakter mit Namen Mr. Knightley, er war der perfekte Gentleman und machte niemals etwas falsch. So einen wollte Marianne auch einmal haben.
Zum Beginn des sechsten Schuljahres nun gab es einen interessanten Zuwachs auf Hogwarts. Sie bekamen Bodyguards, und zwar schickte jedes europäische Land, das sich mit der guten Seite der Macht in England verbündet hatte, ihren besten Kämpfer, um Hogwarts und seine Insassen zu verteidigen, falls es zu Übergriffen kommen sollte. Gleichzeitig bekamen sie aus Deutschland zwei Austauschschüler, die die letzten beiden Jahre bei ihnen auf die Schule gehen würden. Warum wußte kein Mensch, wer mag schon die Deutschen, aber Marianne hatte herausgefunden, daß es sich bei beiden Exemplaren um Mädchen handelte, die eine ganz normale Muggeloberschule besucht hatten und nur am Nachmittag auf eine Zaubererschule gegangen waren. Das fand Marianne sehr aufregend, und sie hatte vor, soviel wie möglich aus den beiden herauszuquetschen über das Thema „Nichtmagische Schule".
Bei der Zuordnung der Erstklässler in die vier Häuser standen auch die beiden sehr nervös vorne. Zuerst kam die Braunhaarige dran, die mit einer blauen Hose und einem roten Pullover bekleidet war, und sie landete in Hufflepuff. Ihre Robe war aus einem verwaschenen, alten schwarzen Stoff, schien selbstgeschneidert und war wohl schon ein paarmal geflickt worden. Außerdem verunstaltete eine ziemlich häßliche Narbe quer über das linke Auge ihr Gesicht. Als allerletzte kam das runde blonde Mädchen an die Reihe, ein Nachname mit W bescherte ihr dieses Glück. Sie war mit einer schwarzen Stoffhose und grünen Seidenbluse bekleidet, und darüber trug sie eine Cashmirrobe. Sie kam nach Slytherin. Marianne jubelte wie nie zuvor in ihrem Leben (naja, zumindest genauso wie damals, als sie in Arithmantik ein B bekommen hatte und Draco im Überschwang ihrer Gefühle um den Hals gefallen und ihn vor der ganzen Klasse abgeknutscht hatte) und deutete dem Mädchen an, sich gleich neben sie zu setzen. Und schon fing sie an, Fragen herauszuschießen, und redete soviel, daß sie am Ende des Festes ganz heiser war. Sie hieß Carina und schien sehr intelligent zu sein. Sie hatte dunkelblondes Haar, rehbraune Augen, war ungefähr einen Meter sechzig groß und fast genauso breit. Marianne dachte sich, daß sie Glück hatte, nicht in einem der anderen Häuser gelandet zu sein, da sie sonst deswegen von den Slytherins total fertiggemacht worden wäre. So wurde sie als reinblütig in die kleine Gemeinschaft aufgenommen, und keiner stichelte.
Direkt nach der Einordungszeremonie stellte Professor Dumbledore dann die Bodyguards aus den fremden Ländern vor. Vertreten waren Frankreich, Polen, Kroatien, Österreich, Portugal, Holland und Finnland. Der Zauberer aus Frankreich hatte eine seltsame Mütze auf, war auf eine lässige Art und Weise schick gekleidet und versuchte, die hübsche Hexe aus Polen anzumachen. Er warf ihr feurige Blicke zu und schien bemüht, sie mit seinem Akzent zu becircen. Sie nahm es jedoch gelassen hin und erwiderte seine Annäherungsversuche mit einem kühlen Neigen des Kopfes. Der Mann aus Kroatien war mindestens einen Meter fünfundneunzig groß, hatte gräuliche kurze Haare und einen gepflegten Bart und schien in ein intensives Gespräch mit dem Zauberer aus Österreich vertieft, ein kurzer pummeliger Mann mittleren Alters, der sehr gutmütig aussah. Die ältere Hexe aus Portugal trug ein feuriges rotes Kleid und schien zu einem unhörbaren Rythmus selbstvergessen zu tanzen, während der Holländer sie fassungslos beobachtete. Er war etwa Mitte dreißig, mittelgroß und untersetzt, mit flachsfarbenen Haaren. Ein stereotypisches Bild. Der Finne hatte ein Gespräch mit Madam Hooch begonnen, die ihm am nächsten saß, leider konnte Marianne kein Wort verstehen, aber sie schienen sich sehr angeregt über etwas (Fliegen?) zu unterhalten.
„Hey, ist das nicht Arne Maikinnen?" sagte Carina mit ihrem starken deutschen Akzent plötzlich neben ihr. Sie deutete dabei auf den schlaksigen, schwarzhaarigen Finnen.
„?" war alles, was Marianne herausbrachte.
„Kennst du nicht den berühmten Skispringer Arne Maikinnen? Er hat die Vierschanzentournee letztes Jahr gewonnen, und das Europacup-Springen vor zwei Jahren." Skispringen, so erfuhr Marianne alsbald, war ein Muggelsport, bei dem es darum ging, auf zwei Brettern eine Schanze hinunterzuspringen und möglichst weit zu kommen.
Als das Fest beendet war und Marianne mit Carina aus der großen Halle ging, trafen sie am Ausgang auf das andere deutsche Mädchen. Carina stellte sie Marianne als Sabrina vor, dann wechselten die beiden ein paar Sätze auf deutsch und verabschiedeten sich mit einem kräftig klingenden Wort.
„Ich habe meine Freundin nur gefragt, wie die Leute in ihrem Haus so sind." erklärte sie Marianne auf dem Weg in die Kellergewölbe.
„Und, was sagt sie?"
„Ganz nett. Aber sie findet, daß ich mehr Glück gehabt habe, weil Du gleich so nett zu mir warst und ich sofort jemanden hatte, zu dem ich mich setzen konnte. Bei ihr hat keiner sie zu sich gewunken, deswegen hat sie sich einfach irgendwo hingesetzt, und landete zwischen vielen Zweit- und Drittklässlern, die zwar ganz nett zu ihr waren, aber sie hätte sich lieber mit denen aus der fünften, sechsten und siebten Klasse unterhalten."
„Das wird schon werden", munterte Marianne ihre neue Freundin auf, „die Leute aus Hufflepuff sind generell sehr offen, und sobald der Unterricht mal anfängt, lernt sie schon noch alle kennen."
An diesem Abend beschloß Marianne, ein Tagebuch zu führen und darin alles hineinzuschreiben, was Carina und Sabrina ihr über die Muggelwelt erzählten. Carina führte ein Tagebuch, und hatte ihr erzählt, daß es ihr helfe, mit ihren eigenen Gefühlen ins Reine zu kommen.
