dies ist die FORTSETZUNG von "Liebe deinen Nächsten". ich empfehle auf jeden fall, zuerst "Liebe deinen Nächsten" zu lesen. diese geschichte hier schließt direkt daran an.

es ist soweit! ich habe tatsächlich weitergeschrieben!

es werden wahrscheinlich wieder 6 kapitel werden.

keine lange vorrede.

  ~  Der Kuss des Judas  ~ 

I.

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Judas war nicht sicher, aber ihm schien Jesus, seit jener ersten Nacht, die er sein Lager mit ihm geteilt hatte, verändert. Er wich den Menschenmassen nicht mehr aus, wenn sie in unbewältigbaren Mengen herbeiströmten und ihn mit ihrem Bitten und Drängen erdrückten, er trat ihnen gegenüber, half mit scheinbar ins unermessliche gesteigertem Eifer so vielen Bittstellern er auch begegnete. Er suchte nach ihnen, ließ sich rufen.

Er heilte Kranke, befreite den Geist Besessener, brachte Stumme zum Sprechen, Lahme zum Gehen, er war unermüdlich. Aber in Judas Herz schlich sich Schwermut, für die er keinen Grund kannte. Umso mehr Jesus sich um alle Menschen kümmerte, ohne sich dabei allzu sehr zu verausgaben, ohne an Kraft zu verlieren – im Gegenteil, er schien immer weiter über sich hinaus zu wachsen – umso bedrückender wurde das unbekannte und unbestimmte Gefühl, das von Judas besitz ergriffen hatte.

Nun schob er es auf Eifersucht, dass er Jesus wohl nicht gerne mit andern teilte, dass er ihn lieber ganz für sich hätte. Doch damit konnte er sich nicht überzeugen. Er wusste, dass Jesus ihn allein liebte. Auch wenn er alles was lebte liebte, keinen liebte sein Herr so sehr wie ihn, Judas.

Aber was war es dann?

Darüber hinaus hatte Judas entdeckt, dass Jesus in Eile war. Judas vermutete, dass es nun bald so weit sein würde, dass etwas geschehen würde, dass Jesus nun endlich seinen Siegeszug antreten würde, dass ihm das gesamte Volk Israel nun endlich folgen würde, dass er es einigen würde, dass er allem ein Ende und so einen neuen, so lange herbei gesehnten Anfang geben würde, dass er das Volk des Herrn befreien würde von der römischen Knechtschaft. Doch warum diese Unrast, dieser gehetzte Ausdruck, den keiner der Jünger außer ihm wahrnahm? Bildete er sich das nur ein?

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"Judas!" Jesus rief ihn aus der Ferne, die Menschenmenge, die sich um ihn geschart hatte war dabei sich aufzulösen und verstreute sich. Judas lies seine dunklen Gedanken sein und erwartete lächelnd, seinen Herrn, der befreit in wehenden weißen Roben auf ihn zulief.

Die trockene Luft wehte ihm den Duft von frischem Fladenbrotes entgegen. Jesus ergriff beide Hände Judas, es schien, sein Herr konnte gar nicht mehr ohne diese ständigen Berührungen sein, so keusch sie auch waren, sobald er sich in der Nähe seines geliebten Jüngers befand, ergriff er diesen mit warmen, liebenden Händen.

So sehr Judas sich auch sorgte, wenn er Jesus von weitem beobachtete, so schnell verschwand all seine Besorgnis, wenn Jesus ihn mit seiner stillen Liebe umhüllte. Judas ließ los. Ließ sich fallen. Alles war gut. Hier in Jesu Armen. Die ganzen Welt.

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Den anderen Jüngern blieb diese neue Nähe und Zuneigung ihres Herrn zu Judas nicht im Verborgenen, doch keiner äußerte sich dazu. Auch wenn keiner besonders erfreut drüber schien. Sie nahmen es als gegeben. So kam es, dass Jesus sich nicht scheute, seinen rotgelockten Geliebten im Angesicht des Himmels, sei es im strahlenden Sonnenschein oder im Zwielicht der Dämmerung, die roten Lippen zu küssen.

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Doch Judas konnte nicht umhin, immer und immer wieder darüber nachzudenken, was Jesus so ruh- und rastlos erscheinen ließ, sobald er nicht in seiner Nähe war.

Eines Abends erwartete Judas seinen Herrn in dessen Gemach. Jesus war noch spät in ein benachbartes Dorf gerufen worden. Anstatt auf den nächsten morgen zu warten und im Licht des Tages den zwei Stunden Marsch anzutreten, brach er sofort mit dem um seine Hilfe Bittenden auf. Er hatte zwei Maultiere dabei gehabt, eines für sich und eines für den Messias.

Jesus kam und kam nicht zurück.

Judas saß auf dem Lager Jesu und kämpfte, was inzwischen zu seiner Hauptbeschäftigung geworden war, mit den finstersten Gedanken. Er hasste es. Er sollte glücklich sein. Vor einigen Wochen noch hätte ihn allein der Gedanke, dass Jesus ihn liebte um den Verstand gebracht vor Freude. Was also war los?

Sterne schienen schon Stunden vom schwarzen Himmel, als Judas endlich Schritte und gedämpfte Stimmen von draußen hörte. Er rührte sich nicht, sondern wartete, bis Jesus nach drinnen kommen würde. Einer der Jünger musste draußen Wache gehalten und auf seinen Herrn gewartet haben. War es Johannes oder Jakobus? Judas konnte die Stimmen der Brüder nie unterscheiden.

Und schließlich stand er vor ihm. Nicht im geringsten überrascht, dass Judas hier war. In dem schwachen Licht eines Feuers, das von draußen hereinflackerte, konnte Judas den Ausdruck auf Jesu Gesicht nicht erkennen. Sofort stürzte Jesus auf ihn zu und umfing ihn mit seinen warmen Armen. Obwohl die Nacht kalt war, Jesu Arme und Hände waren immer warm. Schnell verfingen sich Jesu Finger in Judas feurigen Locken und ein hungriger Kuss, lies alle Fragen, alle Finsternis aus Judas Gedanken verschwinden.

Wortlos zog Jesus seinen Jünger auf sein Lager. Er zog ihn aus und übersäte die helle Haut Judas mit  sanften, neckenden Küssen und gierigen Bissen. Judas Körper, der kalt und klamm geworden war vom langen, stillen Sitzen, fing gierig die Funken der heißen Lippen Jesu auf und entzündete sich unter den warmen Berührungen seines Herrn in einem überirdischen Feuer.

Und endlich, endlich fühlte sich Judas wieder von der brennenden Freude, der seine Seele als Docht diente, erfüllt. Und er hatte keine Angst, er könnte von ihr konsumiert werden, in ihr vergehen, bis nichts mehr von ihm da sein würde außer kalter Asche. Denn er brannte in einem Feuer, das Jesus war.

***

Der nächste Morgen war kühl doch Judas fühlte nur die Wärme des eng an ihn geschmiegten Körpers ihn einhüllen und die Glut der vergangenen Nacht in ihm glimmen, so warm und real, dass er wusste, dass sie niemals abkühlen würde. Er würde dieses Gefühl niemals gehen lassen, koste es was es wolle und noch weniger als er das Gefühl je aufgeben würde, würde er den Menschen verlieren, dem er es verdankte.

Alle Wärme, alles Gute, dass er in sich hatte, kam von Jesus.

Jesus, sein Herrn.

Jesus, der Sohn Gottes.

Jesus, der Wunderheiler.

Jesus, der Messias

Jesus, der Mensch

Jesus, der Mann.

Jesus, der ihn liebte.

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