Beinahe geheilt?
Dass House sich und ihn bei Dr. Cuddy entschuldigte, ging an ihm vorbei. Genauso ihr mitfühlender Blick, nachdem House ihr den Grund erklärt hatte. Er war wie betäubt, und wie betäubt schwang er sich hinter seinen Chef auf die Honda und legte mechanisch die Arme um ihn. Erst nach dem Röhren des Motors gestattete er sich, ein bisschen in den Helm zu weinen. Er hatte es nicht in der Klinik getan. Am liebsten wäre er gestorben.
Erstaunlicherweise parkte House vor Chases Loft.
„Packen Sie ein paar Sachen zusammen", sagte er. „Ich warte solange. Nehmen Sie sich die Zeit, die Sie brauchen."
Verdutzt gehorchte Chase, bis er erkannte, dass House ihm die Gelegenheit gab, eine Weile allein zu sein. Dankbar für das Taktgefühl schloss er die Haustür auf. In seiner Wohnung muffelte es nach Staub, und er öffnete die Fenster. Doch als er den Kleiderschrank aufmachte, sackte er davor zusammen.
Zu nichts konnte er sich aufraffen, und er fühlte sich unsagbar leer.
Später erschien House. Behutsam umfasste er seine Schulter.
„Das Leben muss weitergehen. Es ist eine Floskel, aber wahr. Sie dürfen nicht aufgeben. Es ist nicht so tragisch, wie Sie meinen. Sie kannten die Frau nur ein paar Tage."
„Ich hab … sie gern gehabt."
„Ich weiß, dass es wehtut. Aber Sie werden sie vergessen. Wie Sie Ihre Mutter vergessen haben."
Woher nahm er den Hochmut, das zu behaupten? Er liebte seine Mutter, immer noch.
„Das hab ich nicht", wisperte er.
House strich ihm das Haar mit beiden Händen zurück. Nur House tat das so sinnlich, so aufreizend.
„Doch, das haben Sie. Sonst wären Sie gestorben. Sie werden auch Ihren Vater und Joanne vergessen. Um sich selbst zu schützen. Dieses Gerede von Ewig in den Herzen wohnen ist Quatsch. Nur bei wirklich langjährigen Lebenspartnern soll es vorgekommen sein, dass der eine dem anderen in kurzer Zeit folgt. Aber auch das ist so selten, dass man nur in der Zeitung darüber liest. Sie sind jung, Sie kommen darüber weg."
Chase schniefte und wischte sich die Nase am Ärmel ab.
„Verlassen Sie mich nicht, House! Bitte ...?"
„Ich bin da, Chase. Solange Sie mich brauchen. Kann ich Ihnen beim Packen helfen? Ich hab gesehen, dass Sie immer in denselben Klamotten stecken. Ein wenig Abwechslung könnte ja nicht schaden. Und wo wir gerade davon sprechen; lassen Sie ihr wunderbares Haar schneiden, selbst wenn es mir ein bisschen leid tut. Sie sehen bald aus wie ein Mädchen."
Jäh erhob sich Chase. House folgte ihm ein wenig mühsamer. Das Bein schmerzte, und er verzog das Gesicht. Mit hängenden Armen und ausdruckslosem Blick beobachtete Chase die Anstrengung seines Chefs, sich in die Vertikale zu heben.
„Ist es schlimm?" fragte er merkwürdig geistesabwesend.
„Falls es so wäre, würde es Sie nicht besonders aufregen", erwiderte House scharfsinnig. „Kommen Sie, ich muss zu meinen Tabletten."
„Warten Sie!" Chase schaute ihn mit einem Blick an, den House nicht recht deuten konnte. Ängstlich und durchtrieben, eine eigenartige Kombination.
Flugs ging er zur Wand, kniete sich auf das Bett und hängte das Kruzifix ab, um es in die Schublade des Nachtisches zu legen.
„Was darf der Herr denn nicht sehen?" erkundigte sich House eher im Scherz, der ihm kurz darauf verging. Chase stürzte auf ihn zu, umhalste ihn, wirbelte mit ihm um die halbe Achse und warf ihn aufs Bett. House war so verblüfft, dass er aufkeuchte.
Fieberhaft knöpfte Chase sein eigenes Hemd auf und lockerte den Gürtel. Schließlich wurde er beherrschter, wenngleich sein Brustkorb sich heftig hob und senkte. Kein einziges Haar war darauf zu sehen. Glatt und gebräunt wie ein Model war er, ohne etwas von deren Hohlköpfigkeit zu transportieren. Und dabei doch so unbeschreiblich schön. Vor Verlangen wurde House beinahe ohnmächtig.
Die Matratze quietschte, als Chase die Knie rechts und links von Houses Hüften hineinstemmte.
Seine Finger fuhren über Houses Gesicht und die schweißnasse Kehle, bevor er sich auf ihn legte. Er war nicht schwer, rieb sich aber fordernd an ihm. House schluckte krampfhaft, während seine Hände Chases Haar bearbeiteten, daran rissen und es danach reumütig liebkosten, nur um wieder sinnlos daran zu zerren.
Der Junge war pure Seide und Samt. Seide das Haar, Samt die Haut, die ihn berührte. Hoffentlich kam er nicht auf die Idee, ihn auszuziehen. Es war schon so aufregend genug. Er würde einen Herzinfarkt erleiden, wenn er Chases nackte Haut an seiner spüren musste.
Dem Duft nach frischer Wäsche, der Chase üblicherweise umgab, mischte sich eine herbe Note bei, die ihn noch mehr erregte.
„Chase", stöhnte er. „Oh Gott, gehen Sie runter von mir! Sie bringen mich um."
„Lieben Sie mich?" fragte Chase an seinem Hals und küsste ihn dann keck auf die Nasenspitze. Für ihn schien es nur ein Spiel zu sein.
House versuchte, seinen sexuellen Aufruhr durch gezielte Zwerchfellatmung in den Griff zu bekommen.
Doch seine Hände parierten nicht seinem synapsengeplagten Hirn und konnten nicht von dem schlanken, biegsamen Körper auf ihm lassen. Ob es Chase klar war, dass er eine Sünde beging, indem er House begehrte und ihn aufstachelte, etwas zu tun, das in der Kirche mit Abscheu gestraft wurde?
Hatte er deshalb das Kruzifix weggesperrt? Wie sonderbar. Gott sah laut biblischer Lehre alles, er versteckte sich nicht in diesem bemitleidenswerten Metallmännchen an einem von Menschenhand geschnitzten hölzernen Kreuz.
„Gleich, wenn Sie mich nicht stoppen. Hören Sie auf. Chase … ich werde wahnsinnig …"
„Dann sind wir es beide", flüsterte er in sein Ohr. „Ich muss Sie haben. Jetzt. Zeigen Sie mir, dass ich Ihnen nicht gleichgültig bin."
Und er begann, ihn aus dem Hemd zu schälen. House half ihm sogar, indem er sich aufrichtete, die Arme schüttelte und sich das T-Shirt über den Kopf streifte. Plötzlich konnte es ihm nicht schnell genug gehen. Chase drückte sich an ihn und seufzte, und sie saßen da und hielten sich umschlungen, den Duft des anderen einatmend.
House senkte den Kopf und küsste Chases Nacken, um ihn dann mit der Hand zu umfangen. Alles an ihm roch so gut, so unschuldig und zugleich so erregend. So einladend.
Einzig mit einer Gewichtsverlagerung von House änderten sie die Position. Chase ließ sich zurückfallen, seine Beine waren immer noch angewinkelt, und House streckte sie ihm, während er ungestüm den salzigen Schweiß auf seinem Hals ableckte.
Er trug ein Lederband mit drei Keramikperlen darum. Ein Surferkettchen. Es fiel ihm zum ersten Mal auf.
Vielleicht hatte er für Mrs Wie-hieß-sie-doch-gleich-die-heute-gestorben-war? Schmuck angelegt, um harmloser zu wirken. Da war Chase mit allen Wassern gewaschen. Frauen standen im Allgemeinen auf Softies. Oder zumindest auf Männer, die sich nicht wie ausgesprochene Machos gebärdeten und sich nicht scheuten, ihre feminine Seite zu offenbaren. Und die besaß Chase zweifellos.
„Sie sind viel zu … kostbar", raunte er heiser, aber er hörte nicht auf, ihn zu streicheln, quetschte die empfindliche Haut am Hals zwischen seine Lippen und Zähne.
Tatsächlich fand er dabei noch Zeit, an Cameron zu denken. Wenn sie Chase mit einem Knutschfleck am Hals überführte, musste er auf das Schlimmste gefasst sein. Sie würde ihm die Haut bei lebendigem Leib abziehen. Dann wiederum scherte er sich keinen Deut um ihre Meinung. Erst recht nicht in der Erregung des Augenblicks.
„Lassen Sie's nicht zu … stoppen Sie mich, Chase!"
Doch Chase dachte nicht daran. Er schlang die Beine um House und schien es zu genießen, sich ihm zu überlassen. Rhythmisch ging er in Houses Stößen mit, die ihn selbst in die Vorwärtsbewegung drängten und Chase hin und herrutschen ließen.
House hielt ihm mit beiden Händen die Augen zu und lächelte, als sich ein gelöstes Lächeln auf Chases Lippen stahl, bevor ihnen ein Stöhnen entwich.
Kein Erschrecken, keine Hysterie wie sonst lag in seinem Verhalten, wenn House sich ihm auf diese Weise näherte.
Und diesmal war er fast schon zu weit gegangen.
Nichts anderes als die Freude an der Sinnlichkeit spiegelte sich in den jungenhaften Zügen. House meinte, schreien zu müssen vor Glück – weil er seinen ernsten, grüblerischen Assistenzarzt endlich einmal so sah, wie er ihn schon immer hatte sehen wollen.
Seine Zunge fuhr in seinen Mund, erkundete die Zähne - die sich noch glatter anfühlten als seine Haut – die Zunge, die ihm entgegenkam und seine umschmeichelte, den Gaumen. So weich, so verlockend.
Trotzdem – er würde ihn verletzen. Nicht nur psychisch. Ein wenig bedauernd hob er den Kopf. Chase unter ihm wartete. Keuchend, atemlos.
„Ich liebe Sie, aber ich kann … kann Sie nicht nehmen …"
Er nahm die Hände weg, und Chase öffnete wie in Trance die Augen, mit denen er ihn ratlos fixierte.
„Wa-warum nicht …?"
„Weil ich Sie nicht … Robert nennen kann."
Mit dieser Antwort hatte Chase nicht gerechnet. Er gluckste, bevor er beide Hände gegen Houses Brust stemmte.
„Gehen Sie runter von mir."
Statt gekränkt zu sein, lachte er. Es war ein amüsiertes Lachen.
„Ich würde Sie auch nicht Greg nennen."
