Autor: Chaos_katze

Mehrteiler (ab 16)

Genre : Drama, Romantik, AU

Warnung : slash SS/RL

Datum : Erster Part : Februar 2009

Inhaltsangabe:

Severus Snape, 24 Jahre und Student der begehrten Oxford Universität, trägt schwere Lasten. An jenem Tag, als er die Laboratorien der Queen's University besuchen will, durchlaufen seine Gedanken die Ereignisse der letzten Jahre. Warum ist vieles nur so verdammt schief gelaufen?

Disclaimer/Erklärung: Alle Original Charaktere, Tränke, Zaubersprüche und Orte gehören JKR. Ich verdiene mit dieser Fanfic kein Geld. Das Entnehmen der Geschichte - wenn auch nur Teile davon - wird von mir nicht erlaubt!

Starlight – Von Arséne Lupin bis Oxford

Kapitel 1: Londons Dämmerung

Severus blickte auf den flackernden Bildschirm seines Computers und stach immer wieder mit der abgerundeten Seite seines Stiftes in seine Wange. Er verfolgte die Zeilen auf dem Monitor, konnte sie aber nicht ganz erfassen. Schließlich gab er es auf und lehnte sich langsam in den Stuhl zurück, betrachtete seinen voll gemüllten Schreibtisch: Bücher, Akten, eine Papierpackung ohne die versprochenen Stifte drin, einige zerknitterte Notizen. Auf einer standen Telefonnummern, einige bereits durchgestrichen. Es waren nicht die Nummern seiner Freunde. Severus Snape hatte keine Freunde. Nicht mehr.

Er richtete sich langsam auf, warf sein Lehrbuch vom Studiengang Chemie beiseite und streckte die hagere Gestalt. Er gab ein gutes Bild eines fleißigen Studenten ab: ungepflegt, mit viel zu langen Haaren und zu dünn, um in irgendwelche Sachen richtig zu passen. Nicht, dass es ihn gestört hätte, so oft ging er eh nicht mehr vor die Tür. Außer vielleicht um einkaufen zu gehen oder die 90 km hinüber nach Oxford zu fahren, um im St. Anne College das Laboratorium zu besuchen. Seine eigenen Fähigkeiten hatten ihm freilich ein Stipendium bei der begehrten Universität besorgt, jedoch hatten die Umstände ihn gezwungen, dass Studentenwohnheim in Oxford wieder zu verlassen. Nun musste er sich des Internets bedienen, um dem Unterrichtsstoff zu folgen und seine Prüfungen zu bestehen. Das war nicht schlecht, besser als nichts zumindest, trotzdem wäre er selbst viel lieber unabhängiger, freier gewesen. Man fühlte sich doch nicht ganz so wie ein stolzer Oxford-Student, wenn man immer noch in London herum hing.

Severus watete durch die Papierstapel auf dem Boden hinüber in die Küche und griff nach der Wasserflasche, die auf dem Tisch stand, umringt von irgendwelcher Fertignahrung, die wenig Zeit und Liebe benötigte. Sein Blick fiel aus dem Fenster. Im tiefschwarzen Blau schimmerte über den Häusern Londons ein rosa Schein, der einen neuen Tag ankündigte. Severus verharrte eine Weile und blickte auf Kamine und Fernsehantennen, Glasbauten und Kirchen.

„Oxford?" fragte Lily und schlürfte an ihrem Orangensaft. „Das ist ziemlich weit weg von hier, oder?"

Severus zeigte ein für sein junges Gesicht grimmiges Lächeln. „Ja. Weit, weit weg von hier." Seine Mimik veränderte sich allerdings rasch, als wäre ihm etwas Wichtiges eingefallen. „Nicht, dass ich weg von dir wollte... du könntest auch gehen!" Ich würde mich freuen, dachte er.

Lily legte den Kopf schräg und betrachtete die am Fenster vorbei ziehende Landschaft. Da der Zug kurz in die Kurve ging, konnten sie den großen scharlachroten Kopf des Zuges in der Ferne erkennen.

„Ich weiß nicht. Dann müsste ich ja büffeln ohne Ende. Und es ist sicher ziemlich teuer", erwiderte sie und drehte eine ihre roten Strähnen, der Severus gierig mit dem Blick folgte, um den Finger.

Er nickte. Er mochte das Thema Geld nicht. Schon allein, dass er nun auf ein Internat gehen würde, hatte seinen Eltern nicht gefallen. Zumindest nicht seinem Vater. Dabei war Hogwarts nicht einmal so teuer und die Bücher, die Severus bekam, waren eh alle aus zweiter Hand.

„Du könntest ein Stipendium bekommen", murmelte er überzeugt, blickte auf seine abgetragene Uniform. Er schämte sich, weil die Knöpfe nicht zueinander passten und sein Schlips wohl ein älteres Model war. Lily schien das jedoch nicht zu stören.

„Ich weiß nicht, Sev, lass mich erst mal drüber nachdenken. Ich meine, es ist schon seltsam am ersten Tag auf der neuen Schule über die Zukunft an einer anderen zu sprechen."

Sie zog die dünnen Beine auf den Sitz und blickte hinaus auf Dörfchen und Wiesen, schaute dann wieder zu Severus, grinste. „Mann, Schottland ist so schön. Ich bin so froh, dass wir beide hier her können."

In Severus' Magen machte sich ein weiches, warmes Gefühl breit, er grinste etwas dümmlich zurück und ertappte sich, wie er seufzend ihre Grübchen betrachtete. Sie ist so schön, dachte der langhaarige kleine Junge.

Die Abteiltür wurde geöffnet und zwei Jungen kamen herein, schwarzhaarig, wie Severus es war, der eine mit Brille, der andere mit sehr schönen edlen Zügen, jedoch mit einem etwas überheblichen Gesichtsausdruck, der ihn wie einen Adligen erscheinen ließ. Er warf einen Blick auf den hageren Jungen, der da in seiner abgetragenen Uniform saß, sagte jedoch nichts.

„Ist hier noch frei?", fragte der Junge mit der Brille, und auf Lilys Nicken hin setzten sich die beiden nieder und fingen an sich zu unterhalten, so als würden sie sich schon ewig kennen. Lily zuckte mit den Schultern und der Zug ratterte weiter durch immergrüne Felder und Berge.

Severus, dessen Schmetterlinge sich beim Anblick der beiden Kerle verflüchtigt hatten, die es so schamlos gewagt hatten, ihre Zweisamkeit zu stören, taxierte die beiden gelegentlich mit einem missmutigen Blick, besonders wenn sie es wagten mit Lily zu sprechen. Wie konnte man mit 13 Jahren nur so überheblich über sein Fußballtalent sprechen. Gut, dass er an Lilys Gesichtsausdruck erkennen konnte, dass sie weder davon, noch von Sirius Blacks, so hieß der Junge mit dem schönen Gesicht, abfälliger Art über die Schule zu reden, die sie bald besuchen würden, begeistert war.

„Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre ich auf eine normale staatliche Schule gegangen. Die ganzen privaten Heinis halten sich doch nur für etwas Besseres."

„Nun, gut, dass du jetzt einer von ihnen bist", erwiderte Severus spöttisch, der sich darüber ärgerte, wie jemand mit soviel Geld (und der hatte gewiss viel Geld abfällig über die Möglichkeit redete, in eine der besten Schulen des Landes zu kommen. Der Kerl war wahrscheinlich nie auf einer staatlichen Schule gewesen. Sirius hob die Augenbrauen über diesen kecken Kommentar.

„Zumindest ist das Sportangebot nicht so schlecht wie auf anderen Schulen", antwortete der andere Junge mit Namen James Potter und gähnte. Dann beugte er sich übertrieben nah hinüber zu Lily, als würde er ihr ein wichtiges Geheimnis anvertrauen.

„Wusstest du, dass einer der Gründer von Hogwarts ein Antisemit war und einige der Lehrer bis heute sein ‚Erbe' weitergeben? Es gibt fast keine Juden auf dieser Schule. Ich hab gehört, einige der frühen Absolventen haben sich sogar den Deutschen angeschlossen und in den Konzentrationslagern Experimente mit ihren ehemaligen Mitschülern getrieben."

Lilys Gesichtsausdruck veränderte sich und sie blickte besorgt zu Severus, der einen wütenden Blick zu James warf und den Kopf schüttelte. „So ein Quatsch! Keiner von denen ist bei den Nazis gewesen. Dass waren doch alles Deutsche und keine Engländer." „Schwachsinn", erwiderte Sirius und lehnte sich lässig zurück, wobei er Severus taxierte. „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass Rassismus und Antisemitismus nicht auch bei uns betrieben wurde und wird. Ich seh' das doch in meiner Familie." Er sah verbittert aus und James warf ihm einen überraschten Blick zu. Aber Sirius schüttelte den Kopf.

„Nee, vergiss es. Ich gehör nicht zu denen. Ich bin kein Nazi. Und sobald ich erst mal alt genug bin, hau ich aus diesem kranken Haus ab. Die sind da alle so wie der da. Verleumder." Nun schaltete sich Lily wütend ein. „Red nicht so von ihm! Du kennst ihn doch gar nicht!" Sirius machte eine gespielt ängstliche Bewegung, James lachte, Severus kochte.

„Ich verleumde nichts. Aber wusstest du zum Beispiel, dass unsere heutigen medizinischen Kenntnisse einen wesentlichen Fortschritt durch den Holocaust erhalten haben?" „Verteidigst du die Massenvernichtung von Millionen von Menschen?" platze es aus James hervor und er stand, kurz gefolgt von Sirius, auf.

„Ich sage nur, dass man das nicht nur einseitig betrachten kann. Die Wissenschaft hat daraus profitiert." Er war ebenfalls aufgestanden.

„Profitiert?", schnaubte Sirius. „Du sprichst hier von Massenmord, Mann! Von einem der größten Verbrechen dieses Jahrhunderts."

„Ich sagte nicht, dass es richtig war, aber es war nur gewinnbringend für die-"

James packte Severus mit einem Ruck am verbeulten Hemd und hob, wutblass im Gesicht, die Faust. In dem Moment schlug Lily gegen seinen Rücken und fauchte: „Raus! Raus hier!" Sie stieß James von Severus weg und warf ihn wie eine Furie aus dem Abteil, drehte sich dann wutentbrannt zu Sirius, der nur milde beeindruckt die Hände hob und sagte: „Hey, ich wollte eh grad gehen."

Er schlenderte an dem schnaufenden Mädchen vorbei, warf an der Tür einen süffisanten Blick zu Severus und murmelte: „Wir sehn uns später, Snivellus."

Das offene Fenster ließ kalte Morgenluft ins Zimmer und Severus machte sich daran, einige der Unterlagen in einen kleinen Koffer zu stecken. Bald war dieser so voll mit Zetteln und Mappen, dass nur spärlich Platz für andere Sachen blieb und so warf er Unterwäsche und Socken hinein und erklärte dies für ausreichend. Er blickte auf die Uhr, deren kleiner Zeiger auf die 6 deutete und seufzte. Er hatte noch etwas Zeit um Frühstück zu besorgen.

Er hüllte sich in seinen schweren Mantel und betrat die halbleeren Straßen Londons. Obwohl es bereits Frühling war, bekam man in der Innenstadt nicht soviel davon mit. Nur einige kleine Krokusse hatten sich durch die Erde unter einem Baum gebohrt und blühten in violetten und gelben Farben. Severus bahnte sich seinen Weg durch die wenigen Menschen, denen er am Morgen begegnete, verbarg jedoch einen morgendlichen Gruß unter seinem Kragen, mit dem Blick auf das graue Pflaster. Es war nicht so, dass er lange nicht über Lily nachgedacht hätte. Er dachte jeden Tag an sie. Und doch war er manchmal überrascht, wenn sie immer wieder in seinen Gedanken auftauchte.

Bilder von ihr hatte er keine, der Anblick würde ihn wohl noch immer schmerzen.

Wie lange war das alles schon her?

Fast drei Jahre.

Die Leichtigkeit der Internatszeit konnte er sich nur noch schwerlich in Erinnerung rufen. Er erinnerte sich an ihr Lächeln, an ihre gemeinsame Freundschaft, an seine eigenen Gefühle. Aber noch mehr erinnerte er sich an den Spott, die Hakenkreuze auf seiner Schultasche und die hilflose Wut im Bauch. Sie hatten doch alle keine Ahnung.

Er blieb auf dem Weg stehen und blickte sich um, rieb sich unruhig die kalten Hände. Er hatte nicht geschlafen, das war schlecht, schalt er sich. Er spürte, wie er anfing sentimental zu werden.

Lily war nicht mehr da. Auch sie hatte Severus verlassen, einmal aus freiem Willen und einmal nicht. Er konnte ihr das nicht verzeihen und verzieh sich selber nicht, dass er es nicht konnte.

Doch ihr Verrat saß einfach zu tief.

Langsam öffnete er die Tür zur Bäckerei und trat in den duftenden, hell erleuchteten Raum, den außer ihm noch eine alte, rundliche Frau besuchte und einige kaffeetrinkende Bauarbeiter. Die goldenen Krapfen an der Theke lächelten ihm freundlich entgegen und Severus betrachtete den bernsteinfarbenen Guss. Klebrig und schimmernd.

Severus linste Lily ungläubig über sein Buch an, beide Augenbrauen erhoben. Sie hatten sich in der Bibliothek getroffen, um für die Zwischenprüfungen zu lernen. Er kratzte sich an der langen, gebogenen Nase und beugte sich zu ihr hinüber.

„Ich werde bestimmt keine Arbeitsgemeinschaft machen. Vielleicht mit dir, aber nicht mit ihm."

Lily blickte ihn resigniert an und schüttelte dann den Kopf. „Sev! Er ist nicht so wie seine Freunde. Ich bin mit ihm im Biologiekurs und er ist recht klug und immer freundlich-"

„Ha", gab Severus so laut von sich, dass einige der Studierenden sich nach ihm umblickten und Mrs. Pince, die Bibliothekarin, sich empört zu ihm umdrehte. „Dass ich nicht lache", fuhr er wispernd fort. „Na, von seiner Freundlichkeit hab ich noch nicht soviel mitbekommen, wenn mich seine sogenannten besten Freunde in die Kloschüssel stülpen wollten."

„Ich sag ja nicht, dass es richtig ist, was er tut, aber er macht ja auch nie mit, oder?"

„Er ist Klassensprecher, Lily. Seine Aufgabe ist es so etwas zu verhindern und nicht zuzugucken, weil er nicht den Schneid hat, etwas gegen diese verfluchten Arschlöcher zu unternehmen."

Lily strich besorgt über Severus' Hand und für einen kurzen Moment hatte er seine schlechte Laune vergessen.

„Oh, sie tun es immer noch? Ich hatte Potter gesagt, ich sorge persönlich dafür, dass er von der Schule fliegt, wenn sie so weiter machen."

Severus musste hinter seinem Buch lächeln, wie jedes Mal, wenn sie so über Potter sprach. Trotzdem schnaubte er. „Schien ihn nicht zu sehr beeindruckt zu haben. Du wirst ihn eher treffen, wenn du ihn endlich abblitzen lässt."

Das rothaarige Mädchen stöhnte auf und lehnte sich gequält zurück in den Stuhl. „Das tue ich doch ständig, aber der schnallt es einfach nicht. Rennt mit 'nem Fußball hinter mir her und versucht mich zu beeindrucken, indem er jüngere Schüler damit abschießt."

Sie rollte mit den Augen und ein diebisches Grinsen stahl sich auf ihr Gesicht.

„Zur Rache hab ich aus Slughorns Labor ein bisschen Abführmittel gestohlen."

Severus öffnete den Mund, wollte sie daran erinnern, dass sie doch nicht einfach aus dem Chemiearsenal stehlen konnte, dann musste er allerdings ebenfalls grinsen und die beiden mussten sich ein Lachen hinter ihren Händen verkneifen, als Madam Pince erneut vorbei gestakst kam.

Lily wischte sich giggelnd über die Augen, schob sich dann auf die andere Seite des Tisches, sodass sie direkt neben ihm saß.

„Um wieder zu meiner Bitte zurück zu kommen: Ich hab bereits mit ihm alleine gearbeitet und... erinnerst du dich noch, dass er am Anfang des Jahres diesen Unfall hatte?"

Severus setzte wieder einen halbwegs ernsten Gesichtsausdruck auf, was schwierig war, denn er spürte Lilys Bein an seinem und roch ihren lieblichen Duft. Er ärgerte sich manchmal selbst darüber, wie sehr sie ihn doch in der Hand hatte. Er brummte etwas Zustimmendes. „Du meinst diesen Autounfall in den Weihnachtsferien, oder?"

„Ja, genau. Er ist ja fast einen Monat später wieder zur Schule gekommen und dann war er danach aber sofort wieder krank. Grippe oder so", erinnerte sie sich und strich sich die Haare zu einem Zopf zusammen.

„Ok." Er drehte sich nun zu ihr um und blickte in ihre hellgrünen Augen. „Was hat das Ganze mit mir zu tun, dass Lupin offensichtlich schwach besaitet und ein Pechvogel ist? Und er hat doch selber Freunde, die ihm helfen können." Verbittert dachte Severus daran, dass Black beim letzten Geschichtstest mehr Punkte gehabt hatte als er.

„Erinnerst du dich noch daran, dass wir einige wichtige Grundlagen in Chemie gelernt haben, da Slughorn meinte, dass nach den Ferien jeder frischen Mutes wäre? Er hat das doch alles verpasst und seitdem sind seine Noten auch nicht so gut. Und Black und Potter sind nicht gerade die Leuchten in Chemie. Also hat er mich um Hilfe gebeten. Und er sieht noch immer ein bisschen angeschlagen aus."

Severus schlug das Buch zu und blickte sie nun etwas eingeschnappt an. „Du solltest dich mal lieber darum kümmern, wie deine Freunde aussehen, wenn seinen Freunden langweilig ist. Oder ist dir das jetzt egal?"

Er stand abrupt auf und wollte schon seine Sachen zusammenpacken, als Lilys enttäuschte Stimme erwiderte: „Wie kannst du so was sagen! Ich hab dich noch nie im Stich gelassen, Severus!"

Der Angesprochene blickte zu ihr hinunter. Er wusste, was sie sagte, entsprach der Wahrheit. Aber der Gedanke, einem rückgradlosen Feigling zu helfen, der seine Peiniger nicht stoppte, weil sie seine Freunde waren, das ging wahrlich über seine Liebe für Lily hinaus und scheiterte an seinem Stolz.

„Ich muss noch mal in mein Zimmer... Wir sehn uns später", meinte er abgehackt und verließ die Bibliothek, mit schlechtem Gewissen gegenüber der enttäuschten Lily, die er zurück ließ und das er seiner Meinung nach, eigentlich gar nicht haben durfte.

Severus zählte die einzelnen Pence-Stückchen auf den Tresen. Er hatte für gewöhnlich Vergnügen daran, so klein wie möglich zu bezahlen, nur um das verzweifelte Gesicht der Verkäufer zu betrachten, wenn er ihnen eine Hand voll Kleingeld in die Schale pfefferte. Außerdem verzählten sie sich fast immer und Severus sparte so sein schmales Geld, was er vom Amt und Dumbledore erhielt. Heute jedoch fand er nicht wirklich Freude daran. Er war fast genervt davon, wie lange die Frau an der Theke brauchte und verließ grübelnd die Bäckerei, um den Weg durch den Park zurück zu gehen.

An den kargen Bäumen prangten dicke Knospen und schienen nur auf die ersten Sonnenstrahlen zu warten um aufzuplatzen wie überreife Kirschen bei Regen. Einige Jogger kreuzten seinen Weg zur Telephonzelle. Er öffnete die rot gerahmte Glastür und ein Schwall von Zigaretten- und Uringeruch empfing ihn feierlich in die stickige Wärme. Na ja, zumindest war der Telephonhörer noch dran.

Er ließ die Tür einen Spalt weit offen, zog einen der zerknitterten Notizzettel aus seiner Tasche, presste ihn gegen eines der Glasquadrate, den Telephonhörer unterm Kinn und warf seine restlichen Münzen hinein.

Obwohl er die Nummer so häufig schon gewählt hatte, hatte er sie immer wieder aus seinem Kopf verdrängt. Als auf der anderen Seite abgenommen wurde, gab er ein grimmiges ‚Hallo' von sich.

„Können Sie um acht Uhr vorbei kommen? Ich hab beschlossen heute noch nach Belfast zu fahren und hab keine Zeit selber zu kommen... Ja... Ja... Wahrscheinlich für drei Tage... Ok... 150? ... Ja... Gut... Nein, ich hab kein Handy, die Nummer vom Notruf wissen Sie sicher selbst... Gut. Auf Wiederhören."

Er legte auf, schob den Zettel zurück in die Tasche und verließ die Zelle. Zumindest das hatte relativ reibungslos geklappt. Nicht so wie bei dem Flieger, den er so kurzfristig nicht mehr hatte buchen können und so nun den teureren Land- und Seeweg nehmen musste. Aber was tat man nicht alles für die Chemie.

Er schlenderte noch ein Stück weiter durch den Park und konnte nun sehen, wie die Sonne goldene Strahlen gegen den äußersten Rand der Neubaublöcke warf. London hatte selbst für einen kaltherzigen Menschen wie Severus noch etwas Bezauberndes parat. Die warme Farbe erinnerte ihn an die gemeinsamen Fahrradausflüge zum See, wo sie versucht hatten dicke Frösche und Fische zu fangen und sich ihre roten Haare im Wasser verfangen hatten.

Er musste sich beeilen, sonst würde zuhause noch ein Malheur geschehen.

„Ich fass es nicht!"

Er ummalte mit einem roten Stift eine Ziffer.

„Du machst seit einem Jahr immer wieder denselben Fehler. Wie bitte willst du die Prüfung im Sommer bestehen, wenn das einfach nicht in deinen Kopf will, dass das so nicht funktioniert. Du verschwendest mit diesem Mist nur meine Zeit!"

Severus blickte aufgebracht den anderen Mann an, der unter seinen Worten immer kleiner geworden war. Nicht, dass das sonderlich schwierig gewesen wäre. Remus Lupin sah immer so ungesund aus, dass selbst ein hagerer Bindfaden wie Severus ihn umschlagen konnte. Musste daran liegen, dass Lupin so selten Sport mitmachte. Und krank war er eigentlich auch nicht, er schien bloß immer von einer Sache zur nächsten zu rennen und machte nun in seiner Erschöpfung Flüchtigkeitsfehler um Flüchtigkeitsfehler. Und Severus zeigte sich in dieser Hinsicht nicht als sehr geduldiger Mensch. Vor allem nicht, wenn es bereits mitten in der Nacht war und Lily immer noch nicht aufgetaucht war.

Lupin strich sich verzweifelt durch die lockigen braunen Haare.

„Ich weiß auch nicht, warum das immer wieder passiert..."

„Oh doch, das weißt du. Du bist nicht bei der Sache, Lupin. Wir sind im letzten Jahr und Lily meinte, du rennst immer noch zu jeder Veranstaltung und AG. Hältst du dich für Superman oder bist du einfach nur ein Idiot, der nicht einsehen kann, dass er nicht bis um zwölf Uhr Schach spielen kann, wenn er im selben Jahr noch ein Examen vor sich hat? Und dann komme ich und helfe dir, und du bist zu unkonzentriert." Er warf krachend das Buch auf den Tisch und stand auf.

Lupin blickte schuldbewusst auf die vielen roten Felder und dann auf Severus' Rücken. Dieser ging erneut zum Fenster und blickte wütend hinüber zur Sporthalle. Volleyball... Wie lange ging denn Volleyball? ... Was trieb sie die ganze Zeit dort, abgeschieden von ihm? Sie wollte doch kommen und mit lernen. Wegen ihr hatte er doch überhaupt erst angefangen Lupin zu helfen. Und seit einigen Wochen kam sie mit einmal nicht mehr, wenn sie sich zum lernen trafen. Er wusste, sie hatte es nicht wirklich nötig, aber er wollte sie doch um sich wissen.

„Bitte", kam eine zaghafte Stimme vom Tisch her. „Es tut mir leid... Lass uns eine Pause machen, ok?"

Severus schnaubte auf und verschränkte die Arme vor dem Fenster.

„Pause... Du machst ja offensichtlich schon die ganze Zeit Pause, Lupin."

Dieser war durch seine kränkende Art nicht wirklich verletzt. Es war offensichtlich, dass Snape ihn nicht mochte und er verstand auch warum. Selbst, wenn James und Sirius aufgehört hatten, ihn weiter zu quälen und zu verspotten, so gab es eine Sache, die Severus nicht wusste. Und dies würde ihm genauso wenig gefallen, wie die Tatsache, dass er mit Lupin lernen musste.

Langsam trat er neben ihn und zog seine Zigarettenschachtel heraus, wollte Severus ebenfalls eine anbieten. „Ach, du rauchst ja nicht." „Wenigstens das kannst du dir also merken", murmelte Severus und ging weg vom Fenster, um nicht zugequalmt zu werden. Lupin öffnete es und feine Schneeflocken wehten herein, tanzten um das Feuer, das er in hohler Hand entzündete. Dann schwiegen die beiden eine Weile stur vor sich hin.

„Wusstest du, dass Slughorn die Schule verlässt?"

Severus gab kein Anzeichen dafür, dass er Lupin gehört hatte. Natürlich wusste er das schon. Er war schließlich sein bester Schüler.

Nun ja... nach Lily, selbstverständlich.

„Du könntest dann vielleicht hier unterrichten, meinst du nicht?" Nun schnaubte Severus verächtlich auf. „Bestimmt nicht. Ich werd mein Leben nicht damit verschwenden, Nervensägen zu unterrichten. Ich will etwas Sinnvolles machen."

Lupin nickte langsam und zog an seinem Glimmstengel. Severus mochte den seltsamen Geruch nicht, der zu ihm hinüber wehte. „Was ist denn sinnvoller als Bildung?"

„Forschung, Lupin, Forschung."

Er blätterte, da er nicht wusste, was er sonst tun sollte, wahllos in den Büchern umher, die auf dem Tisch lagen. Jemand hatte eine Notiz in diesem hinterlassen: NRTI. Er runzelte leicht die Stirn.

„Du meinst sicher, dass du im Lehramt keinen Nobelpreis gewinnen kannst, nicht?" Severus blickte auf und schlug das Buch zu. „Durchaus nicht, nein."

„Willst du einen?" Lupin blies flaumigen Rauch hinaus in die Winternacht.

„Natürlich."

Es war ungewöhnlich. Eigentlich hatte er sich bis jetzt kaum mit Lupin unterhalten. Sollte er das jetzt nicht lieber unterbinden?

„Woah…" Er drehte sich zu Severus um, der noch ein bisschen über seine eigenen Gedanken nachgrübelte. „Das ist ein ganz schön taffes Ziel. Dann musst du ja nach Oxford oder Cambridge oder so."

„Ja... Was interessiert dich das?"

Der braunhaarige Mann zuckte die Schultern und wandte sich wieder dem Fenster zu, warf die Zigarette dann hinaus. „Willst du etwas Bestimmtes erforschen? Biochemie vielleicht? Da gibt's ja momentan sehr viel Andrang drum." Er kam langsam zurück zum Tisch und setzte sich wieder, blickte Severus an, der immer noch sehr skeptisch dieser Unterhaltung gegenüber stand.

„Jah... vielleicht…"

Er blickte zu Lupin. Dieser sah schläfrig aus, lächelte aber leicht.

„Auf jeden Fall wärst du, glaub ich, nicht so geeignet als Lehrer. Oder magst du vielleicht doch Kinder?" Es war, als wollte er ihn freundschaftlich anstoßen, aber Severus wich ihm augenblicklich aus. Seine Augen verengten sich.

„Bist du high?"

„Was?" fragte Lupin etwas döschig.

„Du hast da doch eben Cannabis geraucht, oder? Du hast einen Blick drauf wie ein treudoofer Köter und stinkst nach Weed."

Remus Lupin blickte ihn an, stützte sich dann auf seine Hand und lächelte noch etwas mehr. „Woher weißt du denn, wie Weed riecht, mmh? Willst du mich jetzt etwa verpfeifen?" Severus kam nicht mehr zu einer Antwort. Aus dem Treppenhaus kam ein Lachen, das definitiv das von Lily war.

Er stand auf, warf Lupin einen Blick zu, der nur so vor Abneigung strotzte und verließ den Gemeinschaftsraum. Kurz bevor er die Tür öffnete, stockte er.

Lily hatte gelacht. Sie war also mit jemandem zusammen. Noch jetzt konnte er ihre Stimmen leise sprechen hören. Vorsichtig drückte er die Klinke der Tür runter und – wurde mit einem Ruck zurück in den Gemeinschaftsraum gezogen.

„Lupin", zischte Severus und stieß ihn von sich. „Bist du irre? Ich dachte, ich hätte dir klar gemacht, was ich von Kiffern halte."

Sein Mitschüler blickte ihn aus trägen Augen etwas unruhig an.

„Ähm... Severus, du hast mir das noch nicht erklärt. Du weißt schon, mein Flüchtigkeitsfehler bei-"

„Ich kann dir nichts erklären, wenn du breit wie 'ne Flunder bist", zischte Severus genervt und drehte sich wieder zur Tür, die im Gerangel heimlich aufgegangen war.

„Und nenn mich nicht-" Doch er brach mitten im Satz ab und war erstarrt. Er hörte noch, wie Lupin weiter versuchte, flüsternd seine Aufmerksamkeit zu bekommen, doch sein Blick war auf die im Dunkeln stehenden Gestalten gerichtet, eng umschlungen, küssend-

Ende Kapitel 1

Anmerkungen: Ich habe ihr Alter für Hogwarts etwas verändert und etwas mehr an das deutsche System angepasst. (heisst, wenn sie mit der Schule fertig sind, sind sie so in etwa 19/20) Der Grund lag darin, dass ich das Thema Holocaus und das Wissen, dass die Kiner haben doch etwas zu hoch finde, wo sie doch als Engländer in der Grundschule warscheinlich kaum davon gehört haben. Also habe ich das ganze kurzerhand in diese Richtung bewegt.

Was vielleicht jetzt von nicht soviel belang ist, doch die Gesichte spielt ebenfalls in etwa 10 Jahre später als im Buch, heisst sie sind alle in etwa 1970 geboren.