Was genau ist eigentlich Romantik? Mit der Diskussion dieser nicht ganz unerheblichen Frage, (forderte Amy doch schließlich nahezu permanent mehr Romantik in ihrer Beziehung ein und hatte Sheldon damals während ihrer Zugfahrt nach Napa Valley doch nichts Besseres zu tun gehabt, als sich über das Konzept der Romantik in sarkastischer Weise (ausgerechnet dann konnte Sheldon sarkastisch sein!) lustig zu machen, wenngleich dies auch bekanntermaßen zu ungeahnten positiven Folgen geführt hatte) hatten Sheldon und Amy die letzten Stunden ihrer heutigen Date Night verbracht. Nur wenn man wüsste, was genau Romantik eigentlich ist, da waren sie sich einig, könnte man auch romantisch handeln. Das Bedienen romantischer Klischees jedenfalls (ach! küssen im Regen, Sex am Strand, Baden im See bei Sonnenuntergang!) fanden nur die weiblichen 50% unter ihnen romantisch. Die anderen 50% sahen überall nur Probleme (küssen im Regen: Wasser im Mund, Wasser in der Nase, Wasser in den Ohren! Sex am Strand: Sand im Mund, Sand in der Nase, Sand in den Ohren! Baden im See bei Sonnenuntergang: Mücken an den Körperteilen über Wasser, Blutegel an den Körperteilen unter Wasser, Ameisen in den Kleidungsstücken an Land).

Sheldon hatte beschlossen, das Problem von einer anderen Seite aus zu betrachten: Etymologisch gesehen, hatte er gemeint, müsste der Begriff der Romantik auf das Wort Roman zurückgehen und dieses wiederum auf das Adjektiv romanisch und das wiederum auf die Stadt Rom und das schlussendlich auf Romulus und Remus, die Stadtgründer Roms, welche der Legende nach von Göttern abstammten und von einer Wölfin aufgezogen worden waren...
Nein, so kamen sie nicht weit, das musste Sheldon sich eingestehen. Allerdings, hier machte er sich eine mentale Notiz, müsste er mal recherchieren, ob er für die nächste Date Night nicht einen Film über die besagten Gründer Roms besorgen konnte. Götter, Wölfe, Mord und Totschlag, was wollte man mehr für einen schönen Abend zu zweit (der einzige Wermutstropfen war natürlich, dass es hier wohl keine Raumschiffe geben würde, aber Amy würde es schon verkraften)!

Um aber erstmal das Problem mit der Romantik zu klären, war er zu seinem gut ausgestatteten Bücherregal gegangen, hatte nach einem geeigneten Nachschlagewerk gesucht, hatte sich dann (mal wieder) gefragt, warum er eigentlich noch Bücher besaß (na gut, sie vermittelten seiner Wohnung einen intellektuellen Touch, das musste man ihnen lassen), hatte dann sein Tablet geholt, sich neben Amy auf die Couch gesetzt und, wie schon bei so vielen Date Nights zuvor, Wikipedia aufgerufen.

War die Online-Enzyklopädie nicht der schönster aller Zeitvertreibe? Zumindest einer der schönsten, auf die er sich mit Amy einigen konnte. Wie man sich stundenlang vom Hölzchen aufs Stöckchen hangeln konnte und wieder zurück. Welche Wunderwelt an neuen, interessanten Informationen sich doch hinter jedem Hyperlink befand! Und es gab so unglaublich viele davon!

Entzückt darüber, dass sie einen weiteren wunderbaren Abend mit dem gemeinsamen Schmökern im Internet verbringen würden, kuschelten sich Amy und Sheldon unter eine Decke, setzten ihre Lesebrillen auf (Sheldon hatte Amy kürzlich gebeichtet, dass seine Augen mit dem Alter (immerhin war er schon über 35!) schlechter geworden waren und er seit einiger Zeit heimlich Kontaktlinsen trug, denn ein durch und durch perfekter Homo Novus könnte ja wohl schlecht in der Öffentlichkeit mit einer Brille herumlaufen) und fingen an, sich im Gewühl des Hypertextes zu verlieren. Wobei natürlich nur Amy sich verlor, Sheldon wusste noch ganz genau, wann und in welcher Reihenfolge sie die einzelnen Seiten angeklickt hatten.

Sie fanden heraus, dass die Romantik eine kulturgeschichtliche Epoche in Europa war, die sich vom späten 18. bis weit ins 19. Jahrhundert zog, in der Liebe und Sehnsucht eine zentrale Rolle gespielt hatten und in der alle Grenzen gesprengt und althergebrachte Regeln gebrochen werden sollten. Vermutlich hatte der Begriff „romantisch" also hier seinen Ursprung, auch wenn sie keine genaue Definition dessen erlangen konnten, was man heutzutage unter „Romantik" verstehen würde, wenn man denn nicht von der Epoche sprach.

Aber es gab ja noch so viele weitere interessante Informationen! Oh, ewiger Dank dem Erfinder des Hypertextes! Neben dem in der Romantik beliebten Konzept der Universalpoesie (Amy fand es toll, Sheldon bescheuert), den in dieser Zeit entstandenen Schauergeschichten und der Abgrenzung zwischen den Epochen der Klassik und der Romantik fanden sie auch das Symbol der blauen Blume interessant.

Wobei es Sheldon eher ziemlich irritierte. Wenn die blaue Blume das Symbol der Romantik war, wieso galten dann heutzutage rote Rosen als die Blumen der Liebe? Amy meinte, dass das sicherlich an den Stacheln läge (ja, Rosen hatten botanisch gesehen Stacheln und keine Dornen, hatte sie, schließlich ausgewiesene Expertin auf den Gebieten der Biologie und der romantischen Klischees, erklärend hinzugefügt). Rote Rosen wären zwar (zumindest nach allgemeinem Dafürhalten und wenn man grundsätzlich Blumen mochte) wunderschön, könnten aber aufgrund ihrer Stacheln auch große Schmerzen zufügen, genauso wie die Liebe.

Sheldon hatte schlucken müssen, denn die Zeit, in der er von Amy getrennt war, stand ihm noch deutlich vor Augen. In der Tat, Liebe, bzw. ihre Abwesenheit, konnte wirklich schmerzen! Und nicht nur seelisch, nein, und das hatte er zuerst gar nicht glauben wollen, denn er hatte es immer für eine Metapher gehalten, sogar körperlich. So ein eindringlicher, kaum eindeutig zu lokalisierender Schmerz im Bauchraum war das gewesen. War es das Herz? Oder der Magen? Gab es da irgendein hormonproduzierendes Organ, was dieses Gefühl hervorrief? Google-Recherchen und das Studieren von Anatomie-Plakaten hatten ihm nicht weitergeholfen (wie frustrierend, etwas nicht mit wissenschaftlichen Methoden begreifen zu können!), aber letztlich hatte die Frage an Brisanz verloren, da Amy und er jetzt wieder zusammen waren und hoffentlich nie wieder getrennt sein würden.

Er hatte ihre Hand genommen, sie gedrückt und ihr einen Kuss auf die Wange gegeben. „Du bist wirklich klüger als ich dachte. Ich meine… NOCH klüger! Aber im Lichte dieser neuen Information scheint es mir völlig paradox, dass man in Blumenläden fast nur Rosen ohne Stacheln kaufen kann, wenn diese doch genauso wichtig sind wie die Blüten, um das zweischneidige Schwert der Liebe zu symbolisieren. Ich finde, wir sollten zukünftig aus den beiden soeben genannten Gründen die roten Rosen vergessen und stattdessen-" er hatte eine kurze Google-Suche gestartet „-die blaue Kugeldistel, Echinops Ritro, zur Blume unserer Wahl für romantische Anlässe erklären. Sie hat fiese Stacheln, ach nein, Entschuldigung, ich sehe gerade, es sind Dornen, und die richtige Farbe. Falls dir die Blüten zu klein sind, würde ich mich alternativ auch noch auf die wesentlich größeren Artischockenblüten einlassen, die würde ich allerdings auch eher schon wieder als violett definieren."

Amy lächelte selig. Die strenge Logik, mit der Sheldon die Welt betrachtete, war einfach so… sexy! Sie konnte wahrlich nicht genug bekommen von diesem Mann. Und sie liebte ihn so sehr!
„Apropos definieren. Jetzt haben wir uns seit Stunden auf Wikipedia herumgetrieben und immer noch keine Definition von Romantik gefunden. Ich würde deshalb Folgendes vorschlagen: vielleicht ist es ja auch einfach romantisch, wenn man mit einem geliebten Menschen einen Moment der geistigen Intimität erlebt. Wenn es einen Augenblick gibt, in dem man weiß, der andere denkt und fühlt gerade genau so wie ich. Wenn wir dies als Romantik definieren, dann haben wir, glaube ich, gerade einen sehr romantischen Abend erlebt."

Sheldon sah sie für einen Moment nachdenklich an. „Ja, das glaube ich auch," sagte er dann lächelnd. Amy sah ihm in die Augen. „Sheldon, wo wir uns ja nun so ausführlich mit dem Thema der Romantik befasst haben. Willst du nicht die Chance nutzen und… mich etwas... Romantisches fragen?" Sie sah ihn hoffend an. Sheldon zögerte kurz. Er wusste nicht ganz, was sie meinte. Dann erhellte sich seine Miene. „Amy, willst du heute Nacht vielleicht bei mir schlafen? Mit allen Konsequenzen, die das nach sich ziehen kann?" Er zwinkerte verschwörerisch mit den Augen. Amy lächelte nachsichtig. „Sehr gerne Sheldon, aber ich meinte eigentlich eine andere Frage." „Was denn?" Er runzelte die Stirn. „Soll ich dich fragen, ob du noch einen Tee möchtest?"

„Nein, das auch nicht." Amy seufzte innerlich. Mit dem Zaunpfahl zu winken war anscheinend in dieser speziellen Situation nicht genug, eher musste sie Sheldon damit wohl einen ziemlich großen Schubs verpassen. Schließlich war es doch manchmal auch romantisch, auf Konventionen zu pfeifen und alle Regeln zu brechen, oder? Amy nahm Sheldons Hände in ihre, bereitete sich innerlich auf eine der wichtigsten Fragen vor, die sie je jemandem stellen würde und fragte schließlich mich leicht zitternder Stimme „Sheldon Lee Cooper, willst du mich heute Abend bitten, deine Frau zu werden?". Dann biss sie sich etwas verlegen und unsicher auf die Lippe. War sie vielleicht zu forsch gewesen? Sheldon war schließlich ein traditioneller texanischer Gentleman – oder hielt sich zumindest dafür.

Augenblicklich fingen in Sheldons Kopf die Gedanken und Gefühle an, durcheinander zu wirbeln. Zuerst war er irritiert. Solch eine Frage hatte er ja noch nie gehört. Hatten sich die sozialen Konventionen für einen Heiratsantrag denn in den letzten Monaten grundlegend geändert, ohne dass er etwas davon mitbekommen hätte? Unwahrscheinlich, Penny hätte ihn sicherlich unverzüglich darüber in Kenntnis gesetzt. Warum hatte Amy ihn dann gefragt? Ok, Logisch vorgehen, was war hier gerade passiert? Sie hatten sich über die Romantik informiert. Schauergeschichten, blaue Blumen, Liebe, dieser Unsinn mit der Universalpoesie, Grenzen überschreiten, Regeln brechen... ja, Amy hatte eindeutig eine Regel gebrochen! Hielt sie das etwa für romantisch? Na gut, laut Wikipedia war das ein Kennzeichen der Romantik. Aber hatte sie ihn nur gefragt, weil sie etwas Romantisches tun wollte? Nein, es musste, das wurde ihm schlagartig klar, wohl hauptsächlich daran liegen, dass er sie schon seit Monaten hatte warten lassen. Ach Cooper, du bist auch einfach ein Idiot (wenn auch ein brillanter)!

„Ja, das will ich!" Sheldon beugte sich vor, küsste Amy auf die Stirn, flüsterte, „Danke, Amy" und ging zu seinem Schreibtisch. Er kehrte mit der Ringschachtel in seiner Hand zurück zu Amy, kniete sich vor ihr auf den Boden und sagte verlegen „Ich habe noch gar keine Rede vorbereitet. Ich weiß auch nicht, ob ich überhaupt jemals die passenden Worte finden würde, obwohl wir beide ja wissen, dass ich sehr wortgewandt bin, aber das ist alles auch neu für mich (wäre ja auch noch schöner, wenn es nicht neu für mich gewesen wäre, dachte er sich dann, ein Heiratsantrag im Leben reicht ja wohl) - Also Amy, dann frage ich dich jetzt einfach gerade heraus: willst du meine -"

Amy, hatte es nicht mehr ausgehalten. Sie hatte den Ring aus der Schachtel genommen, auf ihren Finger gesetzt und war nun dabei, Sheldon leidenschaftlich zu küssen. „Sheldon, wie lange habe ich darauf gewartet, dass du mir diese Frage stellst!" Sheldon jedoch konnte diese erneute Verletzung des Protokolls nicht dulden- Romantik hin oder her. Er selbst sah sich ja auch eher als einen Verfechter der Klassik. Ein Klassiker sozusagen. „Amy! Erstens habe ich meine Frage noch gar nicht zu Ende gestellt, und du weißt, wie wichtig es mir ist, Dinge zu beenden, zweitens benötige ich eine verbale Bestätigung von dir (das Thema hatten wir doch beim Koitus schon mal!) und drittens muss ich dir den Ring auf den Finger schieben! Tz!"
Er schüttelte den Kopf, zog den Ring von ihrem Finger, steckte ihn wieder in die Schachtel, sah Amy in die verdrehten Augen und und fragte „Amy Farrah Fowler, ungeduldigste und gleichzeitig geduldigste Person, die ich kenne, und mit hundertprozentiger Sicherheit einzige Liebe meines Lebens. Würdest du mir die Ehre erweisen und mich heiraten?"

So, das war die erste von insgesamt 7 Heiratsantrag-Geschichten, die ich im letzten Jahr geschrieben habe :-). Ok, es gab noch zwei weitere (das Antrags-Dilemma und die 3-Nächte-Erkenntnis), aber die hatte ich ja hier bereits schon veröffentlicht. Die anderen Geschichten werde ich dann sukzessive in den nächsten Tagen als weitere Kapitel einstellen. Vielleicht findet ihr darunter ja einen Favoriten?

Wie hat euch denn eigentlich der "richtige Antrag" von Sheldon gefallen? Ich für meinen Teil war etwas enttäuscht. Die ganze Ramona-Sache fand ich blöd und ich hatte mir auch irgendwie etwas "Verrückteres" erhofft als einen traditionellen Kniefall mit Ring in der Schachtel. Aber ich fand es romantisch, dass er für Amy durch's ganze Land geflogen ist. Und letztendlich zählt ja auch nur das Ergebnis, also dass Amy hoffentlich "Ja" sagt ;-)