Jagdfieber

Dies ist meine aller erste Geschichte für McLeod's Daughters, eine Serie, die ich wirklich toll gefunden habe - bis zur dritten Staffel! Danach schied leider ein für mich wirklich toller Charakter - Claire McLeod - aus und somit hatte sich relativ auch schnell mein Interesse an der Serie verabschiedet.

Daher spielt diese Geschichte auch irgendwo zwischen der ersten und zweiten Staffel und natürlich mit Claire! :-) Auch jede weitere von mir geschriebene Geschichte - wenn es weitere geben sollte - werden dann wohl oder übel in diesem Zeitraum spielen! Und mich für immer an die "guten alten McLeod-Zeiten" erinnern ...

Euch allen also viel Spaß mit meiner ersten Geschichte und hier noch einmal eine kurze Zusammenfassung:

Viehdiebe machen die Gegend um Drover's und Killarney unsicher ... und gefährlich. Als Claire eines Nachts die Diebe nur in letzter Sekunde in die Flucht schlagen kann, fassen alle einen Plan - die Diebe müssen zur Strecke gebracht werden. Doch mit wem legen sich die McLeods da bloß an? Eine Hetzjagd beginnt ...

Viel Spaß!


Jagdfieber

Die Sonne schien erbarmungslos auf das trockene Land hinab. Das Gras war verbrannt, knochentrocken und ließ sich zwischen den Fingern zerbröseln. Die wenigen Flüsse führten nur noch dürftig Wasser und die Quecksilbersäule der Thermometer kletterte tagsüber nicht selten auf 45°C im Schatten. Wenn einmal eine Brise aufkam, brachte sie statt Abkühlung nur heiße, trockene und vor allem staubige Luft mit sich. Staub der überall am Körper kleben blieb. Doch es war erst Mitte November und somit hatte die heißeste Zeit des Jahres eben erst begonnen. Auf Regen konnte man jetzt vergeblich warten, auch wenn sich an manchen Tagen kilometerhohe weiße Wolken an dem endlos-blauen Himmel über Südausstralien zeigten. Viele Menschen würden reiß aus nehmen vor diesem Klima und sich einen angenehmeren Platz zum Leben und Arbeiten aussuchen, aber nicht so Claire McLeod.

Mit einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht nahm Claire einen Schluck Wasser aus ihrer Feldflasche, fuhr sich mit ihrem Arm über das verschwitzte und staubige Gesicht und überblickte die Ebene vor sich, auf der ihre Schafherde graste. Hinter ihr in einer Baumgruppe ertönten die lachenden Geräusche einiger Kookaburras, die über die Äste hüpften. Claire störte sich nicht im Mindesten daran, dass das Wasser ihrer Feldflasche eine Temperatur hatte, die der Außentemperatur glich oder dass sie ständig Fliegen mit einer lockeren Handbewegung aus ihrem Gesicht verscheuchen musste. Ehrlich gesagt, kannte sie es kaum anders, denn das hier war ihre Heimat – sie war dieses Leben, dieses Klima gewöhnt und liebte es. Ihr Vater hatte immer gesagt, wer ein richtiger Australier ist, der lebt auf dem Land. Und das tat sie. Dieses Leben hätte sie gegen nichts auf der Welt eingetauscht.

Die Schafe blökten leise vor sich hin, während Claire einen Moment ausruhte, noch einen Schluck von dem heißen Wasser nahm, mit dem Handrücken über ihre schweißige Stirn fuhr und sich dann vom Boden erhob. Roy, ihr treuer Australian Cattledog, fasste es als eine Art Startsignal auf und erhob sich ebenfalls mit hechelnder Zunge – er wartete auf weitere Anweisungen. Claire streckte sich geräuschvoll und nahm ihren dunkelbraunen Cowboyhut für eine Sekunde ab, um sich durch das dunkle, lockige Haar zu fahren. Sie war eine große, schlanke Frau, die trotz ihrer femininen Züge mehr Kraft hatte und härter arbeiten konnte, als es aussah. Allerdings lenkten die derben, dreckigen Jeans, der Cowboyhut und die Arbeitsstiefel von dem Bild der hübschen, 28-jährigen Landschönheit ab. Und das war Claire gerade recht.

Liebevoll kraulte sie dem schwarzbraunen Hund die Ohren und ließ dabei ihren Blick über ihren Grund und Boden schweifen. Drover's Run – ein ca. 50000 Hektar großer Besitz, der seit Generationen der Familie McLeod gehörte und für den Claire seit dem Tode ihres Vaters Jack vor drei Jahren die Verantwortung trug. „Was meinst du, Roy, machen wir uns langsam auf den Heimweg?" Claire blickte zu Roy hinab, der mit einem ungeduldigen Jaulen antwortete und von Claire dafür ein breites Lächeln bekam. Claire blickte wieder auf und schaute instinktiv nach Norden, dort wo das Haupthaus der Farm stand. Nach einem anstrengenden Tag wie diesem, freute sich Claire darauf nach Hause zu kommen. Und darauf nicht allein zu sein, denn das war man auf Drover's so gut wie nie. Was man manchmal jedoch auch bereut, dachte sich Claire und pfiff nach ihrem Pferd, das 100m entfernt unter einem Eukalyptusbaum stand und trockenes Gras fraß.

Blaze, Claires sandfarbene Stute, schnaubte widerwillig, kam aber gehorsam angetrabt. Claire tätschelte ihr den Hals und wurde als Dank angeschnaubt, wobei sich Blaze' warmer Atem wie ein Heißluftfön auf ihrem Unterarm anfühlte. „Hallo, mein Mädchen!" Sagte Claire, griff nach den Zügeln und schwang sich elegant in den Sattel. Roy bellte auf und trippelte ungeduldig hin und her. „Ich nehme an, du hast genauso großen Hunger wie ich, Dicker!" Noch einmal ließ Claire ihren Blick über die Schafherde schweifen, vergewisserte sich, dass der Wassertank gefüllt und das Gatter geschlossen war und gab ihrer Stute dann das Kommando zum Start. „Auf nach Hause, Blaze!" Flüsterte sie, bevor die Stute direkt in einen angenehmen Galopp verfiel und Claire Richtung Norden über die Koppel nach Hause preschte.


Tess McLeod saß auf der Veranda von Drover's Run im Schatten und wedelte sich mit einem Prospekt Luft zu. Wenn sie mit einer Sache hatte zurechtkommen müssen, dann war es die Hitze. Eine Hitze, der man einfach nicht entkommen konnte. Tess McLeod, Claires Halbschwester, war vor drei Jahren nach dem Tod des gemeinsamen Vaters wieder zurück nach Drover's gekommen – zunächst um über den Verkauf des Anwesens zu verhandeln. Doch das alles hatte sich geändert, nun lebte und arbeitete sie hier auf dem Anwesen, als hätte sie diesen Ort niemals zusammen mit ihrer Mutter verlassen und wäre nach Adelaide gezogen. Nur diese Hitze, dachte Tess und nahm einen Schluck von der frischen und eiskalten Limonade, die sie sich aus der Küche geholt hatte. In Adelaide hatte man sich vor der Hitze wenigstens verstecken können. Oder man besaß eine Klimaanlage, hing Tess in Gedanken ihrer Vergangenheit nach. Hier war das anders. Aber Tess nahm es einigermaßen gelassen hin und arrangierte sich, schließlich war Drover's Run zu ihrem neuen, alten zu Hause geworden. Hier lebten Claire, ihre einzige lebende Verwandte, und Freunde, wie sie sie in Adelaide nie hätte finden können. Sie fühlte sich mittlerweile richtig zu Hause – so zu Hause, dass sie trotz Claires Widerstand, eigene Pläne in Bezug auf Drover's hatte. Denn Tess hatte immer neue Einfälle und Ideen in Bezug auf ökologische und biologische Landwirtschaft.

Während Tess auf der Veranda saß, sich Luft mit einem Prospekt zufächerte, in einem Öko-Landwirtschaftsjournal herumblätterte und ab und zu an ihrer Zitronenlimonade nippte, kam Claire auf Blaze quer über den Hof bei den Ställen zum stehen. Roy trottete hinüber zur Veranda und trank aus seinem Napf einen riesigen Schluck Wasser bevor er sich hechelnd unter einen Busch im Vorgarten des Haupthauses legte und den Anschein machte, nie wieder aufzustehen.

Tess blickte auf und lächelte. „Hey, Claire! Da bist du ja!" Tess stand auf, zog sich ihre luftige Bluse zurecht und trat in die Sonne, um ihre Schwester zu begrüßen, die sie seit dem Frühstück nicht mehr gesehen hatte.

„Hey!" Sagte Claire und stieg mit Schwung von der hellen Stute. Wenn sie eines genauso liebte, wie dieses Land, dann waren es Pferde und das Reiten auf ihnen. Kaum abgestiegen, machte sie sich daran Blaze' Sattelgurt zu lockern, bevor sie ihrer Halbschwester ein freundliches Lächeln schenkte.

„Wie lief es bei den Schafen?" Fragte Tess, da sie wusste, das Claire den ganzen Tag auf einer entfernten Schafkoppel gewesen war, um Zäune zu reparieren und nach den Tieren zu sehen.

Claire ließ ihren Cowboyhut in den Nacken fallen und wischte sich die Schweißperlen, die ihre Oberarme hinab rannen mit den Händen ab, bevor sie den Sattel von Blaze' Rücken hob und ihn in die Sattelkammer trug. „Gut, alles in Ordnung. Und stell dir vor … trotz dieser Affenhitze und Trinkwasser mit 45°C Grad hab ich unheimlich gute Laune!" Die Augen der 28-jährigen strahlten mit einem Blau, das in der Sonne fast unnatürlich auf Tess wirkte.

Tess grinste mit ihrem unnachahmlichen Grinsen zurück und strich sich eine blonde Locke hinters Ohr, bevor sie sich daran machte Blaze das Halfter abzunehmen. „Mein Gott, deine Laune ist ja wirklich ungeheuer gut – hat das einen Grund?" Fragte Tess und blickte ihre zwei Jahre ältere Schwester an, die vor ihr zum Stehen gekommen war.

„Eigentlich nicht." Kam die kurze und knappe Antwort.

Obwohl es sich bei Tess und Claire um Schwestern handelte, war eigentlich keine besondere Ähnlichkeit zwischen den beiden erkennbar außer, dass sie sich blendend zu verstehen schienen – zumindest manchmal. Claire war groß, schlank und dunkelhaarig und strahlte von Natur aus eine gewisse Erhabenheit aus – wer die beiden Schwestern zusammen sah, wusste wer von beiden das Sagen hatte. Ob es daran lag das Claire die ältere der beiden Schwestern war, oder an der Tatsache, dass Claire von einem Mann aufgezogen worden war und daher härter wirkte, konnte man nicht sagen. Wahrscheinlich spielte beides eine Rolle. Tess hingegen hatte blondes, langes Haar mit witzigen, kleinen Locken, graue Augen und war im Gegensatz zu ihrer Schwester kleiner und fraulicher gebaut. Fraulicher vermutlich, weil sich Tess trotz der Arbeit auf einer Farm nicht mit Jeans und Baumwolle als Kleidungsstücke begnügte, sondern trotzdem irgendwie modisch gekleidet erschien. Man könnte meinen, beide seien das komplette Gegenteil, aber zwischen ihnen bestand ein Familienband. Sie waren Schwestern und hielten nun seit drei Jahren zusammen wie Pech und Schwefel. Die eine brauchte die andere.

„Was hast du denn so gemacht, Schwesterchen?" Fragte Claire mit einem Blick auf die Broschüre in Tess' Händen. In dicken Lettern waren die Worte Bio-Weizen zu erkennen. Claire schmunzelte: Was hätte Dad wohl zu biologischem Anbau gesagt?

„Ich hab zunächst draußen bei den Alpakas nach dem Rechten gesehen und bin dann rüber nach Wilgul gefahren, um Nick von einer neuen Weizensorte zu erzählen, die man eventuell im nächsten Jahr anbauen könnte." Tess zog dem Pferd ihrer Schwester das Halfter über den Kopf und reichte es Claire, damit sie es in die Sattelkammer bringen konnte.

Wilgul war das im Westen an Drover's Run angrenzende Anwesen, das von Nick Ryan und seinem Bruder Alex geführt wurde. Seit Claire denken konnte, kannte sie Nick und Alex Ryan, die zunächst auf Killarney, dem Anwesen ihres Vaters Harry Ryan im Norden von Drover's Run aufgewachsen waren, sich jedoch irgendwann selbstständig gemacht hatten. Claire war mit den beiden Brüdern aufgewachsen, hatte ihnen Streiche gespielt und sich mit ihnen im Schlamm gewälzt – was sie auch heute noch taten, wenn es die Situation erforderte. Die Ryan-Brüder gehörten zu Tess' und Claires engsten Freunden und so halfen sie sich gegenseitig mit Maschinen, Geld oder auch einem guten Rat aus. Und wie sich zeigte, hatte Tess in dem jüngeren der beiden Ryan-Brüder einen Verbündeten in Sachen biologischer Landwirtschaft gefunden. Doch nicht nur Tess hatte sich einen der Ryan-Brüder als Geschäftspartner ausgesucht – Claire und Alex hatten sich ebenfalls zusammengeschlossen, um gemeinsam Pferde zu züchten und zu trainieren, denn das war Claires geheime Schwäche und ihr unanfechtbares Talent.

„Wie geht's deinen Alpakas?" Wollte Claire von Tess wissen. Sie betonte das Wort deine Alpakas mit Bedacht, denn das war eine von Tess' eigenen neuen Errungenschaften auf Drover's. Tess hatte in einem Journal für alternative Tierhaltung gelesen, dass man unglaubliche Preise mit Alpakawolle erzielen konnte und hatte daraufhin vier Alpakas gekauft, die nun auf den Wiesen und Weiden von Drover's und nicht in den Mittel-, und Hochgebirgen Südamerikas zu finden waren. „Ist denen nicht langsam ein bisschen warm mit ihrem dicken Fell?" Fragte Claire, die daran dachte, dass die Schafe schon vor fast einem Monat geschoren worden waren. Claire öffnete ein Gatter und gab ihrer Stute einen Klapps auf die Flanke, woraufhin Blaze langsam auf die Koppel trabte.

Tess zuckte mit den Achseln und lehnte gegen die grobe Wand der Pferdestallungen, die von der Sonne des Tages immer noch aufgehitzt war, obwohl sie mittlerweile im Schatten lag. „Ich weiß, ich weiß … ich hab nur überhaupt keine Ahnung, wie man Alpakas schert. Du?"

Claire erkannte den hilfesuchenden Blick sofort. Tess konnte dann gucken wie ein verprügelter Hund und ihre grauen Augen wurden riesig. Claire fand dieses Phänomen wirklich erstaunlich. Kein Wunder, dass Frauen auf diese Weise alles von Männern bekommen können!, dachte sie und grinste innerlich. Dieser Charakterzug und auch dieser Hundeblick waren ihr durch die Erziehung ihres Vaters überhaupt nicht vertraut. „Ich? Du bist doch die Expertin in Bezug auf Alpakas." Gab Claire zurück und hockte sich neben ihre Schwester, mit dem Rücken zur Stallwand. Ihren Blick ließ sie über das gemauerte Haupthaus und den Vorgarten schweifen, in dem zwei Jacarandabäume in voller Blüte standen. „Aber zur Not scheren wir sie einfach wie die Schafe."

Tess blickte mit hochgezogenen Augenbrauen auf ihre Schwester hinab. „Dass du dir so einfach ein Schaf packen und scheren kannst, bezweifele ich gar nicht, Claire … aber ich denke, ein Alpaka ist was anderes als ein Schaf!"

Ein belustigtes Grinsen breitete sich auf Claires vom Staub und Schweiß verdreckten Gesicht aus. „Nur, weil sie ne Nummer größer sind, als Schafe? Es sind doch nur vier Alpakas. Dann muss man sie eben mit zwei Mann scheren oder …" Claire warf ihrer Schwester ein neckisches Grinsen zu und blickte dann wieder über den Hof, „man bindet den Alpakas einfach die Beine mit einem Strick zusammen, so dass sie sich nicht wehren können."

„Oh, Claire! Du bist unmöglich! Die armen Tiere." Raunte Tess und verpasst ihrer Schwester einen Stoß gegen die Schulter, so dass Claire mit ihrem Hintern auf dem Boden landete.

Claire hingegen kicherte und amüsierte sich über ihr überempfindliches Schwesterlein. Im Umgang mit Tieren hast du noch ne Menge zu lernen, Tess!

Genau in dem Moment als Tess wieder zurück auf die Veranda gehen wollte hielt der alte Geländewagen von Drover's Run ein paar Meter von ihnen entfernt und zog eine rote Staubwolke hinter sich her, so dass Tess und auch Claire die Augen schließen mussten.

„Hallo, ihr zwei!" Rief Jodie Fountain, als sie mit ihren blonden Korkenzieherlocken und einem kilometerbreiten Lächeln aus dem Fahrzeug stieg. Jodie war 19 Jahre alt, die Tochter der Haushälterin von Drover's und eine abenteuerlustige, junge Frau, die sich sehr gerne um ihre alltäglichen Pflichten auf der Farm drückte.

„Hallo Jodie!" Antworteten beide McLeod-Schwestern synchron.

Eine weitere Frau stieg aus dem Geländewagen und grüßte Tess und Claire mit einem Lächeln. „Wir haben alles bekommen in Gungellan." Becky Howard, ebenfalls blondes Haar, das sie in Zöpfen geflochten trug, ging um den Geländewagen herum und begann mit dem Abladen der Futtersäcke, die sie besorgt hatte.

Claire sprang auf und eilte ihrer Vorarbeiterin zur Hilfe, während Jodie ihre Tasche von der hinteren Sitzbank des Wagens nahm und Tess freudestrahlend ihre so eben gekaufte Haarspülung präsentierte. „Hat Pete einen fairen Preis für die Menge Futter gemacht?" Fragte Claire, während sie den ersten 25kg Sack Futter vor einem großen Lagerraum ablegte.

Becky hievte sich gerade den nächsten Sack auf die Schultern, als der rote Pickup von Nick Ryan die Einfahrt zu Drover's Runs Haupthaus entlang gefahren kam. „Ja, hat er. Pete hat uns sogar für den nächsten Einkauf einen weiteren Rabatt versprochen, wenn wir bar zahlen." Erwiderte Becky und lief an Claire vorbei, die sich wieder auf den Weg machte um einen weiteren Sack Futter auf ihre Schultern zu laden.

„Wundervoll!" Sagte Claire gepresst, als sie sich den Sack auf die Schultern warf und ein Stück in die Knie ging.

„Na, wer kann denn das mit ansehen?" Ertönte die kräftige Stimme von Alex Ryan und ehe Claire sich versah, waren ihre Schultern um 25kg leichter. Welch eine Gemeinheit, dachte Claire, als sie sah, wie leicht es Alex Ryan von der Hand ging einen 25kg Sack von A nach B zu tragen. Kein Wunder bei seinen Muskeln. Doch anmerken ließ sie sich nichts. „Toll, Alex, danke." Sagte sie und machte sie wieder auf den Weg, um einen neuen Sack zu holen. „Wenn du zwei getragen hättest, wären wir schneller fertig gewesen!" Ein neckisches Grinsen bedeckte ihr Gesicht, als sie zu Alex blickte, der den Sack soeben zu den anderen legte.

Alex Ryans Augen standen dem Blau von Claires in nichts nach, als er sie nun angrinste. Seine braune Haut war eben so verschmutzt und glänzend, wie Claires. Einzig und allein seine Muskeln waren kräftiger. „Ich will euch Mädels ja nicht den ganzen Spaß an der Arbeit nehmen, McLeod!"

Claire grinste zurück und schleppte den letzten Futtersack vom Auto zu dem neuen Lagerplatz. Sie und Alex waren seit Ewigkeiten Freunde. Diese lockeren Neckereien gehörten schon immer dazu. Claire konnte sich nicht mal erinnern, wann und wie das alles angefangen hatte. Wenn es jedoch darauf ankam, dann konnten sie auf einander zählen, aber meist bestand ihre Unterhaltung aus Ärgereien und Witzen – es sei denn es ging ums Geschäft, dann waren beide wie ihre Väter … ernst und unnachgiebig.

Claire ließ den Futtersack auf den Boden fallen, wobei eine neue Staubwolke aufgewirbelt wurde. Als sie sich umdrehte, sah sie Nick Ryan zusammen mit Tess und Jodie im Schatten eines Jacarandabaumes stehen und reden. Claire winkte der kleinen Gruppe zu und bekam von Nick ebenfalls einen Gruß zurück.

Becky öffnete die Tür des weißen Geländewagens und rief zu Claire: „Ich parke den Wagen um, sehe dann noch mal nach den Rindern und komme zum Essen, okay?"

Claire nickte ihr zu und blickte dem Geländewagen, der die Stallungen umrundete kurz hinterher, bevor sie der langsam im Westen verschwindenden Sonne entgegen sah. Noch war von einer Abkühlung der Luft keine Rede. Sie wischte sich mit ihrem Handrücken über die klebrige Stirn.

„Und was machen wir zwei Hübschen jetzt?"

Claire seufzte und drehte ihren Kopf. Alex hatte sich auf zwei Futtersäcken ausgebreitet wie ein Sultan auf einem Sitzkissen. Sie konnte nicht anders als an das Wort Pascha zu denken. „Was macht ihr beide überhaupt hier?" Fragte Claire und ignorierte Alex' Frage.

Alexander Ryan fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht und blinzelte dann den letzten Sonnenstrahlen entgegen. „Ich hab gehört, dass es auf Drover's immer pünktlich um halb neun Abendessen gibt, und da haben Nick und ich uns gedacht …"

„Ihr schnorrt euch mal so durch!" Vervollständigte Claire Alex' Satz mit einem Grinsen.

„Ganz genau!" Erwiderte Alex und musterte Claire von oben bis unten. Für sie musste es ein ebenso harter Tag gewesen sein, wie für ihn. Sie ließ ihre Schultern rollen und streckte ihren Rücken durch, bevor sie sich die Hände in die Hüften stemmte. Aber, und das war wirklich ein Glücksfall, ihre Laune war ausgesprochen gut. Denn Alex wusste, Claire konnte bei schlechter Laune ein unglaublicher Sturkopf und Großkotz sein. Da stand sie ihm in nichts nach. Sowieso konnte man von Claire McLeod sagen, dass sie den meisten Männern in fast nichts nachstand. Und das unterschied sie von vielen anderen Frauen, die Alex Ryan kannte.

„Nick und du, ihr hattet also beide die Idee?" Alex zu beobachten war ein Spaß – sein langer, kräftiger Körper völlig entspannt ausgebreitet auf den Futtersäcken, die Augen mal geöffnet mal geschlossen und das Gesicht bedeckt mit einem selbstgefälligen Grinsen.

„Ehrlich gesagt, es war nur Nicks Idee!" Log Alex. Aber es war so offensichtlich, dass es schon wieder keine richtige Lüge war.

Claire wollte gerade etwas erwidern als Meg Fountains Stimme über den ganzen Hof schallte. „Also, wenn ihr hier schon alle rumsteht und was von meinem Essen haben wollt, dann helft mit jetzt gefälligst auch beim Tisch decken!" Und damit verschwand die blonde Haushälterin hinter der Fliegengittertür.

Alex war mit einem Mal auf den Beinen, überragte Claire mit ihren 1,78cm um zwei Köpfe, und trabte locker auf das Haupthaus zu.

Claire konnte sich noch an die Zeiten erinnern, als Alex und sie gleich groß waren und vor allem … gleich stark. Das ist vorbei!, dachte Claire beim Anblick seiner Größe und Erscheinung. Was jedoch nicht heißen soll, dass ich bei ihm klein bei gebe! Das könnte ihm so passen. „Jetzt hast du's aber ganz schön eilig, Alex. Was wird denn jetzt aus uns zwei Hübschen?" Rief ihm Claire nach und hatte noch das Bild vom ausgebreiteten Pascha vor Augen.

Alex blieb stehen und rückte seinen Cowboyhut zurecht. Der Anblick von Claire, wie sie mit den Händen an den Hüften vor der Stallwand stand brachte Alex etwas aus dem Konzept. Selbst verschwitzt und schmutzig bot sie einen unglaublichen Anblick.

Claire bemerkte das erwartungsvolle Lächeln auf Alex Gesicht und konnte spüren, wie sein Blick über ihren Körper wanderte, wobei sich ein Kribbeln in ihr ausbreitete.

Alex schluckte und legte seinen Kopf auf die Seite. „Wenn wir uns anstrengen, McLeod, vermutlich drei Hübsche!" Entgegnete er mit einem unwiderstehlichen Lächeln und einem Augenzwinkern, das sagte: Na, wie wär's mit uns beiden?

Claire verdrehte sie Augen und blickte hilfesuchend in den Himmel, an dem die großen Wolkentürme Richtung Küste zogen. „Oh man, du scheinst ja ganz schön selbstsicher zu sein, Ryan!"

Alex entfernte sich, mit dem Rücken zum Haus, immer weiter von ihr, ließ sie jedoch nicht aus den Augen. „Na, komm' schon, Claire … wenn du mich einholst, wasche ich für dich ab und du kannst eher unter die Dusche!"

Claire überlegte nicht eine Sekunde. Angriff war die beste Verteidigung. Sie sprintete direkt los und sah noch den überraschten Ausdruck in Alex' Augen, bevor sie ihn fast erreicht hatte.

Lachend und völlig außer Atem kamen Alex und Claire auf der seitlichen Veranda an. „Geschafft! Ich hab's geschafft!" Jubelte Claire und schlug sacht mit ihrer Faust gegen Alex Oberarm.

Ein bitteres Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. „Jaja, schon gut, schon gut – du hast gewonnen. Ich hatte heute einen harten Tag und …"

Claire schüttelte ihren Kopf, so dass ihr dunkelbraunes Haar hin und her wippte. „Keine faulen Ausreden, Alexander Ryan!" Und mit diesen Worten und roten Wangen betrat sie die Küche und half den anderen beim Tisch decken.


Es war windiger geworden und der leichte, endlich Abkühlung bringende Wind strich über die Veranda, auf der zu Abend gegessen wurde. Im Westen war nur noch der rote Schein der Sonne zu sehen, ansonsten hatte sich eine dichte Wolkendecke auf den Himmel über Drover's Run gelegt.

Meg, das Herz des Hauses, ohne die alle verhungert wären, hatte eine riesige Schüssel Salat sowie eine Menge Sandwiches und kaltes Bier aufgetischt von denen sich alle reichlich bedient hatten und nun zufrieden auf ihren Stühlen saßen und sich unterhielten.

Nick Ryan, ebenso groß wie sein Bruder Alex, aber zwei Jahre jünger, saß neben Tess und beobachtete sie von Zeit zu Zeit. Es war deutlich zu sehen, dass sich Nick mit jedem Tag und jedem Zusammensein mit Tess ein wenig mehr für sie interessierte, fand Claire, auch wenn sie Tess darauf nie ansprechen würde. Claire lagen Konversationen über Gefühle überhaupt nicht. Wenn es darum ging, war sie wie ein sturer, alter Bock. Nichts zu sagen war für Claire Selbstschutz – eine Eigenschaft, die sie sich nach dem Tode ihrer Mutter und vor allem während ihrer Teenager Zeit angeeignet hatte.

„Ich finde die Idee mit dem Weizen wirklich gut." Entgegnete Nick und nahm einen Schluck von seinem Bier.

Tess schenkte Nick ein strahlendes Lächeln und strich sich die Haare, die ihr der Wind in die Stirn geweht hatte, hinter die Ohren. „Und denk daran, dass es vom Staat subventioniert wird, das bedeutet für uns …" Tess hatte Nick wirklich gern und trotzdem war sie geschockt einen solchen Mann hier auf dem Land zu finden. Weil sie jedoch so eng mit ihm zusammen arbeitete und sich beide hier auf dem Land nicht einfach aus den Augen würden gehen können, war sie nicht sicher, ob sie aus dieser Sache mehr werden lassen wollte. Daher hielt sie ihn ein bisschen auf Abstand. So hoffte sie. „… dass wir quasi mehr Gewinn einfahren, wie bei nicht-biologischem Weizen."

Das Windspiel, das an der Veranda hing klimperte leise aber dauerhaft vor sich hin, während sich Claire in ihren Gartenstuhl kuschelte und nach dem Himmel und den Wolken Ausschau hielt. Claire genoss den auffrischenden Abendwind und die Gesellschaft der anderen, während sie Roy, der neben ihr saß gedankenverloren hinter den Ohren kraulte.

Jodie räusperte sich hörbar für alle. „Becky und ich haben heute in Gungellan gehört, dass sich hier in der Gegend Viehdiebe rumtreiben sollen, stimmt's nicht, Becky?" Jodie verscheuchte gedankenversunken eine Fliege von ihrem Oberarm und biss in ihr verbliebenes Sandwich.

Becky nickte und nahm einen Schluck aus ihrer Bierflasche. „Sam Fowley und auch auf der Whyalla Farm wurden Rinder gestohlen. Alles ist nachts geschehen und keiner hat was gesehen."

„Wie viele Tiere sind ihm denn gestohlen worden?" Wollte Alex wissen, der gerade ganz dreist seine Beine ausstreckte und auf Claires legte, um sie als Fußbank zu benutzen.

Ohne mit einem Kommentar auf diese Dreistigkeit zu reagieren, schubste Claire Alex' Beine hinunter, die mit einem Krachen auf dem gefliesten Boden aufkamen, und kraulte danach ganz gelassen wieder Roys Ohren.

Becky spielte beiläufig mit ihren Fingern an den Zöpfen und wandte sich für Unterstützung an Jodie. „Ich glaub', bei Sam Fowley waren es knapp 100 Tiere und auf der Whyalla Farm 80 oder so. Oder, Jodie?"

Jodie nickte. „So ungefähr. Die haben einfach die Zäune zerschnitten, sind mit ihrem Viehtransporter auf die Weiden gefahren und haben die Tiere eingeladen. Das ist unglaublich dreist. Ich meine, das könnte uns doch genauso passieren."

„Na, dann werden wir hier wohl in nächster Zeit ein bisschen wachsamer sein müssen." Tess fasste ihre luftige Bluse am Kragen an und bewegte den Stoff auf und ab.

„Was ein Glück, dass Wilgul keine Rinder besitzt." Sagte Nick und dachte an seine Schafe.

Bei Claire klingelte es sofort. Wenn die Ryans bei sich selbst nichts zu tun hatten, dann könnten sie genauso gut auch auf Drover's aushelfen. „Na, wenn das so ist, dann könnte ihr beide uns ja bei dem Kampf gegen die Viehdiebe unterstützen!" Roy bekam eine Extra-Kraul-Behandlung, als er seine Pfote auf Claires Oberschenkel legte.

„Bittest du uns etwa um Hilfe, McLeod?"

Es war Claire klar, dass diese Frage von Alex kommen musste. Ohne auch nur in sein Gesicht zu blicken, wusste sie dass er sie unverhohlen angrinste. Warum ist Nick nicht so? Oder besser gesagt, warum kann Alex nicht ein bisschen mehr wie Nick sein?, fragte sich Claire bei dem Gedanken an den anderen Ryan-Bruder, mit dem sie nie diese Neckereien erlebte. „Naja, ich würde nicht sagen, dass ich um Hilfe bitte … soweit ich mich erinnere habe ich noch einen Gut bei euch, weil ich euch meinen Pferdeanhänger geliehen habe." Sie wusste, dass sie das eigentlich nicht hätte sagen müssen – die Ryans würden helfen wo sie konnten.

„Kein Problem, Claire. Wir helfen euch gern, wenn es nötig ist." Entgegnete Nick und blickte Claire mit seinen dunkelblauen Augen an.

Auch bei Alex und Nick war die Ähnlichkeit zwischen Geschwistern nicht gerade auffallend: Beide waren gleich groß, hatten lange, muskulöse Glieder und ein Lächeln, das den meisten Frauen im Distrikt den Verstand raubte. Allerdings war Alex mit 29 Jahren der ältere und hatte dunkelbraunes Haar, wohingegen der 27-jährige Nick rotblondes Haar besaß, was er von seiner Mutter geerbt hatte.

„Apropos helfen!" Räusperte sich Meg, die am Ende des Tisches saß, ihre Beine hochgelegt hatte und ebenfalls mit den anderen den Abend genoss. „Ich will ja nicht nerven, aber der Tisch räumt sich ebenso wenig von alleine ab, wie sich das dreckige Geschirr von alleine spült." Die 43-jährige Meg erhob sich, strich ihre Bluse glatt und lud sich die ersten Teller auf den Arm. „Es wird mir sonst zu spät, wenn wir das alles nachher noch erledigen müssen." Und mit diesen Worten war sie im Haus verschwunden.

Ein allgemeines Raunen und Murren ging durch die verbliebene Menge. Einzig und allein Claire ließ ein vergnügtes Geräusch entweichen, sprang leicht wie eine Feder aus ihren Stuhl auf und stellte sich hinter Alex, um ihm die Hände auf die Schultern zu legen.

Ihre Hände waren warm und als sie ihr Gesicht ganz nah an sein Ohr brachte, lief es Alex eiskalt den Rücken hinab.

„Viel Spaß beim Spülen, Alex!" Hauchte sie und klopfte ihm auf die breiten Schultern, bevor sie fast vergnügt im Haus verschwand.

„Viel Spaß beim Duschen, Claire!" Rief er gespielt fröhlich hinter ihr her und machte sich dann mit all den anderen daran den Tisch abzuräumen und das dreckige Geschirr zu spülen.


Vielen Dank für's Lesen ... ich freue mich (wer auch nicht?! :-) ) über eure Meinung.