„Lucius, ich fürchte mich", flüsterte Narzissa.

Lucius trat näher an sie heran, legte ihr beide Hände auf die Schulter und küsste sie sanft auf die Stirn. Auch er hatte sich verändert. Narzissa erkannte die Veränderung deutlich, nicht nur sein Verhalten war anders, auch sein Äußeres hatte sich verändert. Einst der selbstsichere, etwas arrogante Mann mit den langen Haaren in schimmerndem Weißblond, war er nun schreckhaft, sein Haar war stumpf geworden und unter seinen geröteten Augen hatten sich tiefe Schatten gebildet. Und sehr zu Narzissas Besorgnis, griff er auch immer öfter zum Wein.

Sie schloss die Augen und sog seinen Duft ein, in dem neben seinem Parfüm auch der Geruch von Alkohol lag. Sie vermisste den starken Lucius, bei dem sie sich immer sicher und geborgen gefühlt hatte.

„Ich mich auch, Narzissa", flüsterte er mit heiserer Stimme zurück.

„Oh, Lucius. Ich mache mir solche Sorgen um Draco!" Narzissa spürte Tränen in sich aufsteigen. Seit Draco fort war ging es im Malfoy Manor drunter und drüber. Der Dunkle Lord, der Lucius schon seit seiner Rückkehr wie eine Witzfigur behandelte, war nun dazu auch noch wütend. Wütend, weil Draco ihn verraten hatte. Für Hermine Granger, eine Muggelgeborene. Aber andererseits war Narzissa auch unglaublich stolz auf ihren Sohn, denn er hatte das getan, was sie sich niemals getraut hatte: den Kampf gegen den Dunklen Lord aufzunehmen und zu tun, was er für richtig hielt.

„Was sollen wir tun?", fragte Lucius.

Narzissa hatte sich alles schon genau überlegt. Aber es war doch etwas ganz anderes, es dann auch wirklich zu sagen, geschweige denn in die Tat umzusetzen.

„Wir müssen hier weg. Weg von alledem", wisperte sie.

Entsetzt schaute Lucius sie an. „Aber er wird uns finden." Seine Stimme wurde schrill und Narzissa spürte seine Furcht. Die gleiche Furcht, die auch von ihr Besitz ergriffen hatte.

„Nein, Lucius." Sie atmete tief ein. „Lucius, wir müssen hier weg. Weg aus diesem Haus, weg vom Dunklen Lord."

Lucius begann zu zittern. „Narzissa, wohin sollen wir gehen? Was sollen wir tun? Er wird uns finden, egal wohin wir fliehen. Er wird uns überall finden."

„Wenn wir hier bleiben, wird er uns bestrafen." Narzissa war den Tränen nahe. Sie hatte nicht nur Angst um sich selbst und um Lucius, sondern auch um den meistgeliebten Menschen in ihrem Leben: Draco. Sie wollte, dass er glücklich war und wenn sie ehrlich war, sie konnte es ihm nicht verübeln mit Granger fortgegangen zu sein. Aber hatte er nicht einmal an seine Eltern gedacht? Was aus ihnen werden würde? Sie konnten von Glück sprechen, dass der Dunkle Lord gerade damit beschäftigt war, einen Krieg zu planen, sodass er sich nicht mit weniger wichtigen Problemen wie weggelaufenen Jugendlichen befassen konnte.

„Wir müssen fliehen. Jetzt. Solange er uns nicht beachtet", wisperte sie. Sie sprach leise, denn sie hatte Angst, dass Bellatrix jeden Moment das Zimmer betreten könnte. Und Bellatrix war wohl die treueste Anhängerin, die Lord Voldemort jemals gehabt hatte. Und noch dazu war sie die Verrückteste. Sie würde alles, einfach absolut alles für ihn tun. Narzissa war sich sicher, dass ihre Liebe zum Dunklen Lord tiefer war als die zu Narzissa.

Lucius' Hand krallte sich in ihre. „Fliehen. Ich kann nicht." Seine Stimme war brüchig und er sah sie nicht an. „Wir bleiben, wo wir sind." Er hob den Kopf und sah sie aus glasigen Augen an. „Und wir werden nie wieder ein Wort über dieses Gespräch verlieren."

Er ließ sie los und verließ das Zimmer. Narzissa blieb zurück, blickte ihm nach und wusste nicht was sie tun sollte. Sie wollte nichts sehnlicher, als dass Draco in Sicherheit war. Doch wie sollte sie das erreichen, solange der Dunkle Lord lebte und an der Macht war? Sie wollte wieder glücklich sein, mit ihrem Mann und ihrem Sohn. Sie seufzte tief, wischte sich eine einzelne Träne von der Wange und hob dann entschlossen den Kopf. Sie würde dieses Spiel mitspielen, solange es nötig war.