Schatten

Die dunklen Augen starrten ihn dumpf an. Das Gesicht, zu dem sie gehörten schien keinem lebenden Menschen zu gehören. Es sah aus, als wäre nur eine grosse dunkle Halle dahinter- und nichts weiter. Er sah finstere Schatten in den Augen aufblitzen, die ihn so unverwandt anstarrten. Diese Schatten waren das einzige, dass diesem ganzen Gesicht, diesem ganzen Menschen einen Hauch von Leben verliehen. Sie zeigten ihm, dass der Mann, der sich in dieser dunklen Glasscheibe spiegelte noch nicht tot war.

‚Noch nicht wirklich' dachte er grimmig und wandte sich von seinem Spiegelbild ab. ‚Nur noch eine Frage der Zeit' klang eine höhnische Stimme- irgendwo weit hinten in seinem Kopf und Sirius wusste, dass sie recht hatte. Stimmen im Kopf hatten immer recht. Zwölf Jahre Azkaban hatten ihn dies gelehrt. Er verzog den Mund und nahm einen Schluck aus der staubigen Flasche, die vor ihm stand. Der Alkohol schmeckte scheusslich. Wie alles hier in diesem gottverdammten Haus.

In der Ecke raschelte eine Ratte. Müde hob Sirius den Kopf und sah, dass es nur Kreacher war.

„Prost" rief er laut aus und winkte mit seiner halbleeren Flasche dem Hauselfen zu. Kreacher murmelte etwas definitiv bösartiges, doch Sirius hörte nicht zu. Das Gemurmel ging ihm auf die Nerven.

„Hau ab" nuschelte er und legte den bleischweren Kopf auf die Tischplatte. „Hau ab, hau ab, hau ab..." Irgendwann wusste er nicht einmal mehr, ob er das zu Kreacher oder zu sich selbst sagte...

Wieder ein grosszügiger Schluck, wieder das Gesicht verziehen, wieder das rebellierende Gefühl im Magen. Sirius seufzte und stand auf. Mit der Flasche in der Hand stolperte er durch das ‚alte und gar führnehme Haus der Blacks'. Schon allein beim Namen den dieses Haus trug kam ihm das nackte Grauen hoch. ‚Ein gemütlicher Ort um aufzuwachsen' dachte er bitter und betrachtete mit schrägem Kopf die ausgestopften Köpfe Kreachers Vorfahren. ‚Voller Liebe und Zuversicht. Genau der richtige Ort um nach einem zwölfjährigen Aufenthalt in Azkaban zurückzukehren...'

Die Elfenköpfe begannen sich zu drehen und Sirius liess sich vorsichtshalber auf der Treppe nieder. Er wollte hier raus! Er wollte nicht länger ein Gefangener sein!

Und wenn er da draussen beim Kampf für den Orden ins Gras beissen würde- immer noch besser als in diesem verfluchten Haus festzusitzen und gar nichts zu tun!

Sirius leerte die Flasche mit einem Zug. Er hatte die Schnauze voll davon herumzusitzen und zuzusehen, wie alle ihren Anteil leisteten- sogar Harry. Und er war verdammt noch mal älter als sein Patenkind, er hatte verdammt noch mal weniger zu verlieren, er müsste eigentlich auf Harry aufpassen und nicht umgekehrt. Das alles war doch zum kotzen.

‚Hör auf dich zu bemitleiden Sirius. Es ist das Opfer, dass du bringen musst, es ist-' Weiter kam die Stimme in seinem Kopf nicht. Mit aller Kraft warf Sirius die leere Flasche von sich und schrie laut auf. Die Flasche zerbarst in der Eingangshalle und bald darauf vermischten sich die Schreie zweier Generationen von Blacks und schallten- gewaltigen Echos gleich- durch das ganze Haus.

Mrs. Black jedoch schien mehr Ausdauer zu haben als ihr Sohn, der seinen schweren Kopf ans Treppengeländer sinken liess und die sich drehende und schwankende Welt aussen vor liess.

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„Tatze?"

Sirius brummte und versuchte die Hand, die seine Schulter schüttelte wegzuschieben.

„Hey Tatze wach auf" drängte die Stimme weiter und Sirius öffnete seine bleischweren Lider. Sein Kopf pulsierte schmerzhaft und in seinem Magen war die Hölle los. Als der Schwindel allmählich nachliess erkannte Sirius schliesslich seinen besten und einzigen noch lebenden Freund. Remus Lupin seufzte.

„Komm Tatze, ich helf dir hoch."

„Ich bleib hier Moony, ist schon in Ordnung" nuschelte Sirius. Doch Remus schüttelte traurig den Kopf.

„Komm schon. Ich lass dich nicht auf der Treppe liegen Sirius."

Es war die Tatsache, dass Remus seinen richtigen Namen benutzte, die Sirius dazu brachte schwerfällig aufzustehen.

„Wow" murmelte er und klammerte sich am Treppengeländer fest. Alles um ihn herum schien sich zu bewegen.

„Geht's?" fragte Remus und stützte Sirius, als sie langsam und Schritt für Schritt die Treppe hochgingen. Doch sein Freund schüttelte hastig den Kopf und lehnte sich rasch über das Geländer. Remus hörte ihn würgen und seufzte erneut. Mit einem Schlenker seines Zauberstabs liess er das Erbrochene verschwinden. Sirius wischte sich mit dem Ärmel seiner Robe den Mund ab und schaute Remus schuldbewusst an.

„Tut mir leid Moony. Wirklich" beteuerte er leise.

„Schon gut Tatze."

„Nein, wirklich. Es tut mir leid. Alles tut mir unglaublich leid!" Die dunklen Augen in die Remus blickte schienen so tief und so leer zu sein, wie ein alter Brunnenschacht. Er legte seinem Gegenüber eine Hand auf die Schulter.

„Ich weiß. Mir tut es auch leid." Sirius nickte schwach.

„Komm schon Tatze, du solltest wirklich ins Bett und deinen Rausch ausschlafen."

„Okay."

Remus sah zu, wie sich sein bester Freund in voller Montur ins Bett fallen liess und schloss die Tür hinter ihm. Draussen lehnte er sich an die kühle Wand des alten Hauses und atmete tief durch.

Doch die Schatten in Sirius Augen verfolgten ihn.

Tief und leer wie ein alter Brunnenschacht.

Wohin war bloss das ganze Leben dieses einst so lebenslustigen Menschen gesickert?