- Die Tücken des Familienlebens -

- Kapitel 1: Einsicht -

Altair saß an seinem Schreibtisch und versuchte sich irgendwie auf den Text den er vor sich liegen hatte zu konzentrieren. Sein Streit mit Maria nagte an seinem Gewissen und ebenso auch ein wenig an seinem Verstand. Er konnte kaum auch nur zwei Sätze schreiben ohne daran zu denken, wie sehr es ihm leid tat, sich mit ihr gestritten zu haben. Es war nicht das erste Mal gewesen, dafür allerdings eine Premiere für seine Kinder. Für gewöhnlich war er mit seiner Frau alleine, falls es zwischen den beiden mal etwas hitziger wurde, aber dieses Mal war die ganze Konversation am Trainingshof eskaliert und nicht nur seine Kinder sondern auch einige Assassinen und Novizen waren dabei anwesend gewesen. Er seufzte, vergrub sein Gesicht in den Händen und dachte darüber nach, wie er das Ganze wieder gutmachen konnte. Eigentlich gab es nur selten Situationen in den er und sie verschiedener Meinung waren. Allgemein glaubte er, es mit seiner Frau ziemlich leicht zu haben. Aber sobald das Thema Erziehung lautete, gingen ihrer beider Meinungen auseinander.
Ein leises Klopfen an der Türe lies ihn aufsehen.
„Ja?"
Sein Sohn öffnete zurückhaltend die Türe und sah seinen Vater schüchtern an. Er winkte den Jungen zu sich, der dieser Aufforderung sofort Folge leistete und hastig zu ihm lief. Altair nahm ihn auf seinen Schoß.
„Hast du mit deiner Mutter geredet...?", fragte er und als der Junge nur den Kopf schüttelte lehnte Altair resignierend den Kopf an seinen.
„Mama hat auch Onkel Malik weggeschickt...", murmelte Sef und legte seine Arme in Altairs Nacken um ihm zu zeigen, dass er ihn trösten wollte. „Malik sagt, du bist ein Novize."
Der Großmeister lachte leicht. Normalerweise wiedersprach er seinem Freund dabei, aber in dieser Hinsicht konnte er ihm nur zustimmen. Der Grund war lächerlich. Aber das wunderte ihn nicht. Normalerweise entstanden diese Auseinandersetzungen zwischen den Beiden immer aus irgendwelchen irrelevanten Gründen. „Ich glaube, Mama will gerade niemanden sehen...", ergänzte der Vierjährige und begann in Altairs Tagebuch zu zeichnen. Vermutlich hatte er sich das von seinem Bruder abgeschaut. Darim malte ab und zu ebenfalls in Altairs Tagebuch. Dann, wenn er erlaubte, dass ihm sein Sohn bei der Arbeit zu sah, was in letzter Zeit nur ziemlich selten der Fall gewesen war.
„Ich werde mit ihr reden.", sagte er bestimmt und beobachtete seinen Sohn, wie er flüßige, saubere Linien zeichnete.
„Mama wird aber nicht weggehen oder...?", fragte der Junge und sah nicht zu seinem Vater auf. Altair versuchte ein paar Sekuden lang, den Gedankengang seines Sohnes zu ergründen. Wie kam er nur darauf, dass Maria gehen könnte? Sie hatten sich gestritten, aber das war für beide kein Grund sich auch nur auf irgendeine Art und Weise zu trennen.
„La... abadan.", (arab. „Nein, niemals") ihm fiel selbst auf, dass er manchmal, unbewusst arabisch sprach. Sef und Darim verstanden was er sagte. Nachdem es nicht funktionierte ihre Kinder nur englischsprachig zu erziehen, hatten sie es sich zum Ziel gemacht ihnen beide Sprachen beizubringen. Außerdem hatte Altair auch viel Spaß damit, Maria Arabisch zu lehren. Sie war keine unbedingt gute Zuhörerin und ihre Geduld kannte auch ziemlich enge Grenzen.
Sef sah zu seinem Vater auf und er sah die Erleichterung in seinen Augen. Er lehnte sich nach hinten und kuschelte sich an den Großmeister.
„Ane e hibek!", (arab. „Ich hab dich lieb") murmelte der kleine Junge und drückte sich noch fester an seinen Vater.
„Ana kaman bahibek...", (arab. „Ich liebe dich auch.") erwiderte Altair und küsste seinen Sohn auf die Stirn.

Es gab selten Momente in denen Maria an ihren Entscheidungen zweifelte. Zumindest an denen, die sie vor ein paar wenigen Jahren getroffen hatte. Sie bereute, Peter Hallaton geheiratet zu haben ohne sich zur Wehr gesetzt zu haben, aber sie bereute nicht, dem Templerorden beigetreten zu sein, auch wenn sie inzwischen nicht mehr gut hieß was ihr ehemaliger Orden tat. Sie bereute auch nicht, Robért kennen gelernt zu haben, er hatte sie Vieles gelehrt, unter anderem auch, dass sie nicht immer alles glauben konnte, was sie sah und hörte. Altair hatte diese These unterstützt und ihr noch deutlicher gezeigt, dass es so viele Dinge gab, die nicht so waren wie sie schienen zu sein. Sie hatte lange über seinen Antrag vor sechs Jahren nachgedacht. Sie war schwanger gewesen und hatte daher kaum eine Wahl gehabt. Obwohl Altair ihr alle Freiheiten gelassen hatte. Und auch wenn sie selbst gedacht hatte, keine Wahl zu haben, fiel es ihr nicht schwer, seinen Antrag anzunehmen. Sie hatte sich für das Leben in Masyaf entschieden, ein Leben weit weg von ihrem alten zu Hause in England.
Und sie hatte es gewagt in einem Land zu leben, dessen Sprache sie nicht einmal ansatzweise beherrschte. Auch wenn Altair ihr nach und nach ein wenig Arabisch beibringen konnte, fiel es ihr immer noch schwer, die Gespräche der anderen Assassinen zu verfolgen ohne jedes dritte Wort zu hinterfragen.
Obwohl sie all diese Entscheidungen für die richtigen hielt, zweifelte sie jetzt an ihrem Verstand. Wie hatte sie damals nur so naiv sein können, zu glauben, es würde mit Altair einfach werden? Wie verliebt und blind musste sie gewesen sein um nicht zu sehen, wie unterschiedlich sie eigentlich waren? Allein die Tatsache, dass er seine beiden Söhne zu Assassinen ausbilden wollte und deren Ausbildung im Alter von sechs Jahren beginnen wollte brachte sie zur Weißglut. An sich hatte sie nichts dagegen, ihre Kinder sollten in die Fußstapfen ihres Vaters treten, aber mit sechs Jahren waren sie eben noch genau das: Kinder. Und damit Marias Meinung nach viel zu jung um ein Schwert auch nur anzusehen.
Altair verstand sie nicht. Er hatte versucht mit ihr zu diskutieren und die Vor- und Nachteile einer frühen Ausbildung abgewogen. Maria jedoch hatte keinen einzigen seiner "Vorteile" als solche erachtet.
Sie fluchte und lies sich auf das Bett fallen.
Malik hatte versucht mit ihr zu reden. Er hatte vor fünf Minuten an der Tür gestanden und sie gebeten die Türe zu öffnen. Er hatte gesagt, es wäre doch lächerlich, sich in einem Zimmer einzusperren um jeglichen Kontakt zur Außenwelt zu vermeiden. Maria sah das jedoch als sehr produktive Option, sich wieder einzufangen ohne Altair irgendwelche Beleidigungen an den Kopf werfen zu müssen. Ihre Lieblingsbeleidigungen im Bezug auf Altair beschränkten sich hauptsächlich auf „Bastard" und „Vollidiot". Schließlich wusste sie, dass sie sobald sie sich beruhigt hatte, alles bereuen würde, was sie Unverschämtes zu ihm gesagt hatte.
Aber dieser Zeitpunkt war jetzt noch nicht gekommen. Noch lange nicht. Sie lag wütend auf dem Bett, bemüht ihre Wut irgendwie zu zügeln. Unfassbar! Dass er auch nicht dazu bereit war irgendeinen Kompromiss einzugehen! Dieser Bastard!
„Mama?", meldete sich Darim zu Wort. Er stand vor der Tür und sie konnte förmlich spüren, wie groß seine Sorge um sie war.
Sie seufzte. Sie wollte jetzt niemanden sehen. Am Liebsten wäre sie nun wirklich alleine gewesen, aber ihren Sohn so hilflos vor der Türe stehen lassen konnte sie auch nicht.
Grummelnd stand sie auf und schloss die Türe auf.
„Komm rein, nadschm." (arab. „Stern"), sagte sie, lies ihren Sohn rein und verschloss dann wieder die Türe.
„Maria, warte!", hörte sie Malik noch sagen, öffnete aber nicht wieder die Türe.
Sie drehte sich zu ihrem Sohn und musterte ihn ein paar Sekunden. Da stand er. Die Ursache aller momentanen Unstimmigkeiten zwischen ihr und ihrem Ehemann. Der Grund für den Streit, der in den nächsten paar Wochen das größte Thema des Ordens sein würde. Sie seufzte. Darim sah sie nur aus seinen unschuldigen blauen Augen an.
„Es tut mir leid.", sagte er traurig und sah beschämt zu Boden.
Sie zog überrascht eine Augenbraue hoch. Wieso entschuldigte er sich?
„Du hast nichts falsch gemacht, Darim."
Er war doch noch viel zu jung um zu verstehen, dass es hierbei um seine Zukunft ging, oder?
„Aber du streitest mit Baba wegen mir.", sagte er leise und wandte seinen Blick nicht von dem Boden ab.
„Habibi, das ist nicht deine Schuld. Der Basta-... dein Vater ist nur unheimlich stur.", sie bemühte sich ihr loses Mundwerk vor ihrem Sohn unter Kontrolle zu halten. Schließlich wollte sie nicht, dass er irgendwann auch solche Worte in den Mund nahm.
„...ich finde aber, dass Baba Recht hat."
Maria war bemüht ihren Sohn nicht gleichermaßen anzuschreien, wie sie es bei Altair getan hatte. Einige Sekunden lang starte sie ihn einfach nur an. Warum zum Teufel noch mal glaubte er, sein Vater wäre im Recht?! Wieso war er so scharf darauf zu lernen, andere zu verletzen?!
„Darim, sag das nicht noch mal.", befahl sie beinahe schon und bereute ihren strengen Ton sofort wieder als sie den erschrockenen Blick des kleinen Jungen sah. „Entschuldige.", murmelte sie und kniete sich zu ihm.
„Warum... warum möchtest du denn nicht, dass ich lerne wie ich mich verteidigen kann, Mama?", fragte er und sah ihr direkt in die Augen.
„Du bist viel zu jung, Darim.", erklärte sie so ruhig wie möglich.
„Aber wenn ich so groß und stark wie Baba werden will muss ich das lernen!", versuchte er seine Mutter zu überzeugen. Maria seufzte erneut und nahm ihn in ihre Arme.
„Nein, Darim, das erlaube ich nicht.", flüsterte sie und erinnerte sich an ein Versprechen, dass ihr Altair vor sechs Jahren gegeben hatte, gerade als Darim erst ein paar Tage alt gewesen war.

„Ich werde versuchen, dir alle Wünsche zu erfüllen, Maria. Ich schwöre dir, dass ich dich und unseren Sohn mit meinem Leben beschützen werde. Du musst mir nur sagen, was du möchtest und ich werde alles daran setzen, es umzusetzen. Das verspreche ich dir."

Zum ersten Mal, seit so langer Zeit, bildeten sich Tränen in ihren Augen. Sie wusste nicht, was genau der Auslöser dafür war, dass sie jetzt auf einmal so emotional war. Aber irgendwie konnte sie dieses furchtbare Gefühl in ihrer Herzensgegend gar nicht unterdrücken. Darim bemerkte, dass mit seiner Mutter irgendetwas nicht stimmte.
„Mama?", fragte er also und versuchte sich ein wenig aus ihrer Umarmung zu befreien, sie wollte aber nicht, dass er sie so sah und hielt ihn deswegen fest. Vorerst mal beschloss sie nichts zu sagen, weil es ihr einfach schwer fiel jetzt mit einer festen Stimme zu sprechen. Außerhalb davon ergaben sich just in diesem Moment noch weitere Dinge die ihr auf die Nerven gingen. Zum Beispiel, dass sie schon wieder Hunger bekam obwohl ihr übel war. Eine Konstellation von Empfindungen, von den sie nicht einmal wusste, dass sie existieren kann.
„Mama, soll ich Baba holen?", fragte Darim und drückte sich etwas fester an seine Mutter. Maria seufzte. Wie konnte es sein, dass ihr Sohn in diesem Sinne zumindest, vernünftiger war als sie? Er wusste anscheinend, dass das Problem nur durch ein Gespräch zwischen ihr und Altair gelöst werden konnte. Aber irgendwie war sie immer noch so wütend, dass sie ihren Ehemann nicht sehen wollte. Vermutlich, war es aber das Beste noch mal in Ruhe mit ihm zu reden, ohne die Blicke sämtlicher Assassinen auf sich zu ziehen. Oder das schadenfrohe Grinsen Abbas'.
„Ja, gut.", stimmte sie widerwillig zu und lies ihren Sohn los. Er starte sie einen kurzen Moment erschrocken an. Bis er merkte, dass sie ihm eben erlaubt hatte, seinen Vater zu holen.
Er strich ihr einmal behutsam über die Wange. „Nicht weinen, Mama!", und verlies dann das Zimmer.

-

Altair war erleichtert gewesen, als Darim ihm die Nachricht überbracht hatte, dass Maria bereit war mit ihm zu reden. Als er dann aber ihr Schlafgemach betrat war er mehr entsetzt gewesen, sie so aufgewühlt zu sehen. Für gewöhnlich konnte sie ihre Streitigkeiten ziemlich gut ab. Sie war zwar wütend, beschimpfte ihn wie jedes mal als "Bastard", bekam sich nach einigen Zärtlichkeiten aber wieder ein.
Jetzt saß sie ruhig auf dem Bett und sah ihn einfach nur an. Er wusste, dass sie geweint hatte und allein das, machte sein bereits sowieso schon schlechtes Gewissen zu einem gigantisch schlechten Gewissen.
„Maria...", fing er an, wusste aber nicht, wie er weiterreden sollte. Sie deutete ihm sich neben sie zu setzen und das tat er auch. „Es tut mir leid.", entschuldigte er sich. Inzwischen war er es sich gewohnt, sich bei ihr entschuldigen zu müssen. Normalerweise ging beinahe jeder Streit zwischen den beiden auf sein Konto. Oft begannen diese Auseinandersetzungen weil er irgendetwas gesagt oder getan hatte, was ihr nicht passte.
„Was genau tut dir denn leid? Dass du anderer Meinung bist wie ich?", fragte sie und sah ihn nicht an.
„Dass ich dich zum Weinen gebracht habe, Habibi.", erwiderte er und strich ihr eine nasse Strähne aus dem Gesicht. Er hätte nie gedacht, dass sie nach so langer Zeit und nach Allem was zwischen den beiden vorgefallen war noch dazu im Stande war zu weinen. Sie hatte nicht einmal geweint, als er ihr vor acht Jahren seine Klinge in die Schulter gerammt hatte. Und er war sich sicher, dass das ganz schön geschmerzt hat.
„Bilde dir ja nicht ein, dass ich wegen dir geweint habe.", fauchte sie ihn an. Das war ein Zeichen für Altair, dass sie sich nicht wirklich beruhigt hatte. Darim hatte zwar gesagt, dass sie wieder dazu bereit war mit ihm zu sprechen, aber er hätte nicht davon ausgehen sollen, dass sie sich wirklich wieder beruhigt hatte.
„Warum dann? Wenn es dich so sehr beschäftigt, dann... warte ich mit Darims Ausbildung eben noch ein, zwei Jahre.", versuchte er ihr entgegen zu kommen.
„Das allein ist es doch gar nicht. Es geht hier nicht nur um Darims Ausbildung es geht hier um seine und Sefs allgemeine Erziehung!", erwiderte Maria aufgebracht. Altair war verwirrt. Sie hatten sich vorhin doch noch gestritten, weil sie der Meinung war, Darim war zu jung um mit einem Holzschwert zu üben. Allgemein zu jung um irgendetwas das auch nur annähernd wie eine Waffe aussah in die Hand zu nehmen.
„Ich verstehe nicht was du meinst, Habibi.", sagte er ehrlich und hoffte, sie damit nicht noch mehr erzürnt zu haben.
Sie stöhnte und lies sich nach hinten auf das Bett fallen.
„Manchmal bist du wirklich schwer von Begriff, sogar Malik ist es aufgefallen.", meinte sie und sah wütend an die Decke.
„Dann erklär es mir bitte.", entgegnete Altair und hatte es langsam satt, ständig von seiner Frau und seinem besten Freund als dumm dargestellt zu werden. Wobei dumm vielleicht nicht der richtige Ausdruck war.
„Hast du... Hast du nicht auch schon manchmal daran gedacht, dass wir vielleicht... ein bisschen arg unterschiedlich sind? Angefangen bei der Tatsache dass ich eine Christin bin und du Muslime.", begann sie und stützte sich auf ihre Ellenbogen. Nachdem er sie nachdenklich ansah setzte sie noch ein „Halbmuslime" dahinter. Schließlich wusste sie, dass seine Mutter Christin war. „Ich weiß nicht, ob wir das auch nur teilweise gut vereinbaren können."
„Willst du damit sagen, dass es ein Fehler war, dass wir - "
„Halt nein!", sie legte ihm sofort eine Hand auf dem Mund, damit er nicht weitersprach. Sie bemerkte den verletzten Ausdruck in seinen Augen und war der Meinung schnell aufklären zu müssen was sie meinte. Nicht, dass er jetzt dachte, sie wollte das alles nicht. „Das hab ich nicht gemeint. Ich bin doch glücklich mit dir – normalerweise zumindest – und ich bereue nicht, dich geheiratet zu haben. Ich meine nur...", sie seufzte. „Ich bin froh, dass du einige Dinge im Orden geändert hast. Ich weiß von Malik, wie streng es hier früher zuging, gerade was Familie anbelangt. Und ich weiß es sehr zu schätzen, dass du das geändert hast. Aber... wie gesagt, irgendwie geraten wir immer aneinander wenn es um die Erziehung unserer Kinder geht, ich weiß einfach nicht... ich weiß nicht ob ich das so richtig mache. Und ob es so eine gute Idee war, hier nach Masyaf zu kommen..."
Er sah sie eine Weile einfach nur an. Sie nahm ihre Hand weg und musterte ihn einen Moment lang.
„Du möchtest gehen?", fragte er und wenn sie geglaubt hatte, ihn mit ihrer vorherigen Aussage getroffen zu haben, dann war das überhaupt nichts im Gegensatz zu dem Schmerz der sich nun in seinen Augen widerspiegelte. Altair zeigte für gewöhnlich nur selten so eine Art von Gefühle. Die Übelkeit die Maria sowieso schon die ganze Zeit vespürte wurde noch stärker. Wie konnte er annehmen, dass sie ihn verlassen wollte?
„Nein, das will ich nicht.", entgegnete sie ruhig und er war erleichtert, das von ihr zu hören.
„Dann verstehe ich nicht, was du von mir willst.", erwiderte er und sah sie eindringlich an. Sie dachte über ihre Erklärung nach und kam zu dem Entschluss, dass sie Schwierigkeiten hatte sich richtig auszudrücken. Sie wusste nicht wie sie ihm sagen konnte, wie unsicher sie war und schon wieder fühlte sie so eine starke Wut, dass sie beinahe wieder anfing zu weinen. Verdammt, das war doch nicht normal! Was war nur in sie gefahren?! Sonst war sie nie so nahe am Wasser gebaut! Altair bemerkte das.
„Maria...", sagte er entsetzt und sie nahm Notiz davon, dass er jetzt mindestens so hilflos war, wie Darim vorhin als er noch vor ihrer Tür gestanden hatte.
„Hör auf mich so anzusehen, es ist alles okay!", sagte sie wütend und versuchte die blöden Tränen irgendwie zu unterdrücken.
„Habibi, ich wollte dich nie verletzen.", erwiderte er und sie wusste, dass er glaubte, dass alles seine Schuld war. Allgemein, nahm er gerne alles auf seine Kappe, das hatte sie schon früh bemerkt. Als Darim erst ein paar Monate alt gewesen ist, wurde er krank und komischerweise war Altair der festen Überzeugung gewesen, dass es seine Schuld war. Maria hatte ihm oft gesagt, dass es schwachsinnig war, dass er sich für alles immer verantwortlich fühlte, aber er hatte ihr gesagt, dass er gar nicht anders konnte. Es war irgendwie so bei ihm verankert.
„Ich weiß, jetzt schau mich nich so an, ich weiß auch nicht warum ich ständig heulen muss. Das ist echt zum Kotzen!", apropos, das Schwindelgefühl wurde auch nicht weniger. Sie seufzte und versuchte sich wieder einigermaßen zu fassen. Altair nahm sie in seine Arme und hoffte, sie würde das einfach zulassen. Tatsächlich sagte sie nichts und stieß ihn auch nicht von sich.
„Ich habe da so einen Verdacht...", murmelte er und küsste sie sanft auf die Stirn.
„Der da wäre?", entgegnete sie und sah ihn an.
„Kann es sein, dass du schwanger bist?", fragte er direkt. Eigentlich hatte er keine Ahnung was Frauen betraf. Zumindest war das bis vor acht Jahren noch so gewesen. Als Raschid noch Großmeister war, hatte Altair sich nur selten mit dem weiblichen Geschlecht beschäftigt und wenn dann auch nur kurzzeitig. Malik hatte ihn damals ausgelacht, als Maria offensichtlich schwanger war, und er das erst wahrgenommen hatte, als sie es ihm gesagt hatte. Aber inzwischen wusste er, wie sie war, wenn sie schwanger war. Schließlich hatten sie schon zwei Kinder. Daher hatte er ihre Stimmungsschwankungen und das morgendliche Übergeben schon oft genug mitgemacht.
Wobei sie sich bis jetzt noch kein einziges Mal übergeben hatte, aber das würde wenigstens erklären, warum sie so schnell weinte und warum die Speisekammer immer leerer wurde.
„Was? Nein, ich glaube nicht wieso sollte ich...", sie verstummte und dachte ein paar Sekunden über das nach, was er eben gesagt hatte.
„Ich meine nur, dass es vielleicht...", er verstummte ebenfalls. Es hatte in den letzten Monaten viele Möglichkeiten gegeben, bei welchen es sich ergeben haben konnte, dass sie schwanger geworden war. Immerhin hatten die beiden sich seit Darim und Sef ein eigenes Zimmer hatten viel öfter geliebt. Natürlich immer nur dann, wenn die Kinder bei Malik waren oder unten im Hof spielten. Daher war es eigentlich gar nicht so überraschend und abwegig, an solche Folgen zu denken.
„Oh Gott...", murmelte sie entsetzt und nahm eine Hand an den Bauch. „Oh Gott...", widerholte sie und schien nicht halb so glücklich darüber zu sein, wie er gedacht hatte und – nebenbei bemerkt – wie er es war. Er begrüßte die Tatsache, ein drittes Kind zu bekommen sehr. Maria schien davon allerdings überhaupt nicht begeistert zu sein.
„Habibi, macht dich das denn nicht glücklich?", fragte Altair vorsichtig.
„Glücklich? Erinnerst du dich an Sefs Geburt? Weißt du eigentlich, was das für höllische Schmerzen waren?", sie sah ihn panisch an. „Ich hatte nicht geplant das nochmal durchmachen zu müssen!"
Natürlich erinnerte er sich. Er war bei ihr gewesen, auch wenn sie ihm mindestens zwanzig Mal gesagt hatte, er sollte das Zimmer verlassen. Er hatte sich geweigert, weil beide wussten, dass Sef zu früh kam und beide eine riesen Angst um ihren zweiten Sohn hatten. Er erinnerte sich, wie fest sie seine Hand gehalten hatte, und vor Allem wie erschöpft sie nach der Geburt gewesen war. Sefs Geburt war schlimm gewesen, und nicht nur das, auch die Tage danach waren mindestens genauso schwierig gewesen. Darims Geburt ging um einiges leicher und schneller von Statten als Sefs. Und nun war es nur verständlich, dass Maria befürchtete, dass es bei ihrem dritten Kind genauso oder sogar noch schlimmer sein könnte.
„Maria, ich bin mir sicher, dass alles gut wird.", erwiderte Altair und legte sanft seine Lippen auf ihre. Für gewöhnlich hätte sie ihn jetzt von sich gestoßen und ewig mit ihm diskutiert wie ungerecht es war, dass sie das alles durchmachen musste und er nur zusehen durfte. Aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund, sehnte sie sich eben nach seinen innigen Küssen und presste daher ihre Lippen noch stärker auf seine.

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Sowieso fiel Maria auf, dass sie in den letzten Wochen viel öfter miteinander geschlafen hatten, als in den vorigen Monaten. Altair war das auch aufgefallen, aber er hatte kein Wort darüber verloren, schließlich gefiel es ihm, auf diese Art und Weise Zeit mit seiner Frau zu verbringen. Jetzt lag sie in seinen Armen und genoss den schönen, verliebten Augenblick nach der Versöhnung.
„Du weißt, dass das jetzt nicht das letzte Mal gewesen sein wird...", murmelte sie und sah ihn prüfend an. Er erwiderte ihren Blick.
„Ja. Ich kenne dich.", er schmunzelte als er sich zurück erinnerte, wie oft sie ihn während Sefs und Darims Schwangerschaft von der Arbeit abgehalten hatte, nur um sich mit ihr das Bett zu teilen. Wobei sie es nicht mal immer nur im Bett getan haben.
Sie grinste und irgendwie waren ihre Ängste vor der kommenden Geburt nun auch wie weggeblasen. Sie freute sich auf das ungeborene Mitglied der Familie und lächelte ihren Ehemann glücklich an.
Er küsste sie und als es an der Türe klopfte verharrten beide in ihren Bewegungen. Bis jetzt hatten sie ein unangenehmes Aufeinandertreffen danach mit ihren Kindern immer vermeiden können. Bis jetzt, so wie es aussah...
„Baba? Mama?", hörten sie Sefs Stimme, der noch brav vor der Tür wartete, bis er die Erlaubnis bekam sie zu öffnen. Gott sei dank war es Sef, und nicht Darim. Er hätte vermutlich einfach die Türe aufgemacht und hätte sich auf seine Eltern gestürzt.
Maria sah Altair ein paar Sekunden lang geschockt an. Sie waren beide nackt und daran zu denken, sich so schnell anziehen zu können, bevor ihr Sohn neugierig die Türe öffnete, war lächerlich.
„Was sollen wir tun?", flüsterte sie so leise wie möglich. Altair überlegte einen Moment lang.
„Ich kümmere mich darum...", murmelte er, stand auf, zog sich schnell seine Hose an und ging zur Türe. Sie betrachtete ihn eine Weile und dachte daran, wie gut sie es mit ihm hatte.
Er öffnete die Türe, ging schnell raus und schloss sie wieder, damit Maria genug Zeit hatte sich anzukleiden.
„Baba? Bist du mit Mama wieder gut?", fragte Sef und sah seinen Vater besorgt an. Er kniete sich zu seinem Sohn und lächelte.
„Alles bestens, Nadschm.", Sef strahlte, anscheinend unheimlich erleichtert darüber, dass seine Eltern nicht länger stritten. Er umarmte seinen Vater und hielt ihn lange fest.
„Baba?", fragte er nochmal.
„Ja?", erwiderte er, nahm seinen Sohn hoch und setzte ihn auf sein Pult, einfach um etwas weiter weg von der Türe zu sein. Er wollte nicht risikieren, dass Sef doch zu seiner Mutter wollte, und sie noch mitten im Ankleiden war.
„Was hast du denn jetzt mit Mama beschlossen wegen Ach?" (arab. „Bruder"), fragte der kleine Junge mit großen, neugierigen Augen. Vermutlich war es für Sef genauso aufregend wie für Darim in die Ausbildung zu gehen. Stimmt, ursprünglich war Altair zu Maria gegangen um diese Sache mit ihr zu klären, aber durch ihre erneute Schwangerschaft waren sie irgendwie... abgedriftet.
„Noch haben wir nichts beschlossen, Sef.", lächelte er und merkte wie sein Sohn die verschiedenen Narben auf seinem nackten Oberkörper studierte. Er wusste, wie sehr ihn seine Kinder bewunderten und freute sich daher zu sehen, dass sie vor seinen Narben nicht zurückschracken. Als Maria ihn zum ersten Mal so gesehen hatte, hatte sie sich bei ihm entschuldigt, weil sie ihn zu Anfang als sie noch seine Gefangene gewesen war, als Feigling beschimpft hatte. Er hatte ihr allerdings erklärt, dass viele dieser Narben gar nicht aus Kämpfen stammten sondern viel mehr von Bestrafungen die er sich durch Raschid zugezogen hatte. Auch ein Punkt den Altair unter seiner Führung sofort abgeschafft hatte. Es gab seblstverständlich immer noch Bestrafungen für Novizen und Assassinen die Fehler begingen, diese waren aber nicht halb so schlimm, wie jene die Raschid befohlen hatte.
„Hat das arg weh getan...?", fragte Sef, und deutete auf seine linke Hand, an welcher der Ringfinger fehlte.
„La, so schlimm war es nicht.", (arab. „Nein"), entgegnete er um seinem Sohn keine Angst einzujagen. Sef sah trotzdem etwas eingeschüchtert aus.
„Was haben du und Mama dann gemacht, wenn ihr nicht über Darim gesprochen habt?", fragte Sef. Altair wusste, dass er seinen Söhnen irgendwann erklären musste, wie das mit der Liebe funktionierte und er hatte sich immer vor diesem Tag gefürchtet auch wenn er es nicht gerne zugab. Aber jetzt konnte er seinem Sohn doch noch nicht erklären was er nachts beziehungsweise manchmal auch tags mit seiner Mutter anstellte. Also entschied er sich, das Thema auf sein kommendes Geschwisterchen zu lenken.
„Du bekommst einen Bruder oder eine Schwester...", sagte er also und Sefs Augen begannen zu strahlen.
„Haben du und Mama einen Antrag gestellt?", einige Sekunden lang herrschte Schweigen, bis Altair anfing zu lachen. Sef betrachtete seinen Vater irritiert und allem Anschein nach hatte sein Lachen auch Maria aus dem Zimmer gelockt, die nun vollständig bekleidet zu ihm kam und ihn fragend musterte.
„Was ist so lustig?", fragte sie und sah ihren Sohn verwirrt an, nachdem Altair ihr immernoch keine Antwort gab. Selten hatte sie ihren Mann so lachen sehen. Als Malik das Zimmer betrat, sah er zuerst überrascht und auf irgendeine Art und Weise auch erleichtert zu Maria, wandte seinen Blick jedoch schnell an Altair, der immer noch lange nicht aufhören konnte zu lachen.
„Was ist denn passiert?", fragte der Rafiq und musterte den irritierten Teil der Familie Ibn La'Ahad. Sef zuckte nur mit den Schultern.
„Hast du irgendetwas Komisches gesagt?", fragte Maria an ihren Sohn gewandt. Er sah beschämt zu Boden.
„Ich sag nichts mehr...", murmelte er.
Seine Mutter funkelte seinen Vater an.
„Altair?"
Der Großmeister grinste amüsiert und nahm seinen Sohn in die Arme.
„Habibi, tut mir leid, ich habe nicht über dich gelacht.", meinte er und sah seinen jüngsten Sohn schmunzelnd an.
„Dafür muss man keinen Antrag stellen."

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So. Das erste Kapitel meiner neuen Assassin's Creed Fanfiction :)
Erneut ein kleiner Einblick in Altairs Familienleben. Ich muss ehrlich sagen, dass es mir total gefällt diese Art von Geschichte zu schreiben 3 Eigentlich habe ich noch nie zuvor über Kinder geschrieben und es ist auch irgendwie ziemlich ungewohnt als auktorialer Erzähler zu schreiben. Ich bevorzuge eigentlich die Ich-Perspektive ._.

Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen :) Lasst mir doch bitte ein Review da, wenn euch meine Geschichte gefallen hat. Ich würde mich riesig freuen! Auch über konstruktive Kritik!

LG
Sally