Ich bin der Herbergsvater

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Ich gebe die Schuld an der Entstehung dieses Stückes dem Radio. Und dem Fernsehen. Ich meine, müssen die heutzutage noch YMCA im Radio spielen? Morgens, wenn man besonders aufnahmefähig ist? Müssen sie ständig Sendungen bringen, wo arme Seeleute in Heimen leben? Eben. Müssen sie nicht. Wieso ich plötzlich Joachim Witt hörte, mit dem Lied, das der Geschichte den Titel gab, weiss der Henker. Muss wohl meine Sozialisierung sein. Oder so. Ausserdem hab ich eine sauferklige Story gelesen, wo Snape ein Schuldirektor ist, und Harry ein – Schüler *boah, ey*. Die hat mich auch sehr beeindruckt. Und vor allem schiebe ich natürlich die Schuld auf meinen stinklangweiligen Job. Da muss ein Mädchen doch auf böse Ideen kommen:-) und auf romantische. Und klar, die Geschichte ist so durchsichtig wie nur was. Mir hat sie trotzdem Spaß gemacht.

Die ist eine AU-Geschichte. Heisst: Die Figuren sind wie immer Frau Rowling und all ihren Anwälten entliehen, diesmal sind sie jedoch an einen noch andereren Platz entführt, so dass sie noch weniger sie selbst sind. Die Armen. Kein Wunder, dass sie sich so aneinander klammern müssen *Fiesgrins*

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I.

Severus Snape sah von seinen Unterlagen auf und schob die Brille in die langen strähnigen Haare. Schon wieder fettig, dabei hatte er sie gerade am Morgen gewaschen. Aber da der Koch krank war, musste er das auch noch tun. Kochen. Und das war nicht gerade gut für seine Frisur. Schwarze Haare sahen sofort schmuddelig aus. Nicht dass es gut für die Seeleute in dem Heim, dass er betreute war, wenn er kochen musste.

Ein langer Tag. Nun war es 10 Uhr abends, und morgens um 6 hatte er Frühstück gemacht. Seeleute waren Frühaufsteher. Eigentlich war die Herberge nun geschlossen, und er hatte gedacht, er könne in Ruhe den Schriftkram erledigen. Aber nein. Er richtete die Augen auf die Glastür gegenüber seiner Rezeption. Sie wurde geöffnet.

Snapes Augenbraue hob sich beinahe automatisch und sein Mund verzog sich zu einem nicht besonders gastfreundlichen Grinsen. Manche Leute hätten denken können, dass Severus Snape nicht gerade besonders geeignet war, um verirrten Seelen ein Heim zu geben. Und diese Leute hätten Recht gehabt. Dennoch tat er es. Was mehr war, als man von den Leuten, die schlecht über ihn redeten, sagen konnte.

Nun bewegte sich sein Mund ohne sein Zutun, als wenn er um himmlischen Beistand flehen wollte. Im Gegensatz zu vielen anderen Leitern von Seemannsheimen war Severus Snape nicht besonders christlich. Aber wenn er je an Übersinnliches irgendeiner Art geglaubt hatte, dann jetzt. Er kannte den Mann, der langsam, einen Seesack schleppend, auf ihn zukam und ihn mit grünen Augen ansah. Er hatte ihn schon gesehen. In einem Traum.

Severus Snape glaubte nicht an Träume. Dieser Job war nicht sein Traumjob, nein, sicher nicht. In einem lausigen Seemannsheim am Hamburger Hafen dahinzuvegetieren, war ihm nicht an der Wiege gesungen worden. Nicht, dass da so besonders viel gesungen worden wäre. Und das Heim war nicht mehr lausig, nicht seitdem er hier Regie führte. Aber trotzdem. Er war höher geboren, als es seine momentane Position im Leben anzeigte. Und das befriedigte ihn ungeheuer. Träume, pah.

Severus Snape hatte nicht an Träume geglaubt. Bisher. Er schloss den Mund mit einem nur für ihn selbst vernehmbaren Laut und starrte mit seinen schwarzen Augen, die schon von anderen als gefährlich bezeichnet worden waren, den Neuankömmling an. Dessen Augen ließen ihn nicht los, als er jetzt direkt vor dem Tresen seinen Seesack fallen ließ. Grüne aufmerksame Augen hinter einer lächerlichen runden Brille. Schwarze strubbelige Haare, schwarze erstaunlich starke Augenbrauen. Pinkfarbene Lippen in einem glatten cremeweißen Gesicht, dessen Wangen nun rosig waren von der Anstrengung. Ein blau-weiß gestreiftes bretonisches Fischerhemd, das eng genug saß, um den muskulösen Oberkörper ahnen zu lassen. Ein grünes Baumwollhemd offen darüber. Jeans. Irgendwelche Schuhe. Der Mann war nicht besonders groß und nicht besonders kräftig. Eher ein Smutje als ein richtiger Seemann. Aber man konnte nie wissen. Die kleinen schmalen konnten kräftiger sein, als man auf den ersten Blick annehmen würde. Jung. Sehr jung. Höchstens 20. Und schon gestrandet. Es war ein Elend.

Severus Snape sah von oben auf den schwarzen Kopf herab. Noch hatte keiner von ihnen ein Wort gesagt. Das war doch sehr sonderbar, sogar für ihn. "Guten abend", sagte Snape. Seine Stimme klang seltsam. Ein Teil von ihm wollte den Jungen wegschicken, behaupten, es sei kein Bett frei. Er wollte keinen Ärger. Und die Verkörperung seines Traums vor sich zu sehen, ihn in der Nähe zu haben, bedeutete Ärger. Gewiss. Neben allem anderem: Wieso sollte ihn ein solcher Junge schon wollen? Ihn, den 40-jährigen, mageren, hakennasigen, übellaunigen, fetthaarigen Bastard, der sich in diesem Wohnheim zur Ruhe gesetzt hatte? Er kannte all das, was man über ihn flüsterte. Und es stimmte alles. Er war nicht gerade ein Hauptgewinn, für niemanden. Nicht mal für sich selbst. Wer würde jemand wollen, der vor der Welt und dem, was er in ihr erlebt hatte, geflohen war? Dieser Junge brauchte nur ein kurzfristiges Rückzugsgebiet, dann würde er wieder in die Welt, und in all das, was sich ihm in ihr bot, hinausgehen. Nein, es hatte keinen Sinn, sich von Träumen leiten zu lassen. Snape verdammte sich selber für seine überreife Phantasie. Es stimmte wohl, was man sagte. Immer allein sein ließ einen dem Wahnsinn verdammt nahe kommen. Was dachte er über diesen Burschen nach? Der hatte noch kein Wort gesagt, und schon meinte Snape, sein früheres und sein weiteres Leben interpretieren zu können. Er sollte wirklich mit dem Fernsehen aufhören. Es tat ihm nicht gut.

"N'abend", sagte der Junge jetzt. Seine Stimme war nicht besonders bemerkenswert. Die Gefühle, die Severus durchströmten, als sich die rosigen Lippen öffneten, waren damit nicht zu erklären. Er starrte, und wusste, das sein Gesicht wie eine böse kalte Maske aussah. Dabei lief Blut durch seine Adern, wirklich, gerade jetzt sogar ziemlich schnell. Aber das musste ja nicht jeder wissen. Snape erlaubte sich ein winziges Kopfnicken, als Zeichen, dass er die Anwesenheit des anderen registriert und ihn verstanden hatte. Sonst dachte der noch, er sei taub. In seinem Alter.

"Ich brauche ein Bett", sagte der Junge, und seine Stimme kiekste. Snape starrte weiter. Noch jünger als er gedacht hatte. Vielleicht noch im Stimmbruch? Du lieber Gott. Nein, es war ein Lachen. Ein sehr trauriges Lachen, genaugenommen. Nicht dass er da ein besonderer Experte war.

"Logisch nicht?", sagte der Junge und sah ihn mit irgendwie verdächtig glänzenden Augen an. "Ich meine, ich würde doch nicht in ein Seemannsheim kommen und ein Haus kaufen wollen."

"Nicht um die Uhrzeit", sagte Snape, während er wie hypnotisiert in die grünen Augen starrte. Der Junge würde doch wohl nicht anfangen zu heulen? Oh, bitte nicht. Nein, er kiekste wieder, blinzelte kurz und danach glänzten die Augen weniger. Gut.

"Ich weiss, dass es schon spät ist. Aber ich kam nicht früher los." Die Augen waren wirklich beschwörend. Snape konnte alle möglichen Dinge darin sehen. Flucht, Angst, Schmerzen. Er riss seien Augen los. "Nationalität?" Die grünen Augen leuchteten auf. "Englisch". "Gut". Ein Landsmann. Selten, heutzutage. Die meisten waren Malaien. Oder Russen. Er blätterte in seinem Gästebuch, obwohl er wusste, dass noch ein Bett frei war. In einem Raum, den nicht die Trunkenbolde und Radaubrüder bewohnten. Sogar Engländer waren die Bewohner. Ein uralter ehemaliger Kapitän und sein riesiges Faktotum. Doch. Da würde der Junge sicher sein. Auch vor ihm. Snape schnaubte. Und er vor ihm. Gut.

Nachdem der Junge ihm sein Heuerbuch gegeben hatte, das auf einen "Potter, Harold J." ausgestellt war, führte Snape ihn in das englische Zimmer. Dort war noch Licht. Snape klopfte an und öffnete die Tür. Der alte Mann mit dem weißen langen Bart und dem Haarknoten stopfte eine Hose, wobei er irgendwelche bunten Bonbons kaute. Snapes Gesicht verzog sich. Wie der Mann so alt geworden war, entzog sich seiner Kenntnis. Bei der Ernährung. Der Riese lag auf dem Boden und spielte mit einer Ratte, die er nun schnell verschwinden lassen wollte. Snape schnaubte. Er hatte es doch gewusst.

"Keine Tiere, Rubeus. Ich hab es dir schon hundertmal gesagt." Der Riese machte einen Schmollmund, soweit man das hinter dem Gewirr von Bart sehen konnte. "Sie ist doch noch so klein, Severus, und tut gar nichts, guck. Aua". Er hielt sich den kleinen Finger, in dem die spitzen Zähne der riesigen Ratte ein blutendes Loch hinterlassen hatte. "Die Ratte fliegt raus, Rubeus, oder du fliegst mit ihr." Das fehlte noch. Ratten kamen in der Nähe des Hafens von ganz allein, man musste sie nicht auch noch einladen. Snape war beinahe sicher, dass Hagrid sie auch fütterte. Bei den Mengen die der Mann selber vertilgte, fiel das nicht groß ins Gewicht, aber trotzdem. Es ging ums Prinzip.

"Okay", sagte Hagrid und sah traurig aus. Snape schnaubte. Sie hatten dieses Gespräch jeden Tag gehabt und sie würden es weiterhin jeden Tag haben. Soviel war sicher. Warum er sich überhaupt noch darauf einließ, wusste er selber nicht.

"Cool", sagte der Junge, Harold, und trat in das Zimmer. "Ich kannte mal eine Ratte, die hatte eine silberne Vorderpfote." Snape richtete die Augen gen Himmel. Tierfreunde unter sich. Wunderbar. Er griff die Tür, um den Raum zu verlassen. Sollten sie doch machen, was sie wollten. "Das ist Harold. Dies hier sind der alte Albus und der große Rubeus. Frühstück gibt's ab halb 7." Er wandte sich zum Gehen, als die grünen Augen sich wieder auf ihn richteten. "Harry", sagte der rosige Mund, "mein Name ist Harry". Snape zuckte mit den Achseln. Was machte es schon für einen Unterschied? "Mein Name ist Severus Snape". Und er machte glasklar, dass er noch viele Jahre brauchen würde, um mit ihm auf einer Vornamenbasis zu verkehren. Wenn überhaupt jemals. Auf de Weg zurück zu seiner Rezeption hörte Severus das animierte Geschwätz der Männer. Wenn sie noch lauter würden, flogen sie raus. Diesmal wirklich.

Severus setzte sich auf seinen Drehstuhl und schaltete den Fernseher ein. Seine Zähne kauten auf seiner Unterlippe herum, während er sich durchs Programm zappte. Ah ja. Das war es. Ein alter Schwarzweißfilm mit Errol Flynn als Freibeuter der Meere. Sein Abend war gerettet.