Manchmal habe ich das Gefühl, ich gehöre hier nicht hin. Als ob es irgendwo einen Platz gäbe, wo ich eigentlich sein müsste, aber nicht sein kann.
Nicht sein darf.
Wo mag dieser Ort sein?
Vielleicht an Deiner Seite…?
Als alles anfing, befand ich mich in Hogwarts, der Schule für Hexerei und Zauberei. Es war Montag. Und Montags passiert einfach immer irgendwas Blödes. Sei es nun eine Doppelstunde bei Snape, der Überfall von Aragog auf Ron und mich oder der Ausbruch der Todesser aus Askaban. Alles Montage. Die sind veflucht.
Ron, Hermione und ich waren gerade auf dem Weg zum Frühstück, um danach wieder in den Schulalltag überzugehen, der bei Ron und mir leider mit Wahrsagen begann.
„Sag mal Herm, legst Du das Buch wenigstens beim Schlafen aus der Hand?", fragte Ron und grinste.
„Ach lass sie doch.", lachte ich mit einem Seitenblick auf Hermione, die tatsächlich sogar beim Laufen die Nase in einem Buch stecken hatte.
Sie sah mittelmäßig genervt auf und zischte den Rotschopf an: „Ein wenig lesen würde Dir auch nicht schaden, Ron."
„Nee, lass mal, dafür bist Du zuständig…", erwiderte Ron und tat sich etwas Eier und Speck auf den Teller. Ungestraft blieb diese Tat jedoch nicht – kaum eine Sekunde später hatte Hermione ihn einmal auf den Hinterkopf geschlagen. Doch diese Art von Zuneigung war ja nichts Neues bei den beiden.
Ich schüttelte lächelnd den Kopf und kippte mir erst mein Müsli und danach kalte Milch in eine Schale. Vor dem ersten Löffel war ich einfach nie richtig wach.
Ich genoss gerade den Geschmack von getrockneten Erdbeeren, Schokostückchen und Haferflocken, als mich eine Stimme von hinten erstarren ließ.
„Na Scarface? Heute morgen mal wieder nicht zum Haare kämmen gekommen? Du siehst aus als hättest Du im Verbotenen Wald gepennt"
Schon die Anrede ließ mich erkennen, wer mich da angesprochen hatte. Doch das hämische Lachen ließ es eindeutig werden: Draco Malfoy, der verdammte Eisprinz von Slytherin. Ich drehte mich halb zu ihm um, doch ich bekam kein Wort heraus, er hatte mich einfach überrascht.
Mein Blick blieb an dem offenen Hemdkragen hängen, der ein Stück Brust und markante Schlüsselbeine frei gab. Die Haut war blass, aber nicht kränklich und sie schien unglaublich weich zu sein. Dazu noch dieses kühle Lächeln, das ihm so eigen war…
„Na Potty, was ist los? Hat es Dir etwa die Sprache verschlagen?"
Ich starrte mein Müsli an, dass unschuldig in der Milch schwamm und sie langsam kakaofarben verfärbte. Verdammt, verdammt, verdammt. Ich konnte ihm noch nicht einmal in die Augen sehen.
Zum Glück erlöste mich unser Schulleiter, Albus Dumbledore, aus dieser blöden Situation, indem er eine Ankündigung zu machen hatte: „Liebe Schüler & Schülerinnen von Hogwarts! Bitte setzt Euch alle! Das Kollegium und ich haben Euch etwas Neues mitzuteilen! Alle zuhören! Dankesehr. Ihr fragt Euch sicher, was wir schon wieder von Euch wollen… deshalb fasse ich mich kurz. Es herrscht seit jeher eine Rivalität zwischen den Häusern, die ich sehr bedauernswert finde. Deshalb wird die folgende Woche unter dem Thema „Freundschaft" laufen. Es wird viele freiwillige Aktionen geben und einige Verbindliche.
Manche Schüler bekommen gleich Zettel von uns, auf denen ihre Aufgabe und ihr Partner dafür stehen. Nehmt die Aufgaben ernst – ihr könnt Hauspunkte bekommen. Wir hoffen, ihr habt Spaß bei der Sache! Morgen früh geht es los. Und jetzt: Ab zum Unterricht!"
Als Dumbledore seine Ansprache beendet hatte, herrschte erst einmal Ruhe im Saal. Dann begann das Getuschel und Geflüster.
„Ich hoffe nur, wir kriegen keine Sonderaufgaben", meinte ich und drehte mich zu Ron. „Da hab ich keinen Nerv zu."
Kaum hatte ich ausgesprochen begann es, vor, hinter und neben mir zu ploppen. Hinter und neben mir war ja kein Problem. Doch das eine winzige plopp vor mir ließ einen kleinen unscheinbaren Zettel auf meinem unbenutzten Teller erscheinen.
Mit zitternden Händen entfaltete ich das Papier:
QUIDDITCH-KURS für die 1. & 2.-Klässler aus allen Häusern. Zusammen mit Draco Malfoy (Slytherin)
Na wunderbar. Ich sagte doch, ich kann Montage nicht ausstehen.
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Mehr oder weniger perplex war ich kurze Zeit später mit Ron zum Nordturm aufgebrochen, um nicht zu spät zu Trelawney zu kommen. Dieser erwartete uns bereits, wie immer parfümiert und mit unendlich vielen Schals und Ketten behangen, mit folgender Begrüßung: „Liebe Schüler! Heute wollen wir den erweiterten Kristallkugelkurs beginnen! Schaut in die Kugeln vor Euch uns konzentriert euch auf Euer inneres Auge!"
Trelawney war noch nicht mal fertig mit ihren Ausführungen, als Rons Kopf auch schon auf den Tisch sackte und er leise zu schnarchen begann.
Ich wollte gerade die Nase in mein Buch stecken, um möglichst beschäftigt zu wirken, doch da war es schon zu spät: Trelawney, mit Lavender & Parvati im Schlepptau, legte mir die Hand auf die Schulter.
„Kommen Sie, Mr. Potter.", forderte sie mich auf. „Was sehen sie in der Kugel?"
Ich starrte angestrengt in die Kugel und mir fiel nur eins auf: Da – war – nix. Aber was blieb mir anderes übrig, irgendwas musste ich ja sagen. Also verlegte ich mich aufs Improvisieren und murmelte etwas von einer Schlange, Wolken und einer Sonne. In der Hoffnung, damit wenigstens nur ein trauriges Nicken und nicht schon wieder eine Todesvorhersage zu bekommen, schielte ich zu Trelawney hoch. Die jedoch schlug wider Erwarten entzückt die Hände zusammen und quiekte: „Oh wie wundervoll! Mister Potter, das war Ihre beste Vorhersage seit Jahren! Die Schlange ist eine wenig bekannte Person, die Wolken stehen für Unsicherheit und die Sonne für Glück! Sie werden ihr Glück finden! Wie wunderbar!"
Ich werde mein Glück finden. Mit einer Schlange. Ja nee, ist klar. Die hat doch n Schuss weg, die Alte.
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Pünktlich mit dem Klingeln war Ron wieder aufgewacht, er hatte kein Stück von meiner wahnsinnig talentierten Vorhersage mitbekommen. Auf dem Weg zum nächsten Raum, unten in den Kerkern, trafen wir auf Hermione, die gerade von ihrer Arithmantik-Stunde kam. Ich schilderte ihr kurz den Verlauf meiner Stunde und seltsamerweise schien Hermione der aussage Trelawneys sogar ein Körnchen Wahrheit beizumessen.
„Vielleicht findest Du endlich eine neue Freundin.", mutmaßte sie. „Cho war ja nicht so der Burner."
Ich dachte an den Zettel, den ich immer noch in der Hand hielt und lächelte. Vielleicht hatte sie ja Recht und ich konnte Draco ein wenig näher kommen.
„Wer will Dich schon, Scarface?", ertönte plötzlich eine hämische weibliche Stimme – Pansy Parkinson. „Du kriegst eh keine ab. Bist halt nicht so hübsch wie mein Draco-Spatzi. Pech gehabt."
Ich hatte gerade zu einer sehr unfreundlichen Antwort inklusive Beschimpfung angesetzt, als mir beim Umdrehen auffiel, dass sie gemeinsam mit Draco unterwegs war. Und sich extrem an seinem Arm festkrallte. Sie schien ohne ihn kaum laufen zu können.
So viel zu dem Thema, ich finde mein Glück. Draco schien ja schon eins zu haben. Der jedoch sagte ausnahmsweise mal gar nichts und fixierte mich stattdessen schweigend und mit undeutbaren Blicken.
Ich starrte unentwegt zurück und versuchte krampfhaft, mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen.
„Potter…", begann er schließlich.
„J…ja!?"
„Sag mal, Potter… bist Du etwas verknallt?"
Ich schwieg, sah ihn an, schluckte – und schwieg weiter. Was sollte ich darauf auch groß antworten?
„Hast Du Deine Zunge verschluckt oder was ist los? Jetzt red' schon!"
Ich lief, ohne es zu wollen, rot an und wischte mir die Haare aus der Stirn. Als ob ihn die antwort wirklich interessieren würde… ihm wäre es doch am liebsten, wenn ich tot wäre… und genau diesen Eisprinz muss sich mein Herz aussuchen…
Doch zum Glück kam ich auch dieses Mal um eine Antwort herum. Ron war neben mich getreten und legte mir den Arm um die Schulter.
„Lass Harry gefälligst in Ruhe, Malfoy!", blaffte er ihn an.
„Tse…", lachte der Slytherin. „Klar. Wenn Du Dich aus meinen Angelegenheiten raushältst… WIESEL!"
„Pah! Mit nem Slytherin will ich eh nichts zu tun haben, vielen Dank auch. Komm Kumpel, lass uns abhauen."
Damit zog er mich an der Schulter herum und wir gingen mit Hermione weiter in Richtung Kerker.
„Hey! Warte mal Potter!"
Ron und ich drehten uns irritiert um.
„Was willst Du denn jetzt noch?", fragte Ron genervt.
Doch Malfoy antwortete ihm nicht. Er zog etwas aus der Tasche und zischte mir nur „Hier, fang!" zu, dann warf er auch schon. Reflexartig griff ich nach dem geworfenen Gegenstand und bemerkte erst danach, dass es sich um ein Buch handelte. Ein Buch, auf dessen Einband sich vor einem Sternenhintergrund zwei miteinander verbundene Schlangen wanden. Als ich es aufschlug, stand jedoch kein einziger Buchstabe darin.
„Was soll das Malfoy?", fragte ich. „Da steht nix drin!"
„Vollidiot.", erwiderte Draco. „Das ist ein Kommunikationsmittel, damit wir uns absprechen können. Trag das ja immer bei Dir, ich hab keinen Bock, Dir hinterher zu rennen. Ist das jetzt klar!?"
„Jaja. Kein Grund, so rumzuschreien, ich hab's gerafft.", grummelte ich uns wandte mich wieder Ron und Hermione zu. „Los, lasst und gehen."
~~~
Nachdem wir drei es erneut knapp geschafft hatten, den Zaubertrankunterricht bei Snape zu überleben (und zwanzig Hauspunkte verloren hatten), waren Mittagessen, Kräuterkunde und Verwandlung ein Kinderspiel. Danach war der lange Tag endlich vorbei und wir konnten uns im Gemeinschaftsraum ein wenig bei einer Partie Snape explodiert ausruhen.
„Sag mal Harry", fragte Ron und sah stirnrunzelnd in sein Blatt." Was war da vorhin eigentlich los.
„Was meinst Du denn?", fragte ich uns sah von den bereits abgeworfenen Karten auf.
„Na das mit dem Buch. Wie funktioniert das denn jetzt?"
Aus der Ecke hinter mir ertönte ein ungläubiges Schnauben.
„Mann Ron!", sagte Hermione. „Wenn wir es wüssten, hätten wir es Dir schon erzählt. Es gibt keine Gebrauchsanweisung… und in der Bibliothek steht auch nirgends was Nützliches drin."
Sie warf mir das Buch zu und ich setzte mich auf, um es in meinem Schoß noch einmal aufzuschlagen – um jedoch nichts als leere Seiten zu finden. Kopfschüttelnd schloss ich es wieder.
Ron sah etwas enttäuscht in seine Karten – und fing plötzlich an zu grinsen. „Hey, mein Dad hat mir mal von Handys von Muggeln erzählt. Die vibrieren, wenn eine Nachricht ankommt! Vielleicht ist das bei dem Buch auch so. Tolle Idee oder?"
Hermione lachte nur. „Ron, die Idee ist total bescheuert… streng doch mal Deinen Kopf an! Draco ist absoluter Muggelhasser! Er würde sich wohl kaum bei den Muggeln etwas abgucken."
„War ja nur so ne Idee… und du bist im Moment auch nicht schlauer, Herm… ausnahmsweise mal…"
Bevor die zwei sich wieder streiten konnten, warf ich schnell meine Meinung dazu ein: „Ist doch jetzt auch vollkommen egal! Wenn Malfoy was von mir will, werde ich das schon mitkriegen. Ich… uh…"
Das Buch in meinem Schoß hatte begonnen sich zu bewegen. Schockiert starrte ich hinunter. Es vibrierte tatsächlich. Und zwar genau über meinem Schritt. Na wunderbar.
Hermione sah mich ebenso perplex an wie Ron. Schließlich murmelte sie „Warte, ich nehms weg!" und streckte die Hand danach aus. Kaum hatte sie jedoch den Einband berührt, als sie auch schon schreiend wegzuckte. Glücklicherweise hörte das Buch im gleichen Moment auf zu vibrieren.
„Alles okay?", fragte ich besorgt.
„Mmh", meinte Hermione mit schmerzverzerrtem Gesicht und starrte ihre Hand an. Die Fingerspitzen waren gerötet und glänzten. „Ich hab mich an dem Ding verbrannt. Es scheint verflucht zu sein. Aber warum?"
„Keine Ahnung", meinte ich. „Aber ich krieg scheinbar nichts ab."
Mit diesen Worten wandte ich mich wieder dem Stein des Anstoßes zu und schlug das Buch auf. Auf der ersten Seite zeigten sich smaragdgrüne Buchstaben, die in einer eigenwilligen, leicht schräg stehenden Schrift eine Nachricht bildeten:
Hey Potter, beweg Deinen Hintern in den Kerker runter. Sofort. Allein. & kein Wort zum Wieselkönig oder der Besserwisserin.
Oh… mein… Gott…
In dem Moment beugte sich Ron über meine Schulter: „Und, was steht drin?"
Reflexartig klappte ich das Buch zu.
„Ach, nix.", murmelte ich. „Leute, ich muss nochmal schnell in die Bibliothek… noch ein Buch abgeben… hätte ich fast vergessen…"
Mit diesen Worten stand ich auf und ging in Richtung Schlafsaal.
Hermione rief mir noch nach, dass ich mich beeilen müsse, um nicht in die Sperrstunde zu geraten und Ärger wollte ich auch nicht riskieren, also legte ich noch einen Zahn zu.
Der Schlafsaal war glücklicherweise leer. Ich öffnete meinen Koffer und begann, wahllos alles im Zimmer zu verteilen. Da waren sie, die furchtbaren alten Socken von Onkel Vernon. Doch darin versteckt war etwas so viel Schöneres. Ein kleines Fläschchen Felix Felicis, das ich von Slughorn bekommen hatte. Ich entkorkte die Flasche und ließ drei Tropfen auf meine Zunge fallen. Das sollte genügen, um etwas ruhiger zu werden. Nun noch schnell die Karte des Rumtreibers und dann nichts wie los.
Ich war etwa zehn Minuten mit Blick auf die Karte durch das nächtliche Schloss gehastet, als ich irritiert stehen blieb. Laut der Karte müsste Draco sich eigentlich direkt links von mir befinden. Doch da war nichts. Nur ein paar Vorhänge in den Farben der Häuser.
Sehr seltsam.
