Drachen-Saga I: Der Hüter der Drachen

Hallo und Gruß an alle!

Disclaimer: Beyblade und die dazugehörigen Charaktere gehören (leider) nicht mir. Mein ist jedoch die Handlung, Namen von Personen, Geschöpfen und Orten, die euch vorher unbekannt waren sowie gewisse Veränderungen, die ich die Charaktere erleben lasse. (*geheimnisvoll tut*)

Feedback: romantic_dragonangel@yahoo.de

Rating: G, später höher (ich ändere es rechtzeitig!)

Warning: AU, Charaktere OOC, später Shounen-Ai (wer letzteres nicht mag, sollte ab dem 6. bzw. 7. Part nicht mehr weiterlesen, aber bis dahin dauert es noch ziemlich lang)

Dies hier ist meine zweite Beyblade-Fic. Sie besteht im Ganzen sogar aus vier Fics, die ich als „Drachen-Saga" bezeichne. Wenn ich entsprechende Aufforderungen erhalte, poste ich wahrscheinlich später noch die Vorgeschichte zu diesem Quartett, doch erst will ich eure Meinungen zu diesem Stoff hören.

Also, viel Spaß beim Lesen!

Part 1: Tysons Rückkehr

Ein Jahr war inzwischen vergangen – ein langes Jahr, in dem die Freunde darauf gehofft hatten, daß Tyson wirklich zu ihnen zurückkehren würde. Daß er wohlbehalten zurückkommen würde aus dieser fremden Welt, in die ihn seine Bestimmung und seine Verbundenheit mit Dragoon geschickt hatte.

Doch nun war das Jahr endlich vergangen, von dem Tysons Tante gesagt hatte, daß er vorher nicht würde zurückkehren können – und die Gefährten hatten sich gemeinsam mit den Mitgliedern der Familie ihres Freundes an dem Ort versammelt, an dem ihr schmerzlich vermißter Freund wieder auftauchen würde.

Wenn er noch lebte und seine Aufgabe in der anderen Welt erledigt hatte.

Kai und der Rest der Bladebreakers, die in den vergangenen Monaten oft an Tyson gedacht und sich um ihn gesorgt hatten, standen nicht weit von dessen Familie entfernt. Die vier Jungen beobachteten den Gesichtsausdruck, den Tysons Tante hatte, während sie warteten, daß etwas geschah.

Lillian Kanimoya versuchte, ruhig und ausgeglichen zu erscheinen, dennoch war für die Bladebreakers klar erkennbar, daß sie innerlich vor Ungeduld und Sorge zitterte. Es stand in ihren dunkelblauen Augen geschrieben, die denen ihres Neffen so ähnlich waren.

Eigentlich wäre dies für jeden Fremden ein Indiz gewesen, in ihr Tysons Mutter zu sehen – was dieser ja auch bis vor etwa einem Jahr geglaubt hatte. Doch Lillian war nur seine Tante, auch wenn sie ganze fünfzehn Jahre für ihren einzigen Neffen die Mutterrolle übernommen hatte. Da seine leibliche Mutter, Lillians jüngere Schwester, wie sie aus einer anderen Welt kam – und dorthin zurückgekehrt war, als Dragokalya große Gefahr drohte.

Doch vorher hatte sie Tyson in Lillians Obhut übergeben, damit ihrem Sohn nichts geschah, bevor er alt genug war, um sein Schicksal zu erfüllen. Was dieses Schicksal mit ihm vorhatte, war selbst Lillian, die eine mächtige Magierin war, nicht ganz klar gewesen. Doch sie hatte alles in ihrer Macht Stehende getan, um ihrem Neffen, den sie wie einen Sohn liebte, zu beschützen und vor Unheil zu bewahren.

Bis schließlich der Tag gekommen war, an dem Tysons Bestimmung sich meldete und den bis dahin ahnungslosen Blauhaarigen zu sich rief, obwohl Lillian gerade das hatte verhindern wollen. Da in den Legenden, die sie kannte, deutlich geschrieben stand, wieviel Gefahr auf ihren Neffen lauerte, wenn er seinem Schicksal folgte.

Aber sie konnte nichts weiter tun, um es zu verhindern.

Und so hatten sie, Tysons restliche Familie und seine Freunde ein sorgenvolles Jahr verbringen müssen, bis sie erfahren würden, was mit dem Freund und Familienmitglied geschehen war. Jetzt warteten sie also – in den Bergen außerhalb der Heimatstadt der Bladebreakers.

Warteten, ob Tyson und Dragoon zurückkehren würden.

Kai ließ seinen Blick über die ziemlich große Gruppe schweifen, denn selbst die vier Majestics hatten es sich nicht nehmen lassen, nach Japan zu kommen, als das Jahr nun endlich herum war. Daher standen Robert, Enrico sowie Johnny und Oliver nun zusammen mit den All Starz und White Tigers ganz in ihrer Nähe. Es zeigte dem Teamchef der Bladebreakers, daß Tyson auch ihnen allen wirklich am Herzen lag. Vielleicht nicht ganz so sehr wie Ray, Max, Kenny und ihm – aber genug, um dafür hier mit ihnen auf ihren Freund zu warten und auf seine glückliche Heimkehr zu hoffen.

Die Zeit verging und es wurde langsam Mittag auf dem Plateau in den Bergen, auf dem sie sich geschart hatten. Einigen von ihnen wurde langsam bang, daß Tyson vielleicht gar nicht kommen würde – nicht jedoch den Bladebreakers. In den Herzen der vier Jungen war die Gewißheit, daß ihr Freund heute zurückkommen würde. Einerseits, weil sie es sich wünschten.

Andererseits aber auch, da Tyson es ihnen versprochen hatte.

Es war ein stiller Schwur gewesen, ohne Worte und nur in seinen dunkelblau leuchtenden Augen zu lesen, als er vor einem Jahr mit Dragoon verschwand. Dennoch klammerten sich sowohl Max, Ray als auch Kai und Kenny daran, als hätte Tyson damit einen Eid geleistet. Was er im Prinzip ja auch getan hatte, denn seinen vier Gefährten war klar, daß Tyson ein einmal gegebenen Versprechen nicht brechen würde. Vor allem nicht eines, das er ihnen gegenüber geleistet hatte.

Und ihr Glaube an ihren Freund sollte etwas über eine halbe Stunde später auch belohnt werden. Denn plötzlich erklang in der Stille der Berge ein leises Grollen und ein Windstoß fuhr den Anwesenden durch die Haare.

Aufgeschreckt blickten alle auf – und erstarrten schon im nächsten Augenblick vor Verwunderung. Denn über ihnen am Himmel war ein wirbelndes Loch erschienen, ähnlich dem, durch das Tyson damals verschwunden war.

Und aus dem Loch heraus kam...Tyson.

Der blauhaarige Junge saß auf seinem mächtigen Drachen, der zuerst still in der Luft schwebte, während sein Reiter eine kleine Handbewegung machte – woraufhin das Loch verschwand, welches die Welt, in der die Bladebreakers und ihre Freunde aus den anderen drei Teams lebten mit der verband, in die Tyson gegangen war, um seinem Schicksal zu folgen.

Dann stieß Dragoon etwas aus, was wie eine Mischung aus grollendem Donner und leisem Wind klang. Die erstaunten Freunde konnten erkennen, wie Tyson seinem Freund daraufhin die Hand auf den riesigen Schädel legte und etwas zu ihm sagte. Doch was, konnten sie auf diese Entfernung nicht verstehen.

Außerdem waren die Mitglieder der vier Teams viel zu beschäftigt damit, Dragoon anzustarren, der ihnen vollkommen real erschien. Der blaue Drache bestand nicht mehr aus den Energiepartikeln, aus denen sich auch die Bit-Biests von Tysons versammelten Freunden zusammensetzten – vielmehr wirkte er jetzt völlig echt.

Gepanzert in blauweiße Platten, die hell in der Sonne glänzten und mit seiner beeindruckenden Körperlänge war Dragoon eine wahrlich atemberaubende Erscheinung. Und als dieser nun die mächtigen Schwingen auf und abbewegte, erzeugte er einen Windstoß, der die Freunde fast von den Füßen riß. Schnell hielten sie sich alle fest, damit sie nicht davongeweht wurden.

Dragoon setzte nun zur Landung an. Und dies war der Augenblick, in welchem die Gruppe Wartender von Tyson entdeckt wurde. Sie alle konnten erkennen, wie er sie verblüfft anblickte, als er sie sah. Es schien ihn zu überraschen, ein derart großes Empfangskomitee zu haben.

Und es sollte für ihn noch besser kommen.

Denn kaum war Dragoon sicher auf dem Plateau gelandet und Tyson von dessen Rücken geklettert – da waren auch schon seine Freunde bei ihm angelangt.

Tyson konnte sich gerade noch rechtzeitig umdrehen, bevor Max ihm überglücklich um den Hals fiel und ihn fest umarmte. Der blonde Bladebreaker klammerte sich an seinen besten Freund und schien gar nicht mehr loslassen zu wollen, so glücklich war er darüber, Tyson wieder bei sich zu haben.

Tyson schwankte kurz unter diesem Ansturm, doch dann waren auch schon Ray, Kai und Kenny bei den beiden Freunden angekommen und vergrößerten die Umarmung noch weiter. Somit war Tyson von allen Seiten von seinen Teamgefährten umgeben, die sich sichtlich über seine Rückkehr freuten. Glück und Freude leuchtete ihm aus vier Augenpaaren entgegen – die große Freude darüber, daß er wieder bei ihnen war.

Da strahlte auch aus Tysons dunkelblauen Augen ein glückliches Licht, denn auch er hatte Kai, Ray, Max und Kenny sehr vermißt. Ihre Gesellschaft hatte dem blauhaarigen Jungen während der vergangenen Monate sehr gefehlt, ebenso wie ihre oftmals klugen Ratschläge oder ihre Unterstützung.

Minuten vergingen, in denen die Umarmung der fünf Bladebreakers gar kein Ende nehmen wollte, doch schließlich trennten sie sich widerwillig voneinander, denn Tysons Freunde waren sich der Tatsache bewußt, daß sie nicht die Einzigen waren, die den Heimkehrer begrüßen wollten.

Nicht weit von ihnen entfernt standen Mariah, Lee und der Rest der White Tigers, ebenso wie die All Starz und die Majestics – und warteten ungeduldig darauf, Tyson endlich ebenfalls begrüßen zu dürfen. Und als seine vier Freunde ihn aus ihrer Umarmung entlassen hatten, fand der blauhaarige Heimkehrer kaum die Zeit, Luft zu holen, bevor er erneut von vielen freundschaftlichen Armen umschlungen wurde.

Wieder verging eine geraume Weile, bis jeder der drei Teams Tyson begrüßt hatte. Dann traten die Jungen und zwei Mädchen einige Schritte zurück, jedoch gerade nur so weit, daß sie Tyson jederzeit mit den Händen berühren konnten, wenn sie das Bedürfnis danach verspürten.

Als er somit endlich wieder einigermaßen frei dastand, holte Tyson demonstrativ tief Luft und grinste seine vielen Freunde an, bevor er sagte: „Na, das nenne ich doch mal eine wirklich freudige Begrüßung! Ich sollte vielleicht öfter mal für eine gewisse Weile verschwinden, wenn ihr euch dann so über meine Rückkehr freut."

„Nichts da!", rief Max entsetzt aus, und Ray fügte sofort hinzu: „Du bleibst gefälligst hier, Tyson!" Auch Kenny machte den Eindruck, daß er ganz ähnliche Gedanken über dieses Thema hatte wie ihre zwei Teamgefährten, während Kai unwillkürlich näher auf den Blauhaarigen zutrat, als wolle er ihn so aufhalten, seine Worte gleich in die Tat umzusetzen. Selbst die White Tigers, All Starz und Majestics wirkten, als würde der Vorschlag, den Tyson gerade gemacht hatte, sie erschrecken.

„Das war doch nur ein Spaß!", lachte Tyson angesichts der Mienen seiner Freunde. „Ich bin doch selber froh, euch wiederzusehen. Es ist schön, wieder hier zu sein." Bei seinen letzten Worten war ein ernsterer Ausdruck in Tyson leuchtenden blauen Augen erschienen und lag auch in seiner Stimme. Man spürte die Wahrheit seiner Worte – Tyson war glücklich, zurückgekehrt zu sein.

Als er sie alle so schelmisch angegrinst hatte und dabei die Fröhlichkeit und Wärme verströmte, die jeder der Jungen und Mädchen über die letzten Monate hinweg in einigen Momenten schmerzlichst vermißt hatte – da leuchteten auch ihre Augen. Besonders die Bladebreakers wirkten auf einmal sehr glücklich, daß ihr Team damit wieder vollständig war, denn ohne Tyson hatte ihnen etwas zur Vollkommenheit gefehlt – nicht nur beim Bladen.

Tyson, der seine Freunde der Reihe nach musterte, stutzte, als er den nachdenklichen Ausdruck bemerkte, mit dem er nun von Johnny – und auch einigen anderen seiner versammelten sechzehn Freunde – bedacht wurde. Es war ein forschender Blick, so, als würden sie erwarten, daß er sich äußerlich verändert hätte, wenn er zurückkam. Und damit meinten sie bestimmt nicht das Wachstum, welches er im vergangenen Jahr durchgemacht hatte.

Tyson wußte, er war einige Zentimeter gewachsen. Es war ihm aufgefallen, als er vor wenigen Augenblicken Kai und Robert begrüßt hatte, die im vorherigen Jahr beide noch um einiges größer als er gewesen waren. Doch nun konnte er ihnen ohne Probleme in die Augen blicken.

Was Johnny und der Rest seiner Freunde jedoch zu suchen schien, war eine andere Veränderung an ihm – so als müßte ein Hauch jener Welt an ihm zu bemerken sein, aus der er gerade zurückgekehrt war.

Tyson beobachtete amüsiert, wie er aufmerksam von ihnen von oben bis unten gemustert wurde – und konnte sein Grinsen schließlich nicht mehr verbergen. Während es in seinen Mundwinkeln verdächtig zu zucken begann, drehte er sich schließlich einmal um die eigene Achse und meinte zu Johnny: „Soll ich vielleicht auch noch tanzen?"

„Was?", schreckte Johnny aus seiner Musterung seines Freundes auf und auch der Rest ihrer Gefährten sah verwundert aus bei Tysons Frage.

„Du hast mich so eingehend angesehen, da drängte sich diese Frage förmlich auf", erwiderte der blauhaarige Junge, bevor er fröhlich lächelte. „Was hast du erwartet?", fragte er dann noch.

Johnny schien verlegen, daß er von Tyson anscheinend bei seiner Musterung ertappt worden war – doch dann meinte er leise: „Ich dachte, du..." Der rothaarige Schotte verstummte, irritiert und auch ein wenig verlegen.

„Was dachtest du?", wollte Tyson von seinem Freund wissen. „Daß mir etwa ein drittes Bein wächst oder etwas Ähnliches? Tut mir leid, damit kann ich leider nicht dienen." Diese Worte brachten ihm einen leichten Knuff von Kai in die Seite ein, der die kleinen Teufelchen des Schalks in den dunkelblauen Augen blitzen sah.

„Laß das, Tyson", murmelte der Teamchef der Bladebreakers dem Jüngeren dann zu, bevor er auf Johnny deutete: „Du machst ihn ganz verlegen, siehst du das nicht? Wo bleibt dein Taktgefühl?"

Fragend zog Tyson, gespielt verständnislos, die Augenbrauen empor und bedachte erst Johnny, dann Kai mit einem übertrieben naiven Blick aus seinen strahlenden blauen Augen. Das brachte seine Freunde zum Lächeln und vereinzelt wurden Köpfe geschüttelt, als den Gefährten klarwurde, daß Tyson ganz der Alte geblieben war – humorvoll und jederzeit zu einen kleinen Spaß bereit.

Doch Robert konnte ernst genug bleiben, um genau das auszusprechen, was auch den White Tigers, All Starz und den Bladebreakers durch den Kopf gegangen war: „Du hast dich kein bißchen verändert, Tyson." Daraufhin wandte sich der Angesprochene dem Anführer der Majestics zu und der ältere Junge wurde aus dunkelblauen Augen gemustert, in denen es fröhlich blitzte und funkelte.

Doch für einen Sekundenbruchteil konnte Robert einen Schatten durch die leuchtenden Augen huschen sehen – einen sehr ernsten, traurigen Schatten.

Aber Tyson sprach nicht aus, was er am liebsten geantwortet hätte: ‚Hast du eine Ahnung. Es ist zu viel geschehen, als daß ich mich nicht verändert hätte. Doch das soll nicht eure Sorge sein, meine Freunde.'

Bevor jedoch noch einer der Freunde etwas zu ihm sagen konnte, lächelte Tyson schelmisch und grinste seine Gefährten an: „Tut mir wirklich leid, wenn ich eure Erwartungen enttäuscht habe – aber ich kann nur mit ein wenig Längenwachstum dienen. Alles andere ist verschroben wie immer."

Helles Lachen antwortete ihm auf seine Worte und Tyson war zufrieden angesichts der ungehemmten Fröhlichkeit, die er ausgelöst hatte. So mochte er seine Freunde am liebsten – wenn sie sich amüsierten und von allen Sorgen befreit waren.

Schließlich verhallte das Gelächter jedoch, während Tyson von Ray, Kai und Max sowie Kenny dicht umringt wurde, welche die von ihrem Gefährten ausstrahlende Wärme und Freundlichkeit am meisten vermißt hatten.

Doch Kenny hatte jetzt etwas bemerkt, was die Jugendlichen in ihrer Begrüßungsfreude ganz vergessen hatten – Tysons Familie. Daher zupfte er dem Blauhaarigen in diesem Moment am Ärmel und als Tyson ihn fragte: „Was ist denn, Chef?", deutete Kenny hinter seinen Freund, bevor er zu ihm sagte: „Hinter dir ist noch jemand, der dich begrüßen möchte, Tyson."

Für einen Moment blitzte es verwundert in den dunkelblauen Tiefen auf, doch als der blauhaarige Junge sich umdrehte, wurde der Ausdruck seiner Augen sanft und glücklich.

Als wenn er diese Menschen jemals vergessen würde.

Seine Familie.

Nicht in dem Sinne, wie er es jahrelang gedacht hatte – und dennoch seine Familie.

Tyson löste sich sanft aus dem Kreis seiner Freunde und schritt dann langsam auf Lillian und die zwei Männer an ihrer Seite zu. Ein Lächeln stand in seinen Zügen geschrieben, als er immer näherkam, so daß sich Lillian schließlich kaum mehr auf der Stelle halten konnte. Doch trotz Tysons augenscheinlicher Freude über ihr Wiedersehen war sie ein wenig gehemmt, wenn sie an das letzte Mal dachte, wo sie den Jungen gesehen hatte.

Damals hatte sie ihn sehr traurig gemacht und ihn ohne das nötige Wissen über das, was er auf sich nahm, wenn er nach Dragokanya ging, ziehen lassen müssen.

Sie hatte ihn nur beschützen wollen – doch wußte Tyson das?

Während Lillian noch zwischen unglaublicher Freude über seine Rückkehr und der Frage, wie er sich ihr gegenüber wohl verhalten würde, hin- und herschwankte, war Tyson schon bei ihr angelangt – und nahm sie nach einer Sekunde herzlich in seine Arme.

Ein wenig verwundert zuerst, fing sich Lillian jedoch sofort wieder und erwiderte aus tiefsten Herzen die Umarmung und die darin verborgene Verzeihung, welche Tysons starke Arme um sie herum ausdrückten. Leise Tränen begannen ihr über die Wangen zu laufen, als sie ihren ‚Sohn' endlich wieder bei sich hatte. Sie hatte ihn schrecklich vermißt. Hatte sich jeden Tag endlos Sorgen um ihn gemacht, gehofft und gebangt.

Um seine Rückkehr. Aber auch um sein Verständnis.

Sein Verzeihen für das, was sie getan hatte.

Und nun ging Lillians Wunsch des ganzen letzten Jahres in Erfüllung, denn sie spürte, daß Tyson ihr vergeben hatte. Er verstand offensichtlich, was sie zu ihren Handlungen getrieben hatte.

„Danke", flüsterte Tyson warme Stimme auf einmal an ihrer Schulter. „Ich danke dir, Tante Lil. Für alles, was du für mich getan hast. Danke vielmals."

Bei diesen Worten versteifte sich Lillian erstaunt und löste sich dann langsam aus den Armen ihres Neffen.

Woher wußte er davon?

Woher wußte Tyson, daß sie seine Tante war?

Diese Fragen mußten klar und deutlich in ihren Augen gestanden haben, denn Tyson schenkte ihr ein verständnisvolles Lächeln, in dem aber auch viel Liebe für sie lag.

„Ja, ich weiß, daß du meine Tante bist", bestätigte er ihr.

Lillian musterte ihn noch immer erstaunt, dann brachte sie leise hervor: „Woher?"

„Ich habe es erfahren...von...von meinen Eltern."

Dieser Satz war kaum hörbar ausgesprochen worden, dennoch schien es Lillian, als würde die Luft davon widerhallen.

„Dann lebt sie noch?", wollte sie im nächsten Augenblick aufgeregt von Tyson erfahren, indem sie mit Augen voller Hoffnung zu ihrem Neffen aufsah, der plötzlich um einige Zentimeter größer war als sie ihn kannte. Doch dies bemerkte Lillian nur ganz unbewußt; viel zu sehr lag ihr an der Bestätigung ihrer kühnsten Wünsche und Träume – nämlich, daß ihre Schwester noch am Leben war.

Während sie sich an Tysons weißen Pullover klammerte, rief Lillian: „Meine jüngere Schwester...und ihr Mann... Sie leben noch?" Traurigkeit verdunkelte auf einmal Tyson lebhafte blaue Augen, bevor er leicht den Kopf schüttelte und zugab: „Das weiß ich nicht, Tante Lil. Ich habe von ihnen geträumt – nachdem ich das hier gefunden hatte."

Damit holte Tyson unter seinem Pullover eine schmale silberne Kette hervor, an der ein merkwürdiger Anhänger befestigt war – ein kleiner silberner Drache, umgeben von seltsamen Zeichen.

„Raeyannes Kette! Die Kette der Wächter!"

Lillians Augen klebten an der schmalen Kette, als könne sie ihren Blick nicht mehr davon lösen. Doch schließlich hob sie denn Blick und sah ihren Neffen fragend an.

„Das heißt, du bist jetzt...", begann sie.

Tyson antwortete nicht, sondern schob nur den Ärmel an seinem rechten Arm hoch und entblößte damit eine Tätowierung – das gleiche Symbol wie auf der Kette wurde daraufhin für alle Anwesenden auf seiner Haut deutlich erkennbar.

Lillians Stimme durchbrach die Stille, die durch die verblüffte Reaktion von Tysons Freunden ausgelöst worden war. Aber auch sie hatte eine Weile gebraucht, um die Zusammenhänge zu begreifen.

„Du bist ein Wächter der Drachen."

Tyson nickte bestätigend, bevor er zugab: „Genauso ist es. Ich wurde zu ihrem Hüter ernannt und beschütze sie, so gut ich es vermag. Das wird meine Aufgabe sein, von jetzt an."

Im Hintergrund erhob sich plötzlich eine grollende Stimme, die dennoch irgendwie sanft und gütig wirkte. Dragoon sprach. Doch nachdem sich ihm alle Anwesenden zugewandt hatten, blinzelten sie ziemlich verwirrt, denn keiner außer Tyson verstand, was der mächtige Drache sagte. Dieser lauschte jedoch konzentriert, bevor ein Schmunzeln über seine Züge glitt.

„So könnte man es natürlich auch ausdrücken", bestätigte er die Worte seines blauschimmernden Freundes, nachdem dieser geendet hatte. „Obwohl ich diese Bezeichnung als etwas zu hochtrabend empfinde, Dragoon. So weit bin ich noch lange nicht, um sie zu verdienen, das weißt du doch."

Daraufhin bemerkten die versammelten Freunde und Tysons Familie, die gebannt, aber auch etwas verblüfft über Tysons Art, mit seinem Bit-Biest zu kommunizieren, dem Geschehen folgten, wie der Drache den Blick seiner stahlblauen Augen in die Tysons senkte – und diesem damit etwas mitzuteilen schien.

Kai, der wieder neben Tyson stand, beobachtete, wie der Ausdruck in den Augen seines Freundes mit der Zeit von Skepsis zu Nachgiebigkeit wechselte. Auch wenn der Blauhaarige nicht ganz überzeugt wirkte, schien er seinem Drachen doch soweit zu vertrauen, daß dessen Meinung einen hohen Stellenwert für ihn einnahm.

„Was hat er gesagt?", wollte Mariah neugierig wissen, als Tyson und Dragoon ihr ‚Gespräch' beendeten.

Tyson drehte sich zu ihr um und schenkte ihr ein leichtes und doch ungemein herzliches Lächeln, welches seine versammelten Freunde innerlich wärmte. Diese seltene Fähigkeit des Blauhaarigen, mit einem warmen Blick oder einem einzigen leichten Lächeln die Sonne aufgehen zu lassen, hatten sie alle am meisten vermißt.

„Dragoon meinte, daß ich meine Aufgabe recht gut erfüllen würde", begann Tyson zu erklären, wurde jedoch gleich wieder durch ein mahnendes Grollen von Seiten seines Drachen unterbrochen.

„Ok, ok!", rief Tyson ihm zu, bevor er aufseufzte.

„Ich finde, es ist hochmütig von mir, das jetzt schon zu behaupten – aber Dragoon ist in dieser Beziehung wirklich sehr drängend, wie ihr sicher bemerkt", fuhr der Junge dann fort. „Also sollte ich diesen Titel wohl annehmen."

„Welchen Titel?", fragten mehrere seiner Freunde daraufhin gleichzeitig.

„Den des Dragon'elkaryad."

„Dran...was?", wollte Max verwirrt wissen.

Doch bevor Tyson ihr antworten konnte, warf Lillian ein: „Du darfst diesen Titel für dich in Anspruch nehmen? Jetzt schon?"

Tyson wandte sich ihr zu und blickte in ehrfürchtig geweitete Augen.

Er nickte daher nur, wies jedoch mit dem Kopf auf Dragoon, der für Tysons Freunde und Verwandte nun auf einmal einen sehr zufriedenen – und auch äußerst stolzen – Eindruck machte.

„Dragoon ist dieser Meinung. Und einige Andere denken genauso, auch wenn ich persönlich wirklich nicht der Meinung bin, daß ich dafür genug getan habe, Tante Lil", antwortete ihr Tyson nun doch noch.

„Ich ahnte ja, daß du ihn eines Tages tragen würdest", begann Lillian. „Doch schon so bald...das hätte ich nicht gedacht. Damit übernimmst du eine ungeheure Verantwortung, Tyson. Aber es ist auch eine ebenso große Ehre – für dich und unsere gesamte Familie."

„Hey, was ist denn los? Was hat es mit diesem Titel auf sich?", warf an dieser Stelle Ray ungeduldig ein, der ebenso wie der Rest der Freunde darauf wartete, eingeweiht zu werden.

Tyson wollte, auf einmal leicht verlegen, abwinken. Doch Lillian ließ es sich nicht nehmen, den fragenden Blicken zu antworten. Denn selbst Tysons ‚Opa' und sein Vater, der in Wirklichkeit sein Onkel war, wirkten verwirrt.

„Der Titel des Dragon'elkaryad wird demjenigen verliehen, der seine Kräfte zum Schutz der Drachen in Dragokalya einsetzt. Der Träger dieses Namens muß über gewaltige magische Kräfte verfügen, um dieser Aufgabe gewachsen zu sein – und daher wurde der Titel seit vielen Jahrhunderten nicht mehr vergeben.

Eigentlich ist er nur noch eine Legende, da..."

Lillian war verstummt und schien angestrengt nachzudenken. Doch dann flog ihr Kopf auf einmal hoch und sie sah Tyson ungläubig an. Dieser zuckte unmerklich unter ihrem forschenden Blick zusammen, wich ihm jedoch nicht eine Sekunde lang aus, während seine Tante ihn fassungslos musterte.

„Wie kann das möglich sein?", flüsterte Lillian schließlich, während sich Tysons Gefährten neugierig um sie scharten. „Raeyanne besaß große Magie, dennoch dürfte dir ihr Erbe nicht die Fähigkeit dazu geben, damit den Titel des Dragon'elkaryad tragen zu können. Wie also kommt es dazu?"

‚Sie weiß es nicht!', fuhr es Tyson durch den Sinn, während er seine Tante nachdenklich ansah und erkannte, daß selbst sie nicht alles über seine Herkunft wußte. Es war für den Jungen ein wenig erschreckend, denn er hatte gehofft, daß Lillian ihn über seine Eltern aufklären würde – doch das konnte sie wohl nur zum Teil.

An dieser Stelle wurden sie jedoch beide in ihren Gedanken unterbrochen, denn Kai wollte der allgemeinen Neugier Rechnung tragen. Indem er Tyson die Hand auf die Schulter legte und den Blauhaarigen damit aus seinen Grübeleien riß, sagte der ältere Junge: „Das wird hier langsam immer verwirrender, Tyson. Kannst du uns nicht mit einfachen Worten erklären, was es mit diesem Titel auf sich hat?"

Ein Lächeln zuckte um Tysons Mundwinkel, als er diese Worte seines Teamcaptains hörte. In einfachen Worten? Er sollte diese Sache ‚einfach' erklären?

„Seit wann willst du denn einfache Erklärungen, Kai?", lächelte Tyson seinen Freund daraufhin warmherzig an, der ihn stirnrunzelnd anblickte und dann die tiefbraunen Augen schloß, als wäre er genervt.

„Tu es einfach", grummelte er leise, was Tysons Lächeln noch vertiefte.

„Ja, Sir!", schmunzelte er seinen Freund an, woraufhin dieser die Augen verdrehte, ein eigenes Lächeln jedoch nicht ganz unterdrücken konnte. Kai mochte die etwas verquere Art seines jüngeren Teamgefährten ebenso gern wie der Rest ihrer vielen Freunde, doch er machte sich oftmals einen Spaß daraus, es zu verbergen. Daher bedeutete er Tyson, fortzufahren.

Der blauhaarige Junge überlegte einen Moment, wie er seinen Freunden erklären konnte, was es mit diesem Titel auf sich hatte. Dann begann er langsam.

„Es ist nicht ganz leicht zu erklären, daher habt Nachsicht mit mir, Freunde", sagte Tyson. „Wie Tante Lil schon angedeutet hat, wird der Titel des Dragon'elkaryad nur sehr selten vergeben, da man bestimmte Kräfte dafür haben muß. Das Wort an sich bedeutet soviel wie Hüter oder Beschützer der Drachen. Aber es steckt noch viel mehr dahinter; einiges habe ich selbst noch nicht ganz verstanden.

Ich weiß jedoch, daß man, wenn man den Titel übernimmt, eine Verbindung mit den Drachen eingeht. Sie sind die wichtigsten Geschöpfe in Dragokalya – heilige Tiere, deren Schutz für den Bestand der ganzen Welt von größter Bedeutung ist.

Sollte es dort einmal keine Drachen mehr geben, hört Dragokalya auf zu existieren."

Tysons Blick ging durch seine Gefährten hindurch, als würde er etwas sehen, was ihnen verborgen blieb. Die dunklen, sanften Augen blickten verantwortungsbewußt und voller Ernst, als der blauhaarige Junge von seiner Bestimmung sprach.

„Wahnsinn", hauchte Kevin mit leuchtenden Augen.

Man sah ihm seine Begeisterung an; eine Begeisterung, die von vielen der Freunde geteilt wurde, was sie auch nicht verbargen.

„Eine schwere Aufgabe", murmelte Robert, der das Konzept besser durchschaute als Kevin. Der deutsche Meister erkannte die Mühe, die der Träger des Titels damit auf sich nahm – und seine Bewunderung für Tysons anscheinend große Talente stieg an.

Kai stimmte Robert im Stillen zu und musterte seinen blauhaarigen Freund dann von der Seite her. Der Teamchef der Bladebreakers sah den Ernst in Tysons dunkelblauen Augen und spürte den eisernen Willen seines Teamgefährten, sich des Titels würdig zu erweisen.

‚Tyson, du bist endgültig erwachsen geworden', dachte Kai voller Bewunderung für seinen blauhaarigen Freund. ‚Du warst schon vor deinem Verschwinden in jene geheimnisvolle Welt im Inneren ernster und erwachsener, als du uns immer glauben machen wolltest – doch spüre ich jetzt eine Kraft und einen Willen in dir, der unglaublich stark ist. Bewundernswert.

Ach, könnte ich dir doch nur irgendwie helfen.'

Kais kastanienbraune Augen spiegelten seinen inneren Wunsch wider, doch schien es niemand zu bemerken. Wirklich niemand?

Für einen Augenblick wandte sich Tyson plötzlich seinem Teamchef zu und blickte in die klaren, ruhigen Augen seines Freundes. Dem Älteren erschien es, als hätte der Blauhaarige seine Gedanken gelesen, denn ein warmes, dankbar wirkendes Lächeln bildete sich auf Tysons Gesicht. Doch er sagte nichts und so war Kai sich nicht sicher, was er in Tysons Augen gesehen hatte, als dieser ihn angeblickt hatte.

„Ja, es ist eine schwierige Aufgabe", stimmte Tyson dann Roberts Worten zu.

„Doch ich muß sie nicht allein bewältigen. Dragoon ist eine sehr große Stütze bei all den Dingen, die ich noch nicht weiß und von denen ich aber in diesem Amt Kenntnis haben muß. Außerdem haben wir beide in Dragokalya Freunde gewonnen, die sehr geduldig mit mir waren. Also ist es eigentlich nicht unlösbar, dieser Anforderung gerecht zu werden.

Ihr braucht euch keine Sorgen um mich zu machen, Freunde."

Tysons Gefährten schwiegen, noch immer leicht verwirrt über diese Aufgabe, die ihrem Freund zugedacht worden war. Es war für sie immer noch alles Andere als einfach, die Existenz von Dragokalya und die Bedeutung, die diese geheimnisvolle Welt in Tysons Leben spielte, zu begreifen und zu akzeptieren.

Doch wann kam es auch schon dazu, daß man von der Existenz einer vollkommen anderen Welt erfuhr, die parallel zu der eigenen bestand?

Als das Schweigen der Jungen und Mädchen andauerte, trat Lillian erneut auf ihren Neffen zu und nahm ihn sanft in ihre Arme, um ihn dann fest an sich zu drücken.

„Ich bin sehr froh, daß du zurückgekehrt bist, Tyson", flüsterte sie dem blauhaarigen Jungen ins Ohr, bevor sie sich an ihn lehnte. Seit sie von der Aufgabe erfahren hatte, die ihm zugefallen war, fürchtete sie noch mehr um sein weiteres Schicksal. Doch sie wollte diese Wiedersehensfeier nicht mit ihren dunklen Vorahnungen belasten, denn es konnte ebenso sein, daß diese nur von dem Beschützerinstinkt herrührten, den sie noch immer für den inzwischen Achtzehnjährigen empfand.

Für Lillian würde Tyson immer das Baby bleiben, welches ihre Schwester ihr vor so vielen Jahren anvertraut hatte. Ein Wesen, für dessen Schutz sie alles getan hatte, was in ihrer – nicht geringen – Macht lag. Doch im  Laufe der Jahre hatte Lillian auch erfahren, daß Magie nicht soviel Kraft besaß wie die große Macht, welche die Liebe zu einem anderen Lebewesen wecken konnte. Nun jedoch konnte Lillian kaum noch etwas tun, um Tyson zu beschützen, da er von jetzt an seiner Bestimmung folgen mußte.

Daher war sein Schutz jetzt die Sache Anderer.

Dragoon war ein wahrhaft mächtiger Beschützer für ihren geliebten Neffen. Lillian konnte nicht mit ihm reden, dennoch wußte sie, daß der blaue Drache für Tyson alles in seiner Kraft und Macht Stehende geben würde.

Und im letzten Jahr – aber vor allem heute – hatte Lillian erkannt, daß auch Tysons versammelte Freunde ihn tief in ihre Herzen geschlossen hatten und daher ebenfalls viel für ihn zu tun bereit waren. Sie wußte nicht, was Tyson davon je einfordern würde – doch sie war sich sicher, daß die Treue und Loyalität, aber auch die Verbundenheit unter den Jungen und Mädchen große  Macht besaß – eine Macht, die viel bewirken konnte. Es war eine Kraft, die den Jugendlichen noch nicht in ihrem vollen Ausmaß bewußt war, die sie aber doch instinktiv zu ihrem gegenseitigen Schutz und Wohl einsetzten.

Während Lillian Tyson gedankenversunken an sich drückte, war auch ihr Mann zu ihnen getreten.

Shuichiru Kanimoya hatte sich bis jetzt zurückgehalten, obwohl auch er das heftige Bedürfnis, seinen ‚Sohn' in die Arme schließen zu dürfen, kaum noch unterdrücken konnte.  Doch wußte er um die Besorgnis seiner Frau, daß Tyson ihr das Verhalten, welches sie ihm gegenüber vor seinem Verschwinden an den Tag gelegt hatte, vielleicht nicht verzeihen würde. Und er hatte Kenntnis von der Sehnsucht, die Tysons Freunde nach seiner fröhlichen, warmherzigen Ausstrahlung gehabt hatten.

Daher hatte er ihnen bei Tysons Ankunft den Vortritt gelassen und gemeinsam mit seinem Vater die ganze Situation ein wenig von der Seite her beobachtet. Außerdem wußte er mit den magischen Dingen, die Lillian – und Tyson auch – beherrschten, nicht viel anzufangen und hielt sich daher lieber heraus.

Doch nun wollte auch er Tyson endlich in die Arme nehmen und den nach so langer Zeit wieder Heimgekehrten begrüßen. Daher ging er mit leisen Schritten auf seine Frau und den blauhaarigen Jungen in ihrer Umarmung zu. Lillian bemerkte Shuichiru gar nicht, so vertieft war sie darin, ihren Neffen an sich zu drücken und über sein Schicksal nachzudenken. Doch Tyson spürte die Anwesenheit des Mannes, den er Zeit seines Lebens ‚Vater' genannt hatte.

Daher befreite er sich sanft aus Lillians Armen und wandte sich dann dem älteren Mann zu, der ein wenig erstaunt feststellte, daß Tyson inzwischen fast ebenso groß war wie er selbst. Der Junge war unglaublich in die Höhe geschossen, wirkte aber dennoch nicht so, als käme er mit seinem Körper nicht zurecht, wie es manchmal geschah, wenn man zu schnell zu viel wuchs.

Vielmehr erkannte Shuichiru eine neue Gelassenheit und Kraft an Tyson, die sich auch in seiner Haltung widerspiegelte. Man sah ihm an, daß sich der Blauhaarige seiner körperlichen Veränderung durchaus bewußt war – und von ihr nicht verunsichert war, sondern sie sogar genoß. Shuichiru sah für einen Augenblick den Mann in dem achtzehnjährigen Jungen, der er eines Tages sein würde.

Vielleicht eines gar nicht mehr so fernen Tages.

Eines Mannes, der zu Großem berufen sein würde.

Doch dann sah der Mann in Tysons dunkelblaue Augen.

Und als er das tat, erblickte er dort die ungebremste Liebe und Wärme, die Tyson ihm schon als kleines Kind entgegengebracht hatte. Diese schrankenlose Zuneigung hatte Shuichiru immer sehr stolz gemacht, denn er hatte stets gespürt, daß diese Gefühle für ihn aus tiefstem Herzen geboren waren. Nun sah er sie wieder in den Augen seines ‚Sohnes', auch wenn sie jetzt mit Ernst und neuen Erkenntnissen untermalt waren – aber vielleicht gerade deshalb noch an Bedeutung gewannen.

„Dad", flüsterte Tyson, bevor er sich an die Brust des älteren Mannes warf – und sich seit Monaten endlich wieder von allen Sorgen befreit fühlte. Das war es, was er bis jetzt nur in Gegenwart dieses einen Menschen verspürt hatte – diese Sicherheit, daß ihm nichts Böses geschehen konnte, wenn Shuichiru Kanimoya bei ihm war. Er wußte, sein ‚Dad' würde ihn beschützen.

Im vergangenen Jahr hatte Tyson viel über sich, seine inneren Kräfte und die Magie, die er beherrschte, herausgefunden. Dennoch fühlte er sich nicht vollständig.

Es fehlte ihm etwas zur Vollkommenheit.

Und seitdem er wieder hier auf der Erde war, wußte er auch, was.

Seine Freunde. Seine Familie.

Die freudige Begrüßung durch seine Gefährten hatte Tyson klargemacht, wie sehr auch sie ihn alle vermißt hatten – und es hatte die Einsamkeit in seinem Herzen gelindert. Doch erst Lillians Umarmung und Shuichirus tröstende Anwesenheit machten sein Wohlbefinden komplett. Nun fehlte nur noch sein Großvater, der in Tysons Leben ebenfalls eine große Rolle spielte, auch wenn es für Außenstehende danach aussehen mochte, daß der alte Mann und der blauhaarige Junge sich stets nur stritten.

Dies war jedoch gerade der öffentliche Ausdruck ihrer tiefen Zuneigung füreinander; ebenso wie die Art und Weise, wie Herr Kanimoya senior seinen Enkel stets auf Trab hielt und ihm die Kunst des Kendo beizubringen versuchte.

Und als hätte der grauhaarige alte Mann seine Gedanken gelesen, war er inzwischen ebenfalls an Tysons Seite erschienen und wollte nun wissen: „Wie ist es dir ergangen, Grünschnabel? Hast du während des letzten Jahres nur gefaulenzt oder...?"

Ein Schmunzeln glitt über Tysons Züge, bevor er sich aus den Armen von Shuichiru löste, der seinerseits seinen Vater stirnrunzelnd anblickte. So als wolle er den alten Mann mahnen, sich zurückzuhalten.

Doch Kanimoya senior achtete nicht auf seinen Sohn, sondern hatte nun wieder den Tyson schon seit Jugendjahren bekannten Kendostab hervorgeholt – und hielt diesen dann dem blauhaarigen Jungen unter die Nase.

„Opa, du kannst es einfach nicht lassen, oder?", grinste Tyson den Grauhaarigen belustigt an. „Kaum bin ich wieder zurück, kannst du es gar nicht mehr erwarten, mich zu drangsalieren. Hat denn unser Training nicht ein wenig Zeit, bis ich mich wieder eingelebt habe?"

„Ausreden, Grünschnabel", rief der Alte, bevor er den Kendostab schwang. „Du hast lange genug geschwänzt, daher wirst du sicher alles vergessen haben, was ich dir in jahrelanger Arbeit beigebracht habe."

Bei diesen provozierenden Worten blitzte es in Tysons dunkelblauen Augen auf. Und was dann geschah, passierte so schnell, daß kaum einer der Anwesenden dem Geschehen mit den Augen zu folgen vermochte. Denn als der Schwung den Stab wieder in seine Reichweite brachte, packte Tyson die hölzerne Waffe mit einer Hand und zog ruckartig daran, was seinen Großvater aus dem Gleichgewicht brachte und auf ihn zustolpern ließ.

Tyson nutzte die kleine Unaufmerksamkeit, versetzte dem Stab einen Schlag mit der Handkante von unten herauf, der ihn aus dem Griff seines Eigentümers emporwirbeln ließ – und während noch alle Augen der Waffe folgten, war der Blauhaarige mit einem raschen Schritt und einer Drehung hinter seinen Großvater gelangt.

Dort fing er mit geschicktem Griff den Kendostab wieder auf, als dieser, nachdem er den Höhepunkt seiner Flugbahn erreicht hatte, wieder herabfiel. Sekundenbruchteile später hatte Tyson seinen Großvater in einem festen Griff und dessen hölzernen Stab dazu eingesetzt, ihn bewegungslos zu machen.

Es dauerte etwa fünf Sekunden, bevor Herr Kanimoya senior bemerkte, was passiert war und sich zu befreien versuchte. Doch Tyson ließ ihm keine Möglichkeit dazu, so daß der alte Mann schließlich aufgeben mußte und seinem Enkel zu verstehen gab, daß er gewonnen habe.

Mit einem Lächeln in den sanften, dunklen Augen ließ Tyson seinen Großvater los und als dieser sich umdrehte, fragte der blauhaarige Junge ihn: „Na, ich habe wohl doch noch nicht alles verlernt! Nicht wahr, Opa?"

„Respekt, Grünschnabel. Du bist besser, als ich dachte", gab sein Großvater offen zu, bevor er seinen Kendostab wieder in Empfang nahm. „Du hast dein Training wohl doch fortgeführt, oder?", wollte der alte Herr dann wissen.

„In gewisser Weise schon", war Tysons leicht kryptische Antwort darauf.

Doch bevor jemand ihn dazu ermutigen konnte, diese Worte zu erläutern, erklang auf einmal ein seltsamer Laut. Die Jugendlichen drehten ihre Köpfe in die Richtung, aus der das Geräusch erklungen war, konnten jedoch nichts erkennen. Unwillkürlich sammelten sie sich alle enger beieinander, auch wenn sie nicht hätten sagen können, warum sie das taten. Nur Tyson stand noch immer bei seiner Familie und damit etwas abseits von seinen Gefährten.

Aufmerksam versuchte jeder der Anwesenden, herauszufinden, woher das seltsame Geräusch erklungen sein mochte – doch keiner von ihnen konnte etwas erkennen.

Bis Lee mit der Hand auf einmal in Richtung des nahegelegenen Waldes zeigte und sagte: „Dort ist etwas. Ich kann nicht genau erkennen, was es ist, aber ich habe dort über dem Wald eine Bewegung gesehen."

Die Freunde folgten seinem richtungsweisenden Finger neugierig mit den Augen und erblickten nun ebenfalls etwas – was aber auch sie leider nicht genau zu identifizieren vermochten.

Es war ein seltsamer Schatten, der irgendwie unförmig wirkte und keinen genauen Aufschluß darüber zuließ, was dort über dem Wald schwebte. Und der unförmige Schatten schien auch Probleme zu haben, sich in der Luft zu halten.

Daher wurde Rays Bemerkung auch mit einem zustimmenden Nicken quittiert, als der junge Chinese meinte: „Was immer es auch sein mag, es scheint kurz davor zu sein, abzustürzen." Und wirklich, gerade als Oliver sagte: „Du hast Recht", sackte der merkwürdige Schatten ein ganzes Stück in Richtung der hochaufragenden Bäume – es schien fast, als würde er abstürzen.

Doch gerade noch rechtzeitig fing er den Sturz ab, bevor er in den Bäumen niedergegangen wäre.

Was der Gruppe jedoch deutlich bewußt wurde, war die Tatsache, daß, wer oder was auch immer dort flog, sich kaum mehr in der Luft zu halten vermochte. Das Wesen war völlig erschöpft und würde bald endgültig von all seinen Kräften verlassen werden. Und es würde sich bei seinem Sturz sicher schwer verletzen.

Ein ängstliches Geräusch war zu vernehmen gewesen, als der Schatten absackte. Es hatte sich wie eine Mischung aus Fauchen und Kreischen angehört, klang jedoch nicht nach irgendeiner Art von Vogel, welchen die Jugendlichen kannten. Während sich seine Freunde also nur verwirrt anblickten, wurde Tyson auf einmal schreckhaft bewußt, was der Schatten nicht weit von ihnen entfernt darstellte.

„Tharn! Dryrd!", rief er mit besorgter Stimme aus.

Aufgeschreckt von der Angst in seiner Stimme drehten sich Tysons Freunde zu ihm herum, kamen jedoch nicht mehr dazu, ihn zu fragen, wen er gerade gerufen hatte oder weswegen er plötzlich so ängstlich klang. Statt dessen wurden sie in den nächsten Sekunden Zeugen eines Ereignisses, welches sie sprachlos vor Erstaunen zurückließ.

Denn vor ihren Augen begann Tyson blauschimmernd zu leuchten, bevor sich eine Aura um ihn legte, die ihn kurzzeitig den Blicken seiner Gefährten entzog. Und als das Licht wieder verging, hatte sich ihr Freund gänzlich verändert.

Ich weiß, das ist jetzt gemein, aber ich habe schon soooo viele Fanfics gelesen, deren Kapitel mit Cliffhängern endeten, da mußte ich das auch mal probieren. Außerdem ist mein erstes Kapitel so lang geworden, daß ich es unbedingt teilen mußte, und hier war die beste Stelle dazu.

Also schreibt mir fleißig Kommis, dann poste ich auch schnell den zweiten Teil zu Part 1.

Dragon's Angel