E I N S

Der Wiener Gürtel, der breit angelegte Straßenzug, der die inneren Bezirke der Stadt von den äußeren trennt, war nicht nur eine der meist befahrenen Straßen von Wien, sondern früher auch bevorzugtes Zielgebiet herum streunender Freier gewesen. Kilometerlang reihten sich hier Vergnügungsstätten, Bordelle und Peepshows aneinander. An milden Frühlingsabenden warben leicht bekleidete Damen des horizontalen Gewerbes gar direkt auf dem Bürgersteig um die Gunst ihrer Kunden. Doch was einst unumstrittenes Refugium halbseidener Zuhälter und Unterwelt-Bosse war, entwickelte sich im Laufe der letzten Jahre, durch eine Initiative der Stadt Wien und der Europäischen Kommission, zur bunten Partyzone.
Lokal um Lokal wurde neu eröffnet, Geschäftsideen mit EU-Fördergeldern unterstützt, architektonische Voraussetzungen zur Belebung des alten Schandflecks geschaffen und der Gürtel somit revitalisiert. Eine neue Flaniermeile der Wiener war zwischen Westbahnhof und Wirtschaftsuniversität Wien entstanden, wo außerdem zahlreiche Cocktailbars und Restaurants inländische sowie ausländische Köstlichkeiten anboten. Darüber hinaus gab es immer wieder zahlreiche Veranstaltungen wie Lesungen, Filmabende, Konzerte, Diskussionsrunden und Folkloreabende.
Doch dann waren die Vampire aufgetaucht und im Nu ein Teil der Gesellschaft geworden. Und wer Teil der Gesellschaft war, benötigte, Rechte, Gesetze und Institutionen wie jeder andere auch. Also wieso sollte es nicht auch Freudenhäuser für die Lebendtoten unter uns geben? Sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt gehörten zwar schon seit jeher zum Alltag, jedoch war das Etablissement „Zum Schwarzen Mond" den Anwohnern der Amüsiermeile am Wiener Gürtel immer noch ein Dorn im Auge. Es hieß, dass die Gegend wieder verruchter geworden war, seit das Bordell für die Nachtschwärmer der Bevölkerung seine Pforten geöffnet hatte, doch eigentlich sind alle einer Meinung: Einmal verrucht, immer verrucht! Da konnte auch ein Bordell mehr nichts mehr daran ändern.
Die Puffmutter, Maria, war selbst ein Vampir und hatte sage und schreibe über fünf Dutzend Täubchen die für sie arbeiteten. Die meisten davon waren sterblich. Nur eine handvoll Lebendtoter gehörte dazu, und die arbeiteten vorwiegend an der Bar oder auf den Tanzflächen.
Um die Bedürfnisse der Freier kümmerten sich Mädchen wie ich. Das heißt, welche mit warmer Haut, pulsierendem Blut in den Adern und einem Herz, welches noch schlug.
Die meisten der Mädchen hier ließen sich sogar das Blut aus dem Hals saugen. Freiwillig! Eine davon war Mia, meine einzige Freundin. Ich hatte versucht es ihr auszureden, aber sie wollte nicht hören und erfreute sich nun an dem Extrageld, was sie nach jedem Akt mit Biss erhielt. Eines Tages würde sie deswegen sicherlich noch einmal das Nachsehen haben.
Für mich kam diese Art der Dienstleistung nicht in Frage. Mein Hals würde bissfreie Zone bleiben. Obwohl ich mich an einen Vorfall vor ein paar Jahren erinnern konnte. Das arme Ding hatte auch so gedacht wie ich, nur hatte dies ihren Freier so gar nicht gekümmert. Aber jetzt gab es für solche Fälle... na ja... Vorsichtsmaßnahmen. Unsereins war gerüstet.
Wir hatten keinesfalls nur vampirische Kunden, doch die sterbliche Kundschaft konnte sich den Gefahrenzuschlag den wir von den Vamps verlangten auf Dauer einfach nicht leisten, und Ermäßigungen für Sterbliche gab es nicht. Maria war viel zu sehr Geschäftsfrau um so etwas anzufangen. Hin und wieder verirrte sich trotzdem ein Mensch in die geschmackvollen Gemächer des „Schwarzen Mondes", doch das war eher selten.
Maria behauptete oft, dass ich ihr bestes Pferd im Stall war. Ich wusste nicht was ich davon halten, oder ob ich sogar stolz darauf sein konnte. Ich ging einfach nur meiner Arbeit nach. Wie jeder andere auch. Nur dass meine Arbeit im horizontalen Gewerbe nicht von jedermann so gerne gesehen war, aber das kümmerte mich wenig bis kaum.
Ich beobachtete gerade wie die letzten Sonnenstrahlen über den Dächern der Wiener Innenstadt verschwanden und zog die schweren samtenen Vorhänge meines „Arbeitszimmers" zu. Die heiße Mittagssonne hatte ich schon lange nicht mehr gesehen und ich glaubte nicht, dass ich dies so bald wieder würde. Man musste seine Arbeitszeiten schließlich anpassen.
Sonnenuntergang bedeutete Schichtbeginn. Also zupfte ich meine Corsage zurecht, überprüfte den Sitz der dunklen Strapse und stöckelte mit meinen Pumps aus dem Zimmer und in Richtung Bar. Viele kichernde Kolleginnen kamen mir bereits mit einem Kunden im Arm entgegen und verschwanden auf ihren Zimmern. Aus einigen waren schon eindeutige Geräusche des Liebesspiels zu vernehmen, doch ich setzte unbeirrt meinen Weg fort. Das Geschäft boomte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es irgendwann einmal anders sein würde.
Der Barbereich war für meinen Geschmack zu dunkel eingerichtet, doch die Vamps schienen darauf zu stehen, also sollte es mich eigentlich nicht weiter stören. Ich ließ meine grünen Augen durch den Raum schweifen, auf der Suche nach meinem ersten Kunden der heutigen Nacht, als etwas massives seitlich gegen mich lief und mich zur Bar zerrte.
„Er ist wieder dahaaa!" ließ Mia mich mit Nachdruck wissen und ich konnte mich nur schwer beherrschen gute Miene zu behalten. Das würde bestimmt einen blauen Fleck geben. Aber da sah ich ein paar Hocker weiter einen jungen Vamp an der Bar sitzen und warf geschmeidig mein langes Haar zurück, als er zu mir sah und ich ihn anlächelte. Er grinste und hob seinen Drink zum Gruß bevor er trank.
„Ach ja? Wer denn dieses Mal?" fragte ich daher nur halbherzig, da ich Blondie ungern aus den Augen lassen wollte, denn noch war er allein. „Lestat de Lioncourt? Draculas Enkel?"
„Sei nicht albern", schimpfte Mia und drehte mein Kinn zu sich, was mich beinahe an ihrem Verstand zweifeln lies. Da versuchte man doch wirklich ernsthaft zu arbeiten... „ER natürlich!" Sie machte große Augen und sah mich durchdringen an, doch ich verstand noch immer nur Bahnhof und fragte mich, wann der nächste Zug abfuhr.
„Wenn du dich nicht sofort deutlicher ausdrückst, ramme ich dir höchstpersönlich einen Pflock ins Herz."
Mia war kurze Zeit in ihrer Aufgebrachtheit unterbrochen.
„Aber ich bin doch kein Vampir."
„Egal. Tot wärst du trotzdem und würdest mich endlich in Ruhe lassen."
Blondie beobachtete uns unterdessen und ich begann mit meinen Locken zu spielen und verführerisch mit den Wimpern zu klimpern.
„Maria hat Besuch", berichtete sie endlich und bei mir war schließlich der Groschen gefallen. Sie hätte nicht weiter sprechen müssen. „Ihr alter Freund ist wieder da."
Maria kümmerte sich wirklich selten selber um Kundschaft. Und wenn ich selten sage, dann meine ich selten. Selten, selten! Einmal im Jahr... vielleicht zweimal. Höchstens! Dass sie Kundschaft hatte, konnte also nur eins bedeuten. ER war wieder da... oder Edward Cullen.
Innerlich seufzend sah ich Mia kurz an. Mein Blick zeigte beinahe Mitleid. Mia war der festen Überzeugung, wie eigentlich alle hier, wir zeigten lediglich nicht so viel Interesse daran, dass Marias „alter Freund", der sich nur alle paar Monate einmal blicken ließ, etwas mit der düsteren Vergangenheit der Vampirfrau zu tun hatte. Aber da Mia der neugierigste Mensch auf der ganzen Welt war, galt es dieses Geheimnis bis ins kleinste Detail zu lüften. Kein Schlüsselloch war vor ihr sicher, wenn der Graf in der Nähe war. Ach ja... er war außerdem adelig. So viel hatte sie schon einmal bei ihren nächtlichen Streifzügen durch den Puff, versteckt hinter schweren samtenen Vorhängen und verborgen unter teuren Canapés, herausgefunden. Man sollte meinen, dass sich ein solches Verhalten für eine Edelnutte nicht ziemte, aber... oh Gott, es war eben Mia. Damit war so ziemlich alles gesagt.
„Du sollst deine Nase nicht immer in die Angelegenheiten anderer stecken", fühlte ich mich genötigt sie zu maßregeln. „Das ist Marias Sache. Sie ist unsere Chefin, er ist ihr Kunde und mehr müssen und wollen wir auch gar nicht wissen."
„Du hast ihn ja noch nicht ein einziges Mal gesehen. Er sieht doch so gut aus! Apropos Dinge irgendwo rein stecken..."
Ich hatte es aufgegeben erröten zu wollen, wenn Mia in der Nähe war. Es würde schier einem Dauerzustand gleichen. Also ignorierte ich sie und ihre Ausführungen, widmete mich wieder den wichtigen Dingen und ging auf Blondie zu, der sich ebenfalls bereits erhoben hatte und mir entgegen kam.
„Hallo Nica", hauchte er mir entgegen.
Oops, er kannte mich. Na ja... ich konnte mir auch nicht jeden merken.
„Hallo, Hübscher", begrüßte ich ihn und bei meiner Anrede blitzten seine spitzen Eckzähne mit einem leichten Lächeln hervor. „Ich wette, du kannst mir wieder einmal die Langeweile nehmen."
Ich griff nach seinem Oberarm und bereitwillig folgte er mir zurück auf mein Zimmer. Mia sah uns wehmütig nach, blickte sich kurz um und wurde prompt von einem Vamp auf einen Drink eingeladen.
Lautlos ging Blondie neben mir her, während der rote Teppich auch jeden meiner Schritte schluckte. Seine Hand lag auf meinem Hintern und er ließ mich nur für kurze Zeit los, sodass ich die Tür hinter uns schließen konnte. Der riesige Kronleuchter tauchte den Raum in diffuses Licht. Ich ließ den schweren Duft von vampirischen Räucherwerk der durch das Zimmer wabberte auf mich wirken und wandte mich um. Er gab mir kaum Zeit zu reagieren. Noch bevor ich einen weiteren Schritt getan hatte, war Blondie bei mir und presste mich mit seinem gesamten Körper hart gegen das dunkle massive Holz der edlen Tür. Seine Hände glitten von meinem Hals in südlichere Regionen, während sich seine kalten Lippen gegen meine Kehle pressten. Ich spürte einen Ansatz von Eckzahn über meine Haut schrammen, jedoch ohne mich zu verletzen. Da hatte ich doch fast vergessen etwas klarzustellen. Also packte ich mit beiden Händen sein volles blondes Haar und riss seinen Kopf in den Nacken, sodass er mich ansehen musste. Ein leichtes Knurren entwich seiner Kehle, was mich jedoch nicht im geringsten beeindruckte.
„Wenn du Blut willst, dann musst du ein paar Türen weiter gehen, mein Hübscher. Ist das klar?" Ich sagte dies so heißblütig wie es mir in diesem Augenblick möglich war und Blondie nickte gelassen.
„Kristallklar", versicherte er und seine Hände packten mich an der Taille und zerrten mich regelrecht zum Bett, während ich alles über mich ergehen ließ, denn der Kunde war König. Auf das Vorspiel war heute wohl geschissen.
Die weichen Laken gaben unter mir nach und betteten mich auf edle Seide und Damast, als er mich unter sich begrub und an der Öffnung meiner Corsage herum fingerte. Ich konnte seine Erregung deutlich zwischen meinen Schenkeln spüren, als er das Mieder entfernt hatte und ich es zuließ, dass er mich küsste, als er es achtlos zu Boden gleiten ließ. Mein Puls beschleunigte sich und ich schlang die Beine um seine Mitte. Wieso sollte ich denn keinen Spaß daran haben? Er zerrte an meinem Spitzenhöschen und der Bund schnitt unangenehm in meine Haut. Zur Strafe biss ich ihn leicht auf die Unterlippe, was er mit einem hungrigen Knurren quittierte und mich vor freudiger Erwartung aufstöhnen ließ. Blondies Hände fanden schließlich meine Brüste und als er gierig in mich eindrang keuchte ich vor Verzückung auf.
Vampsex war... anders. Wilder, zügel- und hemmungsloser, ekstatischer und auf alle Fälle auch befriedigender... und gefährlicher. Sicher, man konnte seine Kunden verklagen, sollte etwas Unerwünschtes passieren... aber tot und für die Ewigkeit verdammt war man dann leider trotzdem. Was mich mit einem leichten Stich im Herz wieder an Mia denken ließ. Aber nur kurz, denn Blondie schob seine Hände unter meinen Rücken und hob mich hoch, bis ich auf ihm saß und mein Gesicht in seinen Locken vergraben konnte, während ein Schauer nach dem anderen meine Wirbelsäule entlang jagte. Ich wusste, dass Blondies Blutdurst immer stärker werden würde und dass schon bald die kritische Phase erreicht wäre, also wappnete ich mich bereits dafür und machte mich gedanklich auf das Schlimmste gefasst. Seine Augen wurden dunkel und ich schätzte ab, wie lange ich wohl brauchen würde um den Pflock unter dem Kopfkissen zu erreichen. Ob ich schnell genug sein konnte? Doch dann war der Moment vorbei. Er hatte seinen Hunger besiegt und bedeckte stattdessen meinen Hals mit kalten Küssen. Ich lächelte und meine Finger hinterließen Striemen auf seinem schönen Rücken, während wir weiteren berauschenden Stunden entgegen sahen und die Welt für einen Augenblick vergessen war.

~ Ende des 1. Kapitels ~