Januar 2023
Es war endlich Sonntag, der einzige Tag in der Woche, an dem Chris Redfield frei hatte und sich nicht mit seiner Arbeit beschäftigen musste. Es war 8:42 Uhr, als er kurz verschlafen auf sein Handy sah, das auf seinem Nachttisch lag. Er gähnte und drehte sich auf den Rücken, um vor dem Aufstehen noch etwas liegenzubleiben. Ein zufriedenes Seufzen von einer jungen Frau, die sich eng an ihn schmiegte, und eine Hand, die zärtlich über seine Brust strich, zauberten ein Grinsen auf Chris' Gesicht.
„Schon wach?", fragte Chris.
„Ja", sagte die junge Frau mit heiserer Stimme und lächelte zufrieden.
Gedanklich streichelte Chris über ihr schwarzes Haar. Sein Blick wanderte aus dem Fenster. Draußen strahlte die Sonne von einem wolkenlosen Himmel. Im Leben von Chris Redfield war in den letzten Jahren viel passiert. Manches kam Chris beinahe surreal vor.
Nachdem er im Sommer 2013 seinen Kollegen Piers Nivans bei ihrem Einsatz in China verloren hatte, hatte Chris mit dem Gedanken gespielt, seinen Dienst bei der B.S.A.A. zu quittieren. Er hatte ein wenig Zeit gebraucht, um seinen Posten als Einsatzleiter wieder aufnehmen zu können. Dass er Piers nicht enttäuschen durfte, das hatte ihm Kraft gegeben. Sein junger Kollege hatte Chris gezeigt, dass er Verantwortung übernehmen musste und nicht vor seiner Vergangenheit davonlaufen dufte.
Deshalb hatte Chris eine Therapie gemacht, um den Tod seines Teams zu verarbeiten und seine Schuldgefühle und Alkoholprobleme in den Griff zu bekommen. Seine Beziehung zu seiner Schwester Claire und seinen Freunden, die sich im Zuge seiner persönlichen Probleme verschlechtert hatte, war wieder so wie früher. Er war bei der B.S.A.A. befördert worden und in eine neue, größere Wohnung gezogen. Er hatte sich zweimal mit Jake Mueller getroffen und sich mit dem Jungen ausgesprochen. Er hatte dem Jungen alles über seinen Vater Albert Wesker erzählt. Ihre Beziehung war zwar immer noch angespannt, aber zumindest war die erste Hürde genommen und sie hatten sich einander angenähert. Aber das Beste, das Chris seit Langem passiert war, war die Frau, die er gerade im Arm hielt: Natalia Burton.
Er wusste nicht, wie es entstanden war, aber seit gut zwei Jahren, waren er und Natalia ein heimliches Paar.
Sie hatten sich das erste Mal bei Barry zu Hause gesehen. Natalia war gerade 18 geworden und hatte die Highschool abgeschlossen, als sie und Chris im Garten der Burtons ins Gespräch gekommen waren. Chris hatte festgestellt, dass er und das junge Mädchen trotz des Altersunterschiedes viel gemeinsam hatten. Sie hatten sich über Monate hinweg immer wieder getroffen, bis es schließlich gefunkt hatte. Als Natalia vor zwei Jahren von zu Hause ausgezogen war, um mit ihrem Studium an der Universität von New York zu beginnen, hatten sie und Chris ihre Affäre begonnen. Sie hatten beschlossen, erst mal niemandem von sich zu erzählen. Weder Barry noch Claire wusste von ihnen. Chris wollte vor allem nicht, dass Jill von seiner Beziehung mit Natalia erfuhr. Seine alte Partnerin und er hatten es vor ein paar Jahren miteinander versucht, jedoch erfolglos. Sie waren Freunde, sogar fast wie Bruder und Schwester, und Partner im Einsatz, doch sie funktionierten nicht als Liebespaar. Jill, die aufrichtige Gefühle für Chris gehabt hatte, war von ihrer Trennung sehr verletzt und mitgenommen worden. Chris mochte die Geheimniskrämerei nicht, aber er wollte Jill nicht noch mehr verletzen. Bei seiner Schwester konnte er nicht abschätzen, wie sie auf ihn und Natalia reagieren würde, aber bei Barry war sich Chris ziemlich sicher, dass sein alter Freund es nicht gutheißen würde, wenn er seine Adoptivtochter mit einem viel älteren Mann zusammen war.
Chris und Natalia waren sich noch uneins, wann sie sich öffentlich zu ihrer Beziehung bekennen wollten. Früher oder später, das wussten sie, würde die Wahrheit ans Licht kommen, doch bis dahin wollten sie einfach das in vollen Zügen auskosten, was sie hatten.
„Was wollen wir heute machen?", fragte Chris, als Natalia ihren Kopf an seinen Hals drückte.
„Weiß nicht. Wie wär's, wenn wir einfach im Bett bleiben und uns … einen romantischen Sonntag machen?", meinte Natalia und rutschte auf Chris' Schoß, sodass sie seine Lippen mit einem Kuss versiegeln konnte.
Er grinste und schlag seine Arme um sie, um sie näher an sich zu drücken.
Als Agentin Sherry Birkin erwachte, war ihr schwindelig und der Raum vor ihren Augen drehte sich. Nachdem sich nach und nach der Nebel um ihr Gehirn gelichtet hatte, merkte sie, dass sie auf einer kalten Unterlage lag und ihre Gliedmaßen nicht richtig bewegen konnte. Direkt über ihr befand sich eine Lampe, deren Licht sie blendete. Sie kniff die Augen zusammen und drehte ihren Kopf zur Seite, bis sie sich an das weiße Licht gewöhnt hatte. Ihr Körper war schwer wie Blei und sie war sich ziemlich sicher, dass ihr jemand irgendein Betäubungsmittel verabreicht hatte. Nach ein paar Augenblicken nahm die Umgebung endlich scharfe Konturen an und sie sah, dass sie sich in einer Art Labor befand. Der kalte Untergrund entpuppte sich als metallener Labortisch.
Übelkeit übermannte Sherry, als sie sich langsam aufrichtete und ihre Füße auf den Boden stellte. Jemand hatte ihr ihre Sachen ausgezogen, sodass sie nur noch ein Top und Unterwäsche trug. Ihre Ausrüstung inklusive ihrer Pistole waren auch weg. Als der Kreisel in ihrem Kopf endlich zum Stehen gekommen war, nahm Sherry ihre Umgebung näher in Augenschein. Computer vollführten komplizierte Berechnungen und medizinische Geräte surrten. Plötzlich fiel Sherry auf, dass ihr jemand einen Tropf gelegt und sie an eine Maschine angeschlossen hatte, um ihre Vitalwerte zu messen. Der Kasten neben ihr piepte und zeigte das regelmäßige Schlagen ihres Herzens. Sie entfernte die Elektroden von ihrem Körper und zog die Kanüle aus ihrer Armbeuge.
Sie brauchte ein paar Minuten, um zu begreifen, dass sie nicht zu Hause oder beim DSO war, sondern an einem unbekannten Ort und dass irgendetwas nicht stimmte. Irgendetwas war falsch. Sie war am Morgen zur Arbeit gegangen und mit ihrem Team zu einer Mission aufgebrochen, die sie nach Osteuropa geführt hatte. Sie hatten den Auftrag bekommen, einen Schwarzmarkthändler, der Viren und B.O.W.s verkaufte, ausfindig zu machen und zu verhaften. Sherry wusste noch, dass sie und ihre Kollegen eine heiße Spur verfolgt hatten, doch ab da konnte sie sich an nichts mehr erinnern. Das letzte, an was sie sich erinnerte, bevor alles schwarz um sie geworden war, war Helena Harper, die ihr irgendetwas zugerufen hatte. Helena …
Sherry sprang auf, nur um sich gleich wieder hilfesuchend an den Metalltisch zu klammern, weil sich der Raum drehte und sie ein schmerzhaftes Pochen an ihren Schläfen spürte. Helena Harper, Leons Partnerin vom FOS, war auf ihrer Mission dabei gewesen. Doch wo war sie jetzt? Was war mit ihr passiert? Sherry musste sie finden. Und sie musste herausfinden, was hier vorging. Doch zuerst musste sie ihr Gleichgewicht wiederfinden und etwas anderes zum Anziehen. Sie fröstelte und hatte keine Lust halbnackt durch ein Labor zu irren.
An einem Waschbecken spritzte sie sich kaltes Wasser ins Gesicht und nahm ein paar Schlucke. Sie fühlte sich regelrecht ausgetrocknet. Ihr knurrender Magen verriet ihr, dass ihre letzte Mahlzeit wohl schon geraume Zeit zurückliegen musste.
In einem Nebenraum fand sie ihre Kleidung, doch wie zu erwarten waren ihre Waffen nicht da. Man hatte ihr nicht mal die kleine Taschenlampe gelassen, die sie immer in der Innentasche ihrer Jacke dabei hatte. Auch ihr Ausweis und ihr Handy waren weg. Während sie sich anzog, warf sie einen prüfenden Blick auf die zahlreichen Computerbildschirme. Irgendwelche Daten aus Blut- und Genanalysen wurden verarbeitet, aber Sherry wurde nicht schlau daraus. Sie wollte schon die Finger auf die Tastatur legen, um nach Antworten zu suchen, als sie beschloss, besser erst nach Helena Harper und ihrem Team zu suchen. Wenn sie die anderen gefunden hatte, konnte sie immer noch Beweise sichern. Ihre Kollegen waren erst mal wichtiger.
Die Tür zum Labor war nicht abgeschlossen. Sherry gelangte auf einen sterilen, weißen Gang ohne Fenster, der links und rechts von unzähligen Türen gesäumt war. Einige waren offen, sodass Sherry einen Blick in die Räume werfen konnte. Sie sah weitere Labore, aber auch Büros. Was sie jedoch nicht sah, war Personal. Sie sah weder Forscher, noch sonst jemanden.
„Komisch", murmelte sie zu sich selbst.
An der nächsten Biegung hielt sie an und sah nach oben zur Decke. Die Überwachungskameras funktionierten. Ein kleines, rotes Licht leuchtete und die Kameras scannten die Umgebung. Sherry schlüpfte kurz in ein Labor, um nicht von den Kameras erwischt zu werden. Das Labor, das im Halbdunkeln lag, war voller riesiger, mit Flüssigkeit gefüllter Glastanks, in denen hässliche Monster ruhten. Sherry war sofort alarmiert. Die Kreaturen kamen ihr merkwürdig bekannt vor und erinnerten sie an die Monster, die der C-Virus vor so vielen Jahren in Edonien und China geschaffen hatte. Sie war an einem Ort gelandet, an dem bioterroristische Waffen entwickelt wurden.
Geräusche vom Gang ließen Sherry aufhorchen. Leute tuschelten in einer osteuropäischen Sprache, die sie nicht verstand. Sherry suchte Schutz hinter einem Regal und spähte durch die angelehnte Tür nach draußen auf den Gang. Sie sah J'avo mit Pistolen patrouillieren.
„Verdammt!", raunte sie. Ihre Gedanken rasten. Sie überlegte fieberhaft, was sie tun sollte. Sie hatte nicht viele Optionen. Sie war allein und unbewaffnet. Solange sie sich nicht verteidigen und die Lage besser einschätzen konnte, musste sie versteckt bleiben. Aus der Deckung zu kommen und sich zu verraten, war jetzt das Letzte, was sie tun wollte. Vermutlich war es ohnehin nur eine Frage der Zeit, bis man ihr Verschwinden aus dem Labor bemerken und sie im Komplex suchen würde. Sie wusste ja noch nicht einmal, ob sie über oder unter der Erde war. Sie hätte irgendwo im Nirgendwo sein können.
Gerade als Sherry sich einen Plan für ihr weiteres vorgehen überlegen wollte, hörte sie Schüsse vom Gang. Die J'avo riefen sich irgendetwas zu und schossen. Das Feuer wurde erwidert, aber Sherry konnte von ihrem Versteck aus nicht erkennen, wer schoss. Sie hörte eine Frauenstimme. Jemand verpasste einem J'avo einen Fußtritt. Ein hässliches Spritzgeräusch ließ vermuten, dass ein gezielter Schuss einem J'avo den Kopf zerfetzt hatte.
Stille trat auf dem Gang ein. Sherry hörte die Absätze von Stiefeln auf dem Boden, als eine Frau den Gang entlang hastete. War das etwa …? Sherry musste es wissen. Sie verließ die Deckung und wagte sich nach draußen. Tote J'avo lagen auf dem Boden. Blut hatte die Wände und den Boden bespritzt. Sherry nahm instinktiv zwei Waffen an sich und prüfte die Magazine.
„Helena?"
Die Frau wirbelte herum. Es war tatsächlich Agentin Helena Harper. Sie sah mitgenommen aus. Ihre Kleidung war an manchen Stellen zerrissen. Um ihren rechten Arm hatte sie ein Halstuch gewickelt, um damit eine blutige Wunde zu verbinden.
„Sherry! Gott sei Dank!"
„Helena, was ist passiert? Was ist hier los?", fragte Sherry, sichtlich erleichtert zu sehen, dass ihre Kollegin wohlauf war.
„Ich weiß es nicht. Geht es dir gut, Sherry? Haben die etwas mit dir angestellt?"
„Nein, ich glaube nicht. Was ist passiert? Wo sind wir hier, Helena?", fragte Sherry ungeduldig. Sie wollte Antworten.
„Ich weiß es leider nicht", antwortete Helena. „Ich bin in einer Zelle aufgewacht, ein Stockwerk tiefer. Die", sie hielt ihre Waffe hoch, „hab ich dem J'avo abgenommen, der mich bewacht hat. Ich habe die erstbeste Chance genutzt und mich befreit. Ich suche unser Team, aber ich konnte niemanden finden. Ich bin so froh, dass es wenigstens dir gut geht, Sherry."
„Die anderen aus unserem Team sind wahrscheinlich tot, oder?", schlussfolgerte Sherry.
„Ich hoffe nicht, aber … Es sieht schlecht aus, Sherry. Wir müssen davon ausgehen, dass nur noch wir beide übrig sind. Hast du Waffen?"
„Ich hab die von den J'avo genommen", erklärte Sherry. „Kannst du dich wenigstens erinnern, wie wir hier hergekommen sind? Ich weiß nichts mehr, als ob ich einen totalen Filmriss hätte."
„Ich erinnere mich noch, dass wir angegriffen wurden", sagte Helena. „Es war ein Hinterhalt. Aber dann wird alles schwarz."
„Verstehe. Hast du einen Weg hier raus gesehen?"
„Negativ. Es gibt einen Aufzug, aber … Nachdem die gemerkt hatten, dass ich entkommen war und hier raufgefahren bin, haben sie den Aufzug gesperrt. Man braucht eine Schlüsselkarte, um ihn wieder zu benutzen", sagte Helena. „Dieser Komplex ist wahnsinnig groß und es wimmelt nur so von J'avo überall. In den Labors sind Monster."
„Ich weiß, ich hab es gesehen", sagte Sherry. „Irgendwelche Hinweise, wo wir hier sind? Neo-Umbrella?"
„Tut mir leid. Ich habe überhaupt keine Ahnung, was hier los ist. Vielleicht finden wir es heraus, wenn wir einen Weg nach draußen suchen."
„Wir müssen Hunnigan eine Nachricht zukommen lassen. Sie müssen wissen, dass unser Einsatz schiefgegangen ist. Sie müssen Verstärkung schicken!"
„Ja. Gehen wir. Beeilen wir uns."
Leon S. Kennedy brühte sich einen starken Kaffee auf. Mit der Tasse in der Hand schritt er an das Fenster seines Wohnzimmers und sah gedankenverloren auf die Straßen Washingtons hinunter. Er beobachtete die Autos, die unten vorbeifuhren. Er wartete. Er wartete auf sie.
Ein paar Monate nach den Vorfällen in China, war sie eines Tages bei ihm in seiner Wohnung aufgetaucht. Rote Bluse, schwarze Hose, eine Kette mit einem goldenen Kreuz um den Hals: Ada Wong. Natürlich hatte sie nicht einfach die Tür nehmen können. Stattdessen hatte sie sich mit ihrem Enterhaken auf Leons Balkon geschwungen und war durch die Balkontür in sein Schlafzimmer gekommen. Leon, der schon einen Einbrecher vermutet hatte, hatte im Dunkeln mit der Waffe auf sie gezielt.
„Das nenne ich mal eine Begrüßung", hatte sie gescherzt und ihr verschmitztes Grinsen aufgesetzt. „Wir kriegen das einfach nicht so hin wie normale Leute, oder?"
Leon hatte so viele Fragen an sie gehabt. So viele Gefühle hatten ihn gleichzeitig übermannt. Und doch war er nur regungslos dagestanden, hatte sich nicht bewegen können und nichts sagen können. Er hatte sie nur angestarrt, von ihrer Erscheinung völlig überwältigt.
Sie hatten sich schließlich mit zwei Gläsern Scotch im Wohnzimmer auf dem Sofa niedergelassen und hatten geredet. Leon hatte darauf gedrängt, dass sie ihm endlich Antworten geben möchte. Und tatsächlich hatte sie erzählt.
„Ich kam Ende der 90er-Jahre zum ersten Mal nach Raccoon City. Ich habe damals für einen Konkurrenten von Umbrella spioniert und sollte Informationen über Umbrellas Projekte sammeln, inklusive Proben der Viren. Ich hatte eine kurze Beziehung mit einem Umbrella-Forscher, John. Ich musste für ein paar Wochen weg, um mit meinen Auftraggebern Rücksprache zu halten. Da kam es zu dem Virusausbruch. In der Stadt trafen wir beide uns dann", hatte sie ihm erklärt. „Ich gab nur vor, John zu suchen. In Wirklichkeit war ich hinter einer Probe des G-Virus her."
„Was war davor?", hatte Leon gefragt. Er hatte eigentlich fragen wollen, was es mit Simmons auf sich hatte.
„Die chinesische Mafia hat mich ausgebildet", hatte sie geantwortet und einen Schluck ihres Drinks genommen. „Ich bin viel durch die Welt gereist. Auftragsmorde, Wirtschaftsspionage und mehr. Hab für viele Geheimorganisationen gearbeitet, nicht nur das organisierte Verbrechen. Das war mein Metier. Irgendwann geriet ich an eine Organisation namens „Die Familie" und arbeitete unter einem Mann namens Derek C. Simmons."
„Der Nationale Sicherheitsberater?"
„So hast du ihn kennengelernt", hatte sie erklärt. „Aber das war nur eine Etappe auf Simmons' Weg zu Macht und Einfluss. Er war an Forschung interessiert, vor allem an experimentellen Virenwaffen. Er benutzte unter anderem den G-Virus für seine Versuche. Er hatte leichtes Spiel, sich das zu beschaffen, war er brauchte. Die kleine Sherry Birkin hat ihm alles nötige geliefert. Während der Zeit, in der ich für ihn arbeitete, entwickelte er eine Art Obsession mit mir. Er hielt es für Liebe und bildetet sich ein, ich würde seine Gefühle erwidern."
„Aber das hast du nicht."
„Nein", war sie fortgefahren. Plötzlich hatte sich ihr Gesichtsausdruck verändert. „Es gibt nur wenig, was mir Angst macht, Leon. Simmons gehörte dazu, wie ich leider erfahren musste. Seine Annäherungen wurden lästig und ich hielt ihn auf Abstand. Daraufhin wurde er immer fanatischer. Er belästigte mich, verfolgte mich, setzte Leute auf mich an, um zu kontrollieren, was ich tat und wohin ich ging. Wenn ich mich mit jemandem traf, vor allem mit einem Mann, war er rasend vor Eifersucht. In seinen Augen wollte er mich natürlich nur beschützen. Er betrachtete mich als seinen Besitz. Er wurde mir unheimlich und ich wusste, dass ich da raus musste."
„Du hast ihn verlassen?"
„Ich habe mich von seiner Kontrollsucht befreit. Er war krank. Er hat sich eingebildet, dass wir eine Beziehung hatten, dabei habe ich kaum je ein Wort mit ihm gewechselt. Als ich ging, hat er sich wohl betrogen und verraten gefühlt, so als hätte ich ihm das Herz gebrochen. Ich tauchte unter, um ihm endlich zu entkommen. Als ich nach Raccoon City kam und begann Umbrella auszuspionieren
lernte ich einen anderen, sehr interessanten Mann kennen."
Auf Leons fragenden Gesichtsausdruck hatte sie hinzugefügt: „Albert Wesker."
„In welcher Beziehung standest du zu Wesker?", hatte Leon gefragt, obwohl er nicht erpicht auf die Antwort gewesen war.
„Zum ersten Mal traf ich Wesker auf einer Umbrella-Veranstaltung. Wir kamen ins Gespräch und ich merkte gleich, dass er viele nützliche Informationen für mich hatte. Ich wollte eine Beziehung zu ihm aufbauen, um ihn als Quelle zu verwenden. Aber offenbar hatte ich mich von seinem Charme wohl zu sehr einlullen lassen, denn er war mit genau derselben Absicht an mich herangetreten. Er hatte mich sofort durchschaut. Er war damals in Umbrellas Geheimdienstabteilung und kurz davor, zum Sicherheitschef aufzusteigen. Er hätte mich verraten können, was seine Karriere sicher beschleunigt hätte, aber er tat es nicht. Stattdessen machten wir einen Deal."
„Was für einen Deal?"
„Ich erzählte ihm von meinem Problem mit Simmons. Simmons hatte mich aufgespürt. Es hatte wieder angefangen. Irgendwelche Leute, die mich verfolgten. Wesker half mir, wirklich unterzutauchen und Simmons endlich loszuwerden. Er sicherte mir auch zu, mich nicht zu verraten. Als Gegenleistung sollte ich ihm helfen, Kontakt zu meiner Organisation herzustellen. Er hatte schon länger geplant, Umbrella den Rücken zu kehren und brauchte nur einen Fluchtplan."
Leon hatte genickt und nach Adas Doppelgängerin gefragt. Zuvor jedoch hatte er sich sein Glas erneut gefüllt.
„Ach ja, Carla Radames", hatte Ada mit einem Lächeln gesagt. „Sie war eine junge Frau, die unter Simmons gearbeitet hat. Sehr talentiert. Sie war gerade mal 15, als sie von der Universität kam. Sie half ihm bei der Entwicklung des C-Virus. Sie war genauso in Simmons verliebt wie er in mich. Sie hat alles für ihn getan, hat ihn regelrecht vergöttert. Nachdem ich Simmons verlassen hatte, wollte er mich unbedingt zurückhaben. Da er mich nicht wirklich haben konnte, begann er, sich seine eigene Ada Wong zu basteln. Er benutzte den C-Virus, um mich zu klonen."
„Mein Gott."
„Über 12.000 Versuche, Leon, aber alle scheiterten. Bis …"
„Bis?"
„Bis sich Carla Radames als Versuchsobjekt anbot. Sie hatte natürlich keine Ahnung, was Simmons vorhatte. Das arme Ding. Sie tat es aus Liebe. Muss ein Schock für sie gewesen sein, als sie die Wahrheit herausfand. Dass Simmons sich nie um sie geschert hat, sondern immer nur mich wollte."
„Das heißt, alles, was sie getan hat, hat sie nur getan, um sich an Simmons zu rächen", hatte Leon geschlussfolgert.
„Nicht nur. Sie wollte damit auch die Frau treffen, die ihr in ihren Augen den Mann, den sie liebte, weggenommen hatte."
„Dich."
„Sie war von Hass getrieben", hatte Ada abschließend hinzugefügt. „Von Hass auf Simmons und auf mich. Sie wollte Simmons den größtmöglichen Schmerz zufügen. Die Weltordnung zerstören und alles ins Chaos stürzen, das er und seine Familie so mühevoll aufgebaut hatte. Und die ultimative Rache an mir verüben. Mir alles in die Schuhe schieben. Hätte beinahe geklappt. Die B.S.A.A. und du wart ja doch ein wenig verwirrt."
„Das kann man wohl sagen. Ich dachte, du wärst tot."
„Redfield und dieser andere Soldat haben nicht mich verfolgt, sondern Carla. Jemand erschoss sie aus einem Hubschrauber."
„Deshalb dachte Chris, du wärst …"
„War ich aber nicht. Allerdings musste ich mich um Carla kümmern. Sie verwandelte sich in ein Monster. Bis zuletzt wollte sie mich vernichten. Sie dachte, sie wäre die echte Ada Wong. Sie wusste nicht mehr, wer sie war. Armes, kleines Ding."
„Du hast mit Wesker zusammengearbeitet, weil er dich vor Simmons beschützt hat?", hatte Leon nachgefragt. Wahrscheinlich musste sie den kleinen Anflug von Hoffnung aus seiner Stimme herausgehört haben, denn sie hatte ihn kurz angelächelt.
„So in etwa. Allerdings hat er mir auch das Leben gerettet. Wäre er nicht gewesen, hätte ich Raccoon City niemals vor der Explosion verlassen können. Ich war ihm also auch was schuldig. Du musst etwas über Wesker und mich wissen, Leon. Wir waren nicht nur Geschäftspartner, sondern manchmal auch mehr."
Auf diese Offenbarung hin, hatte er sie erschrocken angestarrt. „Was?!"
„Es gab da mal ein kleines Techtelmechtel zwischen uns, aber das ist lange her", hatte sie ihm versichert, doch Leon war von ihren Worten nicht überzeugt worden.
„Du hast ihm den Las-Plagas-Parasit gebracht, nicht wahr? Ada, ist dir klar, was du damit in Afrika angerichtet hast? Wesker hat die Probe benutzt, um …"
„Ich weiß um die Vorfälle in Kijuju", hatte sie ihm erklärt. „Ich habe ihm die Probe nicht gebracht. Ich habe ihm ein minderwertiges Exemplar gegeben, mit dem er nichts hätte anfangen können. Dummerweise hatte er mich schon wieder durchschaut. Er muss geahnt haben, dass ich ihn hintergehen würde. Er schickte zuerst Krauser, um mich zu beobachten, aber Krauser hatte seine eigene Agenda. Im Übrigen war ich es, der Krauser in Spanien tötete."
„Du?"
„Die Explosion hatte ihn nicht getötet. Er griff mich an, als ich auf Weg ins Labor war, um dir und Ashley gegen Saddler zu helfen."
„Verstehe."
„Wesker schickte einen ehemaligen Umbrella-Agenten, mit dem wir schon oft zusammengearbeitet hatten: HUNK. Er besorgte ihm die Probe."
Zum Zeichen, dass er verstanden hatte, hatte Leon genickt. „Nun da Simmons tot ist, bist du endlich frei, oder?"
„Ich werde niemals richtig frei sein, Leon", hatte sie ihm widersprochen. „Ich habe eine Menge Feinde da draußen. Das bringt mein Job so mit sich."
Nach dem Gespräch hatte Ada gehen wollen, doch Leon hatte sie zurückgehalten. Er hatte gewusst, dass er sie so schnell nicht wiedersehen würde und er seine Chance nutzen musste. Er musste ihr endlich seine Gefühle gestehen.
„Ada, nicht schon wieder. Das muss aufhören. Du darfst nicht mehr weglaufen. Du darfst mich nicht schon wieder verlassen."
Sie hatte ihren Fuß bereits auf das Fensterbrett gesetzt. „Ich hoffe, ich habe dir wenigstens ein paar Antworten geben können."
„Ada, ich kann das nicht mehr. Ich liebe dich."
Sie hatte ihn kurz angesehen, dann war sie verschwunden.
Leon seufzte und nahm einen Schluck seines Kaffees. Seitdem sie sich ausgesprochen hatten, waren beinahe zehn Jahre vergangen. Sie hatten zu anfangs nur ein paar Mal miteinander telefoniert. Leon fragte jedes Mal, ob sie sich sehen konnten, doch lange, war sein Wunsch nicht erfüllt worden. Ada hatte so getan, als wäre nichts passiert, aber Leon hatte das Gefühl, dass sein Geständnis zwischen ihnen gestanden hatte.
Er kam sich auch heute noch manchmal dumm vor und fragte sich, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Immerhin war irgendwann doch endlich eine Liebschaft zwischen ihnen entstanden. Wenn sie sich trafen, dann verbrachten sie immer die Nacht miteinander. Leon genoss jeden Moment, den er mit Ada verbringen konnte, doch wirklich befriedigend war die Beziehung nicht für ihn. Er wollte mehr. Er wollte fest mit Ada zusammen sein. Sie schob ihren Job vor, doch er ahnte, dass sie Angst hatte, sich auf eine Bindung einzulassen.
Das Klingeln seines Handys riss Leon aus seinen Gedanken. Er hoffte, dass es Ada war. Als er auf das Display sah und den Namen Ingrid Hunnigan las, machte sich Enttäuschung in ihm breit.
„Ja, Hunnigan?"
„Leon, ich habe schlechte Nachrichten."
„Was ist los? Ist was mit Helena?"
Seine Partnerin war mit Sherry Birkin vom DSO und einem Team in Osteuropa.
„Ich fürchte ja. Sie sind in Slowenien angekommen, aber haben die vereinbarten Zielkoordinaten nicht erreicht. Jeglicher Kontakt zu ihnen ist abgerissen. Wir wissen nicht, was los ist."
„Verdammter Mist!", knurrte Leon.
„Der Präsident will, dass du hinterherfliegst und herausfindest, was da los ist."
„Alles klar, ich mache mich sofort auf den Weg."
Er legte auf und eilte ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen. Er zog gerade seine Jacke und machte sich zum Gehen bereit, als ihm etwas einfiel. Er nahm noch einmal sein Handy.
„Was gibt's, Leon?"
Es tat gut, Adas Stimme zu hören, doch für Smalltalk war jetzt keine Zeit.
„Ada, bist du noch in Italien?"
Bei ihrem letzten Telefonat hatte sie ihm erzählt, dass sie für einen Auftrag längere Zeit nach Rom musste.
„Ja, mein Flug geht morgen früh", sagte sie. Er konnte Stimmen und das Klirren von Besteck und Geschirr im Hintergrund hören. Sie saß vermutlich in einem Restaurant oder Café.
„Gott sei Dank. Ada, verschieb deinen Rückflug, du musst mir einen Gefallen tun."
„So, muss ich das?", fragte sie verführerisch. „Sag bloß, du besuchst mich hier."
„Eine verlockende Vorstellung, doch leider müssen wir das auf ein anderes Mal verschieben. Es ist ernst, Ada. Es geht um Sherry Birkin und meine Partnerin, Helena Harper."
„Was ist passiert?", wollte Ada wissen.
„Die beiden sind auf einer Mission in Slowenien, aber wir haben den Kontakt zu ihnen verloren. Da muss was passiert sein. Ich fliege so schnell es geht mit einem Team nach Osteuropa, aber das dauert zu lange. Du bist viel näher dran. Schau nach, was da los ist und hilf ihnen. Bitte, ich verlass mich auf dich."
„Also gut, dann werde ich meine Abreise wohl noch ein bisschen nach hinten verschieben. Ich kümmere mich darum."
„Danke, du hast was gut bei mir. Ich schicke dir die Koordinaten."
Die gesamte Anlage wimmelte nur so von J'avos, die mit Maschinenpistolen durch die Gänge patrouillierten, während Forscher in den Labors arbeiteten. Sherry und Helena mussten vorsichtig vorgehen. Ihr Verschwinden war bereits bemerkt worden. Ein Alarm hatte sie informiert, dass ein Testobjekt aus Ebene 6 entkommen war. Sie hatten sich mittlerweile auf Ebene 4 vorgearbeitet. Sie hatten in der Zwischenzeit auch herausgefunden, dass sie sich in einem riesigen Gebäudekomplex unter der Erde befanden und der einzige Weg in die Freiheit ein Aufzug war, für den sie aber immer noch keinen passenden Schlüssel gefunden hatten.
„Ich finde es spannend, dass die sich nur dafür interessieren, dass du entkommen bist, Sherry", sagte Helena, nachdem sie einem J'avo von hinten das Genickt gebrochen hatte. Sie durchsuchte die Taschen des Infizierten nach Schlüsseln.
„Was meinst du?", wollte Sherry wissen und spähte in ein Labor. Es lag fast vollständig im Dunkeln. Nur die Computerbildschirm strahlten ein schwaches, blaues Licht aus. Schwerbewaffnete J'avos standen Wache. Sie waren nur an ihren leuchtend roten Glotzaugen zu erkennen. Nach einem kurzen Schusswechsel waren alle erledigt. Die beiden Frauen warfen noch einen prüfenden Blick auf den Gang, ob sich auch niemand näherte, dann schlossen sie die Tür hinter sich.
„Du warst auf Ebene 6, ich auf Ebene 7. Da unten waren keine Labors, sondern nur Gefängniszellen", erklärte Helena. „Die müssen dutzende Leute da unten gefoltert haben. Da war überall getrocknetes Blut und … Ich habe ein paar Leichen gesehen. Ich glaube, Leute von unserem Team waren auch dabei, aber ich bin mir nicht sicher. Ich hatte leider keine Zeit, um es genauer zu überprüfen."
„Um Gottes willen."
„Ich glaube, die wollen was von dir, Sherry. Sonst hätten sie dich nicht in ein Labor verschleppt."
„Es ist wie damals in China", sagte Sherry, die sich langsam wie in einem Déjà-vu vorkam. „Wir müssen so schnell wie möglich Hunnigan kontaktieren. Sie muss uns Hilfe schicken."
„Hier stehen etliche Computer", sagte Helena und deutete auf eine ganze Reihe Rechner, die nebeneinander aufgereiht waren. „Irgendeiner davon wird doch funktionieren."
Sherry warf einen kurzen Blick auf die Rechner. Sie vollführten alle irgendwelche komplexen Berechnungen, mit denen weder Sherry noch Helena etwas anfangen konnten. Sie verstanden nur, dass die Computer etwas überwachten, das in einem nahegelegenen Tank ruhte.
„Was, glaubst du, ist da drin?", fragte Sherry und suchte nach einer Möglichkeit, Hunnigan eine Nachricht zu senden. „Wenn ich mich da einlogge, wird bestimmt ein Alarm ausgelöst."
„Sehen wir uns das mal an", meinte Helena.
Vorsichtig traten sie an den Tank heran und sahen durch die Glasscheibe. Eine Person lag im Inneren des Tanks. Es war ein Mann, vermutlich nicht älter als Sherry. Sein Körper war durch Mutationen furchtbar entstellt. Anstelle eines rechten Armes besaß er nur ein seltsames Gebilde, ähnlich dem eines mutierten J'avo. Die Mutation hatte sogar sein Gesicht befallen. Er war nackt und hatte die Augen geschlossen, als schliefe er.
„Moment mal", sagte Helena, „das ist doch der junge Soldat, der mit Chris Redfield bei der B.S.A.A. war! Ich erinnere mich an ihn. Leon und ich sind ihm in China begegnet."
„Piers Nivans", sagte Sherry und nickte. „Es hieß, er sei in China gestorben."
„Offenbar hat er doch überlebt. Was ist mit ihm passiert?", fragte Helena und deutete auf Piers' mutierten Arm.
„Ich weiß nicht. Vielleicht hat man irgendwelche Experimente mit ihm gemacht. Aber darüber können wir uns später Gedanken machen. Wir müssen ihn hier rausholen. Und Chris muss erfahren, dass Piers lebt!"
Sherry eilte sofort zurück zum Computer und begann, eine Nachricht an Ingrid Hunnigan zu schreiben. Helena untersuchte derweil den Tank.
„Er ist in einer Art Kryostase-Schlaf", bemerkte sie, als sie die Vorrichtung genauer unter die Lupe genommen hatte. „Ich sehe nirgendwo einen Schalter, um die Kryostase zu beenden."
„Ich sehe sofort im Computer nach", sagte Sherry und versendete die Nachricht. „Hunnigan ist informiert. Es kann nicht mehr lange dauern, bis sie jemanden herschicken."
„Sherry? Sieh dir das an", sagte Helena.
„Was denn?", fragte Sherry, doch ihre Frage wurde sofort beantwortet, als sie sich umdrehte. Unweit des ersten Kryostase-Tanks, in dem Piers Nivans ruhte, befand sich noch ein zweiter.
„Da ist noch jemand."
„Ich versuche einen Weg zu finden, Piers aufzuwecken", sagte Sherry und tippte auf der Tastatur, um auf das System zuzugreifen.
„Sherry, das solltest du dir ansehen", meinte Helena nur. Sie klang beunruhigt.
„Was ist los?"
„Komm mal her."
Sherry trat neben Helena. In dem zweiten Tank lag ebenfalls ein Mann. Auch er war nackt und schlief in Kryostase. Er hatte kurzes, blondes Haar. Ausgehend von seinem rechten Arm hatte sich eine schwarze, wurmartige Masse fast über seinen gesamten Körper ausgebreitet. Die Haut seines Oberkörpers und seines Gesichtes hatte sich schwarz und grau verfärbt. Sherrys Augen weiteten sich vor Schreck. Sie hatte plötzlich das Gefühl, dass ihr der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Der Mann war niemand Geringeres als Albert Wesker.
„Helena, ich brauche dringend ein Telefon", sagte Sherry. Gleich darauf ging über ihnen der Alarm los, der verkündete, dass jemand sich unbefugt Zutritt zum Computersystem verschafft hatte.
Natalia war in ihre Hausarbeit vertieft. Sie saß in der Küche, hatte ein paar Bücher auf dem Tisch ausgebreitet und tippte angeregt auf ihrem Laptop. Chris war dabei, ihnen etwas zu Mittag zu kochen. Er hatte gerade das geschnittene Gemüse und Hühnchen in die Pfanne gegeben, als sein Handy nebenan klingelte.
„Ernsthaft? Am Sonntag?", meinte Chris und schüttelte den Kopf. Er legte den Kochlöffel beiseite und ging in den Flur. Natalia sah von ihrem Buch auf.
Sein Vorgesetzter O'Brian war am Apparat.
„Ja, O'Brian, was gibt es?"
Natalia kam in den Flur, umarmte Chris von hinten und flüsterte: „Musst du zur Arbeit?"
„Ist bestimmt nichts", meinte Chris, doch leider sollte er mit dieser Annahme falsch liegen. O'Brian klang sehr ernst und äußerst besorgt.
„Christopher, tut mir leid, dass ich deinen freien Tag stören muss, aber ich fürchte, ich habe schlechte Nachrichten. Du musst sofort ins Büro kommen. Ich hab Jill auch schon angerufen. Sie ist auf dem Weg."
„Ist was passiert?", fragte Chris. Er war sofort in Alarmbereitschaft. Gab es womöglich einen neuen bioterroristischen Anschlag?
„Kann man wohl sagen. Alles weitere, wenn du da bist."
„OK, ich mach mich sofort auf den Weg", sagte Chris und legte auf.
„Es gab doch nicht wieder einen neuen Virusangriff, oder?", fragte Natalia.
„O'Brian wollte mir nichts sagen. Er will, dass ich ins Büro fahre. Tut mir leid, ich …" Er hatte sich auf seinen freien Tag mit Natalia gefreut und jetzt machte ihm schon wieder die Arbeit einen Strich durch die Rechnung. Er hatte Natalia schon zu oft vertrösten müssen.
„Ach, ich muss doch sowieso noch meine Hausarbeit zu Ende schreiben", meinte Natalia nur, als sie Chris ins Schlafzimmer folgte. „Mein Abgabetermin ist morgen. Viel hätten wir heute nicht mehr machen können. Der Vormittag war vergnüglich genug", fügte sie mit einem Grinsen hinzu und küsste ihn auf den Hals.
Chris zog sich seine B.S.A.A.-Uniform an und steckte seine Dienstwaffe an seinen Gürtel.
„Du musst mit dem Essen nicht auf mich warten. Es wird spät werden. Und wenn ich fliegen muss …"
„Ich komm schon allein zurecht", sagte Natalia. „Ich werde zurück ins Studentenwohnheim fahren. Aber vorher will ich noch probieren, was du gekocht hast."
„Ich fürchte nur, du musst es erst fertigkochen. Tut mir echt leid, wir holen das nach."
„Kein Problem. Damit muss man leben, wenn man mit Chris Redfield zusammen ist."
Sie küssten sich zum Abschied, dann verließ Chris seine Wohnung und fuhr in die B.S.A.A.-Zentrale. Wenn er nur geahnt hätte, was der restliche Tag noch bringen sollte.
