Hallo zusammen! ViB1 ist schon lange her und ebenso, dass ich diese FF geschrieben habe. Ich werde sie in den nächsten Tagen Stück für Stück online stellen. Vielleicht erinnert der ein oder andere sich ja noch daran

Sie beginnt wenige Stunden nach der Hochzeit von Lisa und David. Geschrieben habe ich die FF, weil ich das Ende so einfach nicht akzeptieren konnte (und ich weiß, dass es da vielen so ging) Viel Spaß damit und ich freue mich natürlich über jedes Review.

Ach ja, ich tendiere dazu, immer den Disclaimer zu vergessen: Also, weder die Charaktere noch die Originalgeschichte gehören mir, wohl aber die in dieser Fic eingebrachten Ideen.

Und jetzt wünsche ich euch viel Spaß!


Kapitel 1: Der Tag danach

‚Es tut mir leid.'

Diese Worte hallten immer wieder durch seinen Geist.

‚Es tut mir leid.'

Er konnte es nicht ausstellen. Wieder und wieder zogen diese Worte vor seinem geistigen Auge vorüber, von einem Menschen gesprochen, der ihm so fremd war, den er nicht kannte, obwohl er ihn zu kennen geglaubt hatte. Rokko drückte sich die Fäuste vor die Augen, bis weiße Pünktchen zu tanzen begannen. Er wusste nicht, wie es passiert war, hatte ihr vorher jede Chance gegeben, sich noch anders zu entscheiden. Aber wie konnte sie sich vor ihn stellen, so wunderschön, und dann einfach sagen, dass es ihr Leid tat?

‚Es tut mir Leid.'

Das war nicht Lisa! Rokko saß mit starrem Gesicht am Ufer der Spree. Die Sonne schien hell und klar. Er fühlte sich von ihr verhöhnt. Wie konnte sie nur so strahlen, während er hier saß; allein gelassen von der wichtigsten Person in seinem Leben? Von der Person, von der er bis vor einigen Stunden geglaubt hatte, dass er den Rest seines Lebens mit ihr verbringen würde? Er war ohne denken zu können von der Kirche fort gegangen. Keine Hand hatte sich nach ihm ausgestreckt, keine Stimme seinen Namen gerufen, keine Augen ihn gesehen. Aber er hätte jede Hand weggeschlagen, jede Stimme verflucht und jedes Paar Augen verabscheut. Er wollte allein sein. Denn so fühlte er sich. Allein. Die Einsamkeit war alles, was ihm blieb. Allein. Die Flucht nach vorn. Aber er war unfähig zu denken, unfähig sich zu rühren. Eben war ihm alles entglitten; so unwiderruflich und mit einem Schmerz, den er noch nie gefühlt hatte. Ohne zu wissen wie, war er hierher gelangt und saß jetzt im Gras, hatte seine weiße Hose mit grünen Streifen beschmutzt. Aber es war ihm egal, alles war ihm egal. Was hatte es für eine Bedeutung? Die Hose war für eine Hochzeit bestimmt gewesen, die nicht stattgefunden hatte.

Wieder dieser Schmerz, tiefer als alles andere. Er öffnete mit großer Anstrengung seine rechte Hand, die er seit langer Zeit fest geschlossen hielt. Er hatte sie so fest zusammen geballt, dass die Knöchel weiß hervortraten. Da lag er. Der Ring. Er sollte eigentlich eine Hand zieren und nicht abgestreift in seiner Faust liegen. Rokko atmete tief durch, weil er vor Enttäuschung und Wut einfach nur noch schreien wollte. Aber er tat es nicht. Es hatte sowieso keinen Sinn. Es würde nichts ändern. Doch er musste etwas tun. Schreien, Wüten, irgendetwas. Abrupt stand er auf, holte aus und wollte den Ring in den Fluss werfen. Eine weitere Erinnerung hallte durch seinen Geist.

‚Er hat meiner Großmutter gehört. Sie wollte, dass die Frau, die ich liebe, ihn bekommt.'

Er ließ dann den Arm kraftlos sinken und sich selber ebenfalls ins Graß fallen. Er schloss die Finger erneut fest um den Ring und starrte wieder leeren Blickes in den blauen, ihn verhöhnenden Himmel. So wie er sich fühlte, hätte es regnen müssen, aus einem mit grauen Wolken bedeckten Himmel! Er konnte nicht hier bleiben, in dieser Stadt, die sein Glück bedeuten sollte. Damals, noch vor vier Stunden, war er so unglaublich glücklich gewesen und jetzt war er so unendlich traurig, wütend und enttäuscht! Innerhalb von Stunden war sein Leben wie ein Kartenhaus zusammengebrochen. Nein, hier konnte er nicht bleiben. Weg, einfach nur weg, waren die einzigen Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen. Einfach nur andere Luft atmen, andere Bäume sehen, andere Menschen. In allem und jedem steckte die Erinnerung, die Erinnerung an sie. An Lisa.

Rokko wollte nicht an sie denken. Aber er konnte es nicht verhindern. Ihr Gesicht tauchte vor seinem inneren Auge auf. Strahlend schön, als er den Schleier anhob und so traurig, als sie ihm den Ring zurückgab. Was hätte er sagen sollen? Er hätte nichts tun können. Was er immer befürchtet hatte, war geschehen. Lisa hatte doch Zweifel gehabt. Sie war so wunderschön gewesen, aber sie hatte sich dafür entschieden, doch David zu lieben und nicht ihn. In den wenigen Sekunden, in der sie ihm den Ring gegeben und auf seine Reaktion gewartet hatte, waren ihm tausend Gedanken durch den Kopf gegangen. Aber es war, so wie es war. Sollten sie doch glücklich miteinander werden! Wenn sie diese Entscheidung traf, dann hatte sie auch genau so einen wie David Seidel verdient!

Er war gegangen, ohne Szene, ohne Geschrei, ohne Aufhebens. Jetzt liefen ihm die Tränen übers Gesicht. Erst nur eine Einzige und schließlich wurden es immer mehr. Unmöglich konnte er sie wiedersehen oder irgendjemanden sonst. Er war verwundet und er zweifelte, ob er sich jemals würde davon erholen können. Aber sicher nicht in Berlin, nicht hier, nicht in ihrer Stadt. Er sehnte sich nach einer Abwechslung und erinnerte sich an seinen alten Freund aus Kindertagen, den es nach Hamburg verschlagen hatte. Er erhob sich mühsam und man hätte ihn für einen Betrunkenen halten können, weil er nicht sofort sein Gleichgewicht fand. Alles war durcheinander und seine Zukunft, noch vor einem Wimpernschlag, so wie es schien, so vollkommen klar, existierte nicht mehr. Zu Hause angekommen, machte er sich ans Werk. Er musste etwas tun, sonst würde ihr Gesicht sofort wieder erscheinen. Er würde es nicht ertragen, sie zu sehen. Seine Braut. Er schüttelte vehement den Kopf. Seine Braut war sie für ein paar Tage gewesen, für ein paar Stunden hatte er sich der Illusion ergeben, dass er das perfekte Glück schon bald in den Händen halten würde.

Erst einmal begonnen, war das Packen schnell erledigt. Er versuchte, sich auch hier aller Erinnerungen zu erwehren, aber es war unmöglich. Gelächter hallte durch seinen Kopf, Gelächter von Stunden des Glücks. Rokko stellte sich unter die Dusche und ließ sich eiskaltes Wasser den Rücken hinab laufen. Auch das half nichts, er spürte es kaum. Mit offenen Augen lag er danach stundenlang in seinem Bett und drehte den Ring ständig zwischen den Fingern. Schließlich hörte er in der Nacht, wie Hugo nach Hause kam. Von ihm würde er sich morgen verabschieden und dann wäre er fertig mit Berlin, für immer! Er nahm den Ring, erhob sich mühsam und verstaute ihn in dem Etui und fragte sich, warum er sich die Mühe machte. Eine andere Frau als Lisa würde ihn niemals tragen und die hatte ihn zurückgegeben. Er hätte ihn ebenso dem Wasser übergeben können. Die Fluten hätten ihn vielleicht davongetragen und das Wasser die Erinnerungen fortgespült. Aber er hatte ihn noch. Hatte er Hoffnung? Nein. Aber wollte er den Ring auf nimmer Wiedersehen wegwerfen? Nein. Er war immer noch ein Geschenk seiner Großmutter und das würde er ehren. Auch wenn die Auserwählte für den Ring, ihn niemals tragen würde.


Hugo zögerte am nächsten Morgen etwas, nach unten ins Wohnzimmer zu gehen und tigerte dabei ein paar Mal auf und ab. Er hatte gehört, dass sein Mitbewohner zu Hause war und er wusste nicht so recht, was er zu ihm sagen sollte. Er war gestern eher nach Hause geschlichen und hatte es vermieden, Rokko zu wecken. Eigentlich lächerlich der Gedanke, wo dieser doch garantiert nicht hatte schlafen können. Auch Hugo war das Schlafen schwer gefallen. In der ganzen Freude über ein so hübsches Brautpaar und vor allem eine Braut in einer meisterhaften Création von ihm, da war er natürlich furchtbar glücklich gewesen. Schönheit konnte ihn dazu verleiten, alles um sich herum zu vergessen. Sogar einen Freund, den niemand hätte allein lassen sollen. Und als David schließlich mit seiner angetrauten Lisa davon gefahren war und die Hochzeitsgäste Zeit gehabt hatten, über alles Geschehene nachzudenken, da war es doch bizarr geworden. Viele sahen sich fragend an und die endgültige rechte Freude war nicht aufgekommen. Der Trauzeuge der Braut hatte mehr als skeptisch eine Augenbraue hochgezogen und auch die gute Frau Plenske schien nicht so glücklich, wie sie es sein konnte. Einzig Bernd Plenske war ausgelassener Stimmung gewesen und dass er diesen Mann verstand, konnte Hugo nun wirklich nicht behaupten. Er war jetzt noch etwas verwirrt über die Ereignisse. Und er konnte sich nicht mal im Ansatz vorstellen, wie Rokko sich jetzt wohl fühlen musste. Andererseits konnte er sich aber auch nicht den ganzen Tag verstecken und Rokko hatte ihm gegenüber in jeglichen Lebenslagen auch keine Scham oder Scheu gezeigt; genauso musste er ihm jetzt begegnen. Er versuchte nicht zu mitleidig auszusehen, als er langsam die Treppe nach unten ging.

Rokko hatte offensichtlich nur darauf gewartet, dass Hugo sich zu ihm begab.

„Du siehst alles andere als gut aus heute Morgen, mein Lieber. Ich weiß nicht so recht, was ich zu dir sagen soll."

Rokko schaute ihn eine Sekunde lang so an, als wolle er etwas sagen oder sich bei Hugo ausweinen, überlegte es sich aber anders und sagte stattdessen:

„Lass mal gut sein, ist ganz gut, wenn ich so wenig wie möglich drüber nachdenke."

Er versuchte ein Lächeln, was ihm aber nicht Mal im Ansatz gelang. Es war einfach nur ein trauriges Gesicht zu erkennen, dass die ganze Nacht kein Auge zugetan hatte.

„Ich bin eigentlich nur noch hier, um dich um einen Gefallen zu bitten, Hugo."

„Alles, was du willst, mein Lieber, alles."

„Es ist nichts Besonderes. Du kannst ja vielleicht verstehen, dass ich im Moment nicht in Berlin bleiben kann. Das sind einfach zu viele Erinnerungen. Ich habe einen guten Freund, den ich für eine Weile besuchen werde. Um ein bisschen zur Ruhe zu kommen."

Rokko musste schlucken, bevor er weiter sprechen konnte. Er holte tief Luft.

„Danach werde ich aber auch nicht hierhin zurückkommen Ich werde meinen Teil der Miete so lange bezahlen, bis du jemand anderen gefunden hast, dass verspreche ich dir. Ich wollte dich darum bitten, mir meine Sachen nachzuschicken, sobald ich was Neues gefunden habe."

Hugo blickte sich erst jetzt um und sah, dass Rokko alle seine Sachen bereits in Kartons verpackt hatte. Dies war wohl seine Art der Ablenkung gewesen nach diesem grauenvollen Erlebnis. Die Wohnung sah auf einmal sehr nackt aus und hatte viel von ihrem ursprünglichen Charakter eingebüßt. Nachdenklichen Blickes antwortete er:

„Natürlich werde ich das machen, gar keine Frage."

Er blickte sich noch einmal um und musste feststellen, dass der Gedanke, nicht mehr mit Rokko zusammen zu wohnen, ihn traurig machte.

„Hier wird sehr viel fehlen ohne deine ständige Heiterkeit und dein buntes Auftreten", seufzte er.

Rokko antwortete nach einigen Sekunden mit dem leeren Blick, den er wohl so schnell nicht wieder verlieren würde:

„Glaub mir, ich wäre kein guter Gesellschafter im Moment. Ich lasse mir zwar selten die Laune verderben, aber es gibt ein paar Dinge, die selbst mich aus der Bahn werfen und nach denen ich meinen Optimismus erst mal wieder finden muss."

Gedankenverloren blickte Rokko in sein ehemaliges Schlafzimmer. Dabei hatte er ein so gutes Gefühl gehabt, als er nach Berlin gekommen war und sich dafür entschieden hatte, bei Kerima zu bleiben. Da hatte ihn sein Gefühl wohl betrogen. Und offensichtlich nicht nur dabei. Aber er wollte einfach nicht darüber nachdenken. Es wurde Zeit, dieser Stadt, seiner Wohnung und seinen Erinnerungen sofort den Rücken zu kehren, damit er wieder gesund werden konnte. Er hatte sich auch eigentlich nur noch von Hugo verabschieden wollen. Dieser riss ihn eben auch wieder aus seinen Gedanken.

„Rokko, du wirst mir wirklich fehlen. Als Freund, als Inspiration und als Provokation. Dass mit der Miete ist Quatsch, ich glaub nicht, dass ich hier jemand anderen haben will."

Hugo machte eine Pause, weil er sich doch recht hilflos fühlte. Was sagt man jemandem mit einem gebrochenen Herzen, der eigentlich nichts hören will, sondern sich wünscht, vergessen zu können? Hugo fühlte sich miserabel. Das fühlte sich falsch, furchtbar falsch an. Ihm fielen nur hohle Floskeln ein, aber irgendetwas musste er sagen, denn die Stille war auch unerträglich.

„Ich wünsche dir wirklich nur das Allerbeste, von ganzem Herzen. Du hast es so sehr verdient."

Rokko und Hugo nahmen sich in den Arm, drückten sich einmal fest und gaben sich dann mit Tränen in die Augen zum Abschied noch einmal die Hand.

„Ich werde mich bei dir melden, aber das wird sicher eine Weile dauern. Ich hoffe, ihr bekommt bei Kerima das Ruder wieder herumgerissen."

„Das wird schon werden. Wir standen schon oft vor dem Abgrund, wir werden das wieder schaffen. Aber langweiliger und farbloser wird es jetzt ohne Frage."

Rokko gelang ein kleines Lächeln, aber der Glanz in seinen Augen fehlte. Den hatte ihm jemand weggenommen. Gerade die Frau, die ihm so viel zu verdanken hatte; Rokko drehte sich um und legte seinen Schlüssel auf die Fensterbank. Er blickte nicht noch einmal zurück und zog die Tür hinter sich zu.

„Ich wünsche dir das Allerbeste, mein Freund. Das Allerbeste, denn nicht weniger hast du verdient."

Dann setzte sich Hugo auf die Couch in der verlassenen Wohnung, in der er lange Zeit mit einem guten Freund gelebt hatte.

„Adieu, mon Ami. Ich hoffe wir sehen uns in glücklicheren Zeiten wieder."


In der Nacht hatte Rokko natürlich kein Auge zugetan, wie Hugo zu Recht vermutet hatte, ebenso wenig, wie im Zug, und die Tränen, die einfach und ohne Abwehrmöglichkeit gekommen waren, hatten ihr Übriges dazu getan, dass er nur ein Schatten seiner selbst war, als er, mit drei Taschen beladen, vor Mikes Wohnung ankam. Er klingelte, hatte aber keine Ahnung, was er sagen sollte. Als der Freund Rokko sah, spiegelte sich eine winzige Sekunde Freude in seinen Augen wider, bis er ihm wirklich ins Gesicht blickte. Dann kam nur noch Besorgnis:

„Rokko, du siehst furchtbar aus. Komm doch rein! Warte, ich helfe dir mit den Taschen!"

Wenig später lag Rokko erneut einsam und mit starrem Blick im Bett und drohte von einer Leere verschlungen zu werden, die er so noch nie gefühlt hatte. Sie war übermächtig. Wie sollte er es jemals schaffen, ihr zu entgehen? Er brauchte eine Beschäftigung, denn ohne einen Ausgleich, würde er verrückt werden! Seine Welt lag in Trümmern, glich nur noch einem großen Scherbenhaufen. In so viele Teile zerborsten, dass Rokko zweifelte, sie jemals wieder zusammenfügen zu können. Er würde so gerne vergessen, aber es gelang ihm nicht. Die heilsame Schlaf setzte lange nicht ein und das würde wahrscheinlich noch für sehr lange Zeit andauern.

TBC