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An diesen Vormittag waren Glenn und Donna zum Beutezug für Alexandria eingeteilt. Gemeinsam sollten sie in die nahegelegenen Orte fahren, um dort nach Essen und anderen nützlichen Dingen zu suchen. Gefunden hatten sie bisher einige Kisten mit Konserven und sogar mit Kleidung, welche sie im Laderaum des weißen Lieferwagens verstauten. Sie waren eine Ortschaft weitergefahren und wollten dort als letzte Station ihres Beutezugs nach Nützlichem in den alten Läden und Häusern suchen.

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Schon die ganze Zeit verschloss sich Donna vor all den anderen Menschen in der Ortschaft und versuchte nicht mehr als nötig Kontakt mit ihnen zu haben. Seit zwei Monaten war sie schon Mitglied dieser Gemeinde, doch war das alles noch so unwirklich für sie. Sie hatte auf ihrem Weg durch diese schreckliche Welt Freunde und ihre Familie verloren. Nicht nur durch Beißer, sondern auch durch andere Menschen, die sich nur für ihr eigenes Überleben interessierten. Donna hatte Dinge gesehen und erlebt, die sie am liebsten aus ihren Erinnerungen gelöscht hätte.

Ihre Eltern verlor sie an Beißer, als sie nach Essbarem in einer alten Fabrikhalle gesucht hatten. Ihre beiden viel jüngeren Geschwister wurden verschleppt und das Einzige was Donna von ihnen gefunden hatte waren ihre sterblichen Überreste, die verstreut um ein Lagerfeuer herumlagen. Auch ihre zwei besten Freundinnen hatte sie verloren und das nur weil Beide, während einer Flucht vor Beißern, gebissen wurden.

Seitdem zog Donna alleine durch die dunkle Welt, bis sie vor knapp zehn Wochen von Aaron an diesen Ort, namens Alexandria, geführt wurde. Dies lag so viele Wochen zurück und sie hätte froh sein sollen, dass sie einen Ort gefunden hatte an dem sie ein Dach über den Kopf, Essen, Trinken, ein Bett und eine Dusche hatte. Doch die Geister der Vergangenheit ließen sie kaum los, was ihre Freude über dieses Glück immens trübte.

Eine Bindung zu Menschen war für sie längst nicht mehr so simpel und selbstverständlich, wie vor dem Ausbruch dieses Virus'. Jeden Menschen, den sie in der Zwischenzeit kennengelernt hatte, war tot oder verschollen. In dem jetzigen Zustand, in dem sich die Welt befand, war es für Donna einfacher ihre Gefühle zu verstecken und sich nicht zu sehr an einen Menschen zu gewöhnen. Früher hingegen war sie lebenslustig und aufgeschlossen gewesen, hatte viele Freunde gehabt, lebte ihre Gefühle frei aus und ließ die Menschen mit Freude an ihrem Leben teilhaben. Doch diese Zeit war vorbei. So schmerzlich es auch war sich einzugestehen.

„Wir sollten bei dem Supermarkt dort drüben schauen.", erklang plötzlich die weiche Stimme von Glenn und holte Donna somit aus ihren düsteren Gedanken zurück. Sie hatte die ganze Fahrt über aus dem Fenster geschaut, ihren Erinnerungen nachgehangen und gar nicht bemerkt, dass sie bereits in dem anderen Ort angekommen waren. Selbst die Tatsache, dass Glenn den Lieferwagen gestoppt hatte, war vollkommen an ihr vorbei gegangen.

Ihre hellbraunen Augen ruhten für einen langen Moment auf dem jungen Mann. Voller Schrecken stellte sie in diesem Moment wieder einmal fest, dass er etwas Gefährliches in ihr auslöste. Nie wieder wollte sie eine wirklich tiefe Bindung zu einem Menschen eingehen, aus Angst sie könnte diese Person wieder verlieren. Warum musste es dann ausgerechnet bei ihm passieren?
Seit ihrer Ankunft in Alexandria war Glenn ihr aufgefallen. Er wusste was er tat, wenn sie außerhalb des Zaunes unterwegs waren. Außerdem war er ein so fürsorglicher, vernünftiger und freundlicher junger Mann. Für jeden wollte er stets das Beste und war immer auf die anderen der Gemeinde bedacht. Auch war er einer der Ersten gewesen, die sich um Donna gekümmert und versucht hatten sie in der wachsenden Gemeinde zu integrieren.

Seine warmen, braunen Augen ruhten auf ihr, während sie einfach nur zurücksah. Erst nach einem weiteren, längeren Augenblick nickte sie ihm schweigend zu, ehe sie den Blick von ihm abwandte. Deutlich konnte sie hören wie Glenn aufseufzte, wobei Donna glaubte einen Hauch von Verzweiflung dabei herauszuhören.

Es war tatsächlich so, dass sie es den Menschen in ihrem Umkreis, besonders Glenn, nicht leicht machte. Sicher sie unterhielt sich mit den Gemeindemitgliedern, doch war sie bemüht eine gewisse Distanz zu wahren und nicht zu viel von ihrer Gefühlswelt Preis zu geben. Auch wohnte sie Meetings bei, war bereit zu helfen und ihr Leben auf einem Beutezug zu riskieren. Doch sobald jemand versuchte sich mit ihr über privatere Dinge zu unterhalten blockte Donna vollkommen ab. Ihre Masche war es solchen Gesprächen mit einem anderen Thema auszuweichen oder es schweigend zu übergehen.

Die Menschen in der Gemeinde wussten was sie durchgemacht hatte und für ihren Geschmack war das genug. Es hatte für die anderen zu reichen, denn alles andere hätte sie mit der Angst vor einem weiteren Verlust nicht vereinbaren können.

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Der Geruch von faulendem Fleisch schwängerte die Luft im Supermarkt, weshalb Donna gegen ihre Übelkeit ankämpfen musste. Gemeinsam hatten Glenn und sie sich durch die Gänge des Supermarkts geschlängelt, waren über Leichen hinweg gestiegen und erreichten schließlich das Lager. Mit den Händen an ihren Waffen betraten sie es langsam und stellten unzufrieden fest, dass dieses schon geplündert wurde.

Frustriert lehnte sich Donna gegen den Türrahmen und ignorierte dabei die langen Plastikstreifen, die einst als Vorhang dienten. Kartons, Kisten, Regale und Paletten lagen umgestoßen, aufgerissen und verstreut im Lager herum. Hier und dort erblickte sie auch die einen und anderen Überreste einer Leiche. „Sieht so aus, als gäbe es hier schon länger Nichts mehr zu holen.", gab Donna ruhig von sich und strich sich einer ihrer tiefdunkelbraunen, beinahe schwarzen Haarsträhnen, hinters Ohr.

„Hier ist eine Tür. Vielleicht gibt es da drin noch etwas." Glenn sah kurz und zuversichtlich über die Schulter zu Donna und öffnete schließlich vorsichtig die Tür. Mit langsamen und bedachten Schritten war sie auf ihn zu gekommen, beobachtete wie er die Tür öffnete und stellte erstaunt fest, dass hinter dieser Tür eine Wand aus gestapelten Kartons stand.

Vorsichtig und bedächtig begannen Beide mehrere Kartons von oben herunter zu holen und einen Blick hinein zu werfen, doch wurden sie enttäuscht. In diesen Kartons waren keine Lebensmittel, sondern nur jede Menge nutzloser Krimskrams. „Es war ein Versuch wert.", merkte Glenn etwas frustriert an, woraufhin Donna ihm nur mit einem ‚Mhm' zustimmen konnte.

Plötzlich schoss eine verwesende Hand zwischen den unteren Kartons hervor und versuchte nach Beiden zu greifen. Erschrocken fuhren die Beiden herum und sahen zu, wie die Mauer aus Kartons von zwei Beißern durchbrochen wurde. Beide hatten ihren Körper ab der Hüfte offensichtlich schon früh einbüßen müssen, doch ihre Oberkörper und Arme waren noch intakt.

Kriechend und nach ihnen geifernd kamen sie auf die Beiden zugekrochen. Rasch zogen Beide ihre Messer und stürzten sich auf die Beißer. Geschickt umging Donna den ersten Beißer, drückte seinen Kopf mit dessen Gesicht nach unten auf den gefliesten Fußboden und stach schließlich rasch mit dem Messer zu.

Die gurgelnden, röchelnden und krächzenden Laute der zwei Beißer erstarben beinahe zeitgleich. Als Donna zu Glenn blickte, war es einer der Momente in denen sie sich immens zu ihm hingezogen fühlte. Ihr Herz pochte kräftig in ihrer Brust, während sie fühlte wie sich jede Faser ihres Körpers nach ihm verzehrte. Doch verbat sie sich im nächsten Moment schon wieder diese aufkeimenden Gefühle, wandte ihren Blick fort von ihm und ließ von dem Beißer ab. Das blutverschmierte Messer steckte sie zurück in die dafür vorgesehene Halterung an ihrem Oberschenkel und begab sich langsam wieder zurück zur Tür.

Genervt von diesen Gefühlen und der Angst ihm zu nahe zu kommen, strich sie sich über den Kopf und ließ ihre Finger durch ihren langen Zopf gleiten. Nur zu gern hätte sie mit Glenn geflirtet, ihn umgarnt und sogar versucht zu verführen. Doch diese sorglosen Zeiten von damals waren eindeutig vorbei und sie konnte sich nicht vorstellen sich noch einmal einer Liebe vollständig hinzugeben. Doch vielleicht konnte sie bei Glenn eine Ausnahme machen und ihn in ihr Leben lassen?

Mit einem Mal vernahm Donna hinter sich röchelnde Geräusche, woraufhin sie sich alarmiert umdrehte. Wie aus dem Nichts war ein weiterer Beißer aus der Tür, über die Kartons und Überreste der anderen gestolpert. Er fiel dabei direkt auf Glenn, welcher mit dem Rücken zur Tür gestanden hatte. Voller Angst sah Donna mit an, wie die Beiden unglücklich zu Boden fielen.

Alles lief für Donna in diesem Moment wie ein Film in Zeitlupe ab. Sie beobachtete wie der Beißer sich auf den Mann stürzte, dem sie nach so langer Zeit bereit war ihr Herz zu öffnen.

Ohne eine weitere Sekunde zu verschwenden, rannte sie zu den Beiden hinüber und warf sich dem Beißer todesmutig entgegen, noch bevor er Glenn beißen konnte.

Schwungvoll landete sie mit dem Untoten auf dem Fußboden und schlug sich den Kopf ungünstig an einer Holzkiste an. Der Beißer krabbelte, für seine Verhältnisse, rasch auf sie zu und packte sie bereits am Ausschnitt ihres schwarzen Tanktops. Ihre Hand gegen seinen Kopf drückend, versuchte sie an das Messer an ihrem Oberschenkel zu kommen.

Es kostete Donna viel Kraft den geiernden Untoten von sich fernzuhalten und dabei gleichzeitig ihr Bein unter ihm hervorzuziehen. Aus dem Augenwinkel konnte sie erkennen, dass Glenn noch immer regungslos am Boden lag. Eine beinahe lähmende Angst um ihn stieg in ihr auf und ließ eine eiskalte Wut in ihr aufkochen. Die Wut beflügelte sie dazu den Beißer büßen zu lassen.

Endlich hatte sie ihr Bein frei bekommen, winkelte es leicht an und konnte so das Messer aus der Halterung hervorziehen. Sofort stach sie zu, schubste den erschlafften Körper von sich runter und erhob sich. Zum Durchatmen gönnte sie sich jedoch keinen Moment, denn sie wollte unbedingt wissen was mit Glenn war.

Donna hastete zu ihm hinüber, kniete sich an seine Seite und drehte ihn behutsam auf den Rücken. Er war sehr unglücklich gefallen und mit dem Kopf gegen das umgestürzte Metallregal vor der weitläufigen Kammer geschlagen. Er hatte sich nahe der Schläfe eine große Platzwunde zugezogen und schien bewusstlos zu sein. Sie wusste nicht wie viel Blut er durch die Platzwunde bereits verloren hatte, denn sie war keine Ärztin und hatte sich auch nie mit diesen Dingen befasst. Doch allein wegen der ärztlichen Versorgung und des Infektionsrisiko der Wunde mussten sie umgehend und so schnell wie möglich zurück nach Alexandria.

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Mit viel Mühe und Kraftaufwand hatte Donna es geschafft Glenn zum Wagen zu bringen und war so schnell es ging nach Alexandria zurückgekehrt. Dort angekommen hatten die anderen Glenn direkt zur Krankenstation gebracht, wo man sich um seine Platzwunde kümmerte und hoffte dass er bald aufwachen würde.

Gewissenhaft hatte Donna ihren Bericht über den Vorfall bei Deanna abgeliefert und beim Verstauen der gefundenen Beute geholfen. Die ganze Zeit konnte sie jedoch nicht anders, als an Glenn zu denken. Immer wieder schickte sie Stoßgebete zum Himmel und hoffte, dass es ihm bald bessergehen würde. Dadurch, dass sie sich mit Medizin nicht auskannte und sie nur die üblichen Dinge wusste und händeln konnte, hatte sie keine Ahnung wie ernst es wirklich um Glenn stand.

Nach dem sie geholfen hatte die Beute zu verstauen, war sie sofort zur Krankenstation gelaufen und hatte sich dort nach Glenn erkundigt. Er schwebte weder in Lebensgefahr, noch war er sehr ernst verletzt worden. Dennoch war es eine gute Entscheidung ihn her zu bringen, hatte Denise Donna gesagt. Allerdings konnte die hiesige Ärztin ihr auch nicht sagen wann Glenn wieder aufwachen würde. Dies blieb abzuwarten.

Donna befürchtete nun, dass er so unglücklich gestürzt war, dass er in diesem Augenblick in einer Art Koma lag. Wahrlich hatte sie von Medizin keine Ahnung und genau dies bedauerte sie nun. Die Angst um Glenn wurde erneut geschürt und sie fürchtete, dass er in diesem Zustand bleiben würde, was ihr das Herz bleischwer werden ließ. Trotzdem war sie dankbar über diese Information und ließ ich in das Zimmer bringen, in dem er untergebracht war.

Schweigend nahm sie sich den Stuhl, welcher im Raum stand und setzte sich zu Glenn ans Bett. Seine Platzwunde war gut versorgt worden und es wirkte im Moment so, als würde er sich nur ausruhen und ein kleines Nickerchen machen. Doch Donna wusste, dass er bewusstlos, oder gar Schlimmeres, war und das nur, weil der Beißer ihn in einem unachtsamen Moment angegriffen hatte.

Sicher war ihr ganz tief im Inneren bewusst, dass er bald wieder aufwachen würde und er nicht in Lebensgefahr schwebte oder in einem komatösen Zustand war. Doch sie hatte unsagbare Angst ihn zu verlieren, weshalb diese ihre Vernunft und ihr rationales Denken übertünchte.

Vorsichtig nahm sie seine Hand in Ihre, strich zärtlich mit den Fingerspitzen über seine weiche Haut und flüsterte ihm bittend zu: „Wach auf, Glenn." Endlich fiel die Anspannung und Angst der letzten Stunden von ihr ab und heiße Tränen bahnten sich einen Weg über ihre Wangen. In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie ihn hätte für immer verlieren können, wenn sie nicht geistesanwesend gehandelt hätte. Der Beißer hätte ihn ohne weitere Hindernisse fressen können.

Vorsichtig stützte sie sich mit den Ellenbogen auf der Bettkante ab, umschloss seine Hand nun mit beiden Händen und küsste immer wieder sachte seinen Handrücken. Stumm weinte sie dabei und ließ all diesen Gefühlen endlich freien Lauf. Ihre Angst um ihn war überwältigend gewesen und noch immer konnte sie nicht anders, als um ihn zu bangen. Auch wenn er, laut Denise, außer Gefahr war, so konnte sie sich dagegen nicht wehren. Angst und Glück vereinigten sich zu einer bitteren Mischung. Das Glück, dass sie heil aus dieser Situation gekommen waren, überwog kaum die Angst, die sie die ganze Zeit um ihn gehabt hatte.

„Wach bitte auf, Glenn. Ich brauche dich doch…", hauchte sie weinend gegen seinen Handrücken und verteilte anschließend erneut kleine Küsse auf diesem. Sie liebte ihn so sehr und dieser Tag, diese gefährliche Situation, hatte Donna bewusstwerden lassen, dass sie so oder so leiden würde, wenn sie ihn verlor.

Ohne es zu merken hatten die anderen und besonders Glenn es bereits geschafft ein neuer Teil ihres Lebens zu werden. Daher schwor sie sich es von nun an anders zu machen und sich den anderen Gemeindemitgliedern zu öffnen. Von Anfang an und noch immer waren sie bemüht um sie, weshalb Donna beschloss dieses Glück, dass sie hier in Alexandria hatte, anzunehmen und nicht zu fürchten. Genau so würde sie, wenn er wieder aufwachte, Glenn ihr Herz mehr und mehr öffnen.

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Mitten in der Nacht wurde Donna von Rosita geweckt, da sie an Glenns Bett eingeschlafen war. Fast schon liebevoll hatte sie Donna dazu aufgefordert in ihr Haus zu gehen, sich zu erholen und auszuschlafen. „Er wird schon wieder wach werden. Also keine Angst, Donna.", hatte sie ihr sanft und flüsternd gesagt, woraufhin Donna ihr ein ehrliches und auch dankbares Lächeln geschenkt hatte. Lieb und zuversichtlich hatte Rosita ihr Lächeln erwidert. Sie war sogar so lieb gewesen und hatte sich Donna angenommen, um sie zu ihrem Haus zu begleiten. Erneut lächelnd und voller Dankbarkeit über diese Fürsorge hatte sich Donna von Rosita verabschiedet und ihr eine gute Nacht gewünscht, ehe sie in ihrem Haus verschwand.

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