Ich bin von Anfang an begeistert in J. K. Rowlings Zauberwelt eingetaucht. Im letzten Band hatte mich jedoch enttäuscht, wie abrupt plötzlich einige Charaktere über die Klinge springen mussten, die jahrelang als besonders interessante Persönlichkeiten aufgebaut wurden. Das Gefühl, dass noch einiges fehlt, bin ich seither nicht losgeworden, zumal die Bücher ja aus Harrys Sicht geschrieben wurden. Es reizte mich daher sehr, auch mal den Blickwinkel und die Motivation anderer Charaktere näher zu ergründen und ein wenig damit zu jonglieren.
ACHTUNG SPOILER BAND 1 - 7!
Das Urheberrecht aller ausgeliehenen Charaktere liegt bei J. K. Rowling.
Viel Freude beim Lesen!
Kapitel 1 – Rückblick eines Einsiedlers
Er saß in seinem Kräutergarten vor einem winzigen Häuschen. Jeder Spaziergänger, der sich in diese abgelegene Gegend verirrt hätte, wäre erstaunt gewesen, dass ein derart raues Klima ein solch duftendes Farbenmeer hervorbringen konnte.
Aber seit vielen Jahren war immer nur eine einzige Besucherin den Weg zu seinem Haus gegangen. Für alle anderen blieb es unsichtbar und er hatte großes Interesse daran, dass es auch erst einmal so blieb.
Die Sonne sendete ihre warmen Strahlen auf seinen Rücken und das muntere Gezwitscher der Vögel mischte sich in das sanfte Rauschen der Bäume. Der Wind fuhr durch seine dunklen, von vielen Silberfäden durchzogenen Haare.
Er schloss die Augen. Seine Gedanken schweiften in die Vergangenheit zurück und blieben an jenem denkwürdigen Tag vor 19 Jahren hängen, an dem Voldemort besiegt wurde:
Seit diesem Tag galt er als verschollen oder als tot – da gingen die Meinungen in der Zaubererwelt immer noch weit auseinander. Alljährlich, wenn der Jahrestag des Sieges über Voldemort sich näherte, wurden die Spekulationen im Tagespropheten wieder aufgenommen.
Harry Potter hatte ihn sterben sehen, aber seine sterblichen Überreste konnten nie geborgen werden. Irgendwann las er, dass die Heulende Hütte abgebrannt war und der Wald in unglaublicher Geschwindigkeit das gesamte Territorium zurückerobert hatte.
An jedem Jahrestag der großen Schlacht blühten seitdem für exakt 7 Tage in einem großen Kreis um das ehemalige Gelände der Hütte herum zahllose Blumen in allen Farbschattierungen. Auch darüber wurde viel spekuliert, aber bis zum heutigen Tag blieb das Rätsel ungelöst.
Er hatte damals befürchtet, dass Voldemort ihn ermorden wollte, um in den Besitz des Zauberstabes zu gelangen und war mit äußerster Wachsamkeit zum Treffen in der Heulenden Hütte gegangen. Da Nagini häufig zur Bestrafung eingesetzt wurde, war er auch auf einen eventuellen Angriff durch die Schlange vorbereitet gewesen.
Dieser Angriff war allerdings noch schneller erfolgt als angenommen. So hatte das vor dem Treffen eingenommene Gegengift erst in nahezu letzter Sekunde seine Wirkung entfaltet.
Er war in Panik verfallen, als er merkte, wie schnell ihn seine Kräfte verließen. Auch wenn ihm der Tod seit Lilys Ermordung immer sehr verlockend erschienen war, wollte er nicht in dem Wissen sterben, dass Voldemort ihn überlebte.
Als dann plötzlich Lilys Sohn in der Heulenden Hütte auftauchte, hatte er keine Kraft mehr gehabt, ihn nach Dumbledores Willen komplett einzuweihen.
Seine Erinnerungen waren die letzte Chance gewesen, Harry Potter auf das Kommende vorzubereiten. Er hatte dem Jungen aus einem plötzlichen Impuls heraus mehr Einblicke in sein Leben überlassen, als notwendig gewesen wären. Lilys Augen waren das letzte, an das er sich erinnerte, bevor Harry und Lily zu einem großen grünen See verschmolzen, in den er eintauchte - immer tiefer und tiefer, bis ihn Finsternis umgab.
Als er diese tiefe Dunkelheit wieder verließ, waren die grünen Augen verschwunden. Stattdessen saß eine dunkel verhüllte Gestalt vor ihm und schaute ihn besorgt an. Er blinzelte und in dem Moment vernahm er die freudig geflüsterten Worte: „Ich hatte schon befürchtet, du wachst nicht mehr auf, Severus."
Severus Snape hatte Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Langsam konnte er die Person neben sich zuordnen.
„Minerva?!" Sein Blick schweifte durch den Raum. „Wo bin ich?"
„Du bist in einer Hütte im Verbotenen Wald", entgegnete die Hauslehrerin der Gryffindors.
Snape sah sie fragend an.
„Harry Potter hat deine Erinnerungen angeschaut und während des Kampfes Voldemort die Wahrheit ins Gesicht geschleudert. Es klang für uns alle erst unbegreiflich, was er sagte, aber ich bin sofort zu Albus Porträt gelaufen.
Albus bestätigte alles und mahnte mich zur Eile, da du noch leben und in der Heulenden Hütte mit dem Tod ringen würdest. Woher er so schnell diese Information hatte, war mir zwar unklar, aber ich fand dich tatsächlich lebend, wenn auch bewusstlos vor und habe dich hierher gebracht.
Sie seufzte. „Als meine Heilzauber nicht halfen, fürchtete ich, wir hätten dich doch verloren, aber seit etwa einer Stunde scheint es dir besser zu gehen. Ich hoffe, dass du bald wieder auf den Beinen bist. Mein Gott, Severus, wenn ich das alles doch vorher gewusst hätte!" Ihr Gesicht verdüsterte sich.
Snape erstarrte und hatte Mühe, seine nächsten Gedanken zu artikulieren: „Der dunkle Lord…?", brachte er mühsam hervor, „…und - Potter?"
Minerva lächelte. „Voldemort ist besiegt, Severus." Sie berichtete und wurde ab und zu von Snapes erregten Zwischenfragen unterbrochen.
Als Minerva schließlich schwieg, entspannten sich seine Züge. Erschöpft ließ er sich auf die Matratze zurückfallen, auf die ihn Minerva anscheinend gelegt hatte.
„Endlich." In diesem Wort lag unendliche Erleichterung, aber vor allem die Erschöpfung vieler Jahre. Endlich. Endlich konnte er sein verzehrendes Doppelleben, all die Lügen und Verstellungen hinter sich lassen. Endlich musste er auf niemanden mehr Rücksicht nehmen.
Sein Lebensziel war dieser Sieg gewesen, darauf hatte er all seine Kraft konzentriert, dafür alles ertragen. Doch schon einen Moment später wurde ihm bewusst, dass es ein eventuelles Danach in seiner Vorstellung nie gegeben hatte.
Ihn schauderte. Hatte er unbewusst immer damit gerechnet, dies nicht mehr zu erleben? Was sollte er jetzt tun? Eine erschreckende Perspektivlosigkeit ergriff plötzlich Besitz von ihm und er fühlte sich wie gelähmt.
McGonagalls Stimme drang zu ihm durch: „… all die Jahre dein Leben zurückgestellt, um für Dumbledore zu arbeiten, Severus. Deine Tätigkeit für den Orden hat entscheidenden Anteil daran gehabt, dass Voldemort besiegt werden konnte. Du hast Harry Potter beschützt und deinen Eid erfüllt, auch wenn die Umstände es dir noch schwerer gemacht haben. Ich kann nur erahnen, welche körperlichen, aber vor allem seelischen Qualen du in den vergangenen Jahren erduldet hast."
Sie zögerte. „Ich ahne auch, welche Gedanken jetzt in dir sind, Severus."
Snape sah sie fassungslos an.
„Oh ja", fuhr sie mit einem Seitenblick auf Snape fort, „ich kann nachvollziehen, dass dich nur der Gedanke, Voldemort endgültig zu besiegen, über all die Jahre hinweg zum Durchhalten und Leben motivierte."
Snape entgegnete beißend: „Ach ja? Was verschafft dir denn die tiefen Einblicke in meine Persönlichkeit, Minerva? Noch vor wenigen Tagen hast du mich als Verräter und Dumbledores Mörder angesehen und ein paar Erinnerungen bewirken dann mit einem Schlag, dass du mich … verstehst?"
McGonagall Mundwinkel zuckten. Es schien ihm wieder besser zu gehen.
„Auch wenn ich dein schroffes Verhalten in Hogwarts nicht immer nachvollziehen, geschweige denn, verstehen konnte, so ist es doch seit vielen Jahren offensichtlich, dass du nicht sonderlich am Leben hängst, selbst bei positivsten Dingen immer das Haar in der Suppe suchst und dein Gemüt zeitweise in tiefster Schwärze versinkt", provozierte sie ihn.
Snape fuhr auf und fiel mit einem schmerzverzerrten Gesicht wieder auf seine Matratze zurück. Er schien eine heftige Entgegnung mühsam herunterzuschlucken.
„Mir sind die Ursachen dafür natürlich bewusst, zumindest teilweise", fuhr sie leise fort.
Er beruhigte sich und seufzte: „Du hast recht, Minerva."
Sie blickte ihn erstaunt an. Das gab er unumwunden zu?
„Ich bin froh, dass es mir noch vergönnt ist, von Voldemorts Tod zu erfahren. Nur das hat mich in den vergangenen Jahren durchhalten lassen, wie du richtig erkannt hast. Aber nun ist meine Aufgabe erfüllt und ich sehe keine Perspektive, Minerva."
„Du wirst weitere Aufgaben für dich finden, Severus", entgegnete Minerva ernst.
„Welche Zukunft gibt es denn für mich?" Er merkte mit Schrecken, dass ihm fast die Stimme versagte. „Du siehst, was aus mir geworden ist. Ich habe viel Schuld auf mich geladen. Es macht für mich auch kaum einen Unterschied, dass das Meiste davon auf Dumbledores Geheiß geschehen ist und höheren Zielen diente."
Nach einem Moment fuhr Snape in bitterem Ton fort: „Du weißt genau, dass ich als Lehrer ungeeignet bin und immer war! Ich möchte keinen Tag länger vor einer Klasse stehen! Ich kann und will nicht über meinen Schatten springen! In Hogwarts gibt es für mich keine Zukunft und ich könnte es jetzt nicht ertragen, dorthin zurückzukehren!!"
Minerva schwieg. Albus hatte recht gehabt. Er hatte sie gewarnt, dass sie von Severus Seite mit einer solchen Reaktion rechnen müsste.
„Albus hat mich beauftragt, dir eine Botschaft von ihm zu übermitteln."
Alle ausgeliehenen Charaktere gehören J. K. Rowling. Ich schreibe allein aus Freude und es sind keine finanziellen Vorteile damit verbunden.
