Lings POV

Natürlich ist viel in Amestris passiert, man kann ihr keinen Vorwurf machen. Diese Reise hat ihr Leben vollständig verändert. Dieser uns völlig fremde Ort, der Verlust ihres linken Arms, mein Pakt mit Greed und schließlich der Tod ihres Großvaters und Meisters. Es braucht Zeit bis man so etwas richtig verarbeiten kann, falls man so etwas überhaupt verarbeiten kann.

Sie hat ihr Leben meinem Schutz gewidmet, das sei ihre einzige Aufgabe, so hieß es. Schon damals habe ich diese Einstellung abgelehnt. Als sie in meinen Dienst trat, war sie gerade einmal 15 Jahre, eine junge Frau, die sicher ihre gesamte Kindheit mit hartem Training verbracht hat. Fu, ihr Großvater, Meister und mein weiterer Bodyguard versicherte mir, sie sei in ausgezeichneter Form und würde irgendwann seine Position übernehmen. Hatte sie überhaupt eine Kindheit? Oder wurde in ihr nur ein Werkzeug gesehen? Sie war auch ein Mensch, sie wollte ebenso leben. Deswegen hielt ich nichts davon, eine distanzierte Beziehung zu ihr zu haben. Ich wollte ihr das Gefühl geben, dass jemand an ihrer Seite ist, sie unterstützt, ein Freund für sie ist. Als ich sie das erste Mal gesehen habe, wirkte sie absolut selbstlos. "Meister, das hier ist meine Enkelin und euer zusätzlicher persönlicher Leibwächter, sie wurde von mir ausgebildet und reifte zu einem Beschützer mit unglaublichen Fähigkeiten heran: Lan Fan." Ein Schatten sprang aus dem Nichts und vor mir kniete eine kleine Gestalt, in der traditionellen Garnitur der Leibwächter und eine breite Maske, die weiß und rot und schwarz war. Die Person nahm ihre Maske ab und blickte mir in die Augen. Es waren wunderbare, dunkelgraue, fast schwarze Augen und sie wirkten entschlossen. "Es wird mir eine Ehre sein, Euch mit allen Mitteln zu beschützen, junger Prinz." Ich musste lächeln. Sehr überzeugt war sie ja. "Freut mich deine Bekanntschaft zu machen, Lan Fan." Als ich ihnen Namen sprach, leuchtete in Fus Augen Stolz. Und ab diesem Tage gingen wir denselben Weg.

Lan Fan erwies sich wirklich als ein äußert geschickter Kämpfer und Ninja. Außerdem war sie eine wunderbare Gesellschaft. Ihr Großvater begleitete mich sicher schon mehr als 15 Jahre, doch wir haben nie viel gesprochen. Lan Fan war zwar ebenso nicht gesprächig, doch hatte ihre Ausstrahlung etwas überraschend angenehmes und mir gefiel ihre Nähe.

Als ich von dem Stein der Weisen hörte und nach Amestris aufbrach, wusste ich nicht was diese Reise für Ausmaße für uns alle hatte. Zwar war mein Anliegen, dass ich König von Xing wurde, doch war das wirklich dieses Opfer wert? Diese Ninjas hatten sich auf mich geschworen und sie würden mir bis zum letzten Atemzug gehorchen, aber man kann doch keinen Menschen für Eigennutzen in den Tod schicken. Wir sind doch alle gleichwertig. Was gab mir das Recht, so etwas von ihnen zu verlangen?

"Meister, wir sollten uns beeilen." Lan Fans leise Stimme brachte mich in die Realität zurück. Wir standen am Bahnhof von Central City, in Kürze würde unser Zug fahren, Richtung Xing. Richtung Heimat. Es war bereits Abend und die Sonne stand tief und tauchte den Himmel in ein dunkles Rosa. All das Blut, das heute vergossen wurde, schien sich am Horizont zu sammeln und noch einmal für alle sichtbar zu sein. Ich musste den Kloß schlucken, der sich in meinem Hals gebildet hatte. in diesem See war auch Fus Blut, das er für mich vergossen hatte. Ich drückte das kleine Gefäß in der Tasche meines Mantels, den ich trug. Wieder schoss ein Gedanke in meinen Kopf: Dieses Ding brauchte so ein riesiges Opfer? "Hey Ling!" Mei Ling, meine Halbschwester, stupste mich an. Ich habe sie in Amestris kennengelernt, sie war ebenso auf der Suche nach dem Stein der Weisen."Oh, entschuldige, ich war mit den Gedanken woanders." Ich warf einen schnellen Seitenblick auf Lan Fan, ihr Blick war auf etwas in der Ferne gerichtet, doch als ich mich in Bewegung setzte, wandte sie sich auch um und betrat den Zug. Fus Leiche war bereits im Gepäckwagen untergebracht. Er hatte sie dorthin getan. Einmal, weil er nicht die Gesellschaft einer Leiche in einem Personenwagen wollte, und weil er Lan Fan die Verantwortung abnehmen wollte. Es war schwer genug, sich von ihm zu trennen.

Ich betrachtete sie eine Weile, wie ihr Blick zum Fenster, dann wieder in den Waggon schweifte. Mei hatte sich neben mir eingerollt und lag nun mit ihrem Kopf an meiner Seite. Ich musste lächeln. Sie war um einiges jünger als ich, sicher 10 Jahre und ihre körperlichen Eigenschaften waren für so große Abenteuer einfach noch nicht geschaffen. Ihr kleiner Panda lag friedlich in ihren Armen. Wieder musste ich zu Lan Fan sehen. Sie schaute aus dem Fenster, doch ihr Blick war nicht wie sonst aufmerksam, sondern trüb und verloren. Sicher dachte sie gerade an ihren Großvater. Ich fühlte mich hilflos. Ich konnte einfach nichts tun und sie so zu sehen war keine Freude. Klar, Fus Tod ging mir auch sehr zu Herzen, Greed war auch für immer fort, doch sie schien als wäre ganz Xing mit allen Einwohnern und Land zerstört worden und sie sei Schuld gewesen. Sie blinzelte und sah mich an. Ihre Augen wirkten matt und unter ihren Augen hatten sich dunkle Schatten gebildet. Sie musste sicher furchtbar müde sein. Okay, das war ich auch, aber sie wirkte erschüttert und zerstört. Verdammt, ja, das war sie. Sehr sogar. Doch es sah nach viel mehr aus. "Alles in Ordnung mit dir?" Sie wandte den Blick ab und schaute auf den Boden. Nun schlich sich eine Spur Verzweiflung in ihre Augen. Oder war es Trauer? Dann drehte sie wieder den Kopf zu mir und ich blickte wieder in die selbstlosen, dunklen Augen, wie vor 4 Jahren. "Macht Euch keine Sorgen um mich Meister, alles ist in Ordnung." Damit war das letzte Wort gesprochen. Der Zug rauschte durch die Dunkelheit, man erkannte kaum Bäume oder Felder oder kleine Dörfer, durch die er fuhr. Das Licht im Zug selbst war schwach, sodass einen die Müdigkeit fast übermannte. ich kämpfte dagegen an, da Lan Fan sicher auch müde war und ich nicht vor ihren Augen schlafen wollte. Also würde ich auch wachbleiben. Wieder glitt mein Blick zu meinem Leibwächter. Sie starrte wieder hinaus mit diesem leeren, verletzten Blick. Ich konnte das nicht länger ertragen. Menschen, die einem nahe zu stehen, ist eine eigene Sache, sie ist unbeschreiblich und man muss selbst mit diesem Schmerz klarkommen, aber einen Menschen, den man mag, leiden zu sehen, ist auch grausam. Aber Fu war tot, daran können nicht einmal Alchemisten etwas ändern. Vorsichtig verlagerte ich mein Gewicht nach vorne, um meine Schwester nicht zu wecken und streckte den Arm nach vorne. Sachte berührte ich ihr Knie und ließ meine Hand darauf ruhen. Sie schaute mich verwirrt an. Ich wagte ein schwaches Lächeln. So verharrten wir einige Sekunden, bevor ich ausatmete und meine Hand zurückzog. "Du kannst dich etwas ausruhen. Ich kann auf mich selbst aufpassen." "Meister, das kann ich nicht annehmen. das ist ein öffentliches Verkehrsmittel, hier könnte jederzeit-" "Ach was, diese Menschen haben heute sicher etwas anderes zutun als ein paar Ausländer anzugreifen." Ich schaute sie an. Sie wirkte hin- und hergerissen, ihrem Körper nachzugeben oder Haltung zu behalten, was aber zunehmend schwieriger wurde."Es ist okay, Lan Fan." "Meister-" "Lan Fan." Meine Stimme wurde leise und man konnte förmlich spüren, wie zwischen uns sich die Luft anders bewegte. Sie wirkte langsamer. Plötzlich breitete sich ein Gefühl in meinem Körper aus. Mein Magen schien sich selbst zu erdrücken und meine Glieder wirkten geladen, jederzeit bereit, irgendetwas zu tun. Alle Gedanken schienen sich auf de junge Frau vor mit zu fokussieren, sie füllten meinen Kopf, drückten gegen meine Schädeldecke, schossen nach außen und verteilten sich in der Luft. Himmel, was ist das? Währenddessen blieb Lan Fan unbeweglich, sie hatte ihren schmalen Mund geschlossen und schien wirklich mit sich selbst zu kämpfen. "Es ist okay." wiederholte ich noch einmal, es war kaum mehr als ein Flüstern. Die Welt schien stehengeblieben zu sein. Sie schloss die Augen, doch öffnete sie im nächsten Augenblick wieder und blickte mich an, ein erleichtertes Lächeln auf ihrem Gesicht. "Vielen Dank für das großzügige Angebot, Meister." Die Spannung zwischen uns zerbrach, sie hatte sich in Luft aufgelöst. Sie entspannte sich und lehnte sich in ihrem Sitz zurück. Es waren sicher keine 10 Minuten vergangen, als ihr Atem sich beruhigte und si in einen Schlaf glitt. Aber ich fragte mich, was da eben passiert ist. So etwas hatte ich noch nie. Ich spürte jetzt noch den Schmerz in meinem Magen und die Anspannung löste sich erst sehr langsam von meinem Körper. Doch in meinem Kopf sah es noch ganz anders aus. Ihre dunklen, traurigen Augen waren in meinem Geist eingebrannt, diese tiefen, schreienden Schmerzen, die aus diesen Augen strahlten. Der Schmerz erdrückte alles Glück, jede Freude, die ihnen noch übrig geblieben war, und ließ den Erfolg verschwinden. War es das wirklich wert? Sie litt so sehr.

Etwas regte sich neben mir. Mei seufzte leise und blickte mich verschlafen an. "Hey." Sie rieb sich die Augen und blickte sich um. Als sie den Blick auf Lan Fan richtete fügte ich rasch hinzu: "Ist in Ordnung, sie hat meine Erlaubnis." "Du bist aber nett, dass du deinen Untertanen eine Auszeit auf eigene Gefahr gibst." "Sie ist kein Untertan..." Sie stand auf und dehnte sich etwas. "Dann eben Leibwächter." Ich blickte aus dem Fenster. Auf eine Diskussion mit Mei hatte ich überhaupt keine Lust. Sie mochte zwar für ihr Alter sehr reif sein, dennoch war sie gerade einmal 11 Jahre alt. "Du, Ling?" "Hm?" "Sag mal, magst du Lan Fan?" Ich drehte mich ein bisschen zu schnell zu ihr um. "Wie kommst du auf so eine Frage?" Statt zu antworten, blickte sie mich mit großen Augen an. In ihnen stand Unschuld und Neugierde. So ein großer Unterschied. "Also, ehm, ich habe mit ihr viel Zeit verbracht und wir haben uns gegenseitig viel geholfen. Unsere Reise nach Amestris schweißte uns noch mehr zusammen." "Uuuund?" "Was möchtest du hören? Natürlich mag ich sie!" "Auf eine besondere Art?" Langsam wurde die Fragerei von Mei etwas unangenehm, vor allem, weil Lan Fan gegenüber von uns schlief. "Besonders. Was ist schon besonders. Sie würde alles für mich tun, aber darauf wurde sie trainiert." Plötzlich hielt ich inne. Mir war ein Gedanke gekommen. Was wenn Lan Fan dies nicht aus Überzeugung tat, sondern ihn nur deswegen beschützte, weil sie es als ihre Pflicht sah, die ihr so lange eingeflößt wurde? Das war ein Schlag in den Magen. Sie kannte doch gar nichts anderes. Mein Blick huschte über meinen Leibwächter. Dein Leben beinhaltet meine Sicherheit. Mich. "Also magst du sie nur, weil sie dich beschützt?" Die Stimme meiner Schwester durchschnitt die Gedanken. "Nein, das nicht...In gewisser Weise beschütze ich sie auch..." Mein Herz wurde schwer und drohte in meine Beine zu sinken. Wieso war mir noch nie früher eingefallen, dass Lan Fan jede ihrer Aktionen aus einem antrainierten Instinkt heraus ausführt? "Ich verstehe das nicht." Mein Blick ruhte immer noch auf Lan Fan. Ihre Schlafposition sah etwas ungemütlich aus."Nicht so schlimm. I tue es auch nicht." "Meine Ziehmutter hat einmal gesagt, dass Freundschaft das einfachste der Welt sei, wofür man keine Worte brauche." Freundschaft...War das überhaupt eine Freundschaft zwischen mir und ihr? Was war das? Wieso war alles so kompliziert? "Ling?" "Ja?" "Ich habe dich was gefragt." Ich drehte mich zu ihr, sie hatte sich inzwischen wieder neben mich gesetzt. Ihr Panda schlief immenroch friedlich, sie hatte ihn auf ihren Schoß gesetzt. "Entschuldigung, ich habe nicht zugehört." Mei schien beleidigt. "Hmpf. Du bist gemein." Ich musste lachen. "Hey, komm schon, jetzt sag, ich hör zu!" "Versprochen?" "Ehrenwort." "Okay." Sie grinste mich an. "Sie hat auch damals gesagt, dass es etwas ganz wunderbares gibt auf dieser Welt, ein Gefühl, so stark, dass es Mauern zum Einstürzen kann." Ihre Augen leuchteten. "Sie sagte, dass dies die Liebe sei. Aber sie sei furchtbar kompliziert und liegt dem Hass sehr nahe." Mei konnte unmöglich das vor vielen Jahren erfahren haben. So drückt man sich nicht gegenüber einem jungen Kind aus. "Denkst du, dass das stimmt? Und wie fühlt sich Liebe an?" Ich hatte keine Ahnung was ich antworten sollte. Was war Liebe überhaupt? Unweigerlich glitt mein Blick wieder zu Lan Fan. Und da war es wieder, dieses unwohle Gefühl in der Magengegend, das mit aller Wucht auf mich drückte. Ich glaube, ich war einmal verliebt, vor langer Zeit in eine junge Dame aus dem Palast. Sie war dünn und wunderschön. Ihre Bewegungen waren langsam und geschmeidig. Ihre Haare waren lang und ihre Augen hatten ein sattes grün. So etwas fand man sehr selten in Xing. Ab und zu blickte sie mich an und mit der Zeit schenkte sie mir ein kleines Lächeln. Wie gerne wollte ich mit ihr reden, aber ich habe mich nie getraut sie anzusprechen. In ihrer Nähe, allein schon bei ihrem Anblick wurde ich nervös und wusste nicht wie ich handeln sollte. Irgendwann ging sie nicht mehr ihre gewöhnlichen Wege, auch im Palast und Umgebung war sie nirgends mehr zu sehen. Zuerst war ich traurig, doch irgendwann vergaß ich sie. "Mei. Ich weiß es nicht." "Hm. Schade. Ich glaube nämlich, dass ich verliebt bin, bin mir aber nicht sicher." Verwundert sah ich sie an. "Bist du dafür nicht ein bisschen zu jung?" Sie kicherte. "Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht."

Inzwischen war es draußen stockdunkel, ich konnte rein gar nichts erkennen. Kein Mond, keine Sterne. Ich hatte auch keine Ahnung wo wir waren. Mei war inzwischen wieder eingeschlafen. Wer konnte ihr nur den Kopf verdreht haben? Wahrscheinlich Alphonse, zu ihm hatte sie einen besonderen Draht. Wieder drohte mich die Müdigkeit zu übermannen. Ich schenkte Lan Fan meine Bewunderung, dass sie manchmal tagelang aufblieb, um mich beschützen zu können. Es war ein schlimmes Gefühl, dagegen anzukämpfen. Aber dieses eine Mal, wenn sie die Rollen getauscht haben, wollte ich sie nicht enttäuschen. Sie hatte es nämlich die ganzen 5 Jahre geschafft. Wieder suchte ich das Gefäß mit dem Stein der Weisen darin. Sachte schmiegte sich das kalte Glas gegen meine Handfläche. Es war ein kleiner Trost und schenkte mir wieder etwas Lebensenergie. Aber sofort wurde ich wieder an Fu erinnert. Verdammt nochmal, wegen diesem Stein musste er sterben. Ich war kurz davor, den Stein direkt hier aus dem Fenster zu werfen, doch ich beherrschte mich. Fu hätte das nicht gewollt und Lan Fan ebenso wenig. Wieder blickte ich sie an. Sie musste sicher schon etwa 2 Stunden schlafen. Und sie sollte weiterhin schlafen. Sie hatte heute eindeutig genug gelitten. Ich allerding noch nicht. Und so wollte ich weiterkämpfen.

Alles ist meine Schuld!