Disclaimer: Harry Potter gehört J.K. Rowling. Die Geschichte wurde von melindaleo geschrieben, ich habe sie nur übersetzt. Ein Link zum Original ist in meinem Profil.

Harry Potter und die Macht der Gefühle

von Melindaleo

Betas: ChaotiK und Mistral

Deutsch von Siria Nera

Beta: silianablue

Harry versucht, zu verarbeiten, was in seinem fünften Schuljahr passiert ist. Wird er lernen, jenen zu vertrauen, die er seine Familie nennt? Wird er zum dem werden, der er sein muss, um zu überleben? Kann ihm eine gewisse Schwester eines Freundes zeigen, dass es Dinge gibt, die es wert sind, dafür zu kämpfen?

Kapitel 01

Allein in der Trauer

In Little Whinging setzte gerade die Dämmerung ein, der Himmel war mit grauem, kaltem Nebel verhangen. Dieser Sommer war viel kälter und feuchter gewesen, als der im letzten Jahr und die perfekt gepflegten Rasen im Ligusterweg waren durch die viele Feuchtigkeit saftig grün. Die Bewohner, die von ihrem Arbeitstag nach Hause kamen, spannten ihre Regenschirme über ihren geöffneten Autotüren auf und liefen schnell durch den Nieselregen in ihre Häuser.

Nur ein einsamer Mensch blieb allein draußen. Er schlenderte durch die Straßen und hatte offensichtlich nicht vor, dem Regen zu entkommen. Er hatte keinen Regenschirm. Sein Sweatshirt ging ihm bis zu den Knien. Er ließ die Schultern hängen, seine Hände tief in den Taschen. Das schwarze Haar war völlig zerzaust. Während es vorne, vom Regen klitschnass, am Kopf klebte, standen es hinten in alle Richtungen ab.

Das triste Wetter schien seinen Gemütszustand widerzuspiegeln: er war gedankenversunken, sein Gesichtsausdruck leer. Die Augen, smaragdgrün und versteckt hinter runden Brillengläsern, waren stumpf und leblos. Als er im Regen langsam nach Hause trottete, dachte er über seine Zeit im Ligusterweg nach.

Harry Potters Sommer war bisher nicht gut verlaufen. Nicht, dass seine Sommer jemals gut gewesen wären, aber dieser war besonders schwierig.

Er war krankhaft blass und strahlte Müdigkeit aus, dunkle Augenringe waren deutlich sichtbar. Harry konnte nicht schlafen. Obwohl er sich zwang bis zur Entkräftung wach zu bleiben, schlief er nie lange und wurde immer wieder von Alpträumen geweckt. Harry hatte schon früher Alpträume gehabt, sowohl normale, als auch diese, die er wegen seiner Verbindung zu Voldemort hatte. Er war unfreiwillig Zeuge der Gräueltaten geworden, die Voldemort seit dieser verhängnisvollen Nacht im Juni begangen hatte. Seine Narbe schmerzte jetzt ständig, egal ob er schlief oder nicht. Nachts wachte er manchmal auf, weil sein Kopf sich so anfühlte, als würde er brennen und er konnte vor Schmerzen die Augen nicht öffnen. Er war sich sicher, dass die furchtbaren Dinge, die er gesehen hatte, wirklich passiert waren. Er erkannte niemanden in seinen Träumen, weshalb es keine weitere Falle sein konnte. Wie konnte er, ein magerer, noch nicht einmal sechzehnjähriger Junge ohne irgendwelche nennenswerten magischen Fähigkeiten Voldemort aufhalten? Welche Macht besaß er, „die der Dunkle Lord nicht kennt"?

„STOP!", würde er sich dann selbst zurufen. „Nur nicht darüber nachdenken..."

Er wiederholte dieses Mantra solange, bis sich seine Gedanken wieder auf sicherem Terrain befanden. In den letzten drei Wochen hatte er das jedes Mal getan, wenn ihm die Prophezeiung wieder einfiel. Wenn er sich länger mit ihr beschäftigte, erdrückte sie ihn und er verfiel in Panik. Deshalb entschloss er sich, nicht darüber nachzudenken und die Gedanken einfach weit weg zu schieben. Schließlich ging er so immer mit den Dingen um, die zu viel für ihn wurden.

Allerdings waren seine normalen Alpträume viel schlimmer. Wenn sie nicht in der Abteilung für Mysterien anfingen, dann auf dem Friedhof in Hangleton. Er sah, wie entweder Sirius oder Cedric starb. Obwohl sie sich, wie es bei Träumen nicht selten ist, oft vermischten, endeten sie immer gleich: Jeder, der ihm etwas bedeutete, starb, Einer nach dem Anderen, weil er mal wieder einen Fehler gemacht hatte. Schließlich würde er dann in total zerwühltem Bettzeug und mit Angstschweiß auf der Stirn aufwachen.

Er hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass es nichts bringt, zu weinen. Es machte ihn wütend, dass er seine Tränen in der Nacht, anders als am Tag, nicht kontrollieren konnte. Harry verfluchte die Beschränkung der Zauberei Minderjähriger, denn er wollte wenigstens einen Schweigezauber auf sein Zimmer legen. Seine Tante und sein Onkel waren mit ihrer sowieso schon kurzen Geduld am Ende. Das ganze Haus wurde regelmäßig durch seine Schreie geweckt, was Dudley allerdings eher belustigend fand.

Obwohl Harry es nicht für möglich gehalten hätte, hatte sich die Beziehung zu seinen Verwandten noch verschlechtert. Die Warnung des Ordens und der Weasleys hatte Onkel Vernon wütend gemacht und er hatte sich auf dem ganzen Heimweg unglaublich darüber aufgeregt. Tante Petunia murmelte vor sich hin wie Harry es ‚wagen' konnte und wie ‚undankbar' er für das war, was sie für ihn getan hatten.

„Wie können diese furchtbaren Personen es wagen, uns in der Öffentlichkeit eine Szene zu machen? Ich hoffe für dich, dass so etwas nie wieder passiert, oder du wirst den Tag verfluchen, an dem du geboren wurdest!"

Ha! Als wenn ich das nicht sowieso schon längst täte!

Dudley saß einfach nur da und knackte mit seinen Fingerknöcheln. Harry ignorierte es einfach und starrte während der Fahrt mit leerem Blick aus dem Fenster. Er fragte sich wieder einmal, was genau Dudley gehört hatte, als er im letzten Sommer von den Dementoren angegriffen worden war. Allerdings hatte er nicht die Kraft, sich darum zu sorgen, also hörte er auf, darüber nachzudenken. Das Gefühl der Einsamkeit, das er schon in Hogwarts verspürt hatte, war unter den feindseligen Blicken seiner Verwandten noch zehnmal stärker geworden

Sobald sie im Ligusterweg angekommen waren, wurde Harry in seinem Zimmer eingeschlossen. Allerdings war es nicht annähernd so schlimm, wie es hätte sein können, denn die Dursleys ließen ihm seine Schulsachen. Sie zwangen Harry auch nicht mehr, Hedwig einzusperren: Nach Moodys Warnung würden sie sich Harrys Briefverkehr nicht in den Weg stellen. Er verpasste das Abendessen, aber er hatte sowieso keinen Hunger.

Am nächsten Morgen ließ ihn seine Tante aus seinem Zimmer und machte ihm Frühstück. Niemand redete mit ihm, außer um ihm die Liste mit seinen Aufgaben für den Tag zu geben. Harry fand die Stille sehr angenehm, denn nichts zu sagen war besser, als sich zu streiten oder sich eine Antwort ausdenken zu müssen.

Die Dursleys taten so, als ob er gar nicht da wäre und das kam Harry gerade recht. Dennoch half ihm seine einsiedlerische Existenz nicht gegen die Trauer in seinem Herzen. Er zwang sich, etwas Toast zu essen, bevor er sich entschuldigte und in sein Zimmer zurückkehrte.

Von da an war Harrys Appetit nicht existent und selbst die geringe Menge Essen, die er von seiner Tante bekam, aß er nicht auf. Das bisschen, was er aß, schlang er nur herunter, während er gegen seinen Brechreiz ankämpfte. Ihm war klar, dass er bei Kräften bleiben musste, aber er hatte weder die Lust, noch die Kraft, mehr als einige Bissen zu sich zu nehmen. Seine Lust- und Kraftlosigkeit wurde wiederum durch die fehlende Nahrung noch verschlimmert. Die daraus resultierende Benommenheit war ihm sehr willkommen; sonst würde er zu viel denken...

Der Gewichtsverlust und ein Wachstumsschub führten dazu, dass Harry unglaublich abgemagert aussah. Jedes mal, wenn er sich selbst im dem Spiegel, der an der Tür seines Kleiderschrankes hing, sah, konnte er problemlos seine Rippen zählen und sein Schlüsselbein war erschreckend gut zu erkennen. Harry war zwar klar, dass es so nicht weitergehen durfte, aber er konnte sich nicht dazu durchringen, etwas dagegen zu unternehmen. Er fing an, dicke Sweatshirts zu tragen, damit er sich selbst nicht ansehen musste.

Wenn sie dachte, dass er sie nicht sehen konnte, warf Tante Petunia ihm komische Blicke zu. Aber wenn er sie dabei ertappte, drehte sie sich entrüstet von ihm weg, als wenn es seine Schuld wäre, dass sie ihn ansah. Er ignorierte sie. Schließlich hatte sie ihn die meiste Zeit seines Lebens auch ignoriert und so getan, als ob er nicht da wäre. Warum sollte er sie also anders behandeln?

Manchmal dachte er an den letzten Sommer zurück, an die Nacht, in der er von den Dementoren angegriffen worden war. Harry hatte den Eindruck gehabt, dass er mit Petunia irgendeine Art von Verbindung aufgebaut hatte. Aber jetzt war davon nichts mehr zu spüren. Er ahnte, dass sie mehr wusste, als sie zugab und er wollte sie auch schon nach der Vereinbarung fragen, die sie mit Dumbledore getroffen hatte, aber er verwarf den Gedanken wieder.

Was würde das schon ändern? Ob es ihm nun gefiel oder nicht, er musste noch länger hier bleiben. Es war eher unwahrscheinlich, dass Dumbledore ihn in nächster Zeit hier rausholen würde. Er war in seinem ganz persönlichen Gefängnis, genauso wie... ach, egal. Es war ja nicht so, dass es einen Ort gab, wo er hingehen könnte.

Manchmal fragte sich Harry, ob vielleicht ein Dementor in der Nähe war. Er verstand einfach nicht, warum ihm alles egal war. Er schien außer Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung nichts mehr fühlen zu können. Vielleicht hatte sich ja ein Dementor als Onkel Vernon verkleidet.

Am zweiten Abend hatte das Telefon geklingelt und sein Onkel hatte fast die Tür aus den Angeln gehoben. „Ist für dich", hatte er gefaucht. „Mach bloß nicht zu lange!" Harry wusste, dass es seinem Onkel nicht nur nicht gefiel, dass jemand Harry anrief, viel schlimmer war, dass ihm befohlen wurde, es zu erlauben. Onkel Vernon gefiel es gar nicht, wenn er nachgeben musste, vor allem, wenn es Harry betraf.

Am Telefon war Hermine. „Hallo Harry."

„Hermine!"

„Mr. Weasley meinte, dass es kein Problem für dich sein sollte, das Telefon zu benutzen. Und da die Weasleys kein Telefon haben, bin ich jetzt deine Kontaktperson. Wir dachten uns, dass es so einfacher ist, mit dir in Kontakt zu bleiben. Für die Todesser ist wahrscheinlich alles, was Muggel benutzen unter ihrer Würde. Der Orden hat unser Haus an das Flohnetzwerk angeschlossen, so dass ich sie immer wissen lassen kann, wie es dir geht.

Harry ärgerte sich darüber, dass alle wieder auf ihn aufpassen wollten. „Mir geht es gut, Hermine", antwortete er schon ganz automatisch.

„So hörst du dich aber nicht an, Harry."

„Hör zu, nur weil man ihn dazu gezwungen hat, mich das Telefon benutzen zu lassen, heißt das noch lange nicht, dass Onkel Vernon das gerne tut und ich habe momentan nicht die Kraft, mich mit ihm zu streiten. Vielleicht wäre es besser, wenn wir uns wieder Eulen schicken. Am besten nur nachts, damit die Muggel sie nicht sehen."

Obwohl das alles stimmte, waren es nur Vorwände, damit er nicht über Dinge reden musste, über die er nicht reden wollte. Er konnte mit ihren Fragen im Moment nicht umgehen.

Sie hörte sich enttäuscht an. „Wenn es das ist was du willst, aber-"

„Das ist es. Bitte." Er biss die Zähne zusammen.

„Ich werde dir gleich morgen schreiben."

„In Ordnung."

„Bye, Harry."

„Bye."

Harry hatte ein schlechtes Gewissen, weil er sie so unterbrochen hatte, aber so war es am besten. Er würde sich sowieso von Ron und Hermine distanzieren müssen. Es war für sie schon gefährlich genug, nur weil sie ihm nahe standen. Am besten, er fing gleich damit an.

Am nächsten Tag bekam Harry den versprochenen Brief von Hermine, und einen von Ron. Die beiden Briefe hörten sich sehr ähnlich an, weshalb Harry überzeugt war, dass sich die beiden über ihn unterhalten hatten. Das machte ihn nur noch ärgerlicher.

Er beantwortete keinen einzigen ihrer Briefe, aber sie schickten trotzdem immer neue. Irgendwie freute ihn das. Die beiden waren wirklich die besten Freunde, die man sich wünschen konnte. Die einzigen Briefe, die Harry schrieb, war die kurze Nachricht, die er dem Orden alle drei Tage schickte. Es war immer die Gleiche.

Immer noch hier. Alles in Ordnung.

Muggel benehmen sich.

Harry

Kurz nach den ersten beiden Nachrichten kamen mehr Briefe. Neben denen von Ron und Hermine bekam er jetzt auch welche von Ginny, den Zwillingen, Mrs. Weasley und Remus Lupin. Im Grunde stand in allen das Gleiche: Sie fragten, wie es ihm ging und ließen ihn wissen, dass sie alle für ihn da waren, falls er reden wollte.

Die Zwillinge rissen Witze und, obwohl er es gar nicht wollte, musste Harry lachen. Sie schickten nie individuelle Briefe, sondern schrieben sie immer zusammen. Harry wusste nie genau, was von wem stammte. Sie wechselten sich mitten im Satz ab, was er an den verschiedenen Handschriften erkennen konnte (und normalerweise auch an der Tinte in einer anderen Farbe). Die Briefe waren fast so verwirrend wie die Zwillinge selbst und Harry fragte sich oft, ob die Beiden je etwas ohne den Anderen taten. Die Beiden machten jedoch deutlich, dass sie an ihn dachten und für ihn da waren. Er brauchte nur zu fragen.

Ginnys Briefe enthielten immer Neuigkeiten und waren, wie die der Zwillinge, lustig. Harry musste immer lachen, wenn sie sich mal wieder über Ron aufregte. Sie war sehr viel offener mit ihm und behandelte ihn nicht wie ein rohes Ei. Am Ende schrieb sie immer so etwas wie Hör auf zu schmollen! oder Lauter! Ich kann dein Gemurmel nicht verstehen! Das traf bei Harry genau den Nerv. Er murmelte immer vor sich hin, wenn er sich unwohl fühlte, aber das passierte doch nicht so oft. Es regte ihn auf, dass es so offensichtlich war und er nahm sich vor, daran zu arbeiten. Von ihr bekam er auch immer die interessantesten Neuigkeiten. Ganz normale Dinge, wie zum Beispiel, dass Bill Fleur immer noch bei ihrem Englisch half und das Percy immer noch nicht wieder mit seiner Familie redete. Sie gab ihm das Gefühl dazuzugehören und er mochte es, Teil ihres Lebens zu sein.

Mrs. Weasleys Briefe waren freundlich und sehr mütterlich. Mit dem Brief schickte sie auch immer Kekse oder einen Mince Pie. Harry hatte zwar bisher nur einige Bissen davon gegessen, aber er freute sich trotzdem darüber. Sie flehte ihn an, ihr zurück zu schreiben und sagte ihm, dass sie für ihn da wäre, falls er reden wollte.

Remus Lupin hörte sich einfach nur traurig an und es brach Harry das Herz. Es war seine Schuld, dass Remus seinen letzten Schulfreund verloren hatte. Er verstand nicht, warum Remus ihm überhaupt Briefe schickte, war er doch überzeugt, dass Remus ihm die Schuld geben musste. Wenn er sich nur annähernd so schlecht fühlte wie Harry... es war hart für Harry eine Eule mit einem Brief von Remus zu sehen, aber er zwang sich, jeden einzelnen zu lesen.

Nachdem er sämtliche Briefe gelesen hatte versteckte er sie im Fußboden, um sie immer wieder zu lesen. Manchmal hatte er das Gefühl, dass sie der einzige Grund waren, warum er überhaupt noch durchhielt.

Er wollte weder Mitleid noch Sorge, er wollte nur die Briefe. Er hatte Angst vor dem Tag, an dem sie ihm nicht mehr schreiben würden, weil sie nie Antworten erhalten hatten, aber soweit war es noch nicht. Jeden Tag würde er einen Brief von jemandem bekommen, jeden Tag würde Harry wieder staunen und sich freuen, bevor er diese Gefühle wieder unterdrückte.

Früher oder später würden sie aufgeben. Das war es doch was er wollte, oder? Es war besser, sich ganz weit von ihnen zu distanzieren. Je näher sie ihm standen, desto größer war die Bedrohung durch Voldemort. Er war schließlich der Junge aus der Prophezeiung und Merlin möge denen beistehen, die das Pech hatten, Teil seines chaotischen Lebens zu sein. Das war ihm schmerzlich klar. Aber so sehr er sie auch wegstoßen wollte, Harry wusste, dass er diesen Kampf nicht gewinnen konnte. Er selbst war sein schlimmster Feind. Er wollte diese Briefe unbedingt haben. Tatsächlich waren sie so etwas, wie sein Rettungsring.

Die Sommer waren zwar immer einsam gewesen, aber dieser war unerträglich. Er konnte der alles verzehrenden Einsamkeit nicht entfliehen. Er hatte den unvernünftigen Drang, vor allem auf Mrs. Weasleys Briefe zu antworten und er wusste nicht warum. Sie flehte ihn an, ihr zu schreiben und die Vorstellung, dass er sie verletzte, brach ihm das Herz. Obwohl er es noch nicht einmal sich selbst eingestehen konnte, sehnte er sich insgeheim danach, dass sie in den Ligusterweg kommen würde, um nach ihm zu sehen. Er versuchte, nicht daran zu denken, aber er konnte nichts dagegen tun. Er konnte sich nicht erklären, warum er sie so unbedingt sehen wollte, er war schließlich kein kleines Kind mehr. Er war nicht ihr Kind. Trotzdem wünschte er sich nichts sehnlicher, als sie zu sehen und sie zu fragen, wie er dieses Stechen in seinem Herzen stoppen konnte, bevor es ihn vollkommen überwältigte.

Harry stoppte diesen Gedankengang, als er den Garten des Ligusterwegs 4 betrat. Er hatte Mrs. Figg besucht, nachdem ihm Tante Petunia gesagt hatte, dass sie ihn zum Tee eingeladen hatte. Harry hatte kein Problem damit, die Dursleys für eine Stunde zu verlassen, und so war er zu ihr gegangen. Selbst wenn sie etwas exzentrisch war, so war sie doch eine Verbindung zur Zauberwelt und Harry wartete sehnlichst auf Neuigkeiten. Solange er nicht mit seinen Freunden reden musste, war jede Neuigkeit gut.

Harry war enttäuscht, als er feststellte, dass das Haus immer noch stark nach Kohl und Katzen roch. Mrs. Figg versuchte, ihn so lange wie möglich da zu behalten und mit ihm über irgendetwas zu reden, aber Harry wusste, dass sie die einseitige Unterhaltung frustrierte. Er ging schnell wieder, weil er nicht im Regen nach Hause laufen wollte, oder zumindest erzählte er ihr das.

Es war schon ziemlich dunkel als Harry die Tür öffnete und nach oben in sein Zimmer ging. Heute würde er wieder nicht essen. Er hatte sowieso keinen Hunger und keine Lust mehr, so zu tun, als würde es ihn interessieren, was um ihn herum passierte. Die Dursleys würden noch nicht einmal merken, ob er da war oder nicht. Er ließ sich aufs Bett fallen und bereitete sich auf eine weitere Nacht voller Alpträume vor.

Er hatte Mrs. Figg schon gesagt, dass er auf keinen Fall im Haus am Grimmauldplatz bleiben würde. Er konnte einfach nicht dorthin zurückkehren. Die Erinnerungen wären zu viel für ihn. Am liebsten würde er in den Fuchsbau, aber er wusste, dass das nicht möglich war. Wenigstens wären die Anderen sicher, solange er nicht im Hauptquartier war.

Immer, wenn er an das Haus dachte, landeten seine Gedanken wieder da, wo sie immer zu enden schienen: Sirius. Harry erinnerte sich daran, wie schrecklich es im letzten Jahr gewesen war, als er nicht mit Sirius hatte reden können. Die Eulen, das Flohnetzwerk, ja sogar Harry selbst - Alles war beobachtet worden.

Er hatte sich an die Hoffnung geklammert, dass er vielleicht in diesem Sommer etwas Zeit mit Sirius verbringen könnte. Sie hätten über Harrys Dad reden können und die verstörenden Dinge, die er in Snapes Denkarium gesehen hatte. Oder über diese verdammte Prophezeiung und was Harry deswegen tun sollte. Oder einfach nur über Mädchen und darüber, was für ein total ahnungsloser Idiot Harry war, wenn es darum ging, wie Mädchen tickten. Irgendwie hatte Harry das Gefühl, dass Sirius davon eine Menge Ahnung gehabt hatte. Das würde er aber jetzt sowieso nicht mehr erfahren, denn kein einziges dieser Gespräche würde jemals stattfinden. Sirius war nicht mehr da, würde nicht zurückkommen und das war ganz allein Harrys Schuld.

Er hatte wieder einmal einen Kloß im Hals und spürte, wie sich sein Brustkorb zusammenzog. „Es tut mir leid, Sirius", flüsterte er, als er sein Gesicht ins Kissen presste. Es würde eine sehr lange Nacht werden.

T/N: Die Geschichte wurde vor dem 6. Teil geschrieben, ist also inzwischen AU. Ich habe ungefähr die Hälfte fertig und werde versuchen, regelmäßig zu posten.