Fandom:
Gilmore Girls
Titel:
Kaffeetage
Autor:
ZoeP
Homepage: www.seshaty.de
Rating:
PG
Categories:
Hu, R
Inhalt:
Kaffeeentzug und Koffeinüberschuss – keine gute Mischung,
wenn's ums Lernen geht. Doch dann bekommt Lorelai ein verlockendes
Angebot...
Spoiler:
spielt mitten in Staffel 2, keine Spoiler
Disclaimer:
Die Charaktere von GG gehören definitiv nicht mir, ich verdiene
mit dieser Story keinen Cent (Und keinen Dollar und gar nix) und auch
habe auch nicht die Absicht, irgendwelche Rechte zu verletzen.
Anmerkung:
Samstagabende verursachen manchmal seltsame Dinge. Unter anderem
treiben sie einen an den PC und lösen Schreibwut aus. Und dies
ist das Ergebnis meiner leicht übermüdeten,
überkoffeinierten Phase (bei mir war's der Schwarztee) – ist
mein erstes Werk im Fandom Gilmore Girls, also seid gnädig mit
mir. Ich oute mich hiermit als Luke/Lorelai-Shipper.
Kaffeetage - Teil 1
"Bitte!" Ihr Blick ruhte flehend auf ihm.
"Nein."
"Wieso nicht?"
"Weil du in der letzten halben Stunde bereits fünf Tassen Kaffee hattest. Du bestehst doch nur noch aus Koffein." Luke fuhr mit einem Lappen über die Theke. Draußen war es schon lange dunkel und er hatte vor über zwei Stunden schließen wollen, doch Lorelai saß noch immer an ihrem Tisch und brütete über verschiedenen Büchern und Aufzeichnungen.
"Kassenabrechnungssysteme."
"Was?" Luke hielt mitten in der Bewegung inne und überlegte für einen Moment, ob Koffein auf Gehirnzellen dieselbe Wirkung wie Alkohol haben könnte.
"Ich bestehe aus Koffein und Kassenabrechnungssystemen." Sie tippte mit einem Stift auf eines der Bücher und seufzte. "Ich muss noch über fünfzig Seiten lesen. Allerdings glaube ich, dass ich nach zwei Seiten einschlafen werde, weil die Kassenabrechnungssystem-Teufelchen die Koffein-Engelchen angreifen und vernichtend schlagen werden. Und wie du vielleicht weißt, sind Kassenabrechnungs-Teufelchen dafür bekannt, unschuldige Abendschulstudentinnen qualvoll in den Schlaf zu zwingen, weil sie..."
"Okay okay, du kriegst deinen Kaffee." Luke hob abwehrend die Hände und griff nach der Kanne.
"Was würde ich nur ohne dich machen."
"Zu Hause lernen?", schlug Luke vor.
"Ach." Lorelai winkte ab. "Rory übernachtet bei Lane. Und wenn ich alleine bin, laufe ich Gefahr, mich... abzulenken." Sie grinste kurz.
"Aha."
"Du weißt schon. Da liegt dann irgendwo das neuste Klatschblatt rum und da steht auch noch drin, wieso man keinen grünen Nagellack verwenden sollte und ob Brad Pitt tatsächlich fremdgegangen ist."
"Weil er schrecklich aussieht."
"Wer, Brad Pitt?"
"Nein, der Nagellack."
"Siehst du, und dann vergesse ich... das hier." Sie machte eine ausschweifende Geste über den Tisch und rümpfte die Nase.
"Wofür lernst du das alles eigentlich? Habt ihr morgen wieder so'n Test?" Luke zog sich einen Stuhl ran und setzte sich rittlings darauf.
"Nein." Ein erneutes Seufzen. "Aber nächste Woche findet eine freiwillige Prüfung statt."
Luke gab ein seltsames Grunzen von sich.
Lorelai sah ihn fragend an. "Was?"
Er grinste. "Ich habe dich noch nie die Worte 'Freiwillig' und 'Prüfung' in einem Satz sagen hören."
Sie warf ihm einen beleidigten Blick zu. "Vielleicht sollte ich wirklich nach Hause gehen." Eine Weile herrschte Stille, dann schob sie geräuschvoll ihren Stuhl zurück und begann, ihre Bücher zusammenzuräumen. Auch Luke stand auf.
"Ich hab' einen besseren Vorschlag: Reduzier deinen Koffeinkonsum. Sechs Tassen in dreißig Minuten. In wie viel Minuten du eine Tasse leer bekommst, kannst du dir hoffentlich noch selbst ausrechnen. Außerdem bist du unausstehlich, wenn du zu viel Kaffee getrunken hast."
"Du solltest mich erst mal erleben, wenn ich keinen getrunken habe." Sie schwang ihre Tasche über die Schulter und warf ihm ein süffisantes Grinsen zu. Nachdem sie zwei Schritte auf die Tür zugegangen war, blickte sie zu ihrem Tisch, kam zurück und trank demonstrativ den letzten Schluck Kaffee aus.
Luke schüttelte grinsend den Kopf und warf einen Blick auf die Uhr. Kurz nach eins.
"Bis Morgen", meinte Lorelai lächelnd.
"Ich schmeiß schon mal die Kaffeemaschine an."
"Gute Idee." Als sie bereits im Türrahmen stand, drehte sie sich noch einmal um. "Danke, Luke."
Er nickte nur.
-----------------------------
"Wow!" Lorelai zuckte erschrocken zusammen, als die Tür von Luke's ins Schloss fiel und Rory sich gutgelaunt neben sie setzte.
"Morgen, Mom. Und, wie war deine Nacht?" Rory griff nach der Kanne, die vor ihr auf der Theke stand und goss sich einen Kaffee ein.
"Kurz und grausam."
"Oh. Kaffee?"
Lorelai schüttelte den Kopf.
Luke, der aus dem Lager kam, begrüßte Rory und schob ihr einen Teller mit Toast vor die Nase.
"Danke." Sie nahm sich die Scheibe und biss hastig hinein.
Luke beugte sich ein Stück vor und flüsterte: "Lorelai hat erzählt, dass du bei Lane warst. Ich kenne nichts schlimmeres, als trockene Weizenkleieriegel zum Frühstück."
Rory nickte und grinste ihn an.
Dann wandte Luke sich an Lorelai, die ihren Kopf auf beide Hände gestützt hatte und die Augen kaum aufbekam.
"Wir haben wohl nicht gut geschlafen?", meinte er mit einem winzigen Hauch von Schadenfreude in der Stimme.
"Zwei Drittel des Eigenkapitals kombiniert mit siebenundzwanzig Prozent von... Was?" Für einen kurzen Moment, als wäre sie gerade aufgewacht, setzte sie sich kerzengerade hin und blickte erst Luke und dann Rory an.
"Oh." Sie sank wieder zusammen.
Luke griff nach einer Tasse und dem Kaffe und wollte ihr gerade einschenken.
"Stop." Lorelai zog ihm die Tasse weg. "Keinen Kaffee."
"Nein."
"Doch."
"Rory, hol sofort ein Tonbandgerät." Luke stellte die Kanne wieder ab und tat, als wäre er furchtbar überrascht.
"Ist ein Camcorder okay?" Rory zog eine Packung Frühstücksflocken zu sich und mimte eine Kamera.
"Macht euch nur lustig. Habt ihr schon mal Aspirin genommen und dann Kaffee getrunken? Das ist in etwa so, als wolle man Migräne mit Nirvana kurieren."
Rory stellte die Packung wieder hin. "Wie lange hast du noch gelernt?"
"Keine Ahnung."
"Das müssen wir ändern."
"Hä?"
"Ab sofort gehst du um acht ins Bett."
"Rory!" Lorelai zog ihre Stirn in Falten. "Das ist nicht lustig."
"Nein. Natürlich nicht", meinte sie todernst und fuhr im selben Tonfall fort. "Ich muss jetzt in die Schule, Mom. Und das ist nicht lustig."
Lorelai gab einen nicht identifizierbaren Laut der Wut von sich und schmiss ihrer Tochter die Packung Frühstücksflocken hinterher, doch sie prallte an der Tür ab und fiel zu Boden.
"He."
"Sorry."
"Das nächste mal schmeiß ich dich um zehn raus."
"Die Welt hat sich gegen mich verschworen." Lorelai nahm ihre Tasche und strich sich die Haare glatt. "Ich muss dann auch los."
"Bis dann."
"Bis dann", meinte sie, hob die Packung vor der Tür wieder auf und warf sie ihm zu, bevor sie das Lokal verließ.
-----------------------------
Zwei Wochen später
"Rory!" Lorelai schlug die Eingangstür hinter sich zu und streifte auf dem Weg ins Wohnzimmer ihre Schuhe ab. Die Jacke wurde über die Sofalehne geworfen.
"Rory?"
"Küche!"
Lorelai hielt kurz inne, vollführte dann eine Drehung und setzte ihren Weg in die andere Richtung fort.
"Ich habe es!"
"Was?" Die jüngere der Gilmores sah von ihrem Hausaufgaben auf und blickte ihre Mutter an.
"Die Ergebnisse!" Lorelai hüpfte aufgeregt auf und ab. In ihrer Hand hielt sie die Post. Drei der Briefe landeten achtlos auf dem Küchentisch und über den vierten ließ sie zärtlich ihre Finger gleiten, als wäre er ein kostbarer Schatz.
"Mom?"
Lorelai setzte sich. "Du weißt doch von der Prüfung, letzte Woche?"
Rory nickte.
"Hier sind die Ergebnisse drin. Hier steht drin, ob ich zu den Strebern oder den Loosern gehöre."
"Und warum machst du ihn dann nicht auf?"
"Weil ich vielleicht zu den weniger streberischen fünfzig Prozent gehören könnte?" Lorelai unterbrach ihr Gezappel und blickte skeptisch auf den Umschlag.
"Das wirst du erst erfahren, wenn du ihn geöffnet hast."
"Du bist so weise."
"Ich weiß."
"Gib mir mal deine Nagelfeile."
Rory reichte ihrer Mutter das gewünschte Utensil und sah ihr gespannt dabei zu, wie sie den Brief öffnete. Ihre Augen fuhren ungeduldig über das Schreiben. Die Stille, die nur von dem leisen Tropfen des Wasserhahns unterbrochen wurde, schien fast unerträglich.
"Ahhaa!"
Rory zuckte zusammen. "Mom. Du kreischst wie Aaron Carter unter der Dusche!"
"Aber der gehört nicht zu den besten fünf Prozent. Hier. Lies." Lorelai reichte ihrer Tochter das Blatt. Wieder eine weile Stille.
"'...freuen wir uns, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass Sie eine Punktzahl erreicht haben, die zu den besten sieben Prüfungsergebnissen gehört.' Wow, Mom, du wirst berühmt."
"Lies weiter", drängte Lorelai.
Rorys Augen flogen über das Blatt. Auf ihrer Stirn bildeten sich die ersten Falten.
"'...würden wir uns freuen, Sie für einen sechsmonatigen Lehrgang in London gewinnen zu können. Sie würden eine offizielle Weiterbildung in folgenden Fachgebieten genießen können...' Mom?" Rory ließ den Brief sinken. "Was ist das?"
Lorelai winkte ab. "Nicht wichtig, da will ich eh' nicht hin. Aber DASS die mich haben wollten... Mein Ego legt sich gerade mit meinem Verstand an. Sie streiten darum, ob ich mir ein T-Shirt mit der Aufschrift 'Spitzenhirn wurde nach Europa eingeladen' zulegen sollte."
"Wer gewinnt?"
"Angesichts der Umstände, dass die Hälfte von Stars Hollow die Botschaft so oder so nicht verstehen würde... mein Verstand."
Rory sah erneut auf das Schreiben.
"Wow..." Sie grinste. "Meine Mom – wer hätte das gedacht."
"Hey, du traust mir ja viel zu."
"Erfahrungssache."
Lorelai griff sich das Blatt und zog gespielt beleidigt die Augenbrauen nach oben. "Redet man so mit seiner Mutter? Du gehst heute ohne Nachtisch ins Bett."
"Natürlich."
"Und barfuß."
"Genau."
-----------------------------
Irgendetwas stimmte nicht. Sie wusste noch nicht, was genau es war, aber es passte einfach nicht. Ein Geräusch? Wo kam verdammt noch mal mitten im Tiefschlaf ein Geräusch her?. Ein Klopfen, so viel hatte sie inzwischen identifizieren können, auch wenn das rein theoretisch unmöglich war. Schließlich schlief sie ja noch. Oder sollte sie zumindest.
Schlaf... Das war wohl der entscheidende, fehlende Fakt in ihrem Kopf gewesen. Wenn sie herausfinden wollte, wer mitten in der Nacht bei ihr an die Tür – oder sonst wohin – klopfte, würde sie wohl endlich aufwachen müssen.
Benommen und ohne jedes Zeitgefühl öffnete sie ihre Augen. Dunkelheit umgab sie. Mit viel Anstrengung schob sie ihre Hand in die Richtung, in der sie die Nachttischlampe erahnte und schaltete das Licht ein.
"Whoa..." Von der plötzlichen Helligkeit geblendet, kniff sie die Augen zusammen.
Es klopfte erneut, diesmal heftiger, fast schon ungeduldig.
"Wenn das nicht wichtig ist, dann...", murmelte sie schlaftrunken, brachte ihre Überlegung jedoch nicht zuende. Leicht torkelnd fand sie den Weg zur Tür und öffnete sie.
"Luke?"
"Er ist verschwunden." Ohne abzuwarten, ging Luke an Lorelai vorbei bis in die Küche, kam dann zurück und fuhr sich nervös durch die Haare.
"Weißt du, wie spät es ist? Und... wer... wer ist verschwunden?" Lorelai versuchte, einen Sinn in dieser Situation zu erkennen, gab jedoch irritiert auf. Luke ging in ihrem Wohnzimmer hin und her. Dann blieb er stehen, als hätte er ihre Frage erst jetzt mitbekommen.
"Jess. Wir... wir hatten Streit – und da ist er weggelaufen."
"Mal was ganz Neues...", murmelte die noch immer völlig Verschlafene und zog sich einen Morgenmantel über, weil sie fröstelte.
"Du... du musst mir helfen."
"Jetzt?" Irgendwie war sie plötzlich hellwach und der Sinn – vielleicht auch Unsinn, da war sie sich noch nicht ganz so sicher – dieser Aktion machte sich vor ihr breit.
"Ah..." Sie seufzte, legte Luke eine Hand auf die Schulter und drückte ihn aufs Sofa. Dann setzte sie sich neben ihn.
"Luke", meinte sie vorsichtig. "Es ist nicht das erste Mal, dass Jess nachts nicht nach Hause gekommen ist."
"Ich weiß, aber.."
"Was aber?"
"Diesmal ist es anders."
"Häh?"
Luke stützte sich mit den Ellenbogen auf den Knien ab und legte sein Gesicht in die Handflächen. Dann seufzte er kurz und sah sie wieder an.
"Wir haben uns wegen der Klauerei in die Haare gekriegt."
Lorelai wollte etwas erwidern, ließ es jedoch bleiben und wartete ab.
"Ich... ich habe ihm vorgeworfen, er würde einmal so werden, wie sein Vater."
"Und?"
"Sein Vater ist Alkoholiker und hat seine Mutter geschlagen."
"Oh." Lorelai wusste nicht, was sie sagen sollte. Eine Weile herrschte betretenes Schweigen, dann stand sie auf und nickte.
"Komm."
"Was?"
"Komm. Wir gehen Jess suchen."
Luke sah sie leicht verwirrt an, nickte dann und folgte ihr aus dem Haus.
"Wo sollen wir suchen?"
"Ich... ich weiß nicht. Du hast eine Tochter in Jess' Alter. Wo würde Rory hingehen?"
"Rory würde nicht weglaufen." Lorelai schlug den Weg in Richtung Stadt ein.
"Richtig."
"Hat er... hat er irgend so etwas wie einen Lieblingsplatz in Stars Hollow?"
Luke schien zu überlegen. Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. Irgendwann, als sie bereits beim Stadtpavillon angekommen waren, brach sie schließlich die Stille.
"Luke?"
"Hm."
Sie blieb stehen und sah zu Boden. "Wurde... Wurde Jess eigentlich auch geschlagen?"
Sie sah kurz auf, um seine Reaktion zu sehen, blickte jedoch gleich wieder zu Boden. Luke war leicht empfindlich, wenn es um Jess ging.
"Ehrlich gesagt weiß ich es nicht."
"Hm."
"Wieso 'Hm'?"
"Einfach so."
Wieder Stille. Lorelai hatte keine Ahnung, was sie sagen oder tun sollte, und das kam äußerst selten vor. Sie suchten weiter, schweigend. Doch weder in der Stadt, noch in angrenzenden Gebieten fanden sie ihn. Luke seufzte.
"Wir sollten zum See gehen", schlug Lorelai vor.
"Meinst du?"
Sie zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Aber es ist der einzige Ort, an dem wir noch nicht waren."
"Da habe ich ihn reingeschubst. Ich denke nicht dass er..." Er unterbrach sich selbst, seufzte dann erneut und lächelte matt. "Versuchen wir's."
Der See lag, wie der Rest der Stadt auch, in nächtlicher Dunkelheit. Es war kühl und die Luft war feucht. Sie suchten das Seeufer ab und anschließend den Steg. Keine Spur von Jess.
"Du machst dir Sorgen, hm?"
Luke blieb stehen und sah sie überrascht an. Dann nickte er.
"Es ist seltsam."
"Was?"
"Ich kann ihn eigentlich überhaupt nicht leiden. Er ist laut, er ist faul, launisch, ständig hat er etwas an allem auszusetzen. Und das sagt er dann noch nicht mal, sondern tut einfach so, als wäre alles in bester Ordnung. Apropos Ordnung... Seit er bei mir wohnt, brauche ich Stunden, um irgendwelche wichtigen Dinge zu finden. Es ist das reinste Chaos. Von seiner Sturheit und dem schlechten Verhalten wollen wir gar nicht erst anfangen." Luke holte tief Luft und ließ seine Hände sinken, mit denen er immer wilder in der Luft gestikuliert hatte.
"Aber..." Er suchte nach Worten. "Weißt du, er ist mein Neffe. Und als er drei Jahre alt war, da habe ich ihn bei seiner Mutter besucht."
"Täusche ich mich, oder ist das da ein Lächeln?" Lorelai zeigte demonstrativ auf sein Gesicht.
Luke senkte grinsend den Kopf. "Er hat immer Pferd und Reiter mit mir spielen wollen. Aber er war zu klein und konnte sich nicht richtig festhalten. Nach siebenundzwanzig Versuchen habe ich aufgehört zu zählen, wie oft er runtergefallen ist."
Nach einer Weile verschwand das Lächeln aus seinem Gesicht und machte den Sorgenfalten Platz. "Was ich sagen will, ist..." Er rieb sich die Augen und blinzelte ein paar mal vor Müdigkeit. "Ich gewöhne mich langsam an ihn. Er mag seine Macken haben, aber... die hab' ich auch. Er wird sicherlich nie werden, wie sein Vater. Und, ganz ehrlich, ohne ihn war es viel langweiliger."
"Du gewöhnst dich an mich, hm?"
"Jess!" Lorelai trat erschrocken einen Schritt zurück und Luke wirbelte so schnell herum, dass er beinahe das Gleichgewicht verlor.
"Himmel, musst du uns so erschrecken?"
Jess grinste. "Wenn du das Loch in der Wand noch nicht zugemauert hast, würde ich dort gerne eine Tür einbauen."
Luke sah ihn verwirrt an und begriff dann. Er zog ihn zu sich und drückte ihn. Dann ließ er ihn, als wäre er von seiner eigenen Reaktion überrascht, wieder los und klopfte ihm auf die Schulter.
"Aber bloß keine von diesen quietschenden Kiefernholztüren."
Jess nickte grinsend.
"Wo warst du eigentlich?", wollte Luke wissen.
"Na direkt hier." Jess machte eine ausschweifende Geste in Richtung des Ufers.
"Aber wir haben doch..."
"Weißt du, diese Sache mit dem Verstecken habe ich kurz nach der Sache mit dem Festhalten gelernt."
"Ah."
"Lasst uns gehen, Rodeos", meinte Lorelai und rieb sich mit den Händen die Arme, um die Kälte zu vertreiben.
"Und die wandelnde Kaffeebohne hast du mitgebracht, weil du mich alleine nicht finden konntest?" Jess' Grinsen wurde breiter.
"Ja. Darf ich vorstellen? Lorelai Prodomo", meinte Luke todernst.
Lorelai antwortete ihm mit einem Geräusch, das man sowohl als Knurren wie auch als wütendes Grummeln auslegen konnte.
"Beißt die?"
Lorelai sah ihn gespielt grimmig an. "Nur, wenn man sie mitten in der Nacht aus dem Bett holt, um entlaufene Landstreicher einzufangen."
"Schon gut, schon gut." Jess hob abwehrend die Hände. "Wir sollten zurück gehen."
"Hah", meinte Lorelai mit einem leisen Unterton des Triumphes in der Stimme. "Luke, du hast einen wirklich intelligenten Neffen."
Den Weg zu Lukes Diner legten sie schweigend zurück.
Luke schloss den Laden auf und wollte eintreten, doch dann sah er zu Lorelai, die leicht zitternd auf dem Bürgersteig stand und bemerkte erst jetzt, dass sie nur ihren Schlafanzug und den Morgenmantel trug. Er hätte sich am liebsten geohrfeigt für seine Rücksichtslosigkeit. Also ging er kurz rein, holte eine Decke und drückte Jess die Schlüssel in die Hand.
"Ich komm' gleich wieder", meinte er und senkte dann etwas die Stimme. "Ich bring sie noch nach Hause."
"Klar", entgegnete er schulterzuckend.
Luke ging die wenigen Stufen herunter und faltete die Decke auseinander.
Lorelai öffnete überrascht ihren Mund. "Das... ist nicht dein Ernst. Ich lauf hier nicht mit 'nem Umhang rum."
"Oh doch. Sonst bin ich am Ende Schuld, wenn du mit einer Lungenentzündung im Bett liegst."
Mit einem leicht beleidigtem Gesichtsausdruck ließ sie sich die Decke umlegen und sah an sich herunter.
"Was denn, du hast kein rotes S in die Mitte genäht?"
"Gehen wir, Superwoman." Luke ging ein paar Schritte voraus.
Lorelai zog einen Schmollmund und schloss dann zu ihm auf. Eine Weile gingen sie nebeneinander her.
"Danke", meinte sie schließlich.
"Wofür?"
"Dass du mir dein Supermankostüm leihst."
"Kein Problem. Nachdem in Hartford eine freiwillige Feuerwehr eingerichtet wurde, habe ich es nicht mehr getragen."
"Es ist tragisch. Wer braucht heutzutage schon noch echte Helden, wenn es Notrufnummern gibt?" Lorelai seufzte theatralisch.
Luke grinste.
Als sie vor dem Haus der Gilmores angekommen waren, blieben sie kurz stehen.
"Also dann..."
"Also dann..."
Sie sahen beide zu Boden.
"Danke", meinte Luke.
"Ich hab' dir mein Spiderwomankostüm doch noch gar nicht gezeigt."
"Aber du bist mitten in der Nacht ohne zu jammern aufgestanden, um Jess zu suchen."
"Du hast dir Sorgen gemacht."
"Eben."
"Was 'eben'?"
"Schon gut."
"Was?"
"Geh schlafen." Er nickte in Richtung Haustür.
"Kein besonders intelligenter Themenwechsel", meinte sie grinsend. "Aber ich bin momentan eh ein wenig eingeschränkt, was meine Aufnahmefähigkeit angeht."
Er nickte und sie ging zur Tür. Im Türrahmen drehte sie sich noch einmal um.
"Schlaf gut."
"Ja. Du auch."
-----------------------------
Obwohl sich am Horizont allmählich die ersten blassblauen Streifen durch den sonst dunklen Farbton des Himmels zogen, war es noch völlig ruhig. Rory würde noch mindestens zwei Stunden schlafen, und sie sollte das eigentlich auch tun. Aber irgendwie war ihr nicht mehr nach schlafen, sie hatte die Phase des absoluten Protestes, welcher von ihrem Körper gegen jegliches Wachgefühl ausging, überwunden.
Ziellos streifte sie durch das Haus. Leise nahm sie sich in der Küche ein Glas aus dem Schrank und goss sich etwas Wasser ein. Als sie sich an den Tisch setzte, bemerkte sie, dass der Brief ihrer Abendschule noch immer dort lag, aufgefaltet, wie sie ihn hatte liegen lassen.
Zögernd nahm sie ihn und begann, die Zeilen noch einmal zu lesen.
Irgendetwas in ihr, begann zu rebellieren. Ein ungutes Gefühl machte sich in ihr breit und versuchte, sie davor zu warnen, sich auf den Gedanken einzulassen, das Schreiben auch nur irgendwie ernst zu nehmen. Und dennoch... Die Idee, sich auf ihrem Fachgebiet weiterbilden zu lassen, war in ihrem Hinterkopf kleben geblieben und ließ sich weder durch ihre Bedenken noch durch ein zaghaftes schlechtes Gewissen abschütteln. Sie war da.
Lorelai seufzte.
Sechs Monate waren eine lange Zeit. Und Rory war erst sechzehn. Sie konnte doch unmöglich ihre sechzehnjährige Tochter in Stars Hollow zurücklassen und nach Europa fliegen. Und sie mitzunehmen kam noch weniger in Frage.
Lorelai wiederholte ihr Seufzen und es schien eine Weile wie eine unbeantwortete Frage im Raum schweben zu bleiben, bis es sich schließlich unbeantwortet auflöste.
Der Gedanke hatte etwas Verlockendes. Sie würde dort mehr Geld verdienen, als hier – und wenn sie ordentlich sparte, hätte sie danach vielleicht das notwendige Startkapital zusammengekratzt, um sich endlich ihren großen Traum zu erfüllen: Ein eigenes Hotel mit Sookie zu gründen. Oder das 'Independence Inn' zu übernehmen.
Lorelai rieb sich die Augen, und spürte, wie die Müdigkeit langsam in sie zurückkroch. Vielleicht war sie einfach momentan geistig nicht in der Lage, sich über solche Dinge den Kopf zu zerbrechen. Sie würde morgen Rory vorsichtig darauf ansprechen, und dann... würde sie weitersehen. Aber jetzt sollte sie noch für ein, zwei Stunden schlafen.
Gähnend stand sie auf und tapste leise die Treppen hoch. Den Brief legte sie in eine Schublade ihrer Kommode und dann kuschelte sie sich unter ihre Decke. Waren sechs Monate wirklich so lang...?
Ende
Teil 1
