„Mensch,
warum hast Du denn nicht besser aufgepasst", herrschte ich meine
kleine Schwester an. „Dad hat uns tausend Mal gesagt, dass Malfoy
bestimmt genauso blöd ist wie sein Vater. Das liegt denen im Blut,
Schwächere zu ärgern!"
Die Rothaarige saß auf einem der
kleinen Sessel im Gemeinschaftsraum der Gryffindors und wischte sich
die Tränen aus den Augen. Burke und Malfoy hatten ihr, als sie vom
Essen kam, einen Fluch aufgehalst, durch den alle ihre Sachen nun
blaue Tintenflecke hatten, inklusive Schulbücher und
Hausaufgaben.
„Ich… ich hab doch gar nichts gemacht",
stammelte sie. „Ich bin mit Sola vom Essen gekommen und wir wollten
eigentlich raus zum See gehen und Hausaufgaben machen. Und da höre
ich nur noch, wie von hinten jemand etwas ruft… ich weiß noch
nicht einmal mehr, ob es Scorpius oder der andere Typ war."
„Ist
ja gut jetzt, Lily.", sagte Sola, die neben ihrer besten Freundin
kniete. „Komm, wir gehen zu Dad, der weiß vielleicht, wie man die
Flecken aus dem Pergament bekommt."
„Eine gute Idee", sagte
ich und strich Lily über die Haare. „Ich begleite Euch, nicht das
Malfoy und Konsorten Euch irgendwo auflauern."
Wir gingen
zum Lehrerkorridor ohne auf einen Slytherin zu stoßen. Ich klopfte
an die Tür mit der Aufschrift Neville
Longbottom.
Kurz darauf öffnete sich die Tür und ein Mann tauchte im Türrahmen
auf. Er hatte dunkle Haare, ein paar Sommersprossen und eine gute
Figur, nur das Gesicht sah etwas einfältig aus. Dennoch war er ein
guter Lehrer in Kräuterkunde.
„Was macht ihr denn hier?",
fragte er erstaunt.
Dann erst sah er meine immer noch schniefende
Schwester. „Aber Lily! Was ist denn passiert? Na, kommt erstmal
rein, Lily, Albus, Sola-Schatz…"
„Dad", meinte Sola milde
verärgert. „Du sollst mich doch nicht so nennen!"
Da sie sich
aber gleichzeitig an ihn schmiegte, machte diese Rüge ihrem Vater
nicht sonderlich viel aus.
Ich trat als Letzter ein und schloss
die Tür hinter mir.
„Ihr habt Glück, ich wollte gerade nach
Hause gehen.", sagte Neville mit dem Rücken zu uns.
Natürlich
durften wir ihn nur so nennen, wenn wir unter uns waren. Schließlich
war er Lilys Patenonkel und einer der besten Freunde unserer
Eltern.
„Sieh Dir das an", meinte ich und zog die Unterlagen
von Lily unter meinem Umhang hervor.
„Meine Güte! Ist Dir ein
Tintenfass ausgelaufen?", fragte Neville verwundert.
„Nein",
murmelte Ginny. „Das war Scorpius…"
„Er hat ihr einen
Fluch nachgeworfen!", regte Sola sich auf. „Was denkt der sich
eigentlich? Mitten in der Eingangshalle! Dabei hat Lily ihn gar
nichts getan! Kannst Du ihm dafür nicht ein paar Hauspunkte
abziehen!?"
Neville nickte nachdenklich. „Das werde ich tun.
Und Nachsitzen wird er ebenfalls. Der benimmt sich wirklich exakt wie
sein alter Herr. Hoffentlich gibt sich das im Alter…"
Am
nächsten Morgen, als ich mit Rose und ein paar anderen in Richtung
der großen Halle ging, sah ich, dass Scorpius gerade von Neville
angehalten wurde. Grinsend ging ich in Richtung Gryffindortisch und
belud meinen Teller mit Rührei und Toast.
Gerade als ich jedoch
zu essen angefangen hatte, tippte mir jemand von hinten auf die
Schulter. Ich drehte mich um – und starrte in ein Paar funkelnde
graugrüne Augen, die mich wütend ansahen.
„Du…", zischte
der Slytherin. „Du bist Schuld, dass ich jetzt eine Strafarbeit
bekomme. Was habe ich Dir eigentlich getan? Wolltest Du mir eins
auswischen? Wofür denn?"
„Das weißt Du genau", erwiderte
ich. „Du bist Schuld, dass meine kleine Schwester in Zaubertränke
fast durchgefallen wäre, weil ihre Hausaufgabe versaut war."
Bei
meinen Worten zog Scorpius die Augenbrauen hoch.
„Ich habe
nichts getan, wofür ich mich schuldig fühlen müsste. Also geh
gefälligst zu Professor Longbottom und nimm deine blöden
Anschuldigungen zurück, klar?"
„Zwing mich doch.",
flüsterte ich.
Mein Gegenüber lief vor Wut rot an, schwieg
jedoch. Plötzlich räusperte sich Neville vernehmlich.
„Gibt es
ein Problem, Mister Malfoy?"
Scorpius schüttelte den Kopf,
starrte mich noch einmal kurz mit einem undefinierbaren Blick an und
verschwand in Richtung Slytherintisch.
„Was war das denn?",
fragte meine Cousine.
„Nichts wichtiges", erwiderte ich. „Der
Slytherin wollte sich nur mal wieder aufspielen."
Als ich mich
nun endlich wieder meinem Essen zuwandte, stellte ich plötzlich
eines fest: mir war der Appetit vergangen.
Dieses
seltsame Gefühl, dass ich beim Frühstück verspürt hatte, war auch
am Nachmittag noch nicht vergangen. Ich fühlte mich schlapp und
lustlos, konnte mich zu nichts aufraffen und lümmelte faul in einem
der Sessel im Gemeinschaftsraum herum. Die zu machenden Hausaufgaben
hatte ich ziemlich schnell wieder beiseite gelegt, das hatte eh
keinen Zweck. Natürlich wusste ich, warum ich mich so komisch
fühlte. Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Es bohrte in mir, stach
mir in den Magen und forderte mich auf, der Sache nachzugehen. Ich
wusste ja nicht genau, ob der Fluch wirklich von Malfoy gekommen war
oder doch von dem anderen Slytherin. Seufzend gab ich nach, stand auf
und stieg aus dem Porträtloch. Ziellos ging ich in Richtung der
Kerker. Ich wusste nur in etwa, wo der Gemeinschaftsraum der
Slytherins sein musste, irgendwo im Untergeschoss der Schule.
Je
weiter ich die Treppen hinab stieg, desto sinnloser kam mir die ganze
Aktion vor. Was sollte ich ihm denn schon groß sagen. Tut mir Leid?
Tat es mir ja gar nicht! Nun ja, zumindest nicht sehr. Aber unfair
war es trotzdem und das wollte ich nicht.
Unentschlossen war ich
mitten in der Kurve der Treppe stehen geblieben und horchte in mich
hinein. Die Gewissensbisse waren noch da, sie zwickten nach wie vor
in meinem Inneren. Gerade, als ich mich wieder in Bewegung setzen
wollte, kam jemand die Treppen hinauf gelaufen, bog um die Kurve –
und krachte mit mir zusammen. Die Person brachte mich aus dem
Gleichgewicht, ich taumelte und fiel rückwärts mit dem Hinterkopf
auf die harten Kerkerstufen. Nur verschwommen konnte ich die Person
mit den blonden Haaren wahrnehmen, die über mir kniete. Ich sah, wie
sie den Mund bewegte, aber ich konnte sie nicht mehr hören und einen
Lidschlag später hatte ich auch schon das Bewusstsein
verloren.
Als ich aufwachte, dröhnte mein Schädel
immer noch. Ich lag auf einem Bett, aber nicht im Krankenflügel. Die
Vorhänge waren grün, der Boden mit Dielen ausgelegt. Ich versuchte,
mich aufzusetzen, blieb aber aufgrund der stechenden Schmerzen in
meinem Kopf lieber liegen und beschränkte mich darauf, irgendwelche
Laute zu vernehmen.
Ich hörte einige Stimmen, konnte jedoch keine
davon sofort zuordnen und keine von ihnen war in diesem Raum. Der
Lautstärke nach zu urteilen waren sie im Nebenraum, 2 bis 3 Leute,
die sich gedämpft unterhielten.
„Was fällt die eigentlich
ein?", zischte die eine Stimme. „Den Kerl hier rein zu
bringen?"
„Was hätte ich denn sonst machen sollen?",
erwiderte eine andere, die ich als die Stimme von Scorpius erkannte.
„Wenn ich in den Kerl rein renne und er sich den Schädel
anschlägt, kann ich ihn ja schlecht auf der Treppe liegen lassen,
Burke! Und Madame Pomfrey ist, wie das ganze Kollegium auch, mit der
ZAG-Besprechung beschäftigt, das dauert noch bis heute Abend. Wenn
wir Glück haben, pennt er durch und merkt gar nicht, dass er hier
war."
„Das will ich auch schwer für dich hoffen!", knurrte
der angesprochene Burke. „Ich hab keine Lust, dass hier diese
dämlichen Löwen ein- und ausgehen."
Scorpius lachte kalt.
„Jaja. Los jetzt, sieh zu, dass keiner in mein Zimmer kommt und
ich sehe mal nach dem Blindfisch."
Wenn hier einer ein
Blindfisch ist, dann ja wohl Du, dachte ich. Er war schließlich in
mich hinein gerannt. Burke schien zu tun, wie ihm befohlen, denn kurz
darauf knarrte die Tür und ich schloss schnell die Augen und stellte
mich schlafend.
Die Dielen knarrten leicht, als Scorpius sich dem
Bett näherte und sich auf dessen Rand setzte. Er beugte sich zu mir
herunter und verharrte einen Moment. Plötzlich spürte ich seine
Hand, die mir die Haare aus der Stirn strich und mir die Hand auf die
Stirn legte, als ob er prüfen wollte, ob ich Fieber hätte.
Ich
zwang mich, ganz ruhig liegen zu bleiben, um ihm weis zu machen, ich
würde schlafen. Dennoch brach mir vor Angst der kalte Schweiß aus.
Kurze Zeit später nahm er die Hand aber wieder weg und ich
atmete leise aus. Ich wusste nicht warum, aber ich war ziemlich
nervös. Irgendwie kam ich mir ausgeliefert vor.
Das wurde auch
nicht besser, als ich seine Hand wieder spürte, die mir abermals die
Haare aus der Stirn strich und mir meine Stirn, auf der vermutlich
Schweißperlen standen, mit einem feuchten Tuch abwischte, ebenso wie
Wangen, Nase und Kinn.
Ich wagte kaum, zu atmen, geschweige denn,
mich zu rühren, was vermutlich nicht gerade sehr natürlich
aussah.
Als er dann mit dem Lappen meinen Hals berührte, konnte
ich mich nicht mehr beherrschen, schnappte nach Luft und zuckte
zusammen.
Wie von der Tarantel gestochen zog Scorpius seine Hand
zurück.
„Al?", fragte er.
„Für Dich Potter, Malfoy.",
murmelte ich leise, ließ aber die Augen geschlossen.
Der
Slytherin ging nicht auf meinen Seitenhieb ein.
„Wie geht es
Dir?", fragte er.
„Geht schon… mein Kopf dröhnt ziemlich,
aber ich werd es überleben.", erwiderte ich und schlug die Augen
auf.
Scorpius saß immer noch neben mir auf dem Bett, knappe 5
Zentimeter von mir entfernt. Mein Blick glitt über das schwarze enge
Shirt und die Jeans, die seine Beine verhüllte. Der Umhang war
achtlos über einen Stuhl geworfen worden, der Zauberstab lag auf dem
Nachttisch.
„Dann ist ja gut.", meinte Scorpius und lachte.
„Ich dachte schon, Du hättest einen Gedächtnisverlust erlitten
oder so was."
„Nee",
meinte ich und grinste unbewusst. „Aber Du hast n ganz schön
harten Schädel."
Mein Gegenüber lief leicht rosa an, schwieg
verlegen und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Auch mir fiel
nichts ein, was ich hätte sagen können und so schwiegen wir uns
an.
Nach einigen Minuten Stille stand Scorpius schließlich
auf.
„Bleib am Besten noch etwas liegen. In einer Stunde sehe
ich noch mal nach Dir. Wenn es Dir dann besser geht, bring ich Dich
wieder zu den Kerkern, von da findest Du ja allein zurück oder?"
Ich
sah ihn nicht an, nickte aber. Ich fand es schade, dass er ging, ich
hätte ihn gern noch hier gehabt. Er war sympathischer, als ich
gedacht hatte. Und seine Berührungen… waren mir auch nicht
unangenehm gewesen.
Doch er war schon an der Tür und im nächsten
Augenblick dahinter verschwunden.
Ich ließ mich vorsichtig wieder
ins Kissen sinken und starrte an den Baldachin des Himmelbetts. Als
ich mich zur Seite drehte, nahm ich einen unverkennbaren Geruch war.
Der Geruch von Scorpius Haaren, nach Minze und Kerbel. Ich lag auf
seinem
Bett.
Plötzlich zuckte ich zusammen. Mir war aufgefallen, dass
ich den Geruch sofort, und ohne zu zögern, erkannt hatte. Empfand
ich etwa doch mehr für diesen Jungen, als ich mir eingestehen
wollte!?
Natürlich würde niemand auf die Idee kommen, ich,
ein Sohn des Weltenretters Harry Potter, sechzehn Jahre und
hundertachtzig Zentimeter Testosteron pur, könnte auf Kerle stehen.
Ausgeschlossen. Nun ja, vielleicht auch nicht. Lily wusste es, James
auch, ebenso meine Eltern. Hugo ahnte es wohl, Rose auch. Aber der
Rest hatte keine Ahnung. Und das sollte auch so bleiben. Um diesen
Schein zu bewahren, flirtete ich heftigst mit allem Weiblichen, was
mir in den Weg kam, obwohl sie mir eigentlich meist auf die Nerven
gingen mit ihrem Gekicher und Geschnatter.
Und nun also auch noch
Scorpius Malfoy. Na wunderbar. Besser konnte es ja wohl nicht mehr
kommen. Gerade der Kerl, den ich allein wegen seines Nachnamens
verabscheuen müsste.
In diesem Moment kam Scorpius nach einem
kurzen Anklopfen wieder herein.
Er sah mich skeptisch an. Mir war
während meiner Erkenntnis und dem anschließenden Gewissenskampf der
Schweiß erneut ausgebrochen und das Hemd klebte förmlich an meinem
Körper und ließ die Konturen meines Oberkörpers sichtbar
werden.
Er setzte sich wortlos zu mir ans Bett und fühlte
vorsichtig meine Stirn.
„Geht es Dir schlechter?", fragte er
besorgt.
Ich schüttelte den Kopf.
„Geht schon", erwiderte
ich.
Der Blonde beugte sich zu mir herunter und flüsterte: „Lüg
mich nicht an, auch wenn Du mich nicht leiden kannst. Du zitterst ja
richtig. Soll ich Dich nicht doch lieber gleich in den Krankenflügel
bringen?"
Sein Atem strich über meinen Hals und verursachte mir
eine Gänsehaut.
Albus Severus, steiger Dich jetzt nicht in
irgendeinen Mist hinein, wo Du später nicht wieder heraus kommst,
verdammt!
„Es ist wirklich alles okay!", zischte ich. „Du
brauchst Dir keine Gedanken um mich zu machen, ich komm klar."
Mit
einem Ruck setzte ich mich auf schwang die Beine aus dem Bett. Ich
war schon fast bei der Tür, als Scorpius mich am Arm packte und
zurückzog.
Seine Berührung ließ mich förmlich zu Stein werden.
Das Blut schoss mir ins Gesicht und die Härchen in meinem Nacken
stellten sich auf.
„Al… ich…", murmelte der Slytherin.
Ich
drehte mich zu ihm um.
„Was ist?", fragte ich und versuchte,
so viel Desinteresse wie möglich in meine Stimme zu legen.
„Ich…
wollte Dir sagen, dass…", fing er an und stockte.
Er sah zu
mir hoch und seine Augen waren wie tiefgrüne Gebirgsseen, in denen
ich zu Versinken drohte. Es schien, als wollte er etwas loswerden.
Doch wenn er mich weiter so ansah, dann würde das Bedürfnis, ihn in
meine Arme zu schließen, zu groß werden und ich würde… er leckte
sich über die Lippen, Unsicherheit spiegelte sich in seinen
Zügen.
Die feinen geschwungen Lippen, himmelherrgott, ich drohte,
die Beherrschung zu verlieren.
„Was ist denn?", fragte ich
zitternd, doch mein Blick war so kalt wie vorher.
„Ich… ach
nichts…", sagte er und schwieg. Sein Griff ließ mich los und im
nächsten Moment war ich aus dem Raum. Im übernächsten aus dem
Kerker. Und im überübernächsten stahl sich eine Träne aus meinem
Augenwinkel. Ich hatte das Gefühl, gerade etwas verloren zu haben,
auch wenn ich es nie gehabt hatte.
Als ich endlich im
Gryffindorturm ankam, war es schon nach neun Uhr, ich hatte das
Abendessen verpennt. Kaum war ich durch den Portraiteingang
geklettert, kam auch schon Anthony, ein stämmiger Siebtklässler auf
mich zu.
„Mann Al, wo zur Hölle warst Du?"
„Warum?",
fragte ich abwesend.
„Du hast das Abendessen verpasst und vor
allem die Teambesprechung!!"
„Teambesprechung?",
wiederholte ich und sah hoch.
Anthony sah aus, als würde er
gleich explodieren.
„Wir spielen doch am Wochenende gegen
Slytherin, Du Idiot! Das wichtigste Spiel der Saison und Du verpasst
die letzte Teambesprechung!!"
Shit. Auch das noch. Stimmt, bald
war Sonntag und das Spiel Gryffindor gegen Slytherin stand auf dem
Plan. Ich beruhigte meinen Kapitän und ließ mich von ihm in die
raffinierten neuen Schachzüge unserer Mannschaft einführen, während
ich ein paar Schokofrösche aß, um wenigstens den schlimmsten Hunger
zu überbrücken.
Als er endlich fertig war, hatte sich der
Gemeinschaftsraum schon fast vollkommen geleert, nur Lily und Hugo
saßen noch bei uns, da sie auch in der Mannschaft waren, Lily als
Jägerin und Hugo als Hüter.
Ich gähnte und streckte mich.
„Ich
werd dann mal ins Bett gehen.", meinte ich und verabschiedete mich
von meinen drei Mitspielern.
„Gute Idee.", erwiderte Anthony,
nun wieder milder gestimmt. „Ich hau mich auch aufs Ohr."
Ich
nickte noch einmal, klopfte meiner Schwester kurz auf die Schulter
und ging in den Schlafsaal. Wie erwartet schliefen die anderen schon.
Ich zog Jeans und Socken aus und legte mich ins Bett.
Was ich
bereits befürchtet hatte, stellte sich ein: Ich konnte nicht
einschlafen. Die ganze Zeit hatte ich Scorpius grüne Augen vor mir
und wie er mich angesehen hatte. Sein Blick, sein Atem auf meiner
Haut… ich wünschte, ich läge noch in diesem Himmelbett und nicht
in meinem Eigenen, dann könnte ich ihm beim Schlafen zusehen, ihn
sanft auf den Mund küssen und… Ich hing schon wieder Fantasien
nach.
Wütend schlug ich ins Kissen und drehte mich auf den Bauch,
mich selbst zwingend, an nichts mehr zu denken, den Kopf ganz leer zu
machen.
Kurze Zeit später war ich dann tatsächlich
eingeschlafen. Auf die Träume von Scorpius, wie er sich auf seinem
Bett räkelte und mich einlud, zu ihm zu kommen, hätte ich
allerdings gut verzichten können. So wachte ich dann auch alles
andere als ausgeruht auf.
Meine Mitbewohner waren schon wach und
unterhielten sich gedämpft über den bevorstehenden Schulalltag. Ich
grunzte ein „guten Morgen" und sprang unter die Dusche, um mich
mit etwas eiskaltem Wasser wieder abzukühlen.
Die
nächsten Tage vergingen wie im Flug und im Nu war es
Sonntagvormittag: Quidditch. Slytherin gegen Gryffindor.
Das
Wetter war nicht gerade geschaffen zum Fliegen. Es war windig und
nieselte, sodass die Regentropfen wie Nadelstiche gegen mein Gesicht
und meine Hände stachen, die sich krampfhaft an den Besen
klammerten. Dazu kam, dass auch die letzten paar Nächte, in denen
ich Schlaf gebraucht hätte, von den Träumen eines gewissen
Slytherin verseucht gewesen waren und ich dadurch alles andere als
wach auf meinem Besen saß.
Gryffindor lag mit hundert zu sechzig
Punkten vorn, meine Schwester lieferte eine Glanzparade ab und hatte
schon sieben der zehn Tore geschossen.
Doch wenn ich nicht bald
den Schnatz entdeckte, würden wir trotzdem verlieren, da die
Ausdauer der Mannschaft langsam nachließ.
Ich kurvte über dem
Spielfeld herum und hatte keine Ahnung, wie ich durch den Nieselregen
die winzigen Flügel des Schnatzes sehen sollte.
Plötzlich sah
ich, wie Burke, der Sucher der Slytherins, in den Sturzflug ging.
Instinktiv lehnte ich mich weit über den Besen, um ihn einzuholen
und flog mit ziemlich hoher Geschwindigkeit ans andere Ende des
Feldes.
Plötzlich unterbrach meinen Flug zum Sieg ein
Zusammenstoß. Ich war mit irgendwem zusammen geflogen und wir fielen
nun als ein Knäuel aus Armen und Beinen dem Boden entgegen.
Neville
war geistesgegenwärtig genug, einen Zauber auszuführen, der uns
langsamer fallen ließ. Trotzdem krachte ich ziemlich schmerzhaft auf
den Boden und nur Millisekunden später der andere auf mich drauf. Es
knackte ekelerregend und ich fühlte, wie eine meiner Rippen unter
dem Gewicht brachen. Ich stöhnte auf und versuchte, bei Besinnung zu
bleiben, während mein Blick immer wieder verschwamm.
Mit größter
Anstrengung schaffte ich es, den Kopf zu heben und sah blonde
halblange Haare, die auf meiner Brust ausgebreitet waren und ein
blasses Gesicht, dessen Augen geschlossen waren.
„Scorpius.",
stellte ich leise fest und sog den Atem ein, als sich der
Angesprochene bewegte und versuchte, vorsichtig von mir herunter zu
kommen.
Leider nicht vorsichtig genug. Das Letzte, was ich hörte,
war sein Luftschnappen und ein „Oh mein Gott, Albus!", bevor ich
endgültig in die weichen dunklen Arme meiner Ohnmacht glitt.
Als ich endlich wieder zu mir kam, war es bereits Nacht. Ich lag – wie erwartet – im Krankenflügel. Mein gesamter Brustkorb war eingebunden, ebenso wie mein Schädel, der zudem schmerzhaft pochte. Stöhnend drehte ich den Kopf nach rechts, doch ich konnte niemanden entdecken. Als ich ihn dann jedoch nach links wandte, fiel mein Blick auf den silberblonden Haarschopf, der auf meiner Bettdecke lag.
Scorpius
saß auf einem Stuhl vor meinem Bett und schlief, den Kopf auf seine
verschränkten Arme gebettet. Er sah unglaublich schön aus in diesem
Augenblick, in dieser Stille. Das Mondlicht beschien seine Züge und
ließ ihn fast durchsichtig wirken, wie eine Fata Morgana.
Wie von
selbst griff ich nach einer Strähne und wickelte sie mir um den
Finger, ohne genauer darüber nachzudenken. Plötzlich zuckte der
Slytherin zusammen und richtete sich auf.
„Albus!", rief er
erfreut. „Du bist aufgewacht! ein Glück, ich hatte mir schon…"
Er
stockte und lief rot an. Irritiert suchte ich nach dem Grund für
sein Verhalten.
„Alles okay?", fragte ich und mein Herz schlug
ein paar Takte schneller.
Scorpius schenkte mir einen langen
warmherzigen Blick.
„Ja… und nein.", sagte er und sah nun
wieder auf die Bettdecke.
Daraus sollte mal jemand schlau
werden.
„Wie jetzt… ja oder nein?", hakte ich leise
nach.
„Es ist alles okay, weil Du wieder aufgewacht bist und
wieder gesund wirst. Bei Dir ist also alles in Ordnung. Bei mir
dagegen ist… gar nichts mehr in Ordnung, seit ich mit Dir zusammen
gekracht bin!", schloss der Blonde nervös und aufgekratzt.
Jetzt
fuhr mein Herz auf der Überholspur. Durfte ich da wirklich etwas
hinein interpretieren? Ich brauchte Gewissheit.
„Was ist denn
nicht in Ordnung?", fragte ich leise.
„Alles. Aber Dir werd
ich es bestimmt nicht erzählen…", murmelte Scorpius.
„Weil
Du mich nicht leiden kannst? Weil Du hier an meinem Bett gesessen
hast und auf mich aufgepasst hast? Weil ich Dir auf die Nerven gehe?
Oder warum?", fragte ich erwartungsvoll.
Im ersten Moment
reagierte der Blonde überhaupt nicht. Dann rückte er den Stuhl
zurück und stand auf.
„Ja, ich kann Dich nicht leiden. Ich
hasse Dich! Dich, den Sohn des Weltenretters! Du tust immer so toll
und cool und kommst bei den Mädchen an und überhaupt! Ich hasse
Dich!", schrie er und stürmte auf den Ausgang zu.
Fassungslos
sah ich ihm hinterher. Kurz vor der Tür blieb er stehen.
Vollkommene Stille hüllte uns ein, niemand sonst war im gesamten
Krankenflügel.
„Und weißt Du, was ich am meisten an Dir
hasse?", fragte er, während er umdrehte und zurückkam.
„Was
denn?", erwiderte ich, den Tränen nahe. Auf einen Schlag mehr oder
weniger kam es nicht mehr an.
„Am Meisten hasse ich, dass ich
Dich wirklich hassen will! Aber ich kann es nicht. Nicht einmal ein
kleines bisschen. Das ist das Einzige…"
Seine Stimme brach. Er
stand vor meinem Bett und zitterte wie Espenlaub. Seine Hände
krampften sich zu Fäusten zusammen und er war gerade im Begriff aus
dem Saal zu stürmen. Doch ich ließ ihn nicht vor sich selbst
fliehen. Und erst recht nicht vor mir.
Langsam hob ich meine Hand
und packte sein Handgelenk.
„Du zitterst ja…", murmelte ich
und zog ihn zu mir herunter.
„Lass mich los…", erwiderte er.
„Bitte, lass mich doch los."
„Aber warum denn?", fragte
ich belustigt und küsste den völlig ahnungslosen Slytherin auf die
Wange. Seine Haut schmeckte frisch und süß.
Scorpius schnappte
nach Luft.
„Was…?", stammelte er. „DU?"
Langsam ließ
ich mich wieder ins Kissen sinken, da mein Schädel nach wie vor
brummte. Als ich bequem lag, antwortete ich: „Ja. Ich."
„Aber…
die Mädchen", stammelte mein Gegenüber.
„Tarnung.", meinte
ich leichthin. „Ich wollte davon ablenken, dass ich eigentlich mehr
auf einen Sixpack denn auf Brüste stehe."
Ein wilder Ausdruck
trat in Scorpius Augen, als er mich ansah. Er lehnte sich zu mir
herunter, seine Arme lagen rechts und links von mir im Kissen.
„Sag
das noch mal.", forderte er.
„Was?", neckte ich ihn. „Dass
mich Brüste nicht interessieren? Dass mich blonde Haare und grüne
Augen, gepaart mit Sprunghaftigkeit und etwas Sarkasmus magisch
anziehen? Und wenn dann noch ein hübscher Hintern dazu kommt… Das
kann ich Dir gern noch öfter sagen, Scorpius."
Der
Angesprochene prustete. Er neigte sich noch näher zu mir.
Und
küsste meine Schulter, meinen Hals, mein rechtes Ohr, meine Wange.
Kam langsam seinem Ziel näher. Er biss sanft in meine Unterlippe und
spielte mit einer Hand in meinen Haaren. Leckte ganz kurz über die
Oberlippe.
Er spielte mit mir. Und ich genoss es.
Bereitwillig
öffnete ich meinen Mund, lud ihn ein, auf Entdeckungstour zu gehen.
Unsere Zungen trafen sich, bevor unsere Lippen aneinander stießen.
Es war wie ein Ritus, ein Tanz, bei dem keiner führte und keiner
geführt wurde. Niemand ergab sich dem jeweils anderen und obwohl ich
flach auf dem Rücken lag, rang meine Zunge mit der Seinen.
Hitze
wallte in mir auf und ich griff nach oben, in seine seidigen blonden
Strähnen, fuhr durch sie hindurch und wanderte langsam sein Rückgrat
entlang, bis ich an seinem wunderschönen Hintern angekommen war, den
ich näher an mich drückte.
Unisono keuchten wir auf, als unsere
Körper aneinander stießen. Scorpius drehte sich etwas und legte
sich neben mich aufs Bett, ohne den Kuss zu unterbrechen.
Auch er
ging nun, meinen Körper zu erkunden, fuhr vorsichtig die Linien
meiner Brust unter dem Verband nach.
Als ich sein Hemd öffnen
wollte, hielt er einen Moment inne und unterbrach sogar den
Kuss.
„Hm…?", fragte ich, nur ungern aus diesem
Testosteronmeer auftauchend. „Was ist denn,
Scorpius?"
„Ich…nichts.", sagte er und lachte leise. „Ich
musste nur sichergehen, dass ich nicht träume."
„Das tust Du
nicht.", meinte ich und lächelte. „Denn Du bist jetzt da, wo ich
Dich schon seit dem Nachmittag haben wollte, wo ich in Deinem Bett
lag – ohne Dich. Ich liebe Dich, Scorpius."
Ich sah förmlich,
wie der Blonde sich an diesen Nachmittag zurück erinnerte. Dann
grinste er, drückte mir einen Kuss auf den Mund und sagte, in
gespielt ernstem Ton: „Dann solltest Du eines wissen: Für Dich
immer noch Malfoy, Potter!"
THE END
