Disclaimer: Erestor, Glorfindel, Elrond, und alle sonstigen aus dem Herrn der Ringe bekannten (bis auf die wenigen, denen ich selbst Leben eingehaucht habe) Personen, Kreaturen und Orte gehören natürlich Tolkien. Ich habe sie mir nur geliehen um mir ein wenig die Zeit zu versüßen. Ich verdiene rein gar nichts damit, versteht sich. Außer vielleicht ein paar Reviews.
Anmerkung: Ich habe diese Geschichte vor zwei Jahren geschrieben und sie nun unvollendet wiedergefunden; ich war der Meinung, dass sie vollendet und hier veröffentlich gehört. :)
Bruchtals Gesandter
Schatten über Dol Guldur
Es war das Jahr 3018 des Dritten Zeitalters, als eine neue Dunkelheit über Mittelerde zu kommen schien. Der winterliche Himmel war voller bedrohlicher, schwarzer Wolken, doch sie zogen nicht über die Lande, sondern verharrten einnehmend und erbarmungslos über einem bestimmten Ort im Nordosten. Sie schienen hinab zu grinsen auf die ohnehin schon dunklen Wälder, so als erwarteten sie dort Verbündete von eben solcher Schwärze, aus der sie selbst bestanden.
Weiter im Westen, in einem stillen, friedlichen Tal, wurde einer Zeuge jener hämischen Versammlung der schwarzen Wolken und es bekümmerte ihn, zu sehen, wie die Finsternis über den Wäldern sich stetig vertiefte.
Er stand am Fenster seines Studierzimmers und starrte mit nahezu mürrischer Miene in den Himmel, als ob er die Wolken durch bloßes Anstieren vertreiben könnte. Dabei wusste er genau, dass jene Wolken Vorboten großen Übels sein mussten, das die Welt mit Schmerz und Leid überziehen würde, ganz gleich, welches Volk auch betroffen sein würde.
Das alte, schöne Volk, dem er selbst angehörte, würde vielleicht sogar am erbittertesten kämpfen müssen, obgleich ihre Zeit in den sterblichen Landen auf ihr Ende zuging. Und als er die Wolken in ihrer Gesamtheit wahrnahm, verstand er auch, warum es bald Zeit wurde zu gehen.
Die Welt war immer und immer wieder von Krieg heimgesucht worden, solange er zurückdenken konnte. Und all die Kämpfe und Schlachten hatten Narben hinterlassen, die kaum mehr zu verbergen waren. Die Elben hatten in den vergangenen Zeitaltern stets tapfer gekämpft, denn zumindest der erste Krieg hatte zunächst nur ihnen gegolten. Aber auch Menschen und Zwerge hatten größten Mut bewiesen und ebenso ihre Leben geopfert, um dem Bösen die Stirn zu bieten.
Doch die alte Ordnung sollte nun ein Ende haben. Warum sollten die Elben weiterhin versuchen die anderen Völker mit ihrer ihnen eigenen Weisheit, Erfahrung und Tapferkeit zu schützen? Wer nämlich würde sie schützen? Ihre Fähigkeit Jahrtausende zu überdauern konnte sie nicht vor dem Tode bewahren, denn gegen Klingen aus harten Metallen war sie machtlos und nichtig.
Sie würden bald in den Westen ziehen und die Welt ihrem Schicksal überlassen. Dies jedoch würden sie nicht aus Erhabenheit oder Eigennutz tun, sondern allein aus Müdigkeit. Diese Welt machte sie müde, und wenn sie nicht gingen, würde die Welt sie in ewigen Schlaf betten, aus dem nicht einmal die Mächtigen oder der Eine sie würden erwecken können.
Es gab keinen anderen Weg. Jedem Volke Mittelerdes war ein bestimmter Pfad vorgegeben, den es bis zum Ende zu gehen hatte. Der Weg, den die Elben noch zurücklegen mussten, war jedoch nur kurz, und sie waren zu alt und zu erprobt, um von ihm abzuweichen. Einige schon hatten es versucht, doch sie waren bestraft worden, und sämtliche Nachkommen schienen daraus etwas gelernt zu haben.
Auch er hatte gelernt. Sein ganzes Leben hatte er dem Studium und der Lehre dessen, was sich um ihn herum ereignete, gewidmet, und nun war er an einem Punkt angekommen, an dem er so lange verweilen würde, bis seine Zeit gekommen war.
Keine weitere Schlacht würde er bestreiten, nicht mehr, nie mehr. Schon als junger Elb war er vor dem Krieg geflohen, und seither hatte er genug Leid ertragen. Es hatte ihn verändert, es hatte sein Herz schwer gemacht. Zu viele hatte er sterben sehen, zu viele von ihnen hatte er beweint.
Mit einem Seufzen schüttelte er den Kopf. Nein, was auch immer geschah, er würde Bruchtal nicht verlassen, es sei denn, der Feind fiele ein. Dann würde er erneut fliehen, in den Westen dieses Mal, und anschließend seine gemarterte Seele kurieren, um sein unsterbliches Leben in Ruhe und Frieden zu verbringen.
„Erestor?"
Er hatte nicht gehört, dass jemand das Zimmer betreten hatte, was ihn keineswegs wunderte. Dennoch drehte der schwarzhaarige Elb sich nicht um, als sein alter Freund Glorfindel neben ihn trat.
Der stolze, blonde Elb folgte Erestors Blick in den Nordosten, zog es jedoch vor zu schweigen. Es bedurfte keiner Worte, wenn sie zusammen waren. Sie verstanden einander durch bloßes Betrachten des anderen, und Glorfindel wusste, wie betrübt Erestor war über das, was er sah, und das, was er fühlte, was sein Herz ihm sagte.
„Elrond möchte dich sprechen", sagte er schließlich nach einer Weile, ehe er sich wieder der stillen Beobachtung seines Freundes zuwandte.
Erestor nickte kaum merklich und verschränkte dann die Arme vor der Brust.
„Warum möchte Elrond mich sprechen?" fragte er, während er Glorfindel anblickte.
„Ich weiß es nicht, er hat es mir nicht gesagt", erwiderte der blonde Elb ruhig.
„Etwas Gutes kann es jedenfalls nicht sein", stellte Erestor fest, und er deutete flüchtig auf die Wolken.
„Nein, das kann es nicht – nicht, solange der Himmel über dem Düsterwald sich weiter verdunkelt."
„Gewiss wird es um Thranduils Reiche gehen", mutmaßte Erestor mit finsterem Blick.
„Das halte ich für möglich, doch du wirst es in wenigen Augenblicken herausgefunden haben. Je eher du gehst, umso schneller wird sich alles klären."
„Nun, dann will ich Elrond auch nicht länger warten lassen."
Mit diesen Worten verließ Erestor das Zimmer und verschwand im Korridor.
„Du wolltest mich sprechen?"
Vorsichtig spähte Erestor in den Raum. Elrond sah von seiner Arbeit auf und winkte seinen obersten Berater zu sich. Dieser trat ein und schloss behutsam die Tür hinter sich.
„Setze dich doch bitte."
Elrond wies auf den Sessel neben dem Sekretär, und Erestor nahm folgsam Platz. Er musterte Elrond nachdenklich, als hoffte er, in den grau schimmernden Augen des Herrn von Imladris den Grund für die kommende Unterhaltung zu finden.
Doch Elronds Augen verrieten dem Ratsherrn nichts, so dass Erestor schließlich zögernd sprach: „Sage mir also, warum ich hier bin und deine Geschäftigkeit unterbreche."
Elrond warf Erestor einen entschuldigenden Blick zu, ehe er erwiderte: „Du klingst beunruhigt, Erestor. Warum? Weil du gesehen hast, was über dem Düsterwald vorgeht?"
„Über den Wäldern, ja."
„Und", wollte Elrond nun wissen, „was glaubt mein treuer Ratsherr, was er dort gesehen hat? Du hast doch bereits eine Vermutung angestellt, nicht wahr?"
„Das habe ich in der Tat, Elrond." Erestor brachte sich in eine angenehmere Position in dem Sessel, in dem er saß, und zog die Stirn kraus. „Es muss Dol Guldur sein."
Für einen Moment herrschte Stille in dem Raum, und die Elben sahen einander in die Augen.
„Ja. Ja", sagte Elrond schließlich leise. „Dasselbe habe ich auch gedacht. Und deshalb bist du hier."
„Wie darf ich das verstehen?"
„Ich möchte, dass du eine Reise in die Wälder unternimmst und dort Thranduil aufsuchst."
„Warum soll ich in solch finsteren Tagen in den Düsterwald reisen?" fragte Erestor.
„Ich möchte wissen, was dort vor sich geht und ob Thranduil Unterstützung braucht. Außerdem gedenke ich in nächster Zeit einen Rat einzuberufen und ich möchte, dass du Thranduil meine Einladung überbringst. Wenn du wieder aufbrichst, solltest du auch nach Lothlórien reisen und mit Galadriel sprechen."
Erestor schwieg für einen Augenblick.
„Es ist gefährlich dort draußen, die Straßen sind nicht mehr sicher", wandte er schließlich ein.
„Ich weiß, Erestor. Sei dennoch unbesorgt; Glorfindels beste Männer sollen dich begleiten."
„Nun... Habe ich denn eine Wahl, Elrond?"
Der Herr von Bruchtal lächelte traurig. „Ich befürchte, die hast du nicht. Nicht dieser Tage, wenn es wieder dunkel wird..."
„Wann werde ich also aufbrechen?" unterbrach Erestor Elrond sanft.
„Wenn der Morgen graut. Und nimm diese Papiere mit."
Elrond reichte ihm zwei Schriftrollen. Erestor nahm sie wortlos entgegen und erhob sich. Mit einem Nicken wandte er sich zum Gehen.
„Gib auf dich acht", hörte er Elrond noch sagen, doch er erwiderte nichts mehr darauf.
Am Abend traf Erestor Glorfindel in der Kaminhalle wieder. Sie hatten sich an Wein und Brot bedient und zogen sich in einen ruhigen Winkel zurück, wo sie ungestört miteinander sprechen konnten.
„Mir wäre weitaus wohler, könnte ich dich persönlich begleiten", sagte Glorfindel unbehaglich. „Die Wälder sind nicht sicher."
„Düsterwald ist lange nicht sicher gewesen", wandte Erestor ein, „und doch frage ich mich, welche Unruhe über Dol Guldur hereingebrochen ist."
Glorfindel senkte seine Stimme zu einem kaum vernehmbaren Wispern: „Hältst du es für möglich, dass Sauron zurückkehrt?"
„Daran habe ich denken müssen", erwiderte Erestor ebenso leise, den Blick nachdenklich auf seine Hände gerichtet, die augenblicklich in seinem Schoß ruhten. „Allerdings ist der Ring der Macht seit langer Zeit verschollen und ich bezweifle, dass ausgerechnet seine Orks ihn gefunden haben."
„Aber etwas Böses ist dort im Gange... Und sollte Sauron erstarken, wird er erneut gegen die freien Völker Mittelerdes in den Krieg ziehen."
„Doch wird es nicht unser Krieg sein, Glorfindel. Wenn erneut Krieg über die Lande hereinbricht, werden wir in den Westen reisen. Die Zeit der Menschen ist gekommen, und die Tage der alten Allianz sind vorüber."
Hierauf hatte Glorfindel nichts zu erwidern, also trank er ein wenig von seinem Wein, nicht ohne Erestor dabei zu mustern. Dieser schenkte seinem Freund plötzlich ein beinahe ungezwungenes Lächeln, das erste an diesem Tag.
„Lass uns nun nicht mehr über Sauron oder Krieg sprechen", schlug Erestor vor. „Zu viele finstere Gedanken rauben mir noch den Schlaf und ich falle müde vom Pferd, noch ehe ich das Tal überhaupt verlassen habe."
Die Dunkelheit der Nacht wurde allmählich von einem heller werdenden Streifen am Horizont durchbrochen, doch noch war es nicht Morgen. Erestor stand dennoch auf um sich auf seinen Aufbruch vorzubereiten. Er aß eine Kleinigkeit und versorgte sich zudem mit ausreichender Wegzehrung. In seinen Gemächern verstaute er sein leichtes Gepäck in zwei Satteltaschen, die er am Vorabend aus den Stallungen mitgebracht hatte. Nach einem letzten prüfenden Blick, ob er auch nichts vergessen hatte, schlüpfte Erestor in seinen Reitmantel und griff nach seinem Schwert. Ihn erfasste stets ein seltsames, unbestimmtes Gefühl, wenn er sich bewaffnete; schließlich hielt er sonst die Feder und nicht das Schwert.
Kopfschüttelnd nahm Erestor auch das Gepäck an sich, ehe er leisen Schrittes seine Gemächer verließ und über den Korridor hinaus in die frische Luft des dämmernden Morgens trat.
In den Stallungen wartete bereits Glorfindel mit seinen Männern.
„Guten Morgen, Freund", begrüßte der Heermeister Erestor. „Ich hoffe, du hattest eine angenehme Nacht und geruhsamen Schlaf."
„Aber gewiss", erwiderte Erestor.
„Dann solltest du ausgeruht sein für deine Reise. Ich habe dir übrigens Asfaloth gesattelt."
„Du überlässt mir dein Pferd?" fragte Erestor verwundert.
„Du sollst doch zügig vorankommen, mein Freund", entgegnete Glorfindel lächelnd. Das Lächeln konnte allerdings nicht über die Sorge in seinen hellen Augen hinwegtäuschen, und Erestor sah sie nur allzu deutlich.
„Wie aufmerksam... Ich danke dir, Glorfindel", sagte Erestor, der nun ebenfalls lächelte, obschon ihn Glorfindels offensichtliche Beunruhigung sehr betrübte.
Schweigen legte sich sodann über die Stallungen, als Erestor die Taschen an Asfaloths Sattel befestigte, nachdem er das edle Tier hinreichend begrüßt und gestreichelt hatte.
Nach wenigen Augenblicken war Erestor bereit aufzubrechen. Er führte Asfaloth aus den Stallungen hinaus auf den Vorplatz, wo jene drei Krieger warteten, die Glorfindel ausgewählt hatte. Erestor sprach kurz mit ihnen über den Weg, den sie nehmen würden, ehe er sich endlich Asfaloth zuwandte. Als Erestor soeben aufsitzen wollte, spürte er eine Hand auf seinem Arm.
„Sei vorsichtig, Erestor", mahnte Glorfindel.
„Aber ja. In wenigen Wochen werde ich wieder hier sein. Sei unbesorgt, alter Freund."
Glorfindel nickte wortlos und zog Erestor in eine weniger angemessene Umarmung. Lächelnd ließ Erestor seinen Freund gewähren und drückte ihn ebenfalls sanft. Als Glorfindel ihn losließ, sah er wesentlich gefasster aus.
„Versteh mich nicht falsch, lieber Erestor", entschuldigte Glorfindel sich, „aber du bist ein Gelehrter und dort draußen warten keine Folianten auf dich."
„Und du versteh mich auch nicht falsch, lieber Glorfindel, aber in den letzten Zeitaltern habe ich gelernt mit Feinden annähernd so gut umzugehen wie mit Folianten", entgegnete Erestor mit leiser Belustigung. „Und nun sollten wir wirklich aufbrechen. Lebwohl, Glorfindel!"
Mit diesen Worten saß Erestor auf und ritt auf das Tor zu ohne sich noch einmal umzusehen. Die Krieger folgten ihm langsam.
„Lebwohl... Erestor", flüsterte Glorfindel, wohl wissend, dass der Freund ihn nicht hören würde. Er fühlte sich unwohl, wenn er daran dachte, dass Elrond Erestor in die Wälder schickte und nicht ihn. Gewiss konnte Erestor sehr gut reiten und wusste sich auch zu verteidigen, aber ein Krieger war er nun einmal nicht...
Glorfindel kannte Erestor, seit er nach Bruchtal gekommen war. Sie waren Brüder im Geiste und verstanden und vertrauten einander blind; umso größer war daher nun Glorfindels Sorge. Nicht auszudenken, wenn Erestor etwas zustieße, das er hätte verhindern können, hätte er Elrond nur davon überzeugt, ihn als Erestors Begleitung auszuwählen. Doch es war nicht mehr zu ändern; die Dinge würden ihren Lauf nehmen.
