So, nun komme ich nach langer Zeit mal dazu, dem ganzen hier den üblichen Rahmen zu geben. Ursprünglich sollte die ganze Story ein One-Shot sein, deshalb ist das erste Kapitel auch etwa doppelt so lang wie die anderen. Aber irgendwie hat mich das Ding nicht mehr losgelassen. Hier beginnt also eine kleine Odyssee, Remus allein im Wald (zunächst). Der ganze Handlungsverlauf ist an das Ende des dritten Bandes, Harry Potter und der Gefangene von Askaban, angeschlossen und wird irgendwann voraussichtlich damit enden, dass Sirius nach Hogsmeade zurückkehrt, um Harry bei den schwierigen Aufgaben im Trimagischen Turnier beizustehen, falls meine Muse mir treu bleibt. Wenn nicht, beschwert euch bei ihr XD.
Das Genre ist etwas schwer zu definieren: Allgemein, Drama, Romance, Action, Humor ... es ist von allem was dabei.
Disclaimer: Das HP-Universum gehört nicht mir, leider. Ich verdiene kein Geld hiermit.
Marauders once more
1. Reue
Ich erwache, weil ich wie ein Schneider friere und mir jeder Knochen im Leib wehtut. Na ja, fast jeder. Meine Zähne schlagen aufeinander. In meinem Schädel dröhnt es, als hätte ich die Nacht durchgesoffen. Wie jedes Mal, wenn ich nach dem Vollmond wieder zu mir komme. Nur dass heute noch pochende Schmerzen im Genick dazukommen, wie ich sie bisher nie hatte. Ich betrachte meine Hände und entdecke dunkles Blut unter den Nägeln und auf den Kuppen, ein paar schwarze Fellhaare kleben daran. Schwarze Haare … schwarz! Nicht grau oder braun, wie meine. Schwarze. Ich versuche mich zu erinnern. Was ist passiert? Wo bin ich, verdammt noch mal? Wieso ist es so elend kalt und … feucht? Frühtau bedeckt das Gras und Moos um mich herum, Nebelschwaden wabern über den Waldboden. Ich bin im Wald! Nicht in meinem Büro, nicht in der Heulenden Hütte, nicht auf der Krankenstation … scheiße! Ich liege nackt und schutzlos mitten im Verbotenen Wald. Und wenn die gewohnten Migräne-Wellen nicht durch mein Hirn ziehen würden, dann wäre ich jetzt ziemlich schockiert. Aber langsam kommt die Erinnerung wieder … Stück für Stück setzt sich das Puzzle in meinem Kopf wieder zusammen.
Ich war in
meinem Büro – ich habe die Karte der Rumtreiber studiert –
ich habe gesehen, wie Harry, Ron und Hermine aus Hagrids Hütte
kamen … mit … Peter Pettigrew. Meine Körperbehaarung stellt
sich auf, eine Gänsehaut überzieht mich, als wäre
gerade jemand über mein Grab gegangen. Peter, der Mann, den ich
dreizehn Jahre lang für tot gehalten habe … getötet von
meinem besten Freund, dem "Verräter" Sirius Black. Mein Herz
beginnt auf einmal zu rasen. Ich starre auf die schwarzen Haare und
das Blut. Sirius war da! Er ist gekommen, hat die Kinder in die
Heulende Hütte gelockt … oder wie man das nennen will. Er ist
zurückgekommen, nach all den Jahren.
Ich dachte, er sei längst
tot, bis ich von seiner Flucht hörte. Doch er ist nicht zu mir
gekommen. Er war nur von einem einzigen Gedanken beseelt und
getrieben, nämlich die Ratte zu töten, die ihn verraten
hat.
Peter, der kleine Peter Pettigrew hat es getan. Dem wir nie etwas zugetraut haben, den wir immer durchgeschleppt haben, seit dem dritten Jahr. Ohne uns hätte er nie im Leben seinen Abschluss geschafft. Er hat uns alle verraten. Er war am Leben, die ganze Zeit. Er hat James und Lily verraten, er hat dafür gesorgt, dass Sirius für die Tat verantwortlich gemacht wird, er ist untergetaucht und hat seinen eigenen Tod vorgetäuscht. Dieser Mann hat mir alles genommen, was ich je hatte. Ich habe ihn gestern wiedergesehen. Wie ein Gespenst aus der Vergangenheit. Ich habe mit ihm gesprochen, mir seine Lügen und Ausreden und neuen Beschuldigungen gegen Sirius angehört, habe gesehen, wie Sirius fast den Verstand verloren hat deswegen. Ich wollte ihn töten, so sehr wie Sirius es wollte. Mein Herz war dabei kalt wie Eis, nicht ein Funken Mitleid hat sich in mir geregt für den Mann, den ich für einen Freund hielt, um den ich getrauert habe wie um einen Bruder. Mit dem ich als Schüler sieben Jahre lang das Zimmer und meine kleinen und großen Geheimnisse geteilt habe. Ich habe selbst als Werwolf nie größere Mordlust verspürt als gestern Abend. Einzig und allein Harry hat verhindert, dass ich ihm sein stinkendes Fell über die Ohren gezogen habe. Ich weiß nicht, ob ich ihm dankbar dafür bin.
Ich fühle mich leer und irgendwie ist mir schlecht, wenn ich daran zurückdenke. Ich glaube, ich hätte ihn lieber umbringen sollen. Harry hätte es irgendwann verstanden. Dass es manchmal Dinge gibt, die ein Mann tun muss. Ich hätte ihn töten sollen. Dann wäre ich jetzt wohl ein Mörder, aber es würde mir besser gehen.
Ein ekliger Geschmack ist in meinem Mund, ich könnte speien. Speichel sammelt sich auf meiner Zunge und ich richte mich mühsam auf, um auszuspucken. Als ich über meine Lippen lecke, spüre ich auch daran Haare kleben … Haare, die an getrocknetem Blut kleben. Igitt, ich glaube, ich muss mich wirklich gleich übergeben. Ich kann sie nicht mit den Händen entfernen, denn die sind ja auch voller Haare und Blut.
Was habe ich getan? Ich habe diesen Scheiß-Trank vergessen! Vor lauter Aufregung, als ich losgestürzt bin, um die Kinder vor dem vermeintlichen Massenmörder Black zu retten … dessen Haare und Blut überall an mir kleben. Ich habe es vergessen und die Kinder, Snape und Sirius in tödliche Gefahr gebracht. Ich bin so ein Idiot! Ein verantwortungsloser Vollidiot, der bei Vollmond nach draußen rennt, ohne seinen Wolfsbann einzunehmen, das bin ich. Meine Stirn sinkt in das feuchte Gras und ich lege die Hände über den Kopf, Verzweiflung übermannt mich so heftig, wie seit über zwanzig Jahren nicht mehr. Eine Gefahr für meine Umwelt, immer noch! Wäre Sirius nicht da gewesen, dann hätte die Bestie jetzt Tod und Verwüstung angerichtet, gebissen, wen der Mensch Remus liebt und schätzt … ein heiserer Schrei drängt sich aus meiner Kehle, weil ich mich selbst nicht ertragen kann in diesem Moment. Ich dachte, ich hätte den Wolf unter Kontrolle, ich dachte es wirklich. Ich bin nach Hogwarts gekommen, an einen Ort voller unschuldiger Kinder … und kann doch das Biest nicht im Zaum halten. Ich werde kündigen, auf der Stelle. Ich muss weg von hier, irgendwo hin, wo ich niemanden mehr gefährden kann.
Weg von hier ist ein gutes Stichwort. Ich liege allein und nackt im Verbotenen Wald. Ich muss weg, auf der Stelle. Es gibt Kreaturen hier drinnen, die mich im momentanen Zustand fressen würden, ohne mit der Wimper zu zucken. Vielleicht sollte ich einfach liegen bleiben und warten, bis eine davon auftaucht. Dann wäre ich noch zu irgendwas nutze. Doch irgendwo da ganz tief drinnen in mir erwacht der zähe Überlebenswillen, der mich schon so lange daran hindert, einfach aufzugeben. Ich kann das nicht. Ich kann mich nicht umbringen, ich hab's schon versucht. Vielleicht ist es der Wolf, der leben will, denn Remus Lupin hätte wahrscheinlich schon vor Jahren das Handtuch geworfen.
An dem Tag, als ich von Sirius' angeblichem Verrat hörte, dachte ich, ich müsste sterben. Ich wollte sterben. In mir war alles kalt und tot. Alle Menschen, die mir was bedeutet hatten, waren tot – und der, den ich am meisten liebte, war dafür verantwortlich, hieß es. Ich hatte keinen Grund mehr weiterzuleben, meine Welt lag in Trümmern und mein Herz war eine einzige große Wunde, von der ich dachte, dass sie nie wieder verheilen würde.
Bis ich ihn gestern Abend wieder gesehen habe. In seinen Augen konnte ich alles lesen, die ganze Geschichte, das Leid, den Schmerz, den Hass, die Schuld, die Selbstvorwürfe, die Liebe, die Entschlossenheit und die Bitte um Vergebung. Wie hätte ich etwas anderes tun können, als zu vergeben. Er hat mehr gelitten, als ein einzelner Mensch zu leiden fähig ist. Er ist zurückgekommen, um das Kind zu schützen, das ihm anvertraut war, nicht um es zu töten.
Vielleicht auch mich? Ach nein, wie lächerlich. Er konnte nicht wissen, dass ich hier bin … er ist allein Harrys wegen ausgebrochen. Weil er erfahren hatte, dass Peter in Hogwarts war – dort, wo sich sein Patenkind befand. Von mir wusste er nichts. Ich habe den Job erst ein paar Stunden nach seinem Ausbruch angeboten bekommen … von Dumbledore persönlich. Aus eben diesem Grund, wie ich annehme. Er dachte sicher, dass ich für Harry ein besserer Schutz wäre als jeder andere, weil ich Sirius kannte wie sonst kein anderer von denen, die noch am Leben sind. Und ich? Ich habe es, selbst nachdem Sirius in den Gryffindor-Gemeinschaftsraum und sogar in Harrys Schlafsaal eingedrungen ist, nicht über mich gebracht, Dumbledore alles zu erzählen, aus Angst, in seine enttäuschten Augen sehen zu müssen und einzugestehen, dass sein langjähriges Vertrauen in mich nicht gerechtfertigt war.
Hat er an mich gedacht? Hat er vielleicht in den Vollmondnächten ab und zu einen Gedanken daran verschwendet, wie es mir geht? Ich weiß es nicht. Ich weiß, dass er Dementoren vor seiner Zelle hatte, Tag und Nacht. Und ich weiß, wie ihre Anwesenheit auf Menschen wirkt. Ich bin gegen sie nicht so empfindlich, ein kleiner Vorteil meiner geteilten Natur. Aber ich kann es auch spüren, wie sie wirken. Wie sie einem die Kraft und den Lebensmut rauben und die schlimmsten Erinnerungen wieder hervorrufen, die man längst vergessen zu haben glaubte. Wie er das zwölf Jahre lang ertragen hat, ist mir ein Rätsel, er muss aus einem viel härteren Holz geschnitzt sein, als ich je von diesem fröhlichen, unverbesserlichen Tunichtgut erwartet hatte. Und obwohl ich ihn für schuldig hielt und ihn hasste, wie ich ihn zuvor geliebt hatte, habe ich ihn an jedem verdammten Tag vermisst. Mir in jeder Vollmondnacht die Seele aus dem haarigen Leib geheult und den menschlichen Körper zerbissen und zerkratzt, weil er nicht bei mir war, um mich vor mir selbst zu schützen.
Einhundertsechsundvierzig hoffnungslose Vollmondnächte, die der Wolf vergeblich nach seinem Gefährten rief.
Gestern Nacht ist er zurückgekehrt, aber es war kein glückliches Wiedersehen. Er hat mich gebissen und gekratzt, so erbarmungslos wie ich ihn. Meine Hände beweisen es. Ich wollte mich auf die Menschen stürzen und er hat mich davor bewahrt, zum Mörder an Kindern und einem wehrlosen Mann zu werden. Er hat mich fortgeschleift von ihnen, ich erinnere mich vage. Ich fühle die Spuren seiner Zähne immer noch in meinem Genick, wo er mich gepackt hat. Ich habe ihn bekämpft, mich gewehrt gegen diese Behandlung, nach ihm geschnappt und mein Gebiss in seine Flanke versenkt. Er hat mich in den Bauch getreten, seine Krallen haben meine Haut aufgerissen, stelle ich fest. Es brennt, aber nicht halb so schlimm wie die Gewissensbisse. Ich habe ihn verletzt, weil er mich daran gehindert hat, die Menschen zu beißen, die mir nah waren.
Er war stärker als ich, das war er immer, aber er hat es meistens nicht beweisen müssen. Wenn er bei mir war, hat er mich auf eine andere Weise kontrolliert als durch rohe Gewalt. Er hat mich abgelenkt, mit mir gespielt, sich zum Schein unterworfen – nur wenn es gar nicht anders ging, hat er mich etwas rauer gepackt und mir gezeigt, dass er stärker ist. Nicht so gestern. Er hat mich bekämpft mit verbissener Entschlossenheit, weil ich nicht aufgeben wollte, weil … Harry in Gefahr war! Nie war mir eine Beute so verlockend nah und schutzlos ausgeliefert, es wäre ein Kinderspiel gewesen, sie zu greifen und zu zerfetzen. Ich konnte ihren Angstschweiß riechen, es hat mich berauscht wie eine Droge.
Sirius hat gekämpft auf Leben und Tod, er hätte mir die Kehle durchgebissen, wenn ich nicht irgendwann aufgegeben hätte. Er hat mir Angst eingejagt, wie noch nie zuvor in meinem Leben, nie habe ich in ihm eine solch glühende Wut gegen mich gespürt. Die Gänsehaut, die mich überzieht, hat nichts mit der Kälte auf diesem Waldboden zu tun. Er meinte es bitterernst. Er war bereit, mich zu töten oder zu sterben, um Harry zu schützen.
Meine Eingeweide verknoten sich von der Fülle widerstreitender Emotionen. Liebe, Hass, Schuldgefühle, Dankbarkeit, Angst und Eifersucht kämpfen um den besten Platz und bringen mich schließlich dazu, mich endlich zu übergeben. Ich spucke fast ausschließlich Galle und Magensäure, eine delikate Mischung, deren Geschmack weiteren Brechreiz hervorruft, bis der Speichelfluss es schafft, die Zunge soweit zu reinigen, dass ich aufhören kann zu würgen. Aber immerhin kein zerkautes Fleisch oder Haare, das ist doch schon mal was. Wenigstens habe ich weder Mensch noch Tier angefallen, von Sirius einmal abgesehen.
Ich war wild vor Gier nach Blut. Vielleicht war es der Mord, der nicht passiert ist, der das bewirkt hat. Der Mord an Pettigrew. Hätte ich ihn getötet, wäre der Wolf vielleicht friedlicher gewesen. Peter hätte es verdient gehabt. Doch die Mordlust ist nicht befriedigt worden, und so war der Wolf voll ungestillter Wut – Remuswut. Der Wolf und ich, wir sind uns manchmal näher, als uns lieb ist.
Die Scham brennt mir im Gesicht und wärmt mich ein bisschen, aber nur dort, der Körper friert weiter und blutet. Ja, ich blute. Die Rückverwandlung ging nicht ohne Selbstverletzungen ab, wie immer, wenn ich keinen Wolfsbann genommen habe. Mein Kopf fühlt sich an, als wollte er zerspringen, die Kratzer und Bißspuren, die Sirius auf meinem Körper hinterlassen hat, brennen und die, die ich mir selbst zugefügt habe, bluten. Ich muss in den Krankenflügel, bevor eines der Wesen, die hier heimisch sind, das Häuflein Elend findet, das ich momentan bin. Weiß nicht, ob Hagrids Thestrale sich zurückhalten könnten, mal von mir zu probieren. Komisch, das noch keines von ihnen hier ist. Oder Aragogs Nachkommen, ich wette, die würden mich auch nicht verschmähen.
Mühsam rapple ich mich hoch. Gott, wie ich diesen Zustand hasse! Schwankend wie ein Betrunkener setze ich vorsichtig einen Fuß vor den anderen, hangele mich von Baumstamm zu Baumstamm. Es dauert eine halbe Ewigkeit, bis ich den Waldrand erreicht habe, das Tageslicht hat schon deutlich zugenommen, die letzten blassen Sterne verschwinden am Firmament. Der Weg über das Gelände sieht von hier aus furchtbar weit aus. Wie soll ich das schaffen, ohne gesehen zu werden? Wie soll ich das überhaupt schaffen? Die Strahlen der aufgehenden Sonne werden von unzähligen Fenstern reflektiert und blenden meine Augen, so dass ich kaum noch was sehen kann. Der hämmernde Schmerz hinter meiner Stirn verstärkt sich, meine Fußsohlen sind wund vom Laufen auf dem stacheligen Waldboden. Ein paar Brombeerranken haben das ihre zu meinem Zustand getan und die wenigen Stellen, die noch an mir heil waren, zerkratzt. Das einzige, was mich jetzt noch auf den Beinen hält, ist der Gedanke an Poppy und eine sehr große Tasse heiße Schokolade.
Mühsam beginne ich den langen Weg über die grünen Wiesen und bete leise, dass kein Frühaufsteher aus dem Fenster schaut oder gar auf die Idee kommt, ein bisschen Jogging durchs Gelände zu machen. Der Boden ist kühl und weich, eine Wohltat für die zerschundenen Füße. Bei Hagrids Hütte mache ich eine kurze Pause, überlege, ob ich anklopfen und mir eine Decke leihen soll, um meine Blöße zu verhüllen. Aber er schnarcht wie ein Sägewerk, Klopfen wäre sinnlos. Ich glaube, nicht mal ein Presslufthammer würde etwas nutzen.
Mir ist jetzt alles egal, ich sammle, was ich an Kraft noch zur Verfügung habe, und gehe zum Schloss, so schnell und würdevoll, wie ich in diesem Zustand kann. Ich habe ein Riesenglück, dass das Portal nicht verschlossen ist – eigentlich komisch. Außer Mrs. Norris begegnet mir nur noch ein Geist, der sich aber gedankenversunken mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt und mich keines Blickes würdigt. Die Portraits schlafen zum Glück auch noch, nur ein paar Schafe heben die Köpfe und sehen mich an, wie ich an ihnen vorbeischleiche. Zum Glück kenne ich alle Geheimgänge und kann schnell aus der Öffentlichkeit verschwinden, wähle einen, der unter der Haupttreppe hinter einem Wandbehang verschwindet und ziemlich in der Nähe des Krankenflügels herauskommt. Ein in früheren Zeiten von mir und Madam Pomfrey sehr oft benutzter Gang. Ich erreiche die Tür und klopfe zaghaft an. Erst kommt keine Antwort, ich versuche es noch einmal etwas lauter, dann wird geöffnet.
Da steht sie vor mir, mein Engel in weiß. Sie hat mich immer wieder zusammengeflickt, so lange ich hier Schüler war, und auch gelegentlich danach. Ihr Gesicht ist übernächtigt, und als sie mich sieht, lese ich eine Mischung aus Sorge und Erleichterung. Sie nimmt meine Hand und zieht mich hinein, denn ich kann kaum noch aufrecht stehen. Nimmt mich in ihre Arme und drückt mich fest an sich, ohne Rücksicht auf Blutflecken und Dreck auf ihrem Nachtgewand oder der Tatsache, dass ich splitternackt bin. Ihre Augen schimmern auf einmal verdächtig, als sie sich von mir löst und mich von oben bis unten mustert. Sie nickt wortlos und führt mich in das angrenzende Badezimmer. Ich sehe mein Gesicht, Kratzer und Blutspuren und bleierne Müdigkeit, zusammen mit einem unnatürlichen fiebrigen Glanz in den Augen. Sie schiebt mir einen Hocker vor das Waschbecken, reicht mir einen Waschlappen und fängt an, die Wunden auf meinem Rücken zu reinigen, während ich, so gut ich kann, alle Stellen wasche, die ich selbst erreichen kann. Das kalte Wasser in meinem Gesicht und die Möglichkeit, endlich den ätzenden Geschmack aus dem Mund zu spülen, tun unendlich gut. Ich trinke ein paar Schlucke, um die raue Kehle zu beruhigen. Sie fährt unterdessen fort, meinen ganzen Körper gründlich zu untersuchen und zu reinigen, ohne die offenen Wunden dabei zu berühren.
„Der
Direktor hat mich informiert, dass … dass du draußen warst
heute Nacht." Sie weiß nicht recht, wie sie darüber
reden soll. Wir waren so vertraut, einst. Ich war in ihrer Obhut, sie
hat mich gepflegt, fürsorglich und aufopferungsvoll wie meine
eigene Mutter.
„Ich hab
mir solche Sorgen gemacht. Ist … ist etwas passiert? Hast du …"
Ich
schüttele den Kopf. Es ist schwer für sie, das
auszusprechen. Sie hat in mir immer den Menschen gesehen, nie die
Bestie.
„Nein,
ich habe nichts gefressen, weder Mensch noch Tier, auch wenn es
vielleicht so aussieht." Sie atmet erleichtert aus.
„Du
siehst furchtbar aus", sagt sie und pflückt ein paar
Kiefernnadeln aus meinem Haar. Als sie die Stellen an meinem Hals
begutachtet, fragt sie irritiert: „Wer war das? Das kannst
du dir doch unmöglich selbst beigebracht haben!"
„Das war
mein alter Freund, Sirius Black. Du erinnerst dich?"
„Wie
könnte ich anders? Er war vorhin hier. Ich habe ihn auf einer
Bahre angeliefert bekommen, von Professor Snape. Er war bewusstlos,
ich habe ihn kaum wiedererkannt." Ihre Hände zittern leicht,
als sie vorsichtig mit dem feuchten Tuch über die Hämatome
wischt, die seine Fangzähne in meinem Genick hinterlassen haben.
Ich schaue zu ihr auf und sehe eine Träne in ihrem Auge
glitzern.
„Wie geht es ihm?", frage ich, denn plötzlich kriege ich kaum noch Luft. Auf einer Bahre, bewusstlos? „Was haben sie mit ihm gemacht? Hat man ihn etwa den Dementoren ausgehändigt?" Ich bin panisch, kurz vor dem Zusammenbruch. „Das dürfen sie nicht tun! Er ist unschuldig! Ich … er hat heute Nacht fünf Menschen das Leben gerettet, oder sechs, wenn man mich dazuzählt …" Denn wie hätte ich damit weiterleben sollen, wenn der Wolf den Kindern etwas angetan hätte? Ich will aufspringen, doch mein Engel macht mir einen Strich durch die Rechnung. Poppy hält mich an den Schultern fest und drückt mich sanft zurück auf den Hocker.
„Er ist entkommen. Es ist ein Mysterium, aber er ist aus einem geschlossenen Büro im siebten Stock geflohen, durchs Fenster anscheinend. Ohne Zauberstab. Keine Spur von ihm." Sie sieht mich mit großen, schimmernden Augen ernst an, doch ein Zittern um ihren Mund verrät mir, dass sie angespannt ist bis zum Anschlag. „Ist es wahr? Ist er wirklich unschuldig?" Jetzt rollt eine Träne über ihre Wange, als ich nicke. „Er sah so furchtbar aus", flüstert sie und ich nicke wieder.
„Ja, er ist unschuldig. Er ist … unschuldig." Auf einmal kann ich nicht mehr. Tränen strömen ungehindert meine Wangen hinunter, begleitet von wildem Schluchzen. Emotionale Überlastung. Ich möchte lachen und weinen gleichzeitig, weil ich einen verloren geglaubten Freund wiedergefunden habe. Weil ich diesen Freund der schrecklichsten Gräueltat verdächtigt habe, der sich nicht das Geringste hat zu Schulden kommen lassen, der im Gegenteil immer wieder seinen Hals riskiert hat, um andere zu retten. Die himmelschreiende Ungerechtigkeit dringt auf mich ein, dass er zwölf Jahre unter der übelsten Bestrafung zu leiden hatte, die die Zaubererwelt sich ausdenken konnte, für etwas, das er nicht getan hat. Und dass er dabei härter als Stahl geworden ist, mein zärtlicher Geliebter. Und dass ich ihm das zugetraut habe. Und dass ich ihn gebissen und gekratzt habe. Und dass er bereit war, mich zu töten. Mich, seinen Moony! Ich höre ein Echo aus der Vergangenheit … Moony, mein liebster Moony … und das Knurren und wütende Bellen von gestern Abend … mach, dass du Land gewinnst, sonst reiß ich dir die Kehle raus! … Hätte er es wirklich getan? Wenn nicht, hat er jedenfalls hervorragend geblufft.
Ich bin unsagbar froh, dass er entkommen konnte, dass ihm das allerletzte erspart geblieben ist, die Beraubung seiner Seele. Dieser großen, unendlich großen Seele. Wie sehr ich ihn immer noch liebe ist mir in dieser Sekunde klar geworden. Dreizehn Jahre Schmerz dringen auf einmal aus mir heraus, ich weine wie ein Kleinkind, es will kein Ende nehmen. Poppy hält mich fest und streichelt meinen Kopf, so wie früher nach durchwolften Nächten und seelischen Zusammenbrüchen. Sie weint still mit mir mit, denn auch sie kann das Elend schlecht mit ansehen. Sie wiegt mich tröstend in ihren Armen, bis ich mich ein bisschen beruhigt habe und aufhöre zu schluchzen und das Wort „unschuldig" vor mich hinzumurmeln.
„Ich hab ihn so gehasst. Ich hab versucht, ihn aus meinem Herzen zu reißen, aus meinen Gedanken zu verbannen … aber er hat nichts getan … er hat es nicht verdient …"
„Schhhht", macht Poppy leise, um mich zu beruhigen. „Ich weiß doch, dass du ihn liebst. Ich habe nie glauben können, dass er das getan hat. Alle Beweise sprachen gegen ihn, aber in meinem Herzen habe ich es nie geglaubt. Weißt du, … als er vorhin wieder zu sich kam, nachdem ich ihn versorgt hatte, da hat er mich angelächelt. So wie damals. Und da sah er auf einmal so anders aus … am liebsten hätte ich ihm eine Mousse au Chocolat besorgt. Ich habe seine Verletzungen geheilt, du hast ihn ganz schön zugerichtet …" Erst jetzt wird ihr klar, dass ich das war, der ihn verletzt hat, und dass ich ein Werwolf bin, und dass er mit mir gekämpft haben muss … sie betrachtet mich durchdringend und schaut noch einmal mein Genick an. Ich schlucke, nicke und flüstere: „Animagus. Illegal. Schon seit Ewigkeiten." Sie nickt wieder, versteht. Die Erkenntnis sickert langsam durch, ihr Gehirn arbeitet schnell. „Seit dem fünften Jahr, nicht wahr? Seit auf mysteriöse Weise die Selbstverletzungen plötzlich aufgehört haben, richtig?" Ich nicke. Ich kann ihr nichts vormachen. Sie lächelt schwach und schüttelt ungläubig den Kopf. „Ihr wart vielleicht ein Gespann …"
„Er und
Potter und Pettigrew", sage ich nun, denn es macht auch keinen
Unterschied mehr, und sie kann genauso gut alles erfahren. Potter ist
tot und Pettigrew wird tot sein, wenn er noch einmal im meine Nähe
kommt. Sie nickt wieder.
„Er ist
entkommen. Die Kinder haben es gesagt. Es klang wie Fieberfantasien,
aber jetzt macht es Sinn. Er hat sich in eine Ratte verwandelt und
ist geflohen."
Ich wusste
es. Ich hätte ihn umbringen sollen. Ich hab's versaut, für
Sirius, für mich, für alle. Der bittere Geschmack auf
meiner Zunge macht sich wieder breit.
„Poppy?", frage ich zaghaft, denn ich habe es eigentlich nicht verdient, „Ob ich wohl eine Tasse Schokolade haben kann?" Mein Körper ist durchfroren, fühlt sich an wie durch eine Mangel gedreht und ich bin am Ende meiner physischen Kräfte. Sie nickt, schüttelt gleichzeitig den Kopf, denn sie weiß noch genau, was ich brauche, aber hat es im Augenblick einfach vergessen. Sie läuft zum Kamin, wirft eine Prise Flohpulver hinein und bestellt bei den Hauselfen eine große Tasse heiße Schokolade mit Sahne und einen Porridge. Dann kommt sie zu mir zurück und beginnt, die Hämatome und Kratzer magisch zu heilen . Die Wunden, die ich mir zugefügt habe, bestreicht sie mit einer speziellen Salbe, weil sie sonst nur sehr langsam aufhören zu bluten, sie kennt sich da aus. Wir haben damals viel herumexperimentiert, bis sie die richtige Mischung hatte. Seit ich wieder hier bin, hat sie sie vorsichtshalber fertig angerührt im Vorratsschrank. Sie ist eine unglaublich kluge und vorausschauende Frau mit einem Herzen aus Gold. Wenn ich ihr irgendwas zu bieten hätte, würde ich sie fragen, ob sie mich heiratet.
Was mich wieder auf meine allgemeine Situation zurückwirft. Ab morgen bin ich arbeitslos und muss mir eine neue Bleibe suchen. Ich kann nicht hier bleiben, obwohl dieses Schloss der Ort ist, an dem ich mich am wohlsten gefühlt habe. Hier hatte ich Menschen um mich herum, die mich mochten und respektierten, meine Arbeit anerkannten und mir halfen. Die mich nicht ächteten, wie so viele andere. Ich denke an meine Kollegen, an Poppy, an Hermine …
„Wie geht es den Kindern. Sind … sind sie okay? Es ist ihnen nichts passiert, oder?"
„Ron hat einen Schocker abgekriegt, aber er wird schon wieder. Das gebrochene Bein habe ich geheilt, du hast es gut versorgt fürs erste." Sie lächelt mich freundlich an. „Die anderen sind unverletzt. Aber es war knapp. Die Dementoren … sie waren kurz davor, Harry zu nehmen, weil er sich schützend vor Sirius gestellt hat. Sie waren völlig außer Kontrolle … Sie wollten Black um jeden Preis. Aber irgendjemand hat in letzter Sekunde einen erstklassigen Patronus aufgerufen, der sie alle vertrieben hat …" Sie sieht mich nachdenklich an.
„Harry hat Sirius beschützen wollen?" Ich kann es kaum fassen. Als ich vor ein paar Stunden in die Heulende Hütte kam, wollte er ihn umbringen. Er hat ihn vermöbelt. Dieser schmächtige Dreizehnjährige hat meinen großen, früher äußerst sportlichen und gut gebauten Sirius verhauen und bedroht. Ich war unangenehm berührt, als ich sehen musste, wie sie ihn zugerichtet haben, diese Bande von Halbstarken. Er hat in der Ecke gelegen und geblutet, mit einem Kater auf der Brust, der sein Leben schützen wollte, und einem blau geschlagenen Auge. Ich habe selten etwas so Seltsames gesehen wie dieses Bild. Harry, der von einem heiligen Zorn erfüllt und mit einem Zauberstab in der Hand den Mann bedroht, der angeblich ein gemeiner Massenmörder und gefährlicher Schwarzmagier ist. Der da liegt mit seinen glühenden Augen und ihn anfleht, ihm zuzuhören. Diese einst so geliebte Stimme rau und brüchig, alles an ihm war rau und brüchig. Ich habe in meinem ganzen Leben kein erbärmlicheres Wrack von einem Mann gesehen als meinen einst so schönen Sirius. Nicht mal im Spiegel nach Vollmondnächten. Ich hätte weinen können.
Aber das Feuer in ihm war ungebrochen. Er hat geglüht vor wilder Entschlossenheit, die Kreatur hinzurichten, die ihm das angetan hat. Äußerlich mag er aussehen wie ein wandelnder Leichnam, aber seine Leidenschaft brennt noch immer. Im Moment mag es nur leidenschaftlicher Hass sein, der noch übrig ist. Aber er wird sich erholen, ich weiß es. Sie haben es ihm nicht abringen können, auch in zwölf Jahren Kälte und Einsamkeit nicht. Es wird nie verlöschen, so lange er lebt.
Und nur wenig später stellt sich Potter vor Black, genau wie früher. Er kann es immer noch: Menschen in wenigen Augenblicken für sich gewinnen (von dem seltsamen Verhalten des Katers will ich gar nicht reden) ... ein Lächeln von ihm, und Poppy will ihn mit seinem Lieblingsdessert füttern, oder Harry stellt sich Dementoren entgegen, von denen er weiß, dass sie ihn stärker beeinträchtigen, als jeden anderen hier. Ein Fünkchen völlig irrationaler Eifersucht erfasst mich – die seltsamen Bande, die Potter und Black verbanden, sind wohl auf James' Sohn übergegangen. Liebe, stärker als der Tod verbindet sie, nachdem sie sich kaum ein paar Stunden kannten. Oder ist es die Patenschaft, die diese beiden miteinander verwebt? Ist es das alte Band, das heute Nacht erneuert wurde? Ich kann es nur staunend betrachten, denn ich verstehe es nicht. Ich bin ausgeschlossen aus dieser Intimität, genau wie früher. Es tut weh, ein bisschen jedenfalls. Hätte sich einer der beiden vor mich gestellt, um mich zu schützen?
Ich bin närrisch. Es ist meine eigene Schuld. Ich hätte mehr Nähe zulassen können, wenn ich gewollt hätte. Ich habe nicht gewagt, mich ihnen zu öffnen. Damals nicht und jetzt auch nicht. Ich war außen vor, weil ich mich selbst vor ihnen abgekapselt habe, weil ich immer um mein Geheimnis fürchtete. Dass sie es entdecken und mich dann ablehnen und ausschließen würden. Der verdammte Wolf hat mir das eingebrockt. Sie haben es herausgefunden, sie haben mich nicht abgelehnt und ausgeschlossen, und doch habe ich Harry gegenüber dasselbe Misstrauen an den Tag gelegt und denselben Fehler gemacht wie damals. Ich werde es wohl nie lernen.
„Jetzt setzt du dich erst mal ans Feuer und wärmst dich auf." Sie wickelt mich in einen flauschigen Morgenmantel und drängt mich mit sanfter Gewalt in einen großen, gemütlichen Ohrensessel, der in der Nähe des Kamins steht. Der Kakao steht schon dampfend auf dem Teetischchen davor. Sie holt noch eine zusätzliche Decke, die sie mir um die Beine wickelt, und einen Stärkungstrank, der scheußlich schmeckt, aber gut von innen wärmt. Nachdem sie mir zwei Löffel davon eingetrichtert hat, genau wie früher, macht sie eine kurze Runde und schaut nach ihren anderen Patienten, die alle friedlich schlafen. Der Becher in meinen Händen strahlt eine wohltuende Wärme ab. Ich hebe ihn langsam an die Lippen und nehme den ersten, vorsichtigen Schluck. Köstliche Medizin gegen Werwolfkater. An solchen Tagen könnte ich mich ausschließlich davon ernähren. Doch der Porridge ist Pflicht, Poppy wird mich nicht gehen lassen, bevor ich ihn gegessen habe. Aber er dampft noch so sehr, dass ich mich nicht verpflichtet fühle, ihn sofort zu vernichten. Noch ein Schluck Kakao weckt meine Lebensgeister. Ich spüre die Kratzer kaum noch. Ich betaste meinen Hals, auch hier tut es viel weniger weh. Poppy hat ganze Arbeit geleistet.
„Ich gehe und sage dem Direktor Bescheid, dass du wieder hier bist", sagt sie, wirft mir noch einen ernsten Blick zu, ermahnt mich, meinen Porridge zu essen, als wäre ich wieder elf, und verlässt den Krankenflügel, nachdem ich ihr zustimmend zugenickt habe. Natürlich muss er es gleich wissen, es wird auch ihn erleichtern. Er hat eine Menge riskiert, als er mir diese Stelle gab. Auch früher schon, als er mich als Schüler aufnahm … er hat mir vertraut, aber ich bin seinem Vertrauen nicht gerecht geworden. Es wird Zeit, dass er alles erfährt. Brennende Schuldgefühle machen sich in meinem Magen breit und verderben mir den Appetit. Gleichzeitig werde ich rastlos, wenn ich an die bevorstehende Konfrontation denke. Ich zwinge ein paar Löffel Haferbrei den Hals hinunter, aber nur, weil ich keinen Ärger mit Poppy riskieren möchte. Die Schokolade ist dafür umso willkommener. So war das immer schon.
Ich stehe auf und gehe nach den Kindern sehen. Ron sieht noch ziemlich blass aus, grünliche Schatten liegen unter den rostroten Wimpern, aber er atmet ruhig und sein Gesicht ist entspannt im Schlaf. Auch Harry und Hermine schlafen, sie sehen sehr müde aus. Ihre Gesichter sind noch fahlgrau von der überstandenen Anstrengung und Gefahr. Wie sehr Harry doch seinem Vater gleicht, im Schlaf noch mehr als wach. Ich würde ihn gerne streicheln, doch ich fürchte, ich könnte ihn wecken, also unterdrücke ich den Impuls. James, du kannst wahrlich stolz auf diesen Sohn sein. Er ist noch keine vierzehn und doch ein ganzer Mann. Es tut mir so Leid, dass seine Kindheit so früh zu Ende sein musste.
In meinen Erinnerungen erwacht ungefragt ein Bild: Sirius hält ihn auf dem Arm, schaut in seine Augen und ruft verzückt: „Sie werden ja grün! Er bekommt Lilys grüne Augen!" Er schwenkt ihn durch die Luft, hält ihn mit ausgestreckten Armen über sich und dreht sich dabei im Kreis. Harry, im ersten Moment überrascht, quietscht vor Vergnügen und sabbert begeistert in das strahlende Gesicht unter ihm. Sirius' fröhliches Lachen erfüllt das Haus, als er ihn wieder herunterlässt und knuddelt, seine Nase an dem winzigen Stubsnäschen reibt und ihn an sich drückt, als wäre Harry sein eigenes Kind und nicht das von James. Ich stehe ein paar Schritte entfernt an seiner Küchentheke und versuche, nicht zu vergehen vor Liebe zu diesem großen Kind, für den selbst der Kampf gegen Voldemort und seine Anhänger nur eine interessante Erweiterung auf dem Abenteuerspielplatz seines Lebens ist. So, wie er die Freundschaft mit einem Werwolf für eine coole Abwechslung gehalten hat, eine wirksame Maßnahme gegen die Langeweile des Schulalltags. Ich habe ihn zuweilen angeschnauzt und zur Schnecke gemacht, weil er immer alles auf die leichte Schulter genommen hat, obwohl ich ihn für eben diese Fähigkeit glühend beneidete. Weil ich das Gefühl hatte, dass er nichts und niemanden ernst nimmt, auch mich nicht.
Ich habe mich schließlich von ihm getrennt, weil ich ihn für zu leichtfertig hielt, weil ich Ach komm schon, Moony, jetzt hab dich doch nicht so nicht mehr hören konnte. Ich habe ihn tief verletzt auf der Suche nach Selbständigkeit und Unabhängigkeit, er stand nur mit einem fassungslosen Ausdruck im Gesicht in der Tür, als ich ging. Ich dachte, es wäre eine gute Idee, uns beide für eine Weile zu trennen und zu sehen, ob es auch anders geht. Ob er erwachsen werden würde, wenn ich ihn von der Leine ließe, ob ich selbst mein Leben meistern könnte ohne seine teils beengende Anteilnahme und seinen mich in den Wahnsinn treibenden Optimismus. Ich habe einen ausgesprochen schlechten Zeitpunkt dafür gewählt. Drei Monate später saß er in Askaban.
Poppy kommt zurück, mit meinen Sachen unterm Arm. Dumbledore will mich sehen. Er hat den Ort des Geschehens am gestrigen Abend noch aufgesucht, wo er meine Kleidung und meinen Zauberstab am Boden gefunden und mitgenommen hat. Die Hauselfen haben sie gereinigt und geflickt, wo es nötig war. Ich kleide mich wieder an, langsam und vorsichtig, während Poppy mich besorgt beobachtet und mir zur Hand geht, wo die Verletzungen noch Probleme mit der Beweglichkeit verursachen. Verdammt, bin ich froh, dass mein Zauberstab noch da ist. Nicht auszudenken, wenn Peter ihn geklaut hätte.
„Viel Glück", sagt sie und streichelt mir aufmunternd über die Wange, aber ihre Augen sprechen von Abschied. Sie weiß, dass es unumgänglich ist. Ich verlasse sie ungern, in ihrer fürsorglichen Obhut ging es mir immer am besten.
Auf den Fluren begegnen mir nun schon vereinzelt Kollegen, die mich grüßen, aber es klingt distanzierter als sonst. Wer will es ihnen verdenken. Ich bin sicher, sie wissen alle Bescheid über das, was gestern Abend mit mir passiert ist. Sie wussten alle, was ich bin, und sicher hatten einige von ihnen Bedenken wegen meiner Anstellung. Die sind ihnen jetzt bestätigt worden. Ich bin unzuverlässig und unverantwortlich. Eine potentielle Gefahr für alle Anwesenden.
Der Weg zu Dumbledores Büro scheint heute dreimal so lang zu sein wie sonst. Die Wendeltreppe bewegt sich dafür in doppelter Geschwindigkeit, ich knalle fast mit der Nase an seine Tür, weil ich schon oben bin, obwohl ich dachte, es geht noch ein paar Sekunden weiter. Ich klopfe und höre sein augenblickliches „Herein". Bringen wir es hinter uns.
„Remus", sagt er und schaut mich an. Gütig und mitleidig, nicht streng, wie ich erwartet hatte. Seine himmelblauen Augen sind wach und aufmerksam, obwohl er in dieser Nacht auch kaum geschlafen hat. „Wie geht es dir?" Diese Frage hatte ich nicht erwartet. Dieses Gespräch fängt so ganz anders an, als ich es mir vorgestellt hatte. Enttäuschung, Zorn oder Vorwürfe, das hätte ich jetzt angemessen gefunden. Wo soll ich anfangen? Fast wäre mir die übliche verlogene Floskel von wegen es ginge mir gut über die Lippen entwischt, aber in seinen Augen sehe ich, dass das nicht gefragt ist. Er will wissen, wie es mir wirklich geht, und so fange ich an. Ich erzähle ihm, wie ich mich fühle, und warum. Er nickt bestätigend, an einigen Punkten tätschelt er beruhigend meinen Handrücken, wenn er merkt, dass ich an Stellen komme, bei deren Erwähnung ich am liebsten aus dem Fenster springen würde.
„Ich bin sehr froh, dass ich nun die ganze Geschichte kenne", sagt er schließlich. „Es passt zu allem, was ich von Harry und Sirius und Severus gehört habe, jetzt ergibt es ein vollständiges Bild. Mach dir keine Vorwürfe deswegen. Du bist auch nur ein Mensch." Ich kann kaum glauben, dass er das jetzt sagt. Ich hätte heute Nacht unschuldige Kinder töten oder infizieren können! Und ich bin kein Mensch! Ich will aufbegehren, aber er bringt mich mit einer knappen Geste zum Schweigen.
„Auch die Besten von uns machen Fehler, und nicht die kleinsten. Du hast Großartiges geleistet in diesem Jahr und ich bin sehr stolz auf dich. Der Patronus, den Harry heute Nacht heraufbeschworen hat, war ganze Arbeit, und zwar deine." Mir klappt die Kinnlade herunter. „Einen echten, gestaltlichen Patronus hat er geschaffen, im Beisein der Dementoren?" Dumbledore nickt bedächtig. „Einen vollständig ausgestalteten Hirsch, mein Lieber. Krone, wenn ich es recht bedenke, nicht wahr?" Ich nicke, eine Gänsehaut überfährt mich aufs Neue. Ja, Krone war heute Nacht wieder da und hat seinen Sohn beschützt. Ihn und seinen besten Freund Sirius. Die Rumtreiber waren ein letztes Mal zusammen draußen.
„Mir ist
klar, dass ich nicht bleiben kann. Ich werde dann wohl meine Sachen
packen gehen."
„Remus,
ich sehe da keine Notwendigkeit …", beginnt er, doch ich falle
ihm ins Wort, eine Frechheit, die ich mir ihm gegenüber noch nie
erlaubt habe.
„Aber
ich, Professor. Ich kann unmöglich zulassen, dass so etwas noch
mal passiert." Mein Herz ist schwer, denn ich würde nichts
lieber tun als bleiben.
„Dann
sorge dafür, dass es nicht noch mal passiert, aber … bitte,
ich finde, du solltest trotzdem bei uns bleiben. Nirgends kannst du
besser dafür sorgen, dass es nicht noch mal vorkommt. Wir haben
Severus, der dir den Wolfsbann brauen kann, und Poppy, die dich
pflegt, wenn es notwendig sein sollte … du hast deine Aufgaben
hervorragend erfüllt, ich war nie zufriedener mit einem Lehrer
in diesem Fach. Die Kinder lieben dich …" Er hat mich fast
überzeugt. Es ist verdammt schwer, jemandem wie Albus Dumbledore
zu widersprechen. „Bitte, überleg es dir. Ich brauche dich
hier …"
Kaum hat er das gesagt, klopft es aufgeregt an der Tür. Er sagt: „Moment, bitte", doch der Besucher hat es offenbar eilig oder hört nicht richtig hin. Die Tür wird aufgerissen und Percy Weasley steht in der Tür. Er ist aufgeregt und außer Atem.
„Professor, ich muss Sie dringend sprechen …" Dann bemerkt er mich, wird blass und murmelt: „Ich … Entschuldigung, ich … komme dann später wieder."
„Percy!", ruft Albus ihm hinterher und er kommt zögernd wieder zurück, er war schon fast zur Tür heraus.
„Wenn es so dringend ist, sagst du es besser gleich", ermuntert er den Jungen freundlich. Percy wirft mir einen seltsamen Blick von der Seite zu und mir ist klar, worum es geht. Jemand hat gequatscht, oder mich gesehen, als ich aus dem Wald gekommen bin. Ich straffe die Schultern. Percy schaut verunsichert zu Dumbledore und murmelt: „Das … ist jetzt etwas … ungünstig. Ich kann wirklich warten, bis Sie hier … fertig sind."
„Es hat nicht zufällig etwas mit mir zu tun?", frage ich jetzt, denn ich kenne diese Art von Gedruckse nur zu gut. Seine Mundwinkel zucken nervös und er windet sich unbehaglich unter meinem Blick.
„Ich denke, meine Entscheidung ist gefallen, Sir. Ich gehe die Koffer packen", sage ich. Dumbledore runzelt die Stirn und sieht mir nach, als ich zur Tür gehe. Percy weicht ein wenig zur Seite, wirkt aber erleichtert, dass ich den Raum verlassen will. Ich seufze, denn ich kann diese Reaktionen nicht ausstehen, selbst dreißig Jahre Erfahrung damit machen es nicht leichter. Sie sind der Grund dafür, dass ich mein Geheimnis so gut hüte, wie es möglich ist und mir nicht erlaube, mich anderen zu öffnen, auch dann nicht, wenn es angebracht wäre. Es ist so frustrierend. Warum gibt es nicht mehr Menschen wie Sirius oder Hermine auf der Welt? Na und? Ein Werwolf also. Wo ist das Problem? hat er damals gesagt, als ich es ihnen schließlich eingestehen musste und schon meinen Koffer packen wollte, weil ich glaubte, dass niemand einen Werwolf in seinem Schlafsaal dulden würde. Mit eben jener leichtfertigen Art, die ich später nicht mehr ertragen konnte. Warum nur? Ist es nicht seine größte Stärke, ist es nicht das, wofür ich ihn beneidete und verehrte? Wie konnten sich meine Gefühle so drehen? Ich habe ihn bewundert für seine Großzügigkeit, seinen Mut und seine lockere Art, mit den Dingen umzugehen, die andere Leute aus dem Häuschen gebracht hätten. Wie konnte es nur passieren, dass ich mich später von seiner Großzügigkeit beschämt fühlte, seinen Mut als Leichtsinn bezeichnete, seine Nonchalance mir auf die Nerven ging? Remus Lupin, du bist ein Idiot.
Völlig in Gedanken gehe ich in mein Zimmer, ich bemerke die Leute nicht, die mir begegnen. Meine Füße finden ihren Weg von allein, mein Kopf ist immer noch bei Sirius. Könnte ich ihn doch jetzt sprechen … Ich würde ihm so gerne alles sagen, was mich im Moment bewegt. Dass ich ihn liebe, vor allem. Gleichzeitig habe ich Panik davor, ihn zu sehen. Ich habe ihn verletzt, er hat mich verletzt und zu Tode geängstigt. Ist da noch irgendetwas von seiner früheren Liebe übrig? Oder sind ihm diese Gefühle in Askaban abhanden gekommen. Werde ich ihn wieder sehen, und wenn ja, wann? Ich möchte ihm so vieles sagen, aber wie? Ich hätte die Gabe, immer die richtigen Worte zu finden, hat Sirius einmal gesagt. Aber wie kann ich es schaffen, nachdem wir uns so bekämpft haben.
Es klopft an meiner Tür. Ich will eigentlich niemanden sehen, aber Minerva ruft unüberhörbar: „Remus? Bist du da drin?"
„Ja, komm doch bitte rein", antworte ich müde. Meine Höflichkeit gestattet mir nicht, um ein bisschen Ruhe und Abstand zu bitten. Sie kommt hereingewirbelt und sieht ziemlich aufgebracht aus. Sie wirft mir einen forschenden Blick zu, schließt die Tür und nimmt mir gegenüber Platz.
„Es tut mir Leid", beginnt sie ohne langen Austausch von Höflichkeiten, sie ist gelegentlich genauso unverblümt und direkt wie Lily es war. „Snape hat vorhin am Slytherin-Tisch eine Bemerkung fallen lassen, die sofort zu wildesten Spekulationen geführt hat. Ich nehme an, es wird sich wie ein Lauffeuer in der ganzen Schule verbreiten."
Ich winke
resigniert ab. „Ja, ich habe die ersten Auswirkungen schon zu
spüren bekommen, besten Dank für den Hinweis, Minerva. Ich
wollte gerade anfangen, meine Sachen zu packen."
Sie schaut
mich traurig und besorgt an. „Weasley?" Ich nicke. Sie verzieht
den Mund und schnaubt: „Der kleine Schleimscheißer, das sieht
ihm wieder ähnlich." Ihre Augen beginnen wütend zu
funkeln.
„Dumbledore
hat Snape schwören lassen, nichts zu verraten, aber er hat einen
eleganten Weg gefunden, alles auszupacken, ohne wirklich Namen zu
nennen. Einer seiner üblichen, hinterhältigen
Slytherin-Tricks! Hach, das konnte ich damals schon nicht leiden!",
knirscht sie zwischen den Zähnen. Ich bin fast gerührt von
ihrem ehrlich gefühlten, solidarischen Zorn auf Snape.
„Ich
kann ihm kaum einen Vorwurf daraus machen, dass er mich loswerden
will. Ich denke, er hatte Recht. Ich bin einfach ein zu großer
Risikofaktor an dieser Schule", sage ich ruhig. Sie zieht die
Brauen zusammen und ihre Lippen werden sehr schmal. Schon will sie
etwas darauf sagen, aber ich wehre kopfschüttelnd ab.
„Gestern
Nacht, das hätte mir einfach nicht passieren dürfen. Ich
habe Menschenleben gefährdet, und nicht nur seins. Stell dir nur
vor, ich hätte eines der Kinder gebissen. Nein, es ist besser,
wenn ich irgendwo bin, wo ich nicht ständig eine Gefahr für
andere darstelle."
„Ich verstehe dich ja", sagt sie traurig. „Aber ich wollte dir noch sagen, dass du mir als Kollege genauso angenehm warst wie als Schüler, dass ich deine Gesellschaft der mancher anderer Leute bei weitem vorziehe und dass ich dich vermissen werde." Ihre schwarzen Augen schimmern verdächtig. „Es war schön, dich mal wieder hier gehabt zu haben, wenn auch nur für ein kurzes Jahr. Vielleicht wird sich ja eines schönen Tages …" Sie schluckt den Rest des Satzes hinunter, weil ihr in dieser Sekunde klar wird, dass ich ihn wahrscheinlich schon tausend Mal gehört habe. Ein Heilmittel oder Impfstoff gegen Lycantrophie? Ja, schön wäre es. Ein wirklich frommer Wunsch. Ich nicke ihr zu, zum Zeichen, dass ich verstanden habe. Sie drückt mir zum Abschied die Hand und wünscht mir alles Gute. Dann verlässt sie mich, sichtlich um Fassung bemüht.
Ich fange an, meine Schubladen und Schränke auszuräumen und die Sachen in meinem Koffer zu verstauen. Magisches Kofferpacken ist nicht halb so schlimm wie die Muggelmethode, was nicht reingeht, wird auf die passende Größe eingedampft, alles schichtet sich sehr ordentlich, wenn man es richtig beherrscht. Ich habe Übung im Umziehen. Ich glaube, ich bin in meinem Leben öfter umgezogen als beim Frisör gewesen.
Harry stürzt herein. Er will es nicht glauben und versucht nun auch, mich zum Bleiben zu überreden. Auch ihm erkläre ich geduldig, warum das nicht geht. Er wirkt fast verzweifelt und ich muss ihn trösten, obwohl ich derjenige sein sollte, den man tröstet. Ich sage ihm, wie stolz ich auf ihn bin, auf das, was er in diesem Jahr gelernt und geleistet hat, und dass wir uns sicher eines Tages wieder sehen. Ja, das werden wir auf alle Fälle. Nachdem ich ihn nun kennen gelernt habe, kann ich kaum verleugnen, dass ich ihn genauso ins Herz geschlossen habe wie einst seine Eltern. Ich hatte mich gefürchtet vor dieser Begegnung mit ihm. Weil ich Angst davor hatte, dass durch seine Ähnlichkeit zu viele schmerzhafte Erinnerungen erwachen würden, die ich doch mit so viel Mühe verdrängt hatte. Aber das war dumm von mir. Ich werde mit ihm in Kontakt bleiben, so gut ich kann. Ich werde tun, was in meiner Macht steht, um ihn in seinem beständigen Kampf gegen Voldemort zu unterstützen. Wie schade, dass unsere gemeinsame Zeit hier so kurz war. Wie so oft im Leben habe ich mir selbst im Wege gestanden.
Dumbledore kommt herein und nun heißt es endgültig Abschied nehmen. Ich drücke den Jungen noch mal an mich, nicke meinem alten Mentor zu und verlasse die Schule mit so viel Würde und geradem Rücken, wie ich nur aufbringen kann. Die Kutsche nach Hogsmeade steht direkt vor der Tür, das ist ganz angenehm. Die Blicke der Schüler, die mir im Gebäude begegnet sind, haben schon ausgereicht, ich brauche nicht noch draußen alle hinter mir herstarren zu sehen.
Ich habe noch gar keinen Plan, wo ich eigentlich hin will. Zuerst habe ich daran gedacht, mich direkt zum Bahnhof bringen zu lassen, aber dann habe ich eine bessere Idee. Ich verkaufe den Grindeloh-Kasten wieder bei der Magischen Menagerie in Hogsmeade, leiste mir von dem Erlös eine Mahlzeit in den Drei Besen und schreibe einen Brief. Die Eule wird Sirius schon finden, Posteulen sind da einfach unschlagbar.
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