Ich setzte mich an den Schreibtisch. An Albrechts Schreibtisch. Berührte die Tasten der Schreibmaschine, wie Er es unzählige Male vor mir getan hat. Ich würde einen Aufsatz schreiben.

Nachruf

Albrecht war nicht feige. War es nie. Nicht, als er von den getöteten Russen wegstolperte, nicht als er seinen Aufsatz schrieb. Er war von uns allen der Mutigste. Weil er aufrichtig war. Ehrlich. Er war der Einzige, der sich getraut hat, seine Meinung zu sagen und zu ihr zu stehen. Er hat für eine Welt ohne Hass gelebt und ist dafür gestorben. Anstatt in den Krieg zu ziehen, der nichts anderes als Menschenvernichtung ist, hat er sich für einen friedlichen, gewaltlosen Tod entschieden. Ihr machtet Ihn zur Schande, wo doch niemandem mehr Ehre gebührt hätte. Dieser Krieg bringt nur Tod und Zerstörung, doch Albrecht glaubte an Aufbau, Menschlichkeit und Güte.
Er ist von hier geflohen, aber nicht aus Feigheit. Es war der letzte ihm mögliche Widerstand gegen diese brutale Sinnlosigkeit, die hier an allen Wänden klebt. Es fordert keinen Mut, ein anderes Leben zu beenden. Dazu benötigt man nur einen Befehl. Doch um sein eigenes Leben zu beenden, braucht man Mut. Wenn du keine Hoffnung mehr hast, wenn dir alle Hoffnung genommen wurde, dann denkst du nicht an andere. Oder daran, was andere denken. Du siehst nur diese bodenlose Dunkelheit, und suchst nach einem Weg, um ihr zu entkommen. Albrecht ist gegangen. Diesen einen Weg, der Ihm der Ausweg war. Er hatte keine Angst. Er hat nicht gezweifelt.
Und uns lässt er zurück. Damit wir einen anderen Weg sehen als den, der uns hier gelehrt wird. Einen besseren Weg. Was bringt uns dieser Hass, wenn wir es vorziehen, uns auf Granaten zu werfen oder ins Wasser zu gehen, anstatt zu leben? Es verbleibt tiefe Erschütterung. Wir sind wie erstarrt, unfähig, etwas anderes zu denken als das, was uns gesagt wird, was wir denken sollen. Dabei ist es wichtig, dass wir eigenständig denken. So wie Albrecht es getan hat. Wir müssen uns an die Menschen erinnern, und nicht an das, wozu sie gemacht wurden.
Ich werde mich an Albrecht Stein erinnern. Den besten und warmherzigsten Menschen, der mir je begegnet ist. Mein bester Freund und an seine Liebe.
Ich verbleibe in Erinnerung.
Friedrich Weimer

Mit diesen Worten beendete ich den Aufsatz. Den ersten Aufsatz hier auf der NaPolA, bei dem mir Albrecht nicht helfen musste. Ich wusste, was ich schreiben musste. Ein letzter Aufsatz. Meine Lippen verzogen sich zu einem bitteren Lächeln. Mein letzter Aufsatz. Ich würde Albrechts Beispiel folgen. Manchmal lag der Sieg in der Kapitulation.
Sie würden versuchen, den Nachruf zu vernichten. Würden alles daran setzen, damit niemand ihn lesen könnte. Und wenn schon. Sie hätten ihn gelesen. Genauso, wie sie auch Albrechts Aufsatz gelesen haben. Albrecht. Bald würde ich bei Ihm sein. Bald.