Kapitel 1
Mit einem ernsten Ausdruck fuhren sein Daumen und sein Zeigefinger über die untere Partie seines Gesichts, bis er das Kinn erreicht hatte. Seine Hand fiel von seinem Gesicht ab, und er atmete mit Bedacht aus. Er betrachtete seinen Sohn vor sich und fragte sich unwillkürlich, wie viele Väter gerade dasselbe Gespräch mit ihren Söhnen führen mussten, bevor diese wieder zurück nach Hogwarts fahren würden.
„Nun", begann Lucius unschlüssig, während er wusste, dass er nach dieser Unterhaltung Narzissa würde Rede und Antwort stehen müssen. Und es half nicht besonders, dass ein wissendes Lächeln um die Lippen seines Sohnes spielte. Wann, Merlin noch mal, war Draco erwachsen geworden? So erwachsen, dass man ihm keine Angst mehr machen konnte, mit Merlins Weihnachtselfen, die ihm keine Geschenke bringen würden, wenn er noch einmal auf den Betten seiner Eltern springen würde?
Aber anscheinend hatte er dieses Alter ohnehin längst hinter sich zurückgelassen, nahm Lucius beinahe bitter an. Ja, anscheinend, wenn sein eigener Sohn keine Skrupel hatte, sich in der Eingangshalle von einem Mädchen… oral befriedigen zulassen, obwohl er wusste, dass seine Eltern jederzeit hätten nach Hause kommen können!
Merlin! Was dachte Narzissa, würde er jetzt mit Draco besprechen können? Von Mann zu Mann, wie sie es ausgedrückt hatte?! Lucius wusste nicht, ob er zornig war oder angewidert. Er suchte in seiner Erinnerung, ob er sich jemals etwas ähnliches geleistet hatte, aber er war so beschäftigt damit gewesen, Narzissa für sich zu gewinnen – die bei ihrer Ehe natürlich noch Jungfrau gewesen war – dass ihm niemals in den Sinn gekommen wäre, sich im Haus seiner Vorfahren jemals so aufzuführen!
Narzissa hatte sein Haus auch nie besucht gehabt, als sie noch unverheiratet gewesen waren. Sein Vater hätte einen Herzinfarkt bekommen, nahm er an! Und wieso sollte er überhaupt ruhig und besonnen genug sein, um keinen Herzinfarkt zu bekommen?! Er würde sich gerne darüber entrüsten, würde Draco gerne… über sein Knie legen, aber anscheinend war er dafür auch zu alt, nahm Lucius verärgert an.
Aber was ihn am meisten schockierte war wohl die schlichte Tatsache, dass es Draco nicht einmal peinlich zu sein schien! Nicht einmal das! Er wusste nicht, wie gut er seinen Sohn kannte, um zu behaupten, dass Draco gerade spielte. Dass er nur so tat, als störe es ihn nicht, dass er, Lucius, den Penis seines Sohnes gesehen hatte.
Merlin!
Lucius schloss die Augen. Gut, er war froh. Er war froh, dass sein Sohn anscheinend die Gesellschaft von Damen vorzog. Kurzzeitig hatte er Angst gehabt, dass dies in Frage stehen könnte, als Draco im vierten Jahr offensichtlich viel von Harry Potter erzählt hatte. In jedem Brief, in jedem Gespräch über Floh. Aber diese Phase war wohl scheinbar vorüber.
Offensichtlich. Lucius spürte, wie seine Mundwinkel bitter nach unten sanken, während Draco lächerlich selbstbewusst vor ihm stand. Er betrachtete seinen achtzehnjährigen Sohn ausgiebig. Bei Merlin, wie hatte das passieren können?
„Wag es ja nicht, in Hogwarts ein Mädchen zu schwängern!", fasste er seine größte Sorge in zornige Worte. Ja, Narzissa hatte eine andere Vorstellung, wie ein vernünftiges Gespräch aussehen sollte, aber das konnte Lucius nicht. Er war keine Kindergärtnerin! Er sah, wie Dracos Augen sich fast amüsiert verengten. Lucius schloss hilflos die Augen. Verdammte Einzelkinder! Er hätte eine Horde Kinder zeugen sollen, dann würde sich sein einziger Sohn nicht wie ein verdammter Prinz verhalten. Es war Narzissas Schuld, wirklich! Sie hatte ihn verhätschelt, hatte Lucius gezwungen, Draco niemals zu schlagen, auch wenn der Junge es verdient gehabt hatte. Sie hatte ihn immer bevorzugt behandelt, ihm vorgesungen – ihm anscheinend kein bisschen Anstand beigebracht.
Wieder fand Lucius' Hand den Weg über seinen Mund, während er erneut den Kopf schüttelte. Er wollte dieses Gespräch nicht führen! Er erinnerte sich noch dunkel an die Unterhaltung über Bienen und Blumen, wobei er selber nicht die geringste Ahnung gehabt hatte, wieso zur Hölle er den Vergleich zu Bienen und Blumen hatte ziehen müssen!
Narzissa hatte ihm erklärt, es wäre pädagogisch die richtige Art! Anscheinend nicht!
Wieso war sein Sohn keine Jungfrau? Oder wenigstens taktvoll genug, seine Eskapaden nicht ausschweifen zu lassen, so dass seine Eltern sie mitbekommen konnten? War er so dumm?! Oder so dreist? Er war unglaublich respektlos, und wenn Lucius ehrlich war, war er froh, wenn Draco in zwei Wochen abgereist war, und sich Dumbledore mit ihm rumärgern konnte.
„War es das?", wollte Draco nun tatsächlich glatt von ihm wissen, und Lucius hasste es. Diese jugendliche Überheblichkeit. Die Arroganz der Jugend, die Vorstellung, dass sie die Macht hatten und dass die Eltern… nur noch alte Eltern waren! Er schloss die Augen. Was hatte er falsch gemacht? Hatte er, Lucius, ein falsches Bild vermittelt? Hatte er Narzissa jemals anders behandelt als respektvoll? Denn so musste es doch aussehen! Woher sollte Draco sonst solche Anwandlungen haben? Narzissa würde ihn das Ende nicht hören lassen, wenn er Draco nicht Anstand beibrachte!
Aber war es nicht schon längst zu spät? Sollte Draco mit achtzehn nicht klüger sein?
Missbilligend wanderte Lucius' Blick über den Körper seines Sohnes. Es war ihm in den letzten Jahren wohl entgangen, dass sein Sohn erwachsen geworden war, dass er plötzlich so groß war wie er selber, dass er zwar noch ein halbes Kind war, aber bedauerlicherweise den Körper eines erwachsenen Mannes hatte – mit Hormonen und Trieben und all diesen lästigen Kleinigkeiten. Und er wünschte sich zum ersten Mal, Draco wäre übergewichtig, wie sein Freund Gregory, so dass Mädchen nicht den Hauch Interesse an ihm haben würden.
Sein Sohn dachte nämlich nicht nach. Draco war impulsiv und ungehörig. Das konnte er über seinen Sohn sagen. Er kannte ihn nicht anders, als verzogen und selbstsüchtig. Lucius wurde übel bei dem Gedanken. Er wusste, Teenager waren kompliziert. Nicht, dass er selber jemals kompliziert gewesen war. Sicher, er hatte sich an einigen Schlägereien damals beteiligt, aber Zuhause hätte er einen Monat lang nicht mehr sitzen können, hätte er sich erlaubt, was sein Sohn sich erlaubt hatte!
Woher hatte Draco überhaupt diesen Körper? War es seiner, Lucius' Körper? Sahen sie sich so ähnlich? Nein, Draco war muskulöser an anderen Stellen. Verdammtes Quidditch! Alles brachte seine Nachteile, begriff Lucius bitter. Das Gesicht, ja. Draco sah ihm ähnlich, natürlich. Aber ihm hatte sein Aussehen damals nichts gebracht. Vielleicht doch, Lucius wusste es nicht mehr. Damals hatte Krieg geherrscht, es waren andere Zeiten gewesen! Heutzutage war alles liberal! Reinblüter heirateten Muggel, Merlin noch mal! Als wenn das nicht schlimm genug war!
Lucius hatte nicht mal die geringste Ahnung, wie Draco zu Muggeln stand. Er hoffte, er war ihnen nicht so freundlich gesinnt, dass er die nächstbeste schwängern würde! Oh Merlin! Aber er glaubte sogar, dass er ihm auch hierbei ein schlechtes Vorbild gewesen war.
Ja, vor einigen Jahren hatte Voldemort noch Macht gehabt. Vor einigen Jahren war es noch wichtig gewesen, Draco begreiflich zu machen, wie viel ein Muggel wert war.
Mittlerweile würde ihm Narzissa auch dafür die Zunge aus dem Mund fluchen, würde er schlecht über Muggel reden. Merlin, noch mal!
Aber in ihrem Haus sprachen sie Merlin sei Dank nicht über Muggel. Und er wollte jetzt nicht damit anfangen, er hatte genug damit zu tun, über die verdammte Sexualität seines Sohnes nachzudenken.
All die Sorgen über mögliche Fehler, die Draco würde haben können, kamen ihm jetzt recht willkommen vor. Wäre er doch einfach impotent, oder kleinwüchsig, oder hätte er am besten gar keinen Penis!
Wie zur Hölle sollte er über so etwas reden können?! Wofür war Narzissa da? Fürs Windeln wechseln und Schlaflieder singen?! Und sobald Draco volljährig war, war er sein Problem? Großartig. Aber so lief es nicht! So sollte es zumindest nicht laufen!
Lucius war 42 Jahre alt. Er hatte andere Sorgen als seinen potenten Sohn, Merlin noch mal!
Er arbeitete, er hatte echte Probleme! Dass sein Sohn keinen Respekt vor ihm hatte war bedauerlich, ja, aber es war nicht sein größtes Problem, Merlin noch mal!
Es interessierte ihn nicht mal! Er konnte nichts mit Draco anfangen. Draco sollte erwachsen werden, kein verzogenes Kind mehr sein, und endlich Verantwortung übernehmen. Dann vielleicht konnte Lucius etwas anderes in ihm sehen als ein lästiges Subjekt, was ihm seinen letzten Nerv raubte. Und Draco wollte es doch nicht anders! Er konnte ihn genauso wenig leiden! Es war seine Art von Rebellion, nahm Lucius an.
Zwar hatte er keine Ahnung, gegen was sein verzogener Sohn rebellierte, hatte ihm Lucius doch alles gegeben, von dem andere Kinder nur hatten träumen können – aber anscheinend war das ein Fehler gewesen, und er, Lucius, war selber schuld!
Es blieb nur noch zu hoffen, dass Draco einfach seinen Leichtsinn und seine Überheblichkeit verlieren würde. Und bis dahin wollte Lucius so wenig wie möglich mit diesem jungen Mann zu tun haben!
Wusste Merlin, was Draco die letzten vier Wochen getrieben hatte! Er war ohnehin nur selten hier gewesen. Er hatte das Praktikum nicht gemacht, was Lucius ihm organisiert hatte, er hatte ihn tagsüber kaum gesehen! Er hatte nicht mit ihm und Narzissa gefrühstückt oder zu Abend gegessen. Und Narzissa hatte doch auch nie etwas gesagt! Sie ließ ihn doch einfach gewähren! Sie erlegte ihm nicht auf, zu den Mahlzeiten zu erscheinen, was Lucius sowieso recht war, denn über was sollten sie reden? Draco interessierte sich nicht für Politik oder für irgendetwas, für das sich Lucius interessierte.
Teenager waren Aliens! Sie waren Außerirdische, mit denen vernünftige Erwachsene einfach nichts zu tun haben sollten, bis sie aus dieser widerlichen Phase rausgewachsen waren.
Und jetzt war Lucius Malfoy dazu degradiert worden, diesem selbstverliebten Rebell Vorhaltungen zu machen?
Er hatte ihn vier Woche nicht zu Gesicht bekommen, und jetzt sollte er mit Draco reden?
Er atmete aus. Er hatte keine Ahnung wie Geoffrey Goyle solche Dinge handhabte. Aber wahrscheinlich war sein Sohn nie in der Gefahr, von einem Mädchen freiwillig oral befriedigt zu werden, überlegte Lucius angewidert.
Lucius kam sich vor, als wäre er hundert Jahre alt. Draco war ein netter Junge gewesen, als er zwei Jahre alt war. Er hatte ihn, Lucius, angebetet! Wo waren diese Zeiten hin, fragte er sich verzweifelt. Aber bitte. Draco wollte nicht sein Freund sein? Draco wollte sein ungezogener Sohn sein? Er führte sich auf, wie ein Kleinkind, dann würde Lucius ihn ebenso behandeln. Es gefiel ihm ohnehin besser, als Draco als ebenbürtig zu sehen. Als ob er das jemals tun würde!
„Mein Haus ist kein Stundenhotel, Draco", informierte er seinen Sohn kalt und beschloss, ihn da zu treffen, wo er zumindest sicher wusste, dass es seinen Sohn würde treffen können. „Mach das noch einmal, und du kannst dein verdammtes Gold selber verdienen gehen, anstatt von meinem zu Leben!", knurrte Lucius, und das Gespräch war beendet. Er entließ Draco aus seinem Blick und ging zornig zu seinem Schreibtisch. Wie gerne würde er trinken! Aber sein Heiler und seine Frau waren sich einig: Keinen Scotch außerhalb der Mahlzeiten! War das zu fassen? Anscheinend war er alt! So alt, dass Alkohol seine Gesundheit gefährden konnte! Er konnte nicht erwarten, dass es Zeit zum Abendessen war und er endlich ein Glas Scotch würde trinken können!
Lucius ballte die Hände zu Fäusten, denn Draco war gegangen. Und er hatte seine verdammte Tür nicht zugemacht!
Am liebsten würde er ihn an den Ohren wieder hier reinholen, damit Draco üben konnte, wie man eine Tür schloss! Wie man verdammt noch mal respektvoll gegenüber seinem Vater war!
Lucius hasste Kinder. Allesamt!
Sie war unglücklich. Sie hatte diese Abteilung am liebsten gehabt. Noch lieber als die Abteilung der Auroren. Dabei hatte sie gedacht, nur als Auror würde sie in ihrem späteren Leben arbeiten wollen.
Und jetzt wechselte sie zum dritten und letzten Mal die Abteilung. Noch zwei Wochen hatte sie im Ministerium, ehe die Schule wieder anfing. Sie war so dankbar über die sechs Wochen Praktikum im Ministerium. Sie hatte einige andere Schüler zwischendurch gesehen, aber das Ministerium war so riesig und weitläufig, dass jedes Zusammentreffen wohl purer Zufall war, wenn man sich nicht gerade in der Kantine verabredet hatte.
Und jetzt musste sie zwei Wochen in der Abteilung für Finanzen und Liegenschaften arbeiten. Sicher mochte es auch spannend sein, aber… in der Mysteriumsabteilung hatte sie kaum abends nach Hause gehen wollen. Sie glaubte nicht, dass Finanzen und Liegenschaften in ihr solche Gefühle hervorrufen würden.
Sie klopfte an das Vorzimmer, wo sie sich melden musste.
Sie trug einen schwarzen Rock, schwarze Pumps, die gerade hoch genug waren, dass sie immer noch zügig durch die Flure laufen konnte, und am Abend keine Blasen an den Füßen hatte. Dazu trug sie eine graue Bluse und hatte ihre wilden Locken in einen dicken Zopf zurückgebunden.
Sie war dezent geschminkt, um älter auszusehen, und nicht ständig als Schülerin erkannt zu werden. Denn sobald die Leute begriffen, dass sie hier nur ein unbezahltes Praktikum absolvierte, waren sie nicht scheu, ihr sämtliche Aufgaben aufzudrücken, die demütigender nicht sein konnten.
„Herein", rief eine Frauenstimme. Hermine betrat das Zimmer.
„Hallo, guten Morgen. Ich… bin die Praktikantin, Hermine Granger", stellte sie sich vor. Die Frau betrachtete sie kurz. Hermine nahm eigentlich an, dass man ihren Namen kannte, hatte sie doch mehrfach in der Zeitung gestanden, schon alleine wegen des Kampfes gegen Voldemort vor drei Jahren und weil sie die beste Freundin von Harry Potter war. Aber vielleicht kannte diese Frau sie wirklich nicht, oder sie war einfach zu stolz, um einer Schülerin Erkennungswert beizumessen.
„Hm, Morgen. Richtig, ich habe Sie hier eingetragen", stellte die Frau mit einem Blick in ihren Kalender fest. „Und? Was wollen Sie machen?"
Hermine wusste, dass, wenn sie sagen würde, dass ihr alles recht wäre, sie in einen Abstellraum verbannt werden würde, um alte Kisten aufzuräumen. Also stellte sie sich aufrechter hin.
„Ich habe mich hier als Praktikantin beworben, um einen bestmöglichen Eindruck in die Arbeit der Abteilung zu erlangen. Nur die besten Schüler Hogwarts erhalten die Möglichkeit eines sechswöchigen Praktikums im Ministerium", erklärte sie überzeugt. Die Frau verdrehte knapp die Augen, aber das passierte häufig, wenn Hermine dick auftrug und erklärte, sie wäre eine der besten Schülerin – was sie nun aber auch einfach war. Wieso sollte sie lügen?
„Schön, schön. Wissen Sie, Sie möchten den besten Einblick? Warum beobachten Sie nicht einfach zwei Wochen unseren Leiter der Abteilung? Der geht auf Besichtigungen, nach Gringotts zur Überwachung der Goldbestände? Schwebt Ihnen so etwas vor?", leierte die Frau herunter, und Hermine war dankbar, keine Kisten schleppen zu müssen.
„Ja, das klingt wunderbar", sagte sie ehrlich.
„Fein", erwiderte die Frau und schrieb mit der Feder etwas auf ein Blatt Pergament, was sie Hermine entgegenhielt, als sie fertig war. „Büro 612, Miss Granger", ergänzte sie mit einem leeren Lächeln. Hermine nahm das Blatt entgegen.
„M-Malfoy?", entfuhr es ihr kurz tonlos.
„Ja", bestätigte die Frau eine Spur gereizter. „Lucius Malfoy ist hier Abteilungsleiter. Haben Sie ein Problem damit?"
Nun ja, Hermine hatte ungefähr tausend Probleme damit, aber das wollte sie der Frau nicht sagen. Sie schüttelte unbeholfen den Kopf.
„Ich… nein. Ich… danke", sagte sie tonlos und wandte sich wieder ab. Und sie wusste, auch Lucius Malfoy hätte bestimmt ein Problem mit ihr. Wenn er sie überhaupt noch erkennen würde! Und selbst wenn nicht!
Sie verließ das Zimmer schlecht gelaunt und wanderte lustlos den Flur hinab. So ein Mist!
Vor dem Büro mit der Nummer 612 blieb sie stehen. Warum? Wieso konnte sie nicht noch zwei weitere Wochen in der Mysteriumsabteilung arbeiten? Aber sie wusste, warum. Cormac McLaggen hatte nun den Platz in dieser Abteilung. Susan Bones war bei den Auroren, und sie würde sich wohl oder übel der Rotation fügen müssen. Denn zwölf Schüler von Hogwarts waren in diesem Sommer hier untergebracht, und alle rotierten durch die Abteilungen.
Sie hob unschlüssig die Hand. Und dann klopfte sie, denn Hermine Granger hatte vor keinem Zauberer Angst.
„Was?", ertönte eine Männerstimme aus dem Inneren. Bedeutete das so viel, wie: Herein? Sie musste es seufzend annehmen und öffnete mit einem Ruck die Tür. Sie blieb im Türrahmen stehen und wartete, bis der blonde Mann den Kopf gehoben hatte. Ja, sie erinnerte sich noch an ihn. Er verengte die Augen.
„Ja?", sagte er gedehnt und betrachtete sie eingehend. Seine Stimme war dunkel und tief.
„Hallo, guten Morgen, ich bin… die Praktikantin, Hermine Granger, und… ich arbeite die nächsten zwei Wochen für Sie", stellte sie sich, bei weitem nicht mehr so motiviert, vor. Die Feder sank in seiner Hand. Sie kam sich lächerlich vor. Denn sie kannten sich ja.
„Was?", fragte er ernst, und sie wusste nicht, ob sie den Satz wiederholen musste.
„Der letzte Praktikant in ihrer Abteilung ist heute weiterrotiert, und jetzt arbeite ich in der Abteilung", erklärte sie unschlüssig.
„In meinem Büro?", vergewisserte er sich unwirsch. Kurz sah er so aus, als könne sie vielleicht einen Scherz machen.
„Ja. Mr. Malfoy", ergänzte sie widerwillig. Dann erst runzelte sich seine Stirn.
„Granger? So wie…" Er unterbrach sich selbst. Dann atmete er aus. „Was soll das heißen, Sie arbeiten als Praktikantin hier?", fragte er schließlich.
„Ich… ich begleite Sie? Ich beobachte Sie bei der Arbeit und-"
„-nein", unterbrach er sie kopfschüttelnd und erhob sich. Er war groß. Größer als sie. „Dafür habe ich keine Zeit. Sie können gerne zu meinem Kollegen ins Büro gehen."
Hermine war überfordert. „Aber… ich würde Sie nicht belästigen. Ich… würde sie begleiten, ich… könnte… Ihre Tasche tragen… oder…", schlug sie ratlos vor, denn sie wusste, manche taten sich schwer mit der Idee einer Praktikantin. Zur Hölle, sie tat sich ebenfalls schwer, aber immerhin gab sie sich Mühe. Er wurde immerhin bezahlt.
„Wissen Sie, ich denke nicht, dass ich Arbeit für Sie hätte. Ich bin kein Babysitter", erklärte er streng.
„Und ich bin kein Baby, Mr. Malfoy", erwiderte sie, eine Spur beleidigt. „Ich würde gerne mit Ihnen Grundstücke besichtigen, nach Gringotts gehen-"
„-das ist schön für Sie, aber ich bin nicht jeden Tag in Schlössern unterwegs! Ich spiele nicht mit Gold, Miss Granger. Ich arbeite hier!", informierte er sie gereizt.
„Ja, Mr. Malfoy, ich verstehe das. Ich bin seit vier Wochen hier und habe auch nicht jeden Tag mit Gold gespielt und Schlösser besichtigt!", entfuhr es ihr zornig, denn der Name Malfoy allein verursachte ihr Übelkeit. „Im Kampf gegen Voldemort vor drei Jahren habe ich meinen ersten Todesfluch ausgesprochen, um meinen Freund Ron vor dem Tode zu bewahren, bei allem Respekt, Sie müssen mir bestimmt keine Prinzessinnen-Kleider und ein Schloss bieten, um mich zu beschäftigen, Sir!", fauchte sie praktisch.
Und Lucius Malfoy schwieg abrupt. Er betrachtete sie eine weitere Sekunde, ehe er plötzlich nickte.
„Schön. Sie wollen für mich arbeiten?", vergewisserte er sich, und zaghaft nickte sie, denn wirklich arbeiten wollte sie nicht für ihn. Er war immerhin Lucius Malfoy. Aber sie würde das Praktikum beenden. Und sie wollte ein gutes Praktikumszeugnis bekommen, also würde sie auch diese Abteilung hinter sich bringen. „Eine Liegenschaft ist ein unbewegliches Sachgut, welches-"
Aber Hermine unterbrach ihn. Was dachte er? Dass sie nicht wüsste, was sie hier tun würde? Was glaubte er, weswegen sie das Praktikum bekommen hatte? Weil sie Hogwarts' dümmste Schülerin war, die sich vielleicht auch noch auf Schüler wie seinen Sohn einließ? Ob Lucius Malfoy überhaupt wusste, was für ein widerlicher Playboy sein Sohn war? Wahrscheinlich konnte Hermine Lucius Malfoy schon alleine wegen seines Sohnes noch weniger leiden!
„-das Ministerium beschäftigt sich natürlich nur mit Rendite- und Anlageimmobilien und nutzt die Verzinsung des investierten Kapitals für weitere Investitionen, ich weiß, Mr. Malfoy", erklärte sie, so wenig überheblich, wie sie es zustande brachte. Seine Augenbraue hob sich skeptisch. „Ich bin eine kluge Schülerin, deswegen bin ich hier", konnte sie sich doch nicht verkneifen. Und sein Ausdruck wurde tatsächlich weicher, stellte sie überrascht fest.
„Hat man Ihnen auch beigebracht Tee zu kochen, Miss Granger?", fragte er jetzt, und langsam nickte sie. „Gut, kochen Sie uns einen Tee, dann spreche ich mit Ihnen über die nächsten Einzelheiten der Immobilie, die ich heute besichtigen werde. In Ihrer Begleitung, wenn Sie auf diesen Schuhen laufen können", fügte er mit einem entsprechenden Nicken auf ihre Schuhe hinzu. Fast wurde sie rot als sie sich umwandte, um auf der Flurküche Tee zu kochen. Jeder Flur hatte seine eigene Küche, so viel wusste sie auch schon.
Ohne ein weiteres Wort hatte sie das Büro wieder verlassen.
„Sie hat es mir gesagt, Draco", eröffnete Pansy ihm jetzt, als ginge es um ein Staatsgeheimnis. Draco hob den Blick, während sie durch den Laden spazierten. Hinter ihnen ächzte ein Elf, der seine neue Ausrüstung auf seinen Schultern balancierte.
„Wer?", fragte er abwesend und leicht desinteressiert, aber Pansy stöhnte auf.
„Wer? Alyssa!", rief Pansy ungläubig aus. Kurz dachte Draco über diesen Namen nach, aber er hatte ein wirklich besonders schlechtes Namensgedächtnis. Aber vielleicht lag es nur daran, dass er jeden Tag neue Mädchen kennenlernte, die fast genauso hießen.
„Hm", sagte er nur, denn er hatte schon wieder vergessen, was Pansy gesagt hatte. Er fasste ein paar Handschuhe ins Auge, die blaue Applikationen auf der Handrückseite hatten. Blau hatte er noch nicht in seiner Sammlung, überlegte er. Sie würden zu seinen Augen passen, nahm er an. „Diese hier, Größe 4", sagte er an den Elf gewandt, der mit einer holprigen Verbeugung zur Auslage eilte, um ihm ein paar Handschuhe zu holen.
„Draco!", beharrte Pansy ungeduldig. Draco atmete aus.
„Was, Pansy? Welche Alyssa hat dir was gesagt?", griff er ihre Worte zornig wieder auf.
„Dass deine Eltern sie erwischt haben?", sprach Pansy die Worte schließlich aus, die sie wohl schon den ganzen Morgen über hatte mit ihm teilen wollen. Erwischt? Ach so… Draco fiel es wieder ein. „Lädst du sie wieder ein, damit sie sich entschuldigen kann?", wollte Pansy von ihm wissen, und Draco ruckte mit dem Kopf.
„Entschuldigen, wofür?", fragte er mit gerunzelter Stirn.
„Ist dein Vater nicht ausgerastet?!"
„Mein Vater?", wiederholte er verwirrt. „Wieso sollte er ausrasten? Meinem Vater ist es verflucht egal", log er jetzt. Aber wahrscheinlich war Lucius alles ansonsten scheiß egal. Draco würde nicht mehr den Fehler machen, in der Eingangshalle zu stehen. Aber er hatte das Mädchen auch eigentlich rauswerfen wollen. Sie war freiwillig vor ihm auf die Knie gegangen. Er hatte doch nicht so unhöflich gegenüber seiner Erektion sein können, diese Geste nicht anzunehmen, oder? Fast lächelte er.
„Draco, ich habe es satt, dass du meine Freundinnen ständig benutzt und dann ignorierst! Denn sie stehen anschließend vor meiner Haustür!", beschwerte sich Pansy aufgebracht.
Draco lachte auf. „Selber schuld, wenn du mich empfiehlst, Pansy", bemerkte er knapp und fasste ein goldenes Fußpedal für Rennbesen ins Auge.
„Ich empfehle dich nicht!", brachte sie gepresst hervor.
„Schön, wenn einem der Ruf vorauseilt, nicht wahr?", bemerkte er, ohne sie anzusehen und schnippte die Finger. Der Elf erschien atemlos. „Zwei von denen. Und zwei aus Platin. Ich entscheide mich später, welche besser aussehen", erklärte er.
„Du hörst mir überhaupt nicht zu, oder?" Pansy wirkte zornig mit ihm. Draco wandte sich um.
„Pansy, mich interessieren deine Freundinnen nicht", sagte er offen und gleichmütig. Sie schüttelte missbilligend den Kopf. „Und ich habe dir gesagt, ich kaufe Quidditch-Equipment. Natürlich höre ich dir nicht zu", fuhr er kopfschüttelnd fort.
„Weißt du, Blaise ist wesentlich-"
„-hör mir auf mit Zabini!", unterbrach er sie gereizt. Er war immer noch sauer auf Blaise. „Zabini ist ein scheiß Arschkriecher, der seinem Vater noch den Zauberstab hinterher tragen würde!" Blaise machte zurzeit das Sklavenpraktikum im Ministerium und war die ganzen Ferien nicht ein einziges Mal mit ihm ausgegangen! In keinen Club! Nicht mal samstags. Nur einmal die Woche sah Draco seinen besten Freund, und nur wenn sie Quidditch spielten. Dafür nahm sich das Arschloch Zeit. Für sonst nichts! Draco hatte absolut keine Lust darauf, dass Pansy auch noch von Blaise anfing!
„Er kommt am Samstag auf deine Geburtstagsfeier", erwiderte Pansy glatt. „Und sprich nicht in diesem Ton mit mir, Draco!" Draco hob die Augenbraue.
„Oh, Mr. Zabini-ich-bin-so-unglaublich-verantwortungsbewusst kommt auf eine Party? Was ist los, hat ihn sein Vater gefeuert?", wollte Draco zornig wissen. Pansy verschränkte die Arme vor ihrem pinken Blazer.
„Er ist einer deiner besten Freunde, oder nicht? Natürlich kommt er!", knurrte sie. Draco verdrehte die Augen. Wenn er sich seine Nutzfreundschaft mit Pansy verscherzte, musste er sich selber um seine Dates kümmern. Und darauf hatte er keine Lust. Es war einfacher, wenn Pansy ihm seine Beute einfach vorstellte. Also gab er nach.
„Pansy, ich bin hier noch eine Weile beschäftigt. Wie wäre es, wenn du gegenüber ein Geschenk zurücklegen lässt, was ich dir am Freitag geben kann? Für deine Mühen?", schlug er ihr mit einem charmanten Lächeln vor. Und endlich schmolz ihr Zorn. Ihre Mundwinkel hoben sich.
„Draco, du bist furchtbar!", sagte sie, ohne ihr Lächeln verhindern zu können. „Ich komme morgen zu eurem Spiel", versprach sie anschließend. „Und wehe, du kaufst nicht, was ich zurücklegen lasse!", drohte sie ihm abschließend.
„Würde ich nicht wagen, Pansy", versprach er, während er bereits mit größtem Interesse die neuen Aero-Trainingshosen begutachtete.
