Authors Note und kleine Warnung: Die Geschichte spielt 12 Jahre vor der Serie. Wilson und Cuddy sind in meiner Fantasie die Fellows von House, der natürlich schon brillant, aber ohne Stock ist. Die Story sollte etwas über Chase erzählen und von seiner Kindheit. Da habe ich mir die Freiheit genommen, ihn zu House ins PPTH zu schicken. Medizinische Ungereimtheiten bitte ich zu entschuldigen, aber ganz ohne ging es leider nicht… *g* Veröffentlicht habe ich sie nur, weil eine Freundin lang genug auf mich eingeschlagen hat, mich zu trauen. Ich habe noch nie etwas veröffentlicht und bin ziemlich nervös. Es wäre nett, wenn ihr mir Non-Canon nachseht. Die Timeline stimmt sicherlich hinten und vorne nicht, aber ich wollte kein Prequel schreiben. In manchen Teilen ist sie vielleicht ein bisschen OOC. Ich glaube aber auch, dass House ganz tief drin ein sehr weiser und verständnisvoller Typ ist, der das nur nicht gern zeigen will, und ich denke, er könnte vor seinem Infarkt ein kleines bisschen anders gewesen sein.
Es ist meine längste House-Story und ich würde mich sehr freuen, wenn jemand Reviews da lassen würde. Es tut nicht weh und kostet nichts - habs ausprobiert und kann es versprechen! (; Bitte keine Flames. Ich bin nämlich nah am Wasser gebaut und außerdem kein professioneller Autor.
Die Figuren und House MD gehören David Shore und Fox. Und jetzt viel Spaß beim Lesen!
Willkommen in Princeton Plainsboro
„Männlich, dreizehn Jahre alt. Fieberschübe, unklare Schmerzen, Angstträume, Absenzen. Und ein Teenager. Damit dürfte eigentlich alles erklärt sein." James Evan Wilson warf die Akte zurück auf den Schreibtisch.
„Eines haben Sie vergessen. Er ist der Sohn eines renommierten Rheumatologen." Dr. Lisa Cuddy presste die Lippen aufeinander, während sie zu ihrem Kollegen hinsah. „Wir sollten imstande sein, eine Diagnose zu stellen."
„Hirntumor", schlug Wilson vor.
„Er steckt mitten in der Pubertät. Hormonelle Ursachen sind sehr viel wahrscheinlicher. Es könnte alles Mögliche sein."
„Epilepsie?"
Beide blickten zu ihrem Chef. House sah aus dem Fenster und machte wie immer den Eindruck, als hätte er gar nicht zugehört. Wilson wusste inzwischen, dass das ein Trugschluss war. Er arbeitete erst seit kurzem im Princeton Plainsboro; genauer gesagt, seit er House unter absurden Umständen auf einem Kongress kennen gelernt hatte und ihm dieser den Job in der von ihm geleiteten diagnostischen Abteilung verschafft hatte. Die Arbeit war spannend, herausfordernd und manchmal nervenzerreissend – wie der Mann selbst. Er war der jüngste Arzt, unter dem er bisher gearbeitet hatte. Mit nicht einmal Mitte Dreißig hatte sich House bereits den Ruf eines Weltklassenephrologen erworben. Dabei war er weder fleißig noch besonders ehrgeizig. Wilson fragte sich, wie er es machte. Es gab nur eine Erklärung: der Mann musste wirklich ein Genie sein.
„Wir sollten uns den Jungen ansehen", meinte Cuddy. „Vielleicht ist er schon so weit, uns eine Anamnese erstellen zu lassen."
„Was wollen Sie damit sagen? Ist er zurückgeblieben?" House ließ den Ball in die Luft hüpfen, der für gewöhnlich auf seinem Schreibtisch lag.
„Er ist vor zwei Stunden angekommen", antwortete Cuddy. „Von einem Achtzehn-Stunden-Flug aus Melbourne, Australien."
„Werden wir ohne Dolmetscher Verständigungsprobleme haben?" fragte Wilson trocken.
oOo
Der Junge, der mit baumelnden Beinen auf dem Bett saß, blickte ihnen mit übergroßen, wachsamen Augen entgegen. Er mochte ein pubertierender Teenager sein, aber jetzt war er in einem fremden Land in einem Krankenhaus, und das hätte wohl den meisten seiner Altersgenossen aufs Gemüt geschlagen. Als Wilson und Cuddy eintraten, erhob sich eine sorgfältig geschminkte Frau in einem tadellosen Reisekostüm von einem der Sessel am Fenster.
„Dr. Gregory House?"
„Nicht persönlich. Ich bin sein Kollege." Es war nie gut, sich als Assistent vorzustellen. Er sah so jung aus, dass die Patienten ihn ohnehin oft für einen Studenten hielten. „Dr. James Wilson. Ich hoffe, Ihre Reise war angenehm, Mrs. Chase."
„Ellen Bainbridge", korrigierte sie ihn kühl. „Ich bin Roberts Erzieherin."
„Oh." Er spürte, wie ihm Röte in die Wangen stieg. „Und… die Mutter?"
„Seinen Eltern war es terminlich nicht möglich, zu kommen, darum bin ich mit Robert gereist. Ich werde Dr. Chase über jeden Schritt auf dem Laufenden halten."
Er fand es kurios, einen offenbar kranken Jungen ohne seine Eltern auf eine Reise um die halbe Erdkugel zu schicken. Cuddy enthob ihn der Peinlichkeit, nach den Gründen fragen zu müssen. Die junge Ärztin streckte dem Jungen forsch die Hand entgegen. „Hallo, Robert. Ich bin Dr. Cuddy."
„Hallo", sagte der Junge und blickte sie vorsichtig unter langen Haarsträhnen an. Er war klein, fast zart für sein Alter; Wilson hätte ihn kaum über elf geschätzt, aber andererseits kannte er sich mit Kindern nicht sonderlich gut aus. Er steckte in sommerlichen Jeans und einem sauber gebügelten Hemd, das mit Ornamenten bestickt war. Darüber trug er einen altmodisch anmutenden dunkelblauen Blazer – vielleicht Teil einer Schuluniform. Um den Hals lag ein Lederband, das mit einer Muschel oder einem Stein verziert war, und an den Füßen trug er weiße Sneakers, über denen man ein Stück gebräunter Fesseln erkennen konnte. Er besaß die eigentümlich anmutige Magerkeit Heranwachsender und eine beneidenswert reine Haut. Das dunkelblonde Haar war dick und glatt, die Nase auffallend markant. Sein Gesicht war schmal mit einem spitzen Kinn wie das eines Elfs – oder es entsprach zumindest dem, was sich Wilson darunter vorstellte. Robert Chase war das, was man ein hübsches Kind nannte, und sicherlich der Stolz seiner Eltern.
„Wir werden dir ein paar Fragen stellen", sagte Cuddy betont munter, um ihm die anfängliche Schüchternheit zu nehmen. Sein scheuer Blick rührte Wilson. Er sah aus wie ein aufgeschrecktes Rehkitz. „Soll Mrs. Bainbridge dableiben, oder darf sie einen Kaffee trinken gehen? Wir haben eine tolle neue Cafeteria im Erdgeschoss."
Wilson wollte protestieren; es wäre leichter, einen Erwachsenen dabei zu haben, falls der Junge sich vor lauter Unbeholfenheit in ein Schneckenhaus verkroch. Die meisten Kinder in seinem Alter brachten es kaum fertig, „Buh" zu sagen. Aber in den großen, grünen Augen leuchtete plötzlich Dankbarkeit auf.
„Ich kann das allein", sagte er zu Cuddy. Aus seinen Worten hörte Wilson einen schwächeren Akzent heraus, als er es vermutet hätte. Vermutlich wurde er zuhause angehalten, anständig zu sprechen. Als einziger Sohn eines berühmten Rheumatologen würde er nicht wie ein Schafzüchter reden wollen.
„Ich bleibe lieber hier", ließ Mrs. Bainbridge verlauten. „Robert untersteht meiner Verantwortung."
„Es ist okay." Wilson nahm sie leicht am Arm. Ihre Besorgnis war die einer gut bezahlten Angestellten, nicht die eines einfühlsamen Elternteils. Sie würden ohne sie auskommen. „Es ist nur eine kurze Befragung, und es fällt ihm vielleicht leichter, die Fragen offen zu beantworten, wenn Sie nicht dabei sind. Außerdem haben Sie sich eine Pause sicher redlich verdient."
„Das klingt, als würden Sie ihn über unsaubere Dinge befragen."
„Ich versichere Ihnen, es ist alles nur Routine."
Aber er fragte sich doch, was sie mit unsauber meinte.
Als sie aus der Tür war, schenkte Cuddy dem Jungen ein aufmunterndes Lächeln, das er ungezwungen erwiderte. Wilson hatte das Gefühl, als sei er ihr dankbar. „Sie ist ein bisschen schwierig, oder?"
„Mrs. Bainbridge ist in Ordnung", versicherte er ohne rechte Überzeugung.
„Fein." Sie zückte einen Kugelschreiber und rückte ihr Clipboard zurecht. „Sagst du uns dein Geburtsdatum?"
„Wenn Sie mich danach fragen, bestimmt."
Sie stutzte einen Moment, bevor sie begriff. „Oh. Okay. Du bestimmst die Spielregeln. Wann bist du geboren?"
Er wies auf das Clipboard. „Es steht in Ihrer Akte."
Wilson unterdrückte ein Grinsen, als sie sich ihm mit einem leicht verdutzten Gesichtsausdruck zu ihm wandte. Es würde nichts bringen, ihn wie einen Dreijährigen zu behandeln, auch wenn er zu jung für sein Alter aussah. Cuddy gab auf. „Okay. Ich dachte, es wäre nett, wenn wir die Richtigkeit der Akte überprüfen."
Das schien er einzusehen. Er beantwortete alle nicht zu persönlichen Fragen gewissenhaft und ohne Zögern. Nur beim Erstellen der Anamnese zeigte er sich erstaunlich zurückhaltend. „Ich bin nicht krank."
„Deine Eltern würden dich nicht den weiten Weg zu uns schicken, wenn sie sich keine Sorgen um dich machen würden. Stimmt es, dass du im Unterricht manchmal nicht weißt, was der Lehrer gefragt hat?"
„Jedem passiert das."
„Deine Lehrer sagen, du träumst oft vor dich hin und bist dann nicht ansprechbar."
Die blaugrünen Augen richteten sich unvermittelt auf Wilson. „Wo ist Dr. House?"
„Er schaut später bei dir vorbei. Dr. Cuddy und ich leisten nur die Vorarbeit."
Eigentlich kam er überhaupt nicht mit Patienten in Kontakt. Mit einem Kind noch weniger als mit einem Erwachsenen. Er hasste es, wenn er durch die Umstände gezwungen war, seine Patienten als Individuen betrachten zu müssen. Manchmal fragte sich Wilson, wieso er überhaupt diesen Beruf ausübte, wenn ihn die Menschen dahinter angeblich nicht interessierten. Niemand würde so etwas tun.
„Mein Vater sagt, ich soll nur mit ihm sprechen."
Cuddy tauschte einen vielsagenden Blick mit ihm, bevor sie sich dem Jungen erneut zuwandte. „Dein Dad kennt Dr. House nicht persönlich, oder?"
„Er hat seine Publikationen gelesen. Und er hat ihn auf einem Kongress in Bankok gehört."
„Aber er hat ihn nie kennen gelernt", stellte Wilson fest. „Glaub mir, du wirst froh sein, wenn du von dir dasselbe behaupten kannst."
Sein fragender Blick richtete sich wieder auf ihn. „Verspeist er kleine Kinder zum Frühstück?"
„Nicht nur zum Frühstück."
„Ich soll von ihm untersucht werden", beharrte der Junge und überkreuzte die Knöchel. Vermutlich hatte ihm sein Vater das eingebleut, ohne zu ahnen, was er seinem Sohn damit zumutete.
„Er spricht nicht mit Patienten. Das erledigen Dr. Cuddy und ich. Er hat uns extra deswegen eingestellt. Wenn du uns ein paar umfangreiche Antworten gibst, steigen deine Chancen, für ihn interessant zu sein. Vielleicht will er dich sogar kennen lernen, wenn du es geheimnisvoll genug machst."
Er schien einen Moment darüber nachzudenken. „Ich bin schon mal in Ohnmacht gefallen", verkündete er schließlich hoffnungsvoll.
„Gut. Das ist nicht grade alltäglich." Wilson zwinkerte seiner Kollegin zu. „Weißt du noch, wie und wann das passiert ist?"
Nach und nach verhärtete sich sein Verdacht auf eine zerebrale Dysfunktion. Der Junge war aufgeweckt, schnell, lebhaft, aber er schien oft nicht ganz bei der Sache zu sein. Einmal sah er durch ihn hindurch, die Lippen halb geöffnet, als wäre er ganz woanders. Es brauchte kein lautes Anreden; die Absenz dauerte kaum zwei Sekunden, aber Wilson war sie nicht entgangen.
„Hör zu", sagte er, „Wir werden Dr. House von dir berichten, und du machst es dir währenddessen ein bisschen gemütlich hier."
„In Ordnung. Und Sie müssen nicht mit mir reden, als wäre ich fünf", sagte er und rutschte vom Bett. „Darf ich mir eine Cola holen?"
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„Ich weiß nicht, warum mir grundsätzlich unbehaglich ist bei Patienten, die ihre Pubertät noch nicht abgeschlossen haben." Lisa Cuddy rührte die Sahne unter ihren Cappuccino, während sie in der Akte blätterte. „Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht weiß, ob ich sie als kleine Erwachsene oder groß gewordene Kinder behandeln soll."
„Wir sollten MERRF in Betracht ziehen. Immer drin ist natürlich eine Form der Epilepsie. Mein Tipp ist Ronaldi. Kommt häufig vor in diesem Alter. Es könnte auch MS sein." House' Lieblingsdiagnose bei Heranwachsenden.
„Möchten Sie mal Kinder?"
„Sicher." Er hatte noch nie darüber nachgedacht. Seine erste Ehe hatte er hinter sich, und sie waren gar nicht so weit gekommen, um das Thema Nachwuchs anzuschneiden.
„Der Junge tut mir leid. Er hat eine Odyssee von Tests hinter sich. Epilepsie wurde übrigens ausgeschlossen."
Wilson rührte in seinem Kaffee. „Er ist jetzt in besten Händen. Krank kommt er mir eigentlich gar nicht vor. Nur ein bisschen verträumt."
„Er ist der einzige Sohn." Sie legte die Akte zur Seite. „Und trotzdem hält keiner der Eltern es für nötig, ihn zu begleiten. Das hier ist schließlich kein Schüleraustausch. Jemand sollte bei ihm sein."
„Mrs. Bainbridge schien mir äußerst kompetent."
„Das meine ich nicht."
Sie grübelten ein bisschen vor sich hin, jeder in ihre eigenen Gedanken versunken. Das war das Angenehme an Cuddy; man bekam Zeit, zu überlegen. Er arbeitete gern mit ihr. Da sie nur ein Jahr älter war als er und die jüngste Endokrinologin, die er kannte, empfand er gehörigen Respekt vor ihr.
„Wir sollten ganz von vorne anfangen."
Er blickte auf und sah in ihre blaugrauen, aufmerksamen Augen. „Könnte hilfreich sein."
„Tun wir so, als hätte ihn eine besorgte Mutter nach einem Ohnmachtsanfall eingeliefert und wir wüssten nichts über ihn."
„Er hatte keine Ohnmacht. Und Mrs. Bainbridge war alles andere als besorgt. Jedenfalls nicht um den Jungen."
„Ja. Finden Sie das nicht seltsam?"
Er wusste nicht, was sie meinte, und zuckte ratlos die Achseln.
„Alle Symptome, die er uns genannt hat, sprechen entweder für eine zerebral orientierte Diagnose – oder für eine psychosomatische. Was, wen er seelischen Stress hat?"
„Fragen Sie irgendeinen Teenager, ob er keinen seelischen Stress hat."
„Bauchschmerzen, Schwindelanfälle, Fieber", las sie von der Akte ab. „Er ist gut in der Schule, also in diesem Hinblick dürfte er keine Probleme haben. Ist Ihnen aufgefallen, dass er ständig sein Handgelenk gerieben hat?"
„Sie lesen zu viel hinein. Der Junge war nervös. Schließlich war es eine aufregende Situation für ihn."
„Obwohl sein Vater Arzt ist und er die Prozedur kennt?" Cuddy vertiefte sich erneut in die Akte, während sie ihren Obstsalat löffelte. „Vielleicht könnten Sie mich überzeugen, wenn die Schildkröte nicht gewesen wäre."
„Schildkröte?" Wilson blickte erstaunt.
„Er hat sie in seinem Rucksack versteckt. Ich hätte etwas gesagt, aber als ich das Tier entdeckt habe, kam gerade seine Gouvernante ins Zimmer zurück. Es hätte vielleicht Ärger gegeben. Wieso nimmt jemand heimlich eine lebendige Schildkröte mit über den Pazifik?"
„Er fühlt sich einsam", schlug Wilson vor. „Für einen Teddy ist er zu groß, also muss die Schildkröte herhalten."
„Der arme Junge. Er muss fürchterliche Angst haben."
„Vor Mrs. Bainbridge?"
Sie gab ihm einen scherzhaft rügenden Klaps auf den Arm, ehe sie aufstand. „Ich werde eine Patientenaufnahme machen."
Schon halb protestierend, zog Wilson die Akte an sich heran, um die Daten zu überprüfen. „Die letzte ist gerade vor einem Monat gemacht worden."
„Jungen wachsen schnell."
„Oh, ja. Enorm in nur vier Wochen." Er schnaubte. „Geben Sie es zu. Sie wollen House mit einer Fleißarbeit beeindrucken."
„Wir haben vereinbart, bei Null anzufangen", erinnerte sie ihn. „Ich kümmere mich darum. Sie dürfen weiter auf ihrem bequemen Hintern sitzen oder den Lernschwestern nachstellen. Was immer Sie so in Ihrer freien Zeit gern machen."
Er seufzte. Manchmal war ihr Eifer anstrengend.
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Sie war heilfroh und irgendwie verärgert zugleich, als der Junge ihr eröffnete, dass Mrs. Bainbridge ins Hotel zurück gegangen war. „Sie braucht sich nicht die ganze Zeit um mich zu kümmern."
„Trotzdem. Schließlich ist sie für dich verantwortlich." Cuddy legte die Hand auf die schmale Schulter, während sie mit ihm den Gang hinunter ging. Er hatte sich geweigert, in einen Rollstuhl zu sitzen, und sie konnte es verstehen. In seinem Pyjama und dem Bademantel sah er doppelt so frisch und sauber aus wie ohnehin schon. An den Füßen trug er Flipflops, die bei jedem Schritt ein klatschendes Geräusch auf dem Boden verursachten. Cuddy fragte sich, wie es möglich war, so ungezwungen damit zu laufen. Vermutlich steckte es jedem Australier in den Genen.
Er ließ sich bereitwillig wiegen und messen. Sich bis auf die Unterwäsche auszuziehen, machte ihm nichts aus, im Gegensatz zu vielen anderen Teenagern. Vielleicht war er aber auch noch zu sehr Kind, um sich zu genieren. Auf seinem Oberarm entdeckte sie eine Hautabschürfung, ebenso an den Knien. Nichts Ungewöhnliches für einen Jungen. „Woher stammt das?"
„Ich bin mit dem Skateboard hingefallen."
„Und das da?" Sie wies auf die Stelle unterhalb ihres eigenen Wangenknochens. Unter seinem Auge befand sich eine kleine sichelförmige Narbe.
„Fahrradunfall." Er zeigte ihr eine winzige, nur zu erahnende Narbe über seiner Nasenwurzel. „Ich hätte mir auch fast die Nase dabei gebrochen."
„Fällst du öfter?" Er wog zu wenig für sein Alter, aber andererseits war er auch kleiner als der Durchschnitt. In zwei, drei Jahren würde er aufholen.
„Hm." Artig zog er sich auf die Liege hoch, nachdem sie darauf geklopft hatte, zum Zeichen, sich darauf zu setzen. Cuddy überprüfte die Reflexe. Als ihre Hand über seine Unterschenkel hinab zu den Knöcheln fuhr, um den Muskeltonus zu überprüfen, erschauderte er.
„Tut das weh?"
„Sie haben schöne Haare."
Sie richtete sich auf, und er blickte zu ihr hoch. Plötzlich fand sie, dass er traurig aussah. „Du vermisst deine Mom, nicht wahr? Es ist keine Schande, wenn man jemanden vermisst, der da sein sollte."
Er schluckte und sah weg.
„Ist okay." Mütterliche Gefühle überkamen sie, als sie sah, wie sein spitzes Kinn zitterte. „Hast du deswegen die Schildkröte mitgenommen? Damit du nicht so alleine bist?"
Sein Kopf fuhr hoch, und in seinen weit aufgerissenen Augen lag jähes Erschrecken. „Oh, bitte lassen Sie ihn mir! Pecker braucht mich."
„Pecker sollte nicht in einem Krankenhaus sein. Er ist doch gesund. Außerdem kann er Bakterien verbreiten und dann Patienten noch kränker machen."
Verzweiflung spiegelte sich auf seinem schmalen Gesicht. „Bitte sagen Sie es nicht Mrs. Bainbridge. Ich baue ihm ein Gehege. Er braucht nur ein bisschen Gras und Wasser. Dann kann er unten im Park sein und ich kann mich um ihn kümmern. Bitte nehmen Sie ihn mir nicht weg."
Seine Angst um die Schildkröte rührte sie. Als ob sie vorhätte, Suppe aus dem armen Tier zu machen. „Weißt du, was? Meine Mitbewohnerin hat ein ausrangiertes Aquarium. Ich frage sie, ob sie es mir für ein paar Tage leiht. Dann setzen wir Pecker hinein und stellen ihn in mein Büro. Und du kommst jeden Tag vorbei und fütterst ihn."
Er entspannte sich etwas. „Wirklich? Sie nehmen ihn mir nicht weg?"
„Großes Medizinmannehrenwort."
Gänzlich beruhigt hatte sie ihn noch nicht, aber er schien erleichtert.
