The whirlpool of my sin"

von Michelle Mercy

Sequel zu „Slave of the law" und „A ship across the sea", Javert, Valjean und Cosette kehren 1831 nach Frankreich zurück und damit zu neuen Gefahren.

Slash, Javert/Valjean, M-Rated, AU

I.

„Jetzt ist es passiert", sagte Javert und blickte von der Zeitung auf.

Valjean, welcher gerade am Herd stand und damit beschäftigt war, die Dinge zuzubereiten, bei denen die Engländer aus unerfindlichen Gründen darauf bestanden, sie Frühstück zu nennen, und für die Cosette unbegreiflicherweise eine Vorliebe entwickelt hatte, wandte sich um. „Was ist passiert?"

„Der König hat abgedankt." Javert wirkte, als beträfe ihn dies persönlich. „Man hat ihn gezwungen."

Beiden Männern war klar, daß die Rede vom französischen König war. Die Abdankung eines englischen Königs hätte sie, selbst nach den sechs Jahren, die sie jetzt schon in London lebten, nicht so betroffen. „Und wodurch ersetzen sie ihn?" wollte Valjean wissen. „Wieder ein paar Jakobiner, ein Direktorium, ein Kaiser?"

„Überraschenderweise wieder ein König. Ein Orleans, er nennt sich Louis-Philippe."

„Kann ja nur besser werden." Valjean drehte sich wieder zum Herd um und wendete den Speck in der Pfanne.

„Ich mag keine Revolutionen", murmelte Javert. „Aber die hier könnte tatsächlich etwas ändern. Wer unter Louis XVIII. oder Charles X. das Land verlassen mußte, wird amnestiert."

„Da werden wohl ein paar Leute zurückkommen."

„Das heißt, ich bin kein Straftäter mehr." Javert faltete die Zeitung zusammen. „Also in Frankreich."

Valjean hatte inzwischen den Inhalt der Pfanne auf zwei Teller verteilt – Javert bevorzugte noch immer ein französisches Frühstück – brachte diese zum Tisch herüber und drückte bei dieser Gelegenheit Javert einen Kuß auf die Stirn. „In England bist du mein Straftäter."

„Du hast auch schon mal bessere Komplimente gemacht." Javert verzog sein Gesicht zu einem schiefen Grinsen. „Nein, was ich meine... Wir könnten zurück."

„Im Gegensatz zu dir bin ich in Frankreich noch immer ein gesuchter Mann." Valjean nahm am Tisch Platz.

„Aber ich denke, außer mir wäre niemand hinter dir her. Du hast einen anderen Namen, du führst ein untadeliges Leben..."

Valjean hatte es immer gespürt, daß dieses Leben, das sie führten, für Javert schwierig war. Sie lebten von Valjeans Vermögen, sie wohnten über einer Schule, die arme Kinder unterrichtete, Javert hatte zwar eine bestimmte Reputation als inoffizieller Berater der im vergangenen Jahr gegründeten Metropolitan Police, aber er war in finanzieller Hinsicht abhängig von Valjean. Und Javert war sich nur zu bewußt, daß er in England jedes Mal, wenn er in Valjeans Armen lag, eine Straftat beging. Er hatte die Entscheidung getroffen, daß es ihm wichtiger war, daß sie einander berührten, als daß er straffrei blieb, aber das hieß nicht, daß es einfach war. Ein Diener des Gesetzes konnte seiner Gottheit nicht einfach seine Sünden beichten, ohne der Sicherheit ins Auge zu blicken, verhaftet zu werden. „Du möchtest gerne zurück, nicht wahr?"

Javert erwiderte Valjeans Blick. Er wußte, daß letzterer sich in England arrangiert hatte, wie sich Valjean immer und überall arrangieren würde. Die Vorstellung, daß Vajean jemals irgendwohin kommen würde und wenig später nicht alles so organisiert hatte, daß das Überleben sichergestellt war, konnte man nur als absurd ansehen. Valjean konnte überall leben und glücklich sein, das war keine Frage eines bestimmten Ortes, sondern der ihn umgebenden Menschen. „Ja", sagte Javert langsam, „ich möchte zurück, aber nur mit dir und Cosette zusammen. Nicht allein."

Valjean nickte. Er mußte über Javerts Wunsch nachdenken. Er mußte entscheiden, ob er wieder ein gesuchter flüchtiger Straftäter werden konnte, um Javert aus seinem Konflikt zwischen Liebe und Gesetz zu befreien. Aber diese Entscheidung konnte er nicht sofort treffen, daher wechselte er das Thema. „Apropos Cosette, wo ist sie eigentlich? Sie wird doch das Frühstück nicht verpassen wollen."

Wie auf das Stichwort betrat Cosette den Raum, allerdings nicht von ihrem Zimmer aus, sondern von unten. Sie war jetzt fünfzehn Jahre alt, und es gab wenig Spuren von dem kleinen, abgemagerten, mißhandelten Kind, das sich mit einem Eimer abschleppte, den sie durch einen dunklen Wald zerrte. Aus ihr war ein schlankes, junges Mädchen mit ebenmäßigen Gesichtszügen und weichem, glänzenden Haar geworden. Nur ihre Augen waren nach wie vor groß, doch jetzt lag keine Angst mehr darin, sondern Neugier und Intelligenz. „Entschuldigt, ich habe ein wenig die Zeit vergessen. Ich mußte etwas an die Luft..."

„So früh?" Javert gefiel der Gedanke gar nicht, daß das Mädchen allein durch die Straßen lief. Sie war kein Kind mehr, was konnte da alles geschehen! Vielleicht war das ein Grund mehr für eine Rückkehr nach Frankreich, wenn Cosette nicht mehr durch Straßen ihrer Kindheit streifen konnte.

„Ja, ich wollte sehen, wie die Stadt erwacht", Cosette nahm Platz und bediente sich an dem Frühstück, „ich mußte es fühlen."

„Aha", machte Javert verständnislos. Manchmal fand er es schwierig zu verstehen, wovon Cosette den ganzen Tag sprach.

„Cosette, du weißt, daß du nicht einfach ausgehen sollst, ohne Bescheid zu sagen." Valjeans Stimme klang nur ein wenig vorwurfsvoll. „Du bist eine junge Dame, du mußt auf deinen Ruf achten."

Cosette verdrehte die Augen. „Jetzt klingst du wie Isobel, Papa. Wen sollte schon mein Ruf kümmern?"

Es stimmte, Cosette hatte wenig Kontakt außerhalb der Wohnung und der Schule. Und bei dem wenig durchlässigen Klassensystem Englands war es auch eher unwahrscheinlich, daß sie jemanden treffen würde, den es interessierte, wie sie sich benahm. Trotzdem, ein guter Ruf war wichtig, wenn Cosette eines Tages vielleicht heiraten wollte. So in ungefähr zwanzig Jahren, fügte Valjean hinzu, denn die Vorstellung, daß sie in absehbarer Zeit den Haushalt endgültig verlassen mochte, was kaum zu ertragen.

„Wir haben gerade darüber gesprochen, ob wir vielleicht nach Frankreich urückgehen wollen", sagte Javert.

Valjean warf ihm einen irritierten Blick zu und wollte etwas sagen, aber besann sich dann eines Besseren. Er war eigentlich wenig erfreut, daß Javert das Thema ansprach, ohne daß er selbst zu einer Entscheidung gekommen war. Doch er sah ein, daß Javert recht hatte. Cosette war nicht mehr acht Jahre alt, so daß sie kommentarlos von einem Land in ein anderes gebracht werden konnte. Sie hatte ein Recht auf eine eigene Meinung.

„Wohin würden wir gehen?" erkundigte sich Cosette. „In das Städtchen, wo wir Weihnachten gefeiert haben?"

„Mit Sicherheit nicht", antwortete Valjean viel zu schnell. Allein die Vorstellung, daß Javert und er in Montreuil schon beim Verlassen der Kutsche erkannt werden würden, schloß diese Möglichkeit aus.

„Nein", erwiderte Javert ruhiger. „Eher eine Großstadt, möglicherweise Paris."

Cosettes Augen begannen zu leichten. „Paris", flüsterte sie. „Das klingt wunderbar und aufregend."

Valjean wußte, wenn er so gut wie verloren hatte. Wenn die beiden wichtigsten Menschen in seinem Leben nach Frankreich wollten, konnte er wenig entgegensetzen.

XXX

„Es ist dir wirklich ernst mit Frankreich, nicht wahr?" fragte Valjean am gleichen Abend. Er war dabei, sich auszukleiden, während Javert auf dem Bett lag und konzentriert einen Bericht las, auf welchen ihn Inspector Finch von der vor kurzen gegründeten Metropolitan Police gebeten hatte, einen Blick zu werfen. Hätte Javert soetwas wie einen Freund oder ein Protegé gehabt, wäre Finch dies wohl gewesen.

„Ja, das ist es." Javert ließ den Bericht sinken. „Vielleicht besteht ja sogar die Möglichkeit, daß ich etwas vergleichbares tun kann, was ich hier mache. Übersetzen, beraten."

„Vielleicht." Valjean hielt im Knöpfen seines Hemdes inne. „Vielleicht aber auch nicht. Ich würde ungern alle Zelte hier abbrechen für den Fall, daß Frankreich uns nicht willkommen heißt."

„Was genau heißt das?"

„Wenn ich entdeckt werde und wieder fliehen müßte, dann möchte ich einen Ort haben, an dem ich mich wohlfühle. Ich kann nicht noch einmal vollkommen neu anfangen. Ich werde nicht jünger."

Javert setzte sich auf. „Du bist also einverstanden, daß wir zurück gehen?"

Valjean nickte etwas zögerlich und noch immer nicht vollkommen überzeugt. „Ich habe heute mit Isobel gesprochen. Sie wird die Schule weiterführen und nach der Wohnung sehen. Wir könnten jederzeit hierher zurück, wenn es schiefgehen sollte." Er wiederholte nicht, was Isobel Finch, geborene Gardiner, weiter gesagt hatte, nämlich daß sie erleichtert wäre, wenn die beiden Männer das Land verließen, in dem ihre Gefühle strafbar waren. Sie hatte bereits deswegen ihren Bruder und mittelbar auch ihre Eltern verloren; es war nicht ihr Wunsch, daß dies auch noch ihren väterlichen Freunden passieren würde. Ihr Mann ignorierte das, was er von der Beziehung der beiden Männer mitbekommen mochte, doch ihr selbst würde, so gerne sie auch Cosette und deren Väter um sich hatte, wohler, wenn sie sie in Sicherheit wüßte.

„Wenn es nicht geht, dann kommen wir zurück hierher", bestätigte Javert. Er verstand, daß Valjean einen Fluchtplan brauchte. Es gehörte zu seiner Natur, einen Fluchtplan zu haben.

„Und ich würde es vorziehen, daß wir den Umzug von einem Land in ein anderes diesmal mehr vorbereiten, nachdem unser letzter Aufbruch etwas... improvisiert war."

Javerts Lippen verzogen sich zu einem schiefen Lächeln. Nicht einmal vierundzwanzig Stunden gehabt zu haben, einen Sträfling und ein Waisenkind in Frankreich verschwinden und einen wohlhabenden Philantropen und seine Tochter in England auftauchen zu lassen, war alles andere als einfach gewesen. Ganz zu schweigen von dem Umstand, daß er selbst innerhalb von weniger als einer Stunde alle Brücken seines Lebens abgebrochen hatte, um besagten Sträfling und das Waisenkind nach England zu begleiten.

„Ich werden ein Haus mieten von hier aus", überlegte Valjean weiter. „Und vielleicht eine Wohnung."

„Ein Haus und eine Wohnung?" Javert wurde etwas schwindelig. Auch nach inzwischen fast sieben Jahren machte ihn der Umstand, daß er mit einem überaus reichen Mann Tisch und Bett teilte, ein wenig unsicher. „Ist das nicht etwas dekadent?"

„Nein, ledigich eine Vorsichtsmaßnahme. Ich möchte mich notfalls verstecken können, falls es im Falle einer Entdeckung nicht sofort gelingen sollte, Frankreich zu verlassen."

Javert erhob sich vom Bett und ging hinüber zu Valjean. „Ich weiß, was ich dir zumute", sagte er leise, denn auf einmal war er nicht sicher, ob das, was er von Valjean verlangte, nicht zuviel war für diesen. „Und ich weiß es zu schätzen, was du tust. Aber du mußt mir versprechen, daß du mit mir sprichst, wenn du es nicht mehr erträgst."

„Ich verspreche es", antwortete Valjean, während er Javerts Haare aus dem Zopf befreite und ihn gleichzeitig anlächelte.