Disclaimer: Noch alles meins. Muharhar!

A/N: Folgt mir einfach mal ein kleines Stück. Wohin uns der Weg führt werden wir sehen, wenn wir angekommen sind.

Sound (und Titelspender): "Square One" von Tom Petty (Elizabethtown Soundtrack)

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Leben schenken und entreißen. Die Macht des Autors, gegeben durch eine Feder und ein Stück Papier. Mehr braucht es nicht um Schicksale zu verteilen, gute wie schlechte.

Eine Faszination an Möglichkeiten, die sich dadurch bietet, denn auf Papier beugt sich alles dem Wort, selbst der Tod.

Schreiben ist eine Leidenschaft. Eine Passion. Die Kunst des malens mit Worten. Gemälde aus flüssigem Gold, denen ich hinterherjage, und die ich doch nicht erreichen kann, denn kein Gold fängt sich in meiner Feder.

Und doch jage ich sie übers Papier, unerbittlich, in dem stümperhaften Versuch es doch noch zur Perfektion zu bringen. Übung macht bekanntlich den Meister. Und jenen, die nicht zum Meister ausersehen sind, bleibt nur der Versuch.

Ein solcher Versuch ist es auch heute. Der Versuch, den bunten Schmetterling der Phantasie auf dem Papier für den Leser zum Fliegen zu bringen. Eine schwierige Disziplin. Denn das Wörtchen "fliegen" reicht hier lange nicht aus. Vielmehr muss er flattern und schweben und dahingleiten im Wind, der sacht über die bunte Blumenwiese im glitzernden Sonnenlicht streicht.

Die Wärme der Sonne, der Duft der Blumen, das Gefühl des Windes auf der Haut, die kleinen weißen Wolken am strahlend blauen Himmel, die Berge am Horizont...sie alle heißt es dem Leser nahezubringen, ihm zu zeigen, bis er sie sieht und riecht und fühlt. Ein einziges Muster, gewebt aus allen Sinnen.

Aber ich kann es nicht. Nicht heute. Ich schaffe es nicht erst einen Gedanken fest zu halten, in aufs Papier zu bringen, dann den nächsten zu greifen, und den nächsten und immer so weiter, bis das Blatt voll ist und ich zumindest ein wenig zufieden bin mit meiner Arbeit, selbstkritisch wie ich bin. Heute übersteigt diese Tätigkeit meine Kraft.

Ich seufze und hebe meinen Blick, lasse ihn über meinen Schreibtisch zum Fenster hinausgleiten. Der Himmel draußen ist dunkel. Ein paar Sterne glitzern. Ich bin schon lange ein Nachtschreiber, lebensbedingt. Der Schlaf leidet etwas darunter, aber solange ich nicht mitten im Laden einschlafe ist auch das kein großes Problem. Zum Ausschlafen gibt es Wochenenden.

Inspiration finde ich aber auch vor meinem Fenster nicht. Nicht hier, mit dem Blick auf den Fussballplatz eines Amateurvereins, der sich dunkel vor mir ausbreitet, fast wie ein Teppich. Ich denke ein wenig wehmütig an den Ausblick zurück, den mir das Fenster meines alten Kinderzimmers geboten hat, bis vor ein paar Monaten. Gleich hinter der Straße eine Gartenhaussiedlung und dahinter ein riesiges Erholungsgebiet, sehr viel grün mit See in der Mitte. Am Horizont konnte man die Berge sehen und die glitzernden Licher unzähliger Laternen in der Nacht. Das alles mitten in der Großstadt. Blick auf ein Paradies aus dem sechsten Stock.

Ich vermute allerdings, dass selbst dieser Anblick nichts an meiner Inspirationslosigkeit ändern würde. Nicht mit der Fensterscheibe zwischen mir und der Welt, die offenbar meine Phantasie draußen hält.

Also hinaus, beschließe ich. Hinaus zum Phantasie jagen.

Aber wohin? Hinaus ist groß.

Der kleine Park hinter dem Wohnhaus ist mir zu dunkel um diese Zeit. Und mit zu wenigen Menschen gefüllt, die ich beobachten könnte. Denen ich Schicksale andichten und Lebensziele hinzudenken kann, bis mir wieder eine Geschichte einfällt, die ich niederschrieben und erzählen will.

Bahnhof, entscheide ich. Unzählige Möglichkeiten auf Geschichten zu stoßen.

Also nehme ich meine Jacke vom Haken, schlüpfe hinein und stecke meinen Notizblock in meine Jackentasche. Ich greife nach dem Schlüssel, lösche das Licht und verlasse die Wohnung. Spontane Entscheidung.

Das Treppenhaus begrüßt mich mit Stille und schummrigen Licht und grauenhaften Tapeten, die ich mir nie in meine Wohnung geben würde. Marke Urgroßmütterchens Vorzimmer. Ich schließe ab und laufe die drei Stockwerke hinunter, die mich von draußen trennen. Ich stolpere fast in meiner Hast, getrieben durch die kindliche Vorfreude nun doch noch der Phantasie zu begegnen heute Nacht.

Ich rausche an den Postkästchen vorbei, in denen auch heute keine Post für mich war, nur eine Rechnungsermahnung für den Vormieter und Reklame. Und dann bin ich auch schon an der Eingangstür und reiße sie auf und die kühle Nachtluft weht mir entgegen. Ein kalter Schauer läuft mit über den Rücken. Es ist eindeutig zu kalt für diese Jahreszeit.

Ich schieße den Reißverschluss meiner Jacke und verlasse nun entgültig mein Wohnhaus.

Der Weg vom Gemeindebau zur U-Bahn Station führt mich an der Tankstelle vorbei und weiter zum Supermarkt. Ich hätte auch den anderen Weg nehmen können, den schöneren, vorbei am Altersheim und Fussballplatz, aber der ist um diese Zeit genauso finster und verlassen wie der Park. Und ich brauche es jetzt auch irgendwie, etwas anderes als Stille. Das Rausche der nahen Kreuzung tut gut.

An einer Straßenlaterne grinst mich von einem Plakat ein Mann an, Politiker, der freudestrahlend ankündigt demnächst am nahen Markt zu sein, um wieder sein typisches Programm zu bieten: kleine Kinder küssen, Hände schütteln, sich mit alten Damen fotografieren lassen, auswendig abrufbare Sätze aus dem Parteiprogramm ins Publikum rufen.

Zwei Laternen weiter ein anderer Mann, aktuelles Regierungsmitglied, den man doch bitte wählen soll "Weil er's kann", so der Slogan. Ich frage mich, warum er uns das nicht schon bewiesen hat, wenn ers doch angeblich kann.

Politiker, wie die Schlange Kaa Dschungelbuch.

Dann endlich der scheußliche Glasbau, der sich auch U-Bahn Station nennt. Nur vier Stationen muss ich von hier fahren. Der Bahnsteig ist fast leer und ich habe Glück. Die U-Bahn kommt gleichzeitig mit mir in der Station an.

Die Bahn selbst ist nicht viel voller als der Bahnsteig zuvor. Ein paar Fahrgäste, wahllos verstreut auf Vierersitzplätzen. Ein verliebt kuschelndes Pärchen, ein alter Mann mit Hund, ein Mann mit Aktentasche, Anzug und Handy und eine Frau mit schwarz Haaren, die aus der Fensterscheibe in die Dunkelheit starrt.

Ich setze mich auf eine freie Viererplatzinsel, streiche mir ein paar meiner rotblonden Locken aus dem Gesicht und betrachte meine Reflektion in der Fensterscheibe, während der Wagon schüttelnd und rüttelnd an-, durch den langen Tunnel hindurch- und in die nächste Station einfährt.

Der alte Mann steigt aus, drei angeheiterte Männer mit Bierdosen in der Hand steigen ein. Ich betrachte weiterhin mein Spiegelbild, auch als sie sich zu mir setzten, obwohl sonst auch genug Platz wäre.

"Na Schnucki?", sagt der Kerl neben mir, Typ verschwitzter Truckerfahrer, und legt einen Arm um meine Schulter.

Ich wende meinen Blick vom Fenster ab, sehe ihn direkt an und schiebe seinen Arm von meinen Schultern. Dann stehe ich auf. Lieber setze ich mich zu dem Pärchen. Aber der vermeidliche Truckerfahrer hält mich am Handgelenk fest. "Nichts da, Püppchen. Du bleibst schön hier.", knurrt er und sieht dabei ziemlich irre aus.

Mein Blick huscht hilfesuchend zu dem Pärchen, das aber verschwunden ist. Vermutlich sind sie vorhin ausgestiegen. Der Aktenkoffermann ist auch nicht mehr da.

Ich versuche mein Handgelenk loszubekommen, aber er hält es fest wie mit einem Schraubstock.

"Lass sie los."

Die Frau mit den schwarzen Haaren ist plötzlich neben mir aufgetaucht. Sie ist am anderen Ende des Wagons gesessen, an sie habe ich in meiner Panik gar nicht gedacht.

Der Kerl lässt sich aber nicht von ihr beeindrucken, sondern lacht nur und seine Kumpels lachen mit.

"Ich sag es nur noch ein Mal.", droht sie. "Lass sie los."

"Sonst was?", grinst der Trucker hönisch.

"Sonst das.", sagt sie und dann schlägt sie ihm nur leicht auf seine Hand und er schreit auf und mein Handgelenk ist frei. Ein Freund des Truckers knurrt und versucht nach ihr zu greifen, aber ich trete ihn kräftig gegen sein Schienbein und er schreit auf und greift lieber dorthin, als meine Retterin an. Diese ergreift meinen Arm und zieht mich zur Tür. Die Türe geht auf, wir sind eben in der Station gelandet. Hinter uns gleitet die Tür gleich wieder zu und die wütenden Typen, die uns eigentlich folgen wollten, können nur dagegenpoltern und brüllen, ohne Erfolg.

Die Frau grinst und sieht mich schließlich an, als sich der Zug wieder in Bewegung setzt. "Nettes kleines Abenteuer."

"Danke.", sage ich.

"Kein Thema.", lächelt sie. "Alles in Ordnung mit dir?"

"Ja.", antworte ich und drehe probeweise meine Hand hin und her. "Ja, alles in Ordnung." Dann strecke ich ihr meine nicht gequetschte Hand hin. "Ich bin Lisa."

"Joy.", sagt sie, ergreift meine dargebotene Hand mit ihren schlanken Fingern und schüttelt sie.