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„Ich brauche noch einen ordentlichen Kaffee, bevor wir zum Tatort fahren." Beckett schaut Castle von der Seite an, startet den Motor und setzt das Auto ein Stück zurück, bevor sie es ausparken kann.
„Oh ja," entgegnet Castle, der selten um 5 Uhr morgens von Beckett aus dem Bett geklingelt wird, weil wieder ein Mord geschehen war. „Kaffee klingt gut." Nicht mal dazu hat er Zeit, denn nur fünf Minuten nach ihrem Anruf steht sie schon vor seiner Tür und wartet ungeduldig darauf, dass er sich frisch macht und vernünftige Kleidung anzieht.
Beckett kann sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen, als sie an die Boxershort denken muss, in der Castle ihr die Tür öffnet. Homer und Marge Simpson passen zu seinem kindlichen Gemüt, welches er sich erstaunlich gut erhalten kann, trotz seines Berufes als Kriminalautor und Berater der Polizei. Das beeindruckt Beckett und macht sie auch ein wenig neidisch. Was sie natürlich ihm gegenüber niemals zugeben würde.
Sie ordnet sich in den Verkehr ein, der selbst in New York für diese frühe Uhrzeit ein hohes Aufkommen hat. „Was ist los, Castle", fragt sie ihn, als er ungewöhnlich lange schweigt.. „Sie sehen mitgenommen aus. Kurze Nacht gehabt?"
„Sie stehen doch deswegen nur morgens um 5 Uhr bei mir vor der Tür, weil Sie wussten, dass ich auf der Premierenfeier des neuen Leonardo-DiCaprio-Films gewesen bin. Das ist ihre Rache dafür, dass ich Sie nicht mitgenommen habe, oder?" Castle gähnt lautstark und reibt sich wie ein kleiner Junge die verschlafenen Augen.
„Natürlich, Castle", antwortet Beckett prompt. „Ich inszeniere diesen Mord in den Docks bloß, um sie zu ärgern. Auf welchem Planeten leben sie eigentlich?" Sie verdreht die Augen. Selbst im halbwachen Zustand geht Castle ihr schon auf die Nerven.
Castle beschließt, lieber die Feindseligkeit zu ignorieren, die wie ein dunkle Gewitterwolke über sie beide aufzieht und greift nach seinem iPhone, um Alexis eine Nachricht zu schreiben, warum er nicht zum Frühstück Zuhause sein wird.
Beckett fährt noch einige Blocks, bevor sie vor einem Starbucks einparkt und aussteigt. Castle folgt ihr wie ein treuer Dackel auf Schritt und Tritt. Er ist immer noch in sein iPhone vertieft und merkt nicht, dass Beckett plötzlich stehen bleibt und er ihr in den Rücken rennt.
„Mensch, Castle. Können Sie nicht aufpassen, wo sie hinlaufen?" Beckett wirft ihm einen vorwurfsvollen Blick zu, aber als ihr Name laut gerufen wird, schaut sie zur Theke und ein großzügiges und freundliches Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus.
„Hallo Grace," begrüßt Kate die Barista und von dem harschen Ton in ihrer Stimme ist plötzlich nichts mehr zu hören. „Sie sind aber schon früh hier heute."
„Gleich ist Feierabend. Ich habe heute ausnahmsweise mal eine Nachtschicht."
Die Barista namens Grace lächelt zurück, und es ist nicht das Lächeln, dass eine Frau einer anderen Frau schenkt, wenn sie heterosexuell ist. Castle ist mit einem Mal hellwach und fasst Kate leicht am Arm an, um sie zu stoppen.
„Sie wissen schon, dass Grace auf sie abfährt wie eine Rakete," flüstert er ihr kaum hörbar zu.
Bevor Beckett ihm antworten kann, funkt Grace wieder dazwischen. „Wie immer das übliche, Detective Beckett?" fragt sie und Castle muss sich beinahe übergeben, denn selbst er lässt seine Romanfiguren selten in diesem Ausmaß säuseln.
„Einen großen Latte Macchiato mit Caramel", antwortet Beckett und wendet sich wieder Castle zu. „Was meinen Sie damit sie fährt auf mich ab?"
„Sie haben wohl noch nie ihre Neugier stillen wollen und Erfahrungen mit dem gleichen Geschlecht gemacht?"
„Nein," antwortet Beckett, was aber nicht ganz der Wahrheit entspricht. „Sie etwa?"
Das hat gesessen, denkt Castle, der mit jeder möglichen Antwort gerechnet hat, aber nicht damit. Er ist zu verdutzt, um Beckett auf Anhieb entsprechend kontern zu können.
„Was darf es für den Herren sein," fragt Grace und diesmal ist es Castle, den sie mit einem freundlichen Blick fragend ansieht.
„Einen großen Kaffee," antwortet Castle ihr und nähert sich zusammen mit Beckett der Theke.
Grace dreht sich um und macht sich an die Arbeit. Castle nutzt die Chance um das Gespräch weiter zu führen.
„Grace mag Sie mehr, als nur eine Stammkundin, die jeden Morgen ihren Kaffee bei ihr kauft," analysiert Sherlock Castle die Situation. „Außerdem spricht vieles dafür, dass Grace, na Sie wissen schon, für das andere Team spielt."
„Und das wäre?", will Beckett wissen, die nicht ahnt, dass Castle ihrem Blick folgt. Und der landet ganz eindeutig auf Graces Gesäß.
„Grace ist groß, schlank, hat eine androgyne Figur, kurze schwarze Haare..." Bevor Castle weiter reden kann, fällt Beckett ihm ins Wort.
„Und deshalb sind alle Frauen wie sie gleich lesbisch für Sie? Castle, Sie enttäuschen mich mit ihrem Schubladendenken in dieser Hinsicht."
Grace dreht sich genau in diesem Moment wieder um und reicht Castle erst seinen Kaffee und dann Beckett ihren großen Latte Macchiato mit Caramel. Dabei streicht sie mit ihrem Zeigefinger Kate über den Handrücken und lässt es ganz zufällig wirken. Aber Castle, der das ganze beobachtet, kann nur über das Kalkül lächeln, mit der Grace versucht sich Beckett zu nähern.
„Wie viel macht das, Grace?" Beckett will schon ihre Börse zücken, aber Grace winkt ab.
„Das geht aufs Haus, Detective." Und da ist es wieder, das Lächeln. „Sie kommen ja schließlich jeden Morgen."
„Danke," antwortet Beckett und dreht sich zur Tür um. „Bis morgen, Grace." Sie winkt der netten Barista noch einmal zu, ehe sie durch die Tür verschwindet.
Castle, der denkt, dass auch sein Kaffee aufs Haus geht, will ihr schon folgen, aber Grace hält ihn auf.
„Das macht 2,99 $."
Castle zieht einen fünf Dollar Schein aus der Hosentasche und klatscht ihn Grace auf die Theke.
„Stimmt so." Schnell läuft er zum Auto und huscht auf den Beifahrersitz, immer noch ganz ergriffen von dem lesbischen Flirt.
„Schade, dass Ryan und Esposito nicht dabei gewesen sind," bedauert Castle den Ausflug ins Starbucks. „Wir drei hätten uns mit einem Eimer Popcorn sicherlich prächtig dabei amüsiert, Ihnen und Grace beim Turteln noch ein Weilchen länger zuzusehen."
Beckett holt aus und versetzt ihm mit der Hand einen Klaps auf den Hinterkopf.
„Aua, das hat wehgetan." Castle reibt sich den Hinterkopf und wirft Beckett einen Blick gemischt aus Angst und Respekt zu.
„Klappe halten," droht Beckett. „Wir müssen den Tod eines Menschen aufklären." Mit diesen Worten lässt Kate den Motor aufheulen und fährt Richtung Süden zu den Docks.
