DISCLAIMER

Die Pflicht vor der Kür: Natürlich gehören die Cullens, Swanns, Quileute, Werwölfe, Volturi, Denali und die meisten anderen Figuren Stephenie Meyer. Meine paar OC's kann die Story hoffentlich auch noch verkraften...

Die Geschichte ist als Fortsetzung von "Breaking Dawn" gedacht und hält hoffentlich ein paar nette Überraschungen bereit.


PROLOG

Das Holz des großen Kreuzes schimmerte mattseidig im Schein der Kerzen. Wie immer verspürte Carlisle Cullen das Bedürfnis, mit den Fingern über die glatte Oberfläche zu streichen und sich zu vergewissern, dass es dasselbe Kreuz war, an dem sein Vater über Monate gearbeitet hatte – meist nach dem Abendessen, bevor er sich mit der nächsten Predigt beschäftigte.

Als das Kreuz noch flach auf dem großen Holztisch im Keller gelegen hatte, selbst im fast fertigen Zustand, war es ihm nie so ehrfurchteinflößend erschienen, wie von dem Augenblick an, an dem es seinen Platz über der Kanzel erhalten hatte. So, als hätte erst die Zuführung zu seiner Bestimmung dem Holz so etwas wie eine Seele verliehen. Als wäre es erst in diesem Augenblick von einem einfachen Stück Holz zu einem Symbol geworden, zu einer Reliquie, eine Verkörperung des Glaubens, der ihm von seinem Vater vom ersten Augenblick seines bewussten Denkens an eingeimpft worden war.

John Cullen war schon immer besser als Geistlicher gewesen als als Vater. Sein Leben war ausgerichtet auf das Wort des Herrn und darauf, Abtrünnige im Glauben an den Pranger zu stellen und zu strafen. Einige nannten ihn einen Eiferer, einen Fanatiker. Andere lobten seine fromme Geisteshaltung als vorbildlich. Aber niemand konnte John Cullen vorwerfen, dass er nicht bereit war, für seine Überzeugung Opfer zu bringen und selbst zu leben, was er seiner Gemeinde als den richtigen Weg in Christus darstellte. Egal, was es ihn kostete ... wie das Leben seiner Frau Mary.

Carlisle spürte altvertraute Wut in sich aufsteigen und verdrängte das Gefühl sofort – erschrocken über sich selbst. Es war Blasphemie, zu denken, dass der Tod seiner Mutter vielleicht nicht Gottes Plan gewesen sein könnte. Finsterste Ketzerei, sich zu fragen, ob die alte Mrs. Buchanan mit all ihren Kräutern und Pulvern nicht vielleicht doch in der Lage gewesen wäre, den Husten und das Fieber zu heilen und das Leben der Kranken zu retten. Immerhin hatte ihre Behandlung doch bereits Wirkung gezeigt! Der feste, keuchende Husten war locker geworden und hatte nicht mehr so beängstigend geklungen. Das Fieber war gesunken und die matten, glanzlosen Augen der Mutter hatten wieder wacher geblickt – ein sicheres Zeichen dafür, dass sie ihre Umgebung wieder wahrnahm. Sie hatte ihn und seinen jüngeren Bruder Gabriel erkannt und mit ihnen geredet, obwohl ihre Stimme noch schwach und kraftlos geklungen hatte. Und trotz des Wissens, dass der Vater darüber vor Zorn außer sich geraten würde, war Carlisle Gabriel mehr als nur dankbar dafür gewesen, dass dieser das väterliche Verbot übertreten hatte, die alte „Hexe" zu Hilfe zu holen. Wenn die Behandlung der Alten das Leben der Mutter rettete ... dann konnte es doch keine Hexerei sein, was sie betrieb, oder? Immerhin tat sie dann doch Gutes...

Aber Mary Cullen war nicht gerettet worden. Der Vater war mehrere Tage früher von seiner Reise zurückgekehrt. Und sein Zorn war noch fürchterlicher gewesen, als Carlisle ihn sich in seinen schlimmsten Alpträumen hätte ausmalen können. John Cullen hatte sich nicht darauf beschränkt, die alte Mrs. Buchanan aus dem Haus zu werfen. Er hatte sie festnehmen und ihr den Prozess wegen Hexerei machen lassen. Nach nur drei Tagen im Kerker war sie öffentlich hingerichtet worden. Und während seine Frau im Pfarrhaus den letzten keuchenden Atemzug tat, stand der Geistliche mit wild funkelnden Augen auf dem Richtplatz und sah voller Befriedigung zu, wie die Hexe starb, die sein unbotsamer jüngerer Sohn ihm ins Haus geschleppt hatte. Der Sohn, der während dieser Hinrichtung in seine Kammer eingeschlossen worden war und dort auf Knien seiner Geißelung harrte, damit er nie wieder vergaß, dass Gott allein Heilung und Rettung bringen konnte.

Der Sohn, der sich nicht von der Mutter hatte verabschieden können, weil die Kammer erst wieder geöffnet worden war, als man den Leichnam Mary Cullens bereits fortgebracht hatte. Sie war besudelt worden durch die ketzerische Tat Gabriels und musste verbrannt werden, auf dass das Hexenwerk, welches sie um die ewige Gnade des Herrn gebracht hatte, auf ewig vernichtet wurde.

Ja, die Vernichtung des Bösen war das Lebenswerk John Cullens. Und jetzt war es auch seine Aufgabe. Er hatte als folgsamer Sohn das Lebenswerk seines Vaters fortzuführen. Und genau deswegen stand er hier, vor dem Kreuz, welches sein Vater mit eigenen Händen erschaffen hatte. Um ein letztes Gebet zu sprechen, bevor er die Aufgabe der heutigen Nacht in Angriff nahm. Stumm bewegten sich seine Lippen, während er die vertrauten Worte murmelte, die ihm die Gnade und den Schutz des Herrn erflehen sollten. Erst als er sich abschließend bekreuzigte, merkte er, dass er nicht mehr allein war. Langsam drehte er sich um und begegnete Gabriels Blick.

„Wohin willst du?" Die Stimme des Bruders war gesenkt.

„Die Leute glauben, dass sich einige Dämonen der Nacht in den alten Kanälen unter der Stadt versteckt halten. Es gab Todesfälle. Und der Sohn der Millers hat beobachtet, dass eine der Kreaturen durch den alten Einstieg hinter dem Wirtshaus dorthin verschwunden ist – unmittelbar bevor man die Leiche von Liz Fuller gefunden hat."

„Glaubst du das?"

Carlisle zuckte die Achseln. „Eigentlich nicht. Aber das Gerücht ist unserem Vater zu Ohren gekommen."

Gabriel nickte nur. Natürlich, wenn John Cullen etwas Dämonisches und Übernatürliches vermutete, würde er von seinem ältesten Sohn verlangen, dass er dagegen einschritt. Immerhin zog er Carlisle schon länger für diese Aufgabe heran – seit das Alter und die Gebrechlichkeit es ihm selbst unmöglich machten, diese Jagden anzuführen. „Ich werde mit dir kommen."

„Kommt nicht infrage!" Abwehrend schüttelte Carlisle den Kopf. „Das ist viel zu gefährlich!"

Gabriel zuckte die Achseln. „Na und? Glaubst du ernsthaft, dass ich unserem Vater einen größeren Dienst erweisen könnte, als im Kampf gegen das Böse zu sterben?" Seine Worte klangen nocht nicht einmal verbittert, immerhin hatte er nichts als die reine Wahrheit gesagt.

„Gabe ..."

„Nein, im Ernst, Carlisle. Vater hat mich noch nie mit der gleichen Zuneigung betrachtet, mit der er dich und Sophie ansieht. Immer, wenn sein Blick auf mich fällt, habe ich das Gefühl, er würde sich am liebsten abwenden und vergessen, dass ich überhaupt existiere. Und seit Mutters Krankheit ..." Die Stimme des Achtzehnjährigen brach. „Er hasst mich. Für ihn bin ich nicht viel anders als einer der Dämonen, die er so unerbittlich verfolgt. Er muss mich im Haus dulden, weil seine Christenpflicht das verlangt. Aber wenn er die Wahl hätte ..."

Die Gewissheit, dass aus Gabriels Worten die reine Wahrheit sprach, ließ den älteren Bruder verstummen. Schon viel zu oft hatte er selbst die Abneigung in den Augen des Vaters gesehen, wenn dieser seinen jüngeren Sohn ansah. Abneigung und ... ja, Hass. Blanken, unversöhnlichen Hass. Schon bevor Mary Cullens Krankheit den Bruder dazu verleitet hatte, das väterliche Verbot zu missachten und die als Hexe verschriene Heilerin ins Haus zu holen. Gabriel mochte vielleicht denken, dass diese Verfehlung die Ursache für das Verhalten des Vaters war. Aber er, Carlisle, wusste es besser. Wusste es seit dem Tag, als der Vater nach dem Tod der Mutter deren Bild verbrannt hatte. Ihr Bild und einen Brief. Unwillkürlich hatte er das in den Kamin geworfene Schreiben überflogen, bevor die Flammen das Papier erfasst und zu einem Knäuel schwarzer Asche verbrannt hatten. Der Brief behauptete, dass Gabriel Cullen nicht der Sohn des Geistlichen sei, sondern während einer Einquartierung, wie sie immer mal wieder vorkam, von einem französischen Söldner gezeugt worden wäre. Und tatsächlich fiel Gabe vom Aussehen her aus der Reihe. Statt blond und blauäugig zu sein wie Vater, Mutter und Geschwister, waren sein Haar und seine Augen dunkelbraun, fast schwarz. Und auch von der Gestalt her glich er in nichts dem grobknochigen, vierschrötigen John Cullen. Er war groß und schlank. Und seine Bewegungen ... nun, wenn es so etwas wie eine angeborene Eleganz gab, so war sie Gabriel Cullen ganz offensichtlich in die Wiege gelegt worden.

„Wenn du mich nicht mitnimmst, folge ich dir eben einfach!" Gabriels leise Stimme riss den älteren Bruder aus seinen Grübeleien. „Lass mich mitkommen, Carlisle, bitte! Ich muss etwas tun, um Vater endlich einmal für mich einzunehmen. Wenn ich dir helfen kann, die Dämonen dingfest zu machen ... vielleicht sieht er mich dann auch einmal so an wie dich oder Sophie. Bitte, ich muss es wenigstens versuchen..."

Mitleid schnürte Carlisle die Kehle zu, als er zögernd mit dem Kopf nickte. Er glaubte nicht daran, dass John Cullen Gabe jemals mit etwas anderem als Ablehnung ansehen würde, selbst wenn dieser tausend Dämonen zu Strecke brächte. Aber vielleicht ... vielleicht irrte er sich ja auch. Vielleicht konnte der Geistliche ja tatsächlich so etwas wie Stolz auf das Kind aufbringen, welches er großgezogen hatte. Oder wenigstens Achtung vor dessen Mut. Alles war besser als diese eisige, schweigend erklärte Ablehnung. „Also gut. Aber bleib immer hinter mir, okay? Und tu, was ich dir sage."

„Einverstanden!" Strahlend vor Eifer griff Gabriel nach der Hand seines Bruders und drückte sie. „Ich hole meinen Rock!"

Carlisle schaute ihm nach, als er mit raschen Schritten die Kirche verließ. Seine blauen Augen folgten seinem Bruder bis er verschwunden war, bevor er sie erneut auf das Kreuz richtete und ein weiteres, kurzes Gebet murmelte – diesmal für die Sicherheit Gabriels.

An dieses Gebet dachte er kaum zwei Stunden später, als die Zähne des alten Dämonen sich in seine Haut gruben. An dieses Gebet dachte er, während er sich in einem Keller verkroch, die Zähne fest zusammengepresst, um trotz der rasenden, unvorstellbaren Schmerzen nicht zu schreien, damit ihn niemand fand und verbrannte, um das Dämonische, was sich durch seine Adern fraß mit ihm gemeinsam zu töten. Und er dachte auch noch an das Gebet, als er drei Nächte später aus seinem dunklen Versteck ins Freie kroch, voller Abscheu für das, was er geworden war.

Und er dachte daran, wie es gewesen war zuzusehen, wie der Dämon, der andere Dämon, der andere Vampir, seinen Bruder fortgeschleppt hatte.

Gott hatte ihn nicht erhört. Er hatte weder ihn selbst verschont, noch hatte er Gabriel beschützt. Und Carlisles einziger Trost war, dass der geliebte jüngere Bruder zumindest nicht zu einem Leben als untotes Monster verdammt war.

So wie er selbst.