Prolog

London, 2027

„Mr Malfoy?"

Er hob den Blick aus den vielen Akten vor sich. Regen prasselte gegen die hohen Scheiben seines Büros. Manchmal, wenn es besonders windig war, fragte er sich, ob der hohe Turm von Malfoy & Malfoy irgendwann einfach umstürzen würde. Er wirkte sehr schmal, wenn man ihn von draußen betrachtete.

„Ja?" Er fasste die Hexe näher ins Auge. Sie trug die Uniform der Vereinigung, kein Makeup und wirkte auch sonst nicht, als ob sie Mode oder Weiblichkeit als erstrebenswert empfand. Aber das war er gewöhnt von den Frauen, die in der Vereinigung arbeiteten.

„Die innere Abteilung hat gefunden, wonach sie gesucht haben", erklärte sie und hielt einen versiegelten Umschlag in der Hand. Seine Stirn runzelte sich kurz, denn er konnte sich abends kaum daran erinnern, was er den Tag über getan hatte, also kostete es ihn einen angemessenen Moment an Zeit, ehe er begriff. Sie kam näher und legte den Brief vor ihm ab.

„Danke", sagte er, aber darauf schien die Frau nicht wirklich gewartet zu haben, denn sie hatte sich bereits umgewandt. Und er fragte sich ernsthaft, was die private Detektei alles hatte veranstalten müssen, um das hier ausfindig zu machen. Er nahm den Umschlag in die Hand, unbeschriftet, unauffällig. Er wog nichts. Er riss den Umschlag am Rand auf und entnahm ihm lediglich eine schmale Karte.

Dort stand eine Adresse. Er prägte sie sich ein, ehe er Umschlag und Karte hinter sich in den Kamin warf. Das Feuer verschlang das Pergament nahezu sofort.

Es war passend, überlegte er, denn gerade hatte er die Akte von David Banistor in der Hand.

Und lebhaft hatte er sich an die paar wenigen Tage erinnert, wo er vergessen hatte, was für eine Zeit herrschte.

Aber es war schon so lange her. So lange, dass es ihm kaum noch real vorkam.

Er blätterte durch die Akte. David Banistor, Professor für Verteidigung gegen die Dunklen Künste unter Vorbehalt. Er war Professor unter Vorbehalt seit fast zehn Jahren, bemerkte Draco. Er erinnerte sich, dass er sich selber darum gekümmert hatte, dass Banistor an

Der Hogwartsschule für Hexerei und Zauberei hatte bleiben können, trotz seines Status'.

Er gehört zu den S-Kandidaten. Denn er war ein Muggel. Ein Schlammblut.

Dracos Mundwinkel sanken ein Stück weit.

Es wurde, wenn möglich, noch dunkler draußen. Das Gewitter kündigte sich an. Er war allein im obersten Stock. Hoffentlich würde der Turm nicht heute umstürzen.

Kapitel 1

Zwölf Jahre zuvor…

„Es gibt keine Rivalitäten unter Ihnen. Es gibt kein überlegeneres Haus. Niemand ist besser als jemand anderes", zählte ihr Professor für Verteidigung auf, aber es waren nur Worte. Jeder hier wusste es besser. Es fiel ihm schon schwer überhaupt Respekt für Mr Banistor aufzubringen. Und er versuchte es nur halbherzig. Nicht wirklich. „Haben Sie mich verstanden? Es ist wichtig, dass Sie Zusammenhalt lernen. Vor allem jetzt! Vor allem in solch schwierigen Zeiten!", fügte er bedächtig hinzu. „Ich werde Sie nicht lehren, gegeneinander zu kämpfen. Sie werden nur miteinander kämpfen", fuhr er strenger fort.

Die Gryffindors standen wie kleine Rekruten aufmerksam und eifrig vorne in einer Reihe.

„Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt. Ich hoffe, ich muss Ihnen keine Punkte dafür abziehen, weil sie interne Machtkämpfe in meinem Unterricht ausüben wollen", sagte er jetzt und sein Blick glitt über die Slytherins, die sich im Hintergrund hielten. „Sie mögen in unterschiedlichen Häusern sein, aber sie sind immer noch in derselben Schule."

„Unfassbar, dass uns ein Muggel unterrichtet, oder?", murmelte Blaise neben ihm und drehte seinen Zauberstab zwischen den Fingern. Draco schürzte die Lippen und seine Mundwinkel zuckten. „Der alte Mann im Rektorzimmer sieht bestimmt schon die Elfen huschen", fuhr Blaise fort, und Draco setzte eine so gleichmütige Miene wie nur möglich auf.

Der neue Lehrer kam zu ihnen. „Schulsprecher, wie ich sehe", bemerkte er anerkennend. „Name?", erkundigte er sich, mit Pergament und Feder in der Hand.

„Malfoy", erwiderte Draco mit glatter, überlegener Stimme. Und fast kam es ihm so vor, als würde sein königlicher Name keinen Wiedererkennungswert in den Ohren des Lehrers auslösen. So borniert konnte selbst dieser Muggel vor ihm nicht sein, befand er, und spöttisch kräuselte sich seine Oberlippe.

„Mr.… Malfoy, ich kann doch annehmen, dass die Slytherins ebenfalls meinen Worten zuhören und nicht in der letzten Reihe stehen wollen, oder?", erkundigte sich der Lehrer, und Draco lächelte ein glattes Lächeln.

„Gewiss nicht, Sir", sagte er nur. Eigentlich musste der Muggel sehen können, wie wenig Draco von ihm hielt. Und er wollte es nicht einmal verbergen. Nicht wirklich.

„Ich sehe, in diesem Kurs befindet sich auch die Schulsprecherin", sagte der Lehrer jetzt als er sich von Draco abgewandt hatte. „Gryffindor und Slytherin stellen die Schulsprecher? Eine gute Mischung", fügte er hinzu. „Ihr Name, bitte?", fragte er nun auch sie.

„Granger. Hermine Granger", sagte sie so selbstsicher, als ginge mit ihrem Namen der Titel auf die Krone einher. Er hörte Blaise neben ihm leise lachen. Merlin, der Professor war so lächerlich wie seine gesamte Erscheinung. Er notierte sich auch ihren Namen. Draco schüttelte über so viel Unfähigkeit den Kopf. Fast vermisste er den jähzornigen Snape, der allen Strafarbeiten aufdrückte, die nur wagten, falsch zu atmen. Dieser Lehrer würde hier keine Chance haben.

„Wenn die Schulsprecher dann bitte nach vorne kommen würden?" Und es war keine Frage. Der Professor machte sich bereits daran, in die Mitte des Raumes zu gehen und zwei Stühle voreinander aufzustellen. Und es wunderte niemanden, dass sich keiner bewegte. Nur den Lehrer. Aber Dracos Mundwinkel waren gesunken, und Pansy kicherte neben ihm.

„Was für ein Idiot", flüsterte sie mit einem nachsichtigen Kopfschütteln.

„Habe ich mich unklar ausgedrückt?", vergewisserte sich der Lehrer eine Spur verwundert, und atmete aus. „Die Schulsprecher bitte zu mir. Miss Granger, Mr. Malfoy?" Die beiden Namen alleine in einem Satz klangen schon unvereinbar, und Blaise musste sein Lachen hinter der Hand verbergen, und einen Hustenanfall vortäuschen.

Granger hatte die Arme vor der Brust verschränkt und wirkte ziemlich unglücklich. Dracos Mundwinkel zuckten unwillkürlich wieder.

„Haben wir ein Problem?", sagte der Lehrer jetzt knapp. „Miss Granger?" Sie sah den Lehrer an. Sie schien sich unwohl zu fühlen. „Kommen Sie nach vorne."

Und schließlich bewegte sie sich. Sie schritt zu den zwei Stühlen und wartete. Draco fuhr sich amüsiert über sein Kinn, als der Lehrer wieder zu ihm kam.

„Vielleicht sind Ihnen meine Methoden neu, aber wenn ich Ihre Namen sage und verlange, dass Sie nach vorne treten, dann ist das ein Befehl, Mr. Malfoy", sagte er jetzt. Pansy lachte kurz neben ihm. „Mr. Malfoy, würden Sie nach vorne kommen", wiederholte der Lehrer, aber Draco lächelte mit falschem Bedauern. Und es war für eine Sekunde mucksmäuschenstill, als er die Luft einatmete, die er zum Antworten benötigte.

„Nein", sagte er kopfschüttelnd. Und kurz geriet der neutrale Ausdruck des Lehrers ins Wanken.

Draco brach den Blickkontakt nicht. Das war der Test. Entweder, der neue Lehrer sprang darauf an und versagte kläglich, oder er würde die verlorene Autorität noch irgendwo wiederfinden.

„Nein?", wiederholte er, tatsächlich verblüfft. „Sie… - ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen nach vorne kommen", wiederholte er, sichtlich weniger gefasst, aber mit einem wachsamen Blick.

„Das werde ich nicht", erklärte Draco mit gelassener Selbstsicherheit, als spräche er zu einem Kind, das ihn unbedingt zum Spielen bewegen wollte. Blaise schüttelte lachend den Kopf.

„Merlin", murmelte Blaise neben ihm, als wäre all das eine peinliche Angelegenheit. Und dann wurde der Lehrer vor ihm plötzlich ernst.

„Ach nein?" Seine blauen Augen fixierten ihn. Draco sah den Wunsch nach Autorität in ihnen tatsächlich funkeln. „Und darf ich fragen, warum sie nicht nach vorne kommen wollen?" Und Draco begrüßte es sogar, dass er fragte. Es war ihm sehr recht, denn es wurde Zeit, dass bei diesem chancenlosen Neuankömmling klare Grenzen gezogen wurden. Die übrigen Slytherins schienen sich für die Dummheit des Lehrers zu schämen. Es war fast schon amüsant, wäre es nicht mitleidserregend.

„Ich bin Draco Malfoy", erklärte er mit einem entwaffnenden Lächeln und einer Selbstverständlichkeit, die beim neuen Lehrer ein Kräuseln der Oberlippe verursachte. Die Slytherins applaudierten hinter ihm höflich, und er unterbrach den Blickkontakt nicht, während seine Mundwinkel zuckten. „Und ich gehorche keinem Muggel", ergänzte er nachsichtig, mit kalter Niedertracht in den Augen und betonte jedes Wort mit Abschätzung.

Die Gryffindors sahen ihn an, warteten anscheinend, dass etwas passierte. Und dann erwachte der neue Lehrer aus seiner Starre.

„Das… haben Sie gerade nicht wirklich zu mir gesagt!", sagte dieser mittlerweile tonlos. Draco hatte die Hände hinter seinem Rücken verschränkt und stand dem Lehrer souverän gegenüber. Sein Selbstbewusstsein strahlte auf die Slytherins hinter ihm aus, und als er sprach war seiner Stimme kein Missverständnis anzuhören.

„Wie Sie wissen sollten, ist mein Vater Schulrat, und wenn ich möchte, kann ich noch ganz andere Dinge zu Ihnen sagen", erläuterte er dem Lehrer in eisiger Höflichkeit. Pansy kicherte wieder neben ihm, und der Lehrer vor ihm ballte die Hände zu Fäusten. „Und bei allem Respekt", ergänzte er, ohne auch nur den Hauch an Respekt vorzutäuschen, „wahrscheinlich würden Sie besser daran tun, zu fliehen, als hier zu unterrichten", schloss er offen.

Der Mund des Lehrers hatte sich geschlossen. Schade. Draco hatte gehofft, der Lehrer wäre dumm genug, sich auf einen Streit einzulassen. Immerhin schien der Mann ihn nur zu gerne verfluchen zu wollen. Wieder hoben sich Dracos Mundwinkel zu einem gehässigen Lächeln.

Und er würde nicht noch einmal aufgefordert werden, nach vorne zu kommen.

Schade, der Lehrer hatte seine Chance verspielt.

„Wollen wir?", schlug er munter vor, und die anderen Slytherins folgten ihm lachend und plaudern, während die Gryffindors verharrten, wo sie waren. Draco kam an ihr vorbei, und ihr Blick war wieder einmal typisch Gryffindor. Zutiefst verletzt und erschüttert. Natürlich.

Und Mr. Banistor, der neue Lehrer, hielt ihn nicht einmal auf.

Er betrat das Klassenzimmer. Sie war schon da und verteilte die Agenda auf den noch freien Plätzen vor sich. Er schloss die Tür hinter sich. Sie hob nicht mal den Blick. Lächelnd schlenderte er näher zu den Tischen, legte seine Tasche vorne ab und lockerte seine Krawatte um seinen Hals.

Er erkannte auch aus dieser Entfernung, dass sie wütend war.

„Möchtest du drüber reden?", erkundigte er sich glatt, und sie schoss zu ihm herum. Ihre Augen glühten praktisch. Ihre Atmung ging schneller. Sein Mundwinkel hob sich über ihre Körpersprache, die so leicht zu lesen war.

„Nein", sagte sie nur, und er atmete aus. „Er ist neu an der Schule, und du führst dich auf wie… wie…!" Er wusste, dass sie doch darüber sprechen würde. Der Tag, an dem Granger ihre Klappe hielt, wäre der Tag an dem er sein Abzeichen mit Messer und Gabel verspeisen würde.

„Wie was?", wollte er interessiert wissen und kam um den Tisch herum. Sie bedachte ihn mit einem warnenden Blick.

„Wie ein komplettes Arschloch!", endete sie und machte einen Schritt von ihm weg.

Er folgte ihr lächelnd. „Granger, der Lehrer ist neu hier. Und er ist ein Muggel in einem Kessel voller Slytherins. Du denkst doch wohl nicht, dass ich mir irgendetwas von einem Muggel sagen lasse!", entgegnete er ungläubig. Ihre Wangen nahmen rote Flecken an.

„Er ist Lehrer hier!", brachte sie gepresst hervor. „Und es ist mir neu, dass du das Wort Muggel überhaupt aussprechen kannst, ohne einen magischen Schock zu kriegen", fügte sie zorniger hinzu. Er verdrehte die Augen.

„Es war ein Gag, ok? Neue Lehrer brauchen das!"

„Nein, tun sie nicht!"

„Du bist sauer, weil du nach vorne gegangen bist und ich nicht?", vermutete er, ihre Worte ignorierend. Und sie wurde nur noch wütender und knallte die letzten Pergamentblätter auf das letzte Pult und schloss den Abstand zu ihm.

„Nein, Malfoy. Ich bin sauer, weil du dich wie ein verdammter Todesser verhältst!", knurrte sie. Er atmete aus.

„Mein Vater ist Schulrat. Wenn sich der neue Muggel-Lehrer nicht beschwert, kommt Lucius noch persönlich angeflogen."

„Oh, es ist also alles nur Show?", fuhr sie ihn an, und ihre Augen tanzten über sein Gesicht. Kurz lächelte er.

„Na ja, nein. Es macht natürlich auch Spaß neue Lehrer bloßzustellen", erwiderte er, aber sie schien heute in einer absolut angreifbaren Stimmung zu sein. Sie war kurz davor aus dem Zimmer zu stürmen, also gab er nach. „Granger", sagte er mit mehr Nachdruck, aber sie entzog ihm ihren Arm, als er nach ihrem Handgelenk griff.

„Nein! Weißt du, für dich ist das alles ein großer Spaß! Für dich ist es-"

„-was?", unterbrach er sie und sah in ihre dunklen Augen. Sie hielt seinem Blick stand, und es war kompliziert.

Es war immer kompliziert. Natürlich war es das. Es herrschte Krieg.

Und er wusste, was die kluge Entscheidung war. Die kluge Entscheidung war, nicht mit Hermine Granger zu reden. Zornig hatte sie die Hände zu Fäusten an ihren Seiten geballt.

Ihr Körper war so voller Ablehnung für ihn, aber wenn sie so nah vor ihm stand, roch er den Duft ihres Shampoos. Er wusste, wie sich die cremige Haut ihrer Wangen unter seinen Fingern anfühlte, wie sie aussah, wenn sie sich auf die Unterlippe biss, wie verdammt noch mal fantastisch ihr schlanker Körper in seine Arme passte, wie sich ihre wilden Locken störrisch um seine Finger wickelten, wenn er seine Finger in ihnen vergraben hatte, um ihren verflucht verführerischen, sinnlichen Mund für einen Kuss zu gewinnen.

„Sieh mich nicht so an!", befahl sie ihm, aber er hörte, dass ihre Stimme atemloser klang, als noch vor wenigen Sekunden. Und er fand Mittel und Wege, sie zu sehen. Sie wirklich zu sehen. Und sie hasste ihn nicht so sehr, wie sie es wohl gerne hätte. Wie sie es tagtäglich zur Schau stellte. Denn dann hätte sie ihm nicht erlaubt, es schon beinahe zweimal zu tun. Es war schon zweimal fast so weit gegangen, dass er nur noch ihr Höschen hätte ausziehen müssen, aber bisher hatte sie beide Male die Notbremse gezogen. Aber er wusste, dieses Mal würde er –

„Verpiss dich, Malfoy", unterbrach Weasley seine Gedanken, als er das Klassenzimmer betrat. Draco riss den Blick von ihren waidwunden Augen los, um seine übliche Fassade aufrecht zu erhalten.

„Halt dein Maul, Blutsverräter, und setz dich in die scheiß erste Reihe, in die Versager wie du gehören", gab er kalt zurück, und sah noch, wie sie die Augen verdrehte, ehe sie sich umdrehte, um Weasley davon abzuhalten, ihn niederzuschlagen. Wenn die anderen Menschen nicht wären, wäre sein Leben um so vieles einfacher.

„Wann kommt Harry wohl wieder?", fragte sie, während sie missmutig in ihrem Pudding rührte. Ron zuckte schlecht gelaunt die Achseln.

„Keine Ahnung. Er und Dumbledore sind den ganzen Tag schon weg." Sie hatten das Abendessen schweigend hinter sich gebracht. Ron war nämlich eifersüchtig auf Harry. Das war nichts Neues. Und Hermine wusste, Ron fühlte sich nutzlos, bei dem Wissen, dass Harry geheime Waffen erklärt bekam – das vermuteten sie zumindest – und er untätig in der Halle sitzen musste, anstatt auch zu helfen. Die Slytherins stolzierten durch die Halle, als gehöre Hogwarts ihnen, und Hermine konnte nicht sagen, wie dringend sie Malfoy erwürgen wollte, dafür, dass er nichts gegen diese Arroganz unternahm.

Sie hasste ihn. Mit jeder Faser ihres Körpers!

„Lasst uns hochgehen. Ich glaube, wir brauchen nicht länger auf ihn zu warten", beteiligte sich Ginny jetzt am Gespräch. Die drei erhoben sich vom Tisch. Dumbledores Platz war genauso leer wie Harrys, und Hermine wüsste zu gerne, ob Dumbledore Harry wirklich in ungeahnte magische Geheimnisse einweihte. Sie war unheimlich neugierig.

McGonagall und Snape unterhielten sich so angeregt, dass sie nur annehmen konnte, dass es sich wieder einmal nur um einen unsinnigen Beschluss vom neuen Schulrat persönlich handeln konnte. Lucius Malfoy war von der Elternvereinigung Hogwarts zum neuen Schulrat gewählt worden. Das war nicht unbedingt verwunderlich, bestand der Elternrat größtenteils aus Reinblütern und Halbblütern. Nicht aus Muggeln.

Und seit dieser Veränderung war das Leben für die Lehrer und Schüler nicht mehr auszuhalten. Dumbledore apparierte öfter ins Ministerium, um Lucius Malfoy zu maßregeln, als dass er am Mittagstisch saß.

Und Draco Malfoy war der König der Schule, denn jetzt durfte er auch noch Lehrer ungestraft schikanieren. Dabei hatte der nette Mr Banistor heute seinen ersten Tag gehabt. Er musste von Slytherins denken, was ausnahmslos alle von den Slytherins dachten. Sie waren arrogante Arschlöcher. Mr. Banistor war aber wider Erwarten heute nicht bereits abgereist, wie der letzte Muggel-Lehrer, der vor einigen Monaten in Hogwarts eingestellt worden war. Er betrachtete die Halle schweigend, ohne jemand bestimmten anzusehen.

Und ausgerechnet Hermine hatte den blöden Fehler gemacht, sich zu heftig mit Malfoy zu streiten. Und sie hatte keine Ahnung, wie es passiert war, dass sie ihn in der einen Sekunde anschrie, ihn zum Teufel wünschte, alles an ihm hasste und in der nächsten Sekunde ihre Augen unter seinem Kuss schließen musste.

Es war… kompliziert. Sie wusste so viel, dass er seinen Vater für vollkommen unfähig hielt, aber sein Vater vom hohen Rang war unter den Todessern, die mittlerweile überall rumliefen!

Und sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie wusste es nicht!

Harry war öfter vom Unterricht abwesend als sonst, denn anscheinend nutzte Dumbledore jede freie Minute, ihn in irgendwelche Geheimnisse einzuweihen, denn anscheinend rückte der Tag, an dem Harry kämpfen musste, immer näher.

Aber sie wusste es nicht! Harry sprach ungern darüber, und Ron und Ginny überlegten schon beide, Freds und Georges Beispiel zu folgen, und Hogwarts früher zu verlassen.

Ihren eigenen Gedanken nachhängend stiegen die drei die Treppen nach oben. Hermine rechnete jeden Tag mit der Nachricht, dass Hogwarts belagert werden würde, dass die Todesser kommen würden, dass alle Muggel evakuiert werden mussten.

Sie rechnete damit, dass Harry irgendwann gar nicht mehr wiederkommen würde, weil er alleine, ohne sie und Ron, in den Krieg gezogen war, um sie zu schützen.

Sie konnte nachts kaum schlafen. Voldemort war auf freiem Fuß, wusste Merlin, wo er versteckt wurde, und alle Schüler wussten, es war nur noch eine Frage der Zeit, wann das Ministerium gestürzt werden würde, hatte man sich doch die größte Mühe gegeben, Voldemorts rechte Hand Lucius Malfoy einzuschleusen.

Hermine rechnete jeden Tag mit der schlimmsten Nachricht.

Es war die Ruhe vor dem Sturm. Und ruhig war es nicht wirklich. Die Anspannung brodelte, und nur Snape gab sich noch ansatzweise Mühe, seinen Unterricht genauso erbarmungslos wie früher zu halten. Es brachte Normalität zurück. Denn in Snapes Unterricht waren ihm die Schüler aus Slytherin genauso unlieb wie die Schüler aus Gryffindor, wenn sie keinen Zaubertrank brauen konnten. Nicht einmal Malfoy bekam seine übliche Sonderbehandlung. Nicht bei Snape. Deswegen war Snape überraschend schnell ihr neuer Lieblingslehrer geworden.

Sie saßen noch bis elf im Gemeinschaftsraum, mutmaßten, welche neuen idiotischen Regeln sich Lucius Malfoy noch einfallen lassen würde, wann wohl die ersten Zauberer und Hexen London verließen und was sie tun sollten, wenn es losging. Hermine berührte abwesend von Zeit zu Zeit immer wieder ihr hart verdientes Schulsprecherabzeichen, was nicht einmal Lucius Malfoy, mit seiner bescheuerten nur-Reinblüter-dürfen-Schulsprecher-werden-Tirade, ihr nicht hatte abnehmen können.

Und sie wusste immer noch nicht, ob nicht zufällig sein Sohn dafür verantwortlich war, dass sie noch immer diese Position inne hatte.

Sie befürchtete es. Aber sie sprach es nicht laut aus.

Harry kam auch um elf noch nicht wieder, und Hermine verabschiedete sich von Ron und Ginny und wünschte beiden eine gute Nacht.

So gut wie eine Nacht vor Kriegsbeginn sein konnte….