Prolog

Brent, Alabama - September 1994

Es braucht nur eine Jagd. Eine Jagd, um alles zu verändern. - Chuck Campbell

Der schwarze BMW E30 hielt vor dem Wald. Ab hier mussten sie zu Fuß weiter. Es war kurz vor Mitternacht, als sie den Wagen verschlossen und in den Wald schlichen.

„Aeshma, Agash, Ahriman und Akatash...!" flüsterte die jüngere der beiden Frauen. Sie hatte kurze, helle Haare und war kaum älter als vierzehn.

„Was?" flüsterte die blonde, hübsche 41-Jährige und schreckte aus ihren Gedanken.

„Die vier Perser." wiederholte das Mädchen beunruhigt, „Wir teilen sie auf. Ich übernehme Aeshma und Agash und du Ahriman und Akatash, einverstanden?"

„Ja, ja..." sagte sie hastig, ohne ihre Begleitung zu beachten.

„Anne, du hörst mir nicht zu." stellte das Mädchen scharf fest.

„Chuck! Verdammt! Reiz mich nicht! Ich habe keine Lust, mit dir zu diskutieren!" zischte die Jägerin aufgebracht.

Chuck schwieg.

So gereizt hatte sie Anne noch nie erlebt. Irgendetwas stimmte nicht, aber, wenn sie nicht darüber reden wollte, war aus der verschlossenen Frau nichts rauszukriegen.

Chuck schlich neben ihr her, ohne den geringsten Laut zu machen. Sie wusste, wie man jagte und wie man dafür sorgte, dass einen niemand bemerkte.

Sie sprachen nicht mehr, bis Anne auf einer Lichtung stehen bleib, die sie für ausreichend empfand. Immer noch schweigend nahm Anne einen Kanister aus ihrem Rucksack und begann die durchsichtige Flüssigkeit in einem Muster quer übe die Lichtung zu verteilen. Chuck bewaffnete sich dabei mit Pflöcken, die mit purem Gold ummantelt waren. Als Anne festig war kam sie zu dem Mädchen, das ihre und noch zwei weitere Pflöcke in die übrig gebliebene Flüssigkeit tauchte. Sie reichte an zwei davon, nahm sich noch zwei Flachmänner und ließ sie in der Innenseite ihrer Jacke verschwinden. Anne zog Streichhölzer aus ihrer Jackentasche, entzündete sie und innerhalb einer Sekunde flammte auf der Lichtung ein riesiges Pentagramm mit einigen zusätzlichen Zeichen auf. Jetzt mussten sie sich beeilen, denn das Benzin brannte auf dem nassen Waldboden.

„Da vorn!" zischte Chuck, als sie eine Gestalt im Schatten der Bäume sah, deren Gesicht von den tanzenden Flammen erhellt wurde.

Doch Anne reagierte nicht. Sie sah nicht mal hin.

„Anne? Anne!" kreischte Chuck, entschied sich dann aber anders.

Sie rannte auf die Gestalt zu, vorbei an den Flammen in den Wald. Bevor sie sie erreichen konnte, drehte sie sich um und ging zurück in den Wald. Wütend lief das Mädchen ihr hinterher. Sie entfernte sich immer weiter von der Lichtung und der Wald wurde immer undurchsichtiger und schwärzer.

„Aeshma!" schrie sie der schemenhaften Gestalt hinterher.

Kaum hatte sie das gesagt, blieb diese stehen und drehte ihren Kopf um hundertachtzig Grad, um sich nach ihr umzusehen.

„Blöd, wenn man von jemandem gejagt wird, der einen kennt, nicht?" zischte Chuck außer Atem.

Sie antwortete nicht, stattdessen drehte sie sich jetzt auch mit dem restlichen Körper zu dem Mädchen um und kam bedrohlich auf sie zu. Das Mädchen festigte den Griff um den Pflock, wich aber nicht einen Millimeter zurück.

Die Kadaver der toten Perser brannten. Chuck begutachtete prüfend die Pflöcke und gab sicherheitshalber noch den Inhalt eines Flachmanns über das Lagerfeuer, das vor Minuten noch lebendig gewesen war.

„Ihr hättet diese ganzen Menschen nicht massakrieren sollen, das war ein ganz blöder Fehler." sagte sie ungerührt und lief zurück zu der Lichtung.

Doch dort war alles andere als Ruhe eingekehrt. Das Pentagramm brannte nicht mehr und nur der Mond erhellte die Nacht. Die beiden übrigen Götter hatten Anne überwältigt und machten sich über sie her.

Chuck rannte auf sie zu. Sie bemerkten sie nicht. Nicht, bis sie dem ersten einen ihrer Pflöcke in den Rücken rammte. Dieser kippte bewegungslos nach vorn. Anne lag regungslos am Boden. Neben ihr lagen zwei Pflöcke. Bevor der andere Gott reagieren konnte griff Chuck nach einem von ihnen und pfählte auch ihn. Tränen stiegen ihr in die Augen, aber sie beendete es indem sie sie anzündete, bevor sie sich Anne zuwandte.

„Anne? Anne, komm schon!" flehte sie und fiel neben der Frau auf den Boden.

„Es tut mir leid, Chuck. Das wollte ich nicht." hauchte sie.

„Ich weiß, Anne. Aber alles wird wieder gut. Die Gerechtigkeit findet doch immer einen Weg, dass hast du doch immer gesagt. Erinnerst du dich?" schluchzte das Mädchen.

„Es tut mir leid. Ich werde dafür büßen, was ich getan habe. Ich habe das Höllenfeuer verdient." köchelte sie und ein dünnes Rinnsal Blut lief ihr aus dem Mundwinkel.

„Was? Wovon zum Teufel sprichst du?" fluchte die Kleine verzweifelt und versuchte es Anne so bequem wie möglich zu machen.

„Sie meint, dass sie mit mir in die Hölle kommt." sagte eine Stimme hinter ihnen.

Erschrocken fuhr das Mädchen herum. Ein Junge nicht älter als acht stand vor ihnen, zwischen den brennenden Leichen der Götter.

„Wer bist du?" fluchte Chuck.

„Mein Name ist Herbarias. Es freut mich, dich endlich so kennen zu lernen. Das ewige Fernhalten hat mich zunehmest gelangweilt." sagte er kalt und grinste süffisant.

„Was willst du?" knurrte sie weiter, ohne den Blick von ihm zu nehmen.

„Ich bin hier, um mir das zu holen, was mir zusteht. Ich werde die Seele deiner lieben Mummy in die Hölle schicken, wie es unser Vertrag verlang." grinste Herbarias und seine Augen wurden hellgrau, wie die Wolkendecke an einem verregneten Tag.

„Fahr zur Hölle, verlogener Bastard!"

„Er hat recht, Chuck. Ich habe einen Deal mit ihm. Vor zehn Jahren habe ich deinen Vater zurück geholt. Es tut mir so leid. Ich wollte nicht, dass du es mit ansiehst." sie sah Chuck flehend an und Tränen stiegen ihr in die Augen.

„Einen Deal? Nein, Anne... Was soll ich denn ohne dich machen? Ich brauche dich doch so." eine einsame Träne lief Chuck über die Wange.

„Dass ist ja viel besser, als die Seelen zu holen, wenn die Menschen allein sind. Das werde ich mir merken." lachte der Dämon.

„Du kannst sie nicht haben!" Chuck wollte wütend oder bedrohlich klingen, aber es war flehend.

„Ihre Seele wandert so oder so in die Hölle. Auch ich muss mich an die Regeln halten." fast klang er, als täte es ihm wirklich leid.

„Es ist okay, Chuck. Ich bin selbst schuld." hauchte Anne.

Die Götter hatten sie wirklich übel zugerichtet. Chuck überkam das unbändige Gefühl grenzenloser Machtlosigkeit, denn in diesem Moment setzte Annes Atmung aus und Chuck, die ihre Hand hielt, spürte, dass auch ihr Herz aufgehört hatte zu schlagen. Sie war unfähig irgendetwas zu tun. Sie dachte nicht mal an Herz-Lungen-Reanimation. Anne war tot. Anne hatte einen Deal. Anne ging in die Hölle. Anne war tot.

„Sie darf nicht in die Hölle!" forderte Chuck.

„Dort ist sie schon." er hatte aufgehört zu lachen, aber er grinste immer noch überlegen.

„Du bist kein Crossroad-Demon. Du bist mächtiger. Du kannst sie aus der Hölle holen..." schluchzte Chuck und hielt immer noch die Hand der Toten.

„Ich werde sie nicht wieder in ihren Körper zurück schicken." sagte er kalt.

„Dann entlasse sie aus dem Deal, so dass sie nicht in die Hölle kommt." flehte das Mädchen.

„Warum sollte ich das tun?" er zog eine Augenbraue nach oben.

„Weil..." sie atmete tief durch, „Weil du dafür meine Seele bekommt."

Er sah mich überrascht an.

„Deine Seele? Eine junge Lebendige gegen eine tote Seele..." er dachte nicht lange nach, „Einverstanden."

„Ich bekomme zehn Jahre?" fragte sie matt.

„Du würdest doch alles für deine Mummy machen, nicht?" er grinste fies.

„Ja."

„Du kriegst keine Jahre. Du musst nur etwas kleines regelmäßig für mich erledigen."

Chuck schluckte.

„Einverstanden."

Ein kleines Mädchen saß allein in der Dunkelheit des Waldes und weinte. Sie hatte alles verloren. Ihre Familie, ihre Freunde und ihre Seele. Alles.

Denn es brauchte nur eine Jagd. Eine Jagd, um alles zu verändern.